In einem Kommentar auf ein Post von Ingolf Schäfer auf Google+ hatte ich geschrieben, dass ich mich fast nie in Diskussionen in der deutschsprachigen Rollenspielergruppe melde, weil ich im englischen Raum leichter zu angenehmen und informativen Diskussionen komme. Woran das liegt, weiss ich nicht; ich habe Muttersprache Deutsch.
Vielleicht liegt es sogar nur daran, dass ich auf Englisch mehr Auswahl habe und mir meine Zirkel so zusammenstellen konnte, dass ich auf mehreren Ebenen einen Rapport habe: Diskussionsstil, Spielvorlieben, Regelwerke und Setting. Oder vielleicht liegt es auch daran, dass die Leute weniger über ihren Tisch reden als über die Produkte. Die Produkte, die anstehen, gekauft wurden, vorbestellt wurden, anderswo rezensiert wurden, die Qualität der Rezension des Produktes, die Community zum Produkt, die Proberunde zum Produkt. In so einem Umfeld tue ich mich schwer darin, mit Begeisterung einen Betrag zum Spielleitern selber zu schreiben. Wenn ich meinen Blog so anschaue, sieht es so aus, wie wenn mein letzter signifikanter G+ Kommentar vom Mai 17 stammt. Oder liegt es daran, dass hier mit einer Begeisterung diskutiert wird, die ich nicht Teile? Ich kann mich erinnern, dass ich mich früher immer ein wenig wie in einem Philosophie Studium gefühlt habe, weil ständig an den Definitionen der Begriffe gefeilt wurde. Die Unsorgfalt anderswo, die Bereitschaft, viele Standpunkte nebeneinander stehen zu lassen, die vermisse ich. Irgendwie mag ich sogar das Format einer Frage wie “Discussion of the Day: Blah or Blargh? Why?” – das findet man hier auch nicht.
Tja, und dann dachte ich mir: *Be the change you want to see*. Also probiere ich die Diskussionen zu lancieren, die mich selber interessieren. Das war dann halt das gleiche Thema wie auf Englisch gerade eben: Ist es möglich, im Rollenspiel wirkliche Helden zu spielen? Damit meine ich, Charaktere, die große Risiken eingegangen sind, oder sich sogar selbst geopfert haben?
Selber habe ich den Eindruck, dass das nicht geht und im Rollenspiel durch dessen Eigenheiten inhärent andere Geschichten erzählt werden als in Videospielen oder Kinofilmen.
Insbesondere habe ich Mühe, mir Regeln vorzustellen, welche dies irgendwie belohnen, denn was Heldenpunkte und dergleichen oft belohnen, sind gut erzählte Actionsequenzen und ähnliches, aber als Spieler fühle ich mich nie so, wie wenn ich grosse Risiken eingegangen wäre und meine “Heldentaten” wirken entsprechend hohl und falsch.
Es gibt eben keine kommensurable Belohnungen für ein Opfer, denn sonst wäre es ja für den Spieler kein Opfer und wird eben zur sinnentleerten Geste.
Das Ausgeben von Heldenpunkten hat für mich nicht funktioniert: wenn ich mir Neuwürfe und nachträgliche Boni mit “kaufen” kann, dann besteht ja ein viel kleineres Risiko. Das funktioniert im Film, aber nicht am Tisch – zumindest nicht für mich.
Ich weiss auch nicht, warum ich das Risiko so wichtig finde, um der Sache Bedeutung zu geben. Wenn es um nichts geht, dann ist es irgendwie nichts.
Wer die Prinzessin rettet, weil er das gefahrlos kann, ist natürlich super, aber so einer kriegt keine Medaille, so wie ich auch keine Medaille kriege, wenn ich die Schnecken von Weg nehme. Erst wenn ich aufs Gleis runter springe und den Typen rette, trotz der Gefahr für Leib und Leben, wird es zur medaillenwürdigen Heldentat. In dem Sinne ist also Superman für mich genau kein Superheld, da nie wirklich in Gefahr.
Im englischen Thread auf G+ gab es einen Kommentar mit Link zum Carnegie Hero Trust Fund und dessen Definition: «Gemäß den Statuten der Stiftung ist es nicht die Lebensrettung als solche, die ausgezeichnet wird, sondern nur die Handlung “mit ausgesprochen heldenmütigem Charakter”. Der/die Retter/in hat sich dabei selbst oder seine/ihre Gesundheit ernsthaft einer Gefahr ausgesetzt, um das Leben eines Menschen zu retten. Rettungen, die keinen besonderen Mut erfordern und die jedermann als nächste und selbstverständliche Pflicht gegenüber dem Mitmenschen obliegt, werden von der Stiftung nicht ausgezeichnet.»
Ernsthafte Gefahr. Besonderen Mut. Das finde ich immer noch sehr überzeugend.
Und was ist mit den anderen Vorstellungen von Heldentum? Den Helden, deren Vorfahren Götter waren, die zu etwas besonderem bestimmt sind? Meiner Meinung nach gehört das Heldentum in der klassischen Form zum Medium Theater und lässt sich nicht einfach auf neue Medien übertragen. Das wird schon für Buch und Film schwer – zumindest fällt mir gerade kein Beispiel ein, wenn überhaupt, dann sind diese Elemente kleine Nebenschauplätze und wirken auf mich oft deplatziert. Für Rollenspiel scheinen mir die klassischen Tragödien keine gute Inspirationsquelle zu sein.
Was ist mit den Rittern, die den Drachen töten können, weil sie so super sind und es deswegen tun, im Gegensatz zu all den armen Bauern mit ihren Mistgabeln, die nicht eingreifen konnten? Wenn die Ritter keine Helden sind, weil sie ein geringes Risiko tragen, dann wird es hart, denn die Bauern müssen ja fantastische Glückspilze sein, wenn sie den Drachen besiegen wollen. Und das sehe ich auch so: So etwas funktioniert eben nicht im Rollenspiel sondern nur im Kino oder im Buch, wo Survivorship Bias dafür sorgt, dass die Geschichte dem Glückspilz folgt – so dass wir im Spiel also entweder den Bauern mit Heldenpunkten unter die Arme greifen müssen (was in meinen Augen die Sache aushöhlt) oder es werden viele Charaktere sterben müssen, oder wir sehen ein, dass die meisten Rollenspielkampagnen mit Helden nichts gemein haben.
Naja, das war halt so der Ausgangspunkt meiner Überlegungen: Ist ein Opfer ein Opfer, wenn es nichts gekostet hat? Ist man ein Held, wenn man sein Leben nicht riskiert hat? Ist es überhaupt möglich, ein Spiel zu designen, wo ein Spieler dies vermehrt tun wollte?
Jetzt kann man natürlich einwenden, man verstehe unter Heldentum etwas anderes, das Hadern und Streiten mit dem Schicksal, oder die Protagonistenrolle, welche einem die Vorsehung zugestanden hat, und das finde ich auch eine interessante Diskussion: Was wünschen sich Spieler denn so am Tisch? Und gerade im deutschsprachigen Raum, wo man mit Das Schwarze Auge und der Bezeichnung “Held” ans Rollenspiel herangeführt wurde, ist das ja besonders spannend. Aber was mich persönlich angeht, interessiert mich das andere Thema mehr. Und da entstehen natürlich auch spannende Situation am Tisch: ein Spieler findet meinen Spielstil nicht cool und will mehr risikoarmes Heldentum und ich sage dann, dass sei ja ein Widerspruch in sich. Und dann sind wir auch in genau dieser Diskussion, ohne dass es eine klare Antwort gäbe, höchstens klare Vorlieben.
⁂
Ähnliches Thema aus der Zukunft:
Wenn ich belohnt werde, dann will ich für etwas belohnt werden, auf was ich stolz sein kann. Ansonsten fühlt es sich nicht wie eine Belohnung sondern wie ein Hundekeks an, welches man dem braven Hund gibt, der Komm! und Platz! und Sitz! macht. – 2022-10-10 Ich will etwas geleistet haben
2022-10-10 Ich will etwas geleistet haben
#RSP