Wir thematisieren die wichtigen Fragestellungen rund um Internet, Gesellschaft und Politik und zeigen Wege auf, wie man sich auch selbst mit Hilfe des Netzes für digitale Freiheiten und Offenheit engagieren kann. Mit netzpolitik.org beschreiben wir, wie die Politik das Internet durch Regulierung verändert und wie das Netz Politik, Öffentlichkeiten und alles andere verändert.
Zuletzt aktualisiert: Fri, 10 May 2024 11:49:48 +0200
Fri, 10 May 2024 11:48:45 +0000
Anna Biselli
Millionen Gesichtsbilder aus der zentralen INPOL-Datenbank stellte das Bundeskriminalamt zur Verfügung, um die Performance von mehreren Gesichtserkennungssystemen zu testen. Rechtsfachleute zweifeln an der Rechtmäßigkeit, ein mutmaßlich Betroffener überlegt zu klagen.
Mit Gesichtserkennungs-Software gleich das Bundeskriminalamt beispielsweise Bilder von Überwachungskameras mit polizeilich bekannten Gesichtern ab, vor allem der sogenannten INPOL-Datei. 7.697 Suchläufe waren es im Jahr 2022, dabei wurden |2.853 zuvor unbekannte Personen identifziert|.
Um verschiedene Software-Produkte zu vergleichen, ließ das BKA bis zum Jahr 2019 vom Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung mehrere Gesichtserkennungssysteme im Projekt EGES vergleichen – kurz für: |Ertüchtigung des Gesichtserkennungssystem im BKA|.
|Recherchen des Bayerischen Rundfunks| auf Basis von Informationsfreiheitsanfragen des CCC-Sprechers Matthias Marx haben nun ergeben, dass das BKA dem Institut dafür mehrere Millionen Gesichtsbilder von drei Millionen Personen zur Verfügung stellte. Sie stammten vor allem aus der zentralen INPOL-Datenbank.
Im Abschlussbericht des Projekts heißt es zum Datenbestand etwa:
Kopien von ca. 5 Millionen digitalen Bildern, die in INPOL-Z als frontale Gesichtsbilder von ca. 3 Millionen Personen markiert sind.
Dazu kamen Bilder von Freiwilligen, jedoch in weit geringerem Umfang, etwa „von 147 freiwilligen Testpersonen mindestens zwei digitale frontale Gesichtsbilder, die unter idealen Bedingungen über einen Zeitraum von etwas mehr als neun Jahren aufgenommen wurden“.
Aus einer weiteren Informationsfreiheitsanfrage zur diesbezüglichen Korrespondenz des Bundesdatenschutzbeauftragen mit dem BKA wird klar, dass den Beteiligten bewusst war, dass das Vorgehen rechtlich sensibel war.
In einem Schreiben |fragt ein Mitarbeiter des Bundesdatenschutzbeauftragten| das BKA selbst nach der entsprechenden Rechtsgrundlage. Das wiederum beruft sich darauf, dass es |keine Datenweitergabe gegeben| habe und verweist auf ein kompliziertes System, bei dem etwa ein |Rechner ohne Verbindung zum Internet und ohne externe Schnittstellen| zum Einsatz kam. Nach Projektende seien alle Festplatten physisch zerstört worden.
Das BKA berief sich unter anderem auf einen Paragrafen im BKA-Gesetz, der die Nutzung der Daten für Forschungszwecke erlaubt. Ganz überzeugt hat das den Bundesdatenschutzbeauftragten offenbar nicht, er sieht in dem Vergleich von kommerziellen Produkten keine Forschung. „Es mangelt an einer Rechtsgrundlage“, heißt es in einem Schreiben. Beanstanden wollte er das Projekt aber nicht, wegen der komplexen rechtlichen Situation. Nach monatelangem Austausch mit dem BKA heißt es von Seiten des Datenschutzbeauftragten: „Eine Einigung konnte indes nicht erzielt werden.“
Der vom BR befragte Rechtswissenschaftler Mark Zöller ist ebenfalls skeptisch. Die Sicherheitsbehörde müsse sich an das BKA-Gesetz halten. Und das regele nicht, welche Daten für Software-Tests genutzt werden dürfen.
Janik Besendorf, dessen Bild mutmaßlich auch für die Tests genutzt worden waren, hat nun |Beschwerde beim Bundesdatenschutzbeauftragen eingereicht|. Er war erkennungsdienstlich behandelt worden. Das zugehörige Verfahren wurde zwar eingestellt, er geht aber davon aus, in der Datensammlung gelandet zu sein. Der IT-Sicherheitsexperte überlegt außerdem, in der Sache gegen das BKA zu klagen.
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|2.853 zuvor unbekannte Personen identifziert|
|Ertüchtigung des Gesichtserkennungssystem im BKA|
|Recherchen des Bayerischen Rundfunks|
|fragt ein Mitarbeiter des Bundesdatenschutzbeauftragten|
|keine Datenweitergabe gegeben|
|Rechner ohne Verbindung zum Internet und ohne externe Schnittstellen|
|Beschwerde beim Bundesdatenschutzbeauftragen eingereicht|
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Fri, 10 May 2024 10:49:16 +0000
Andre Meister
Die EU-Staaten diskutieren, ob sie die Chatkontrolle auf Bilder und Videos beschränken wollen. Das hat die belgische Ratspräsidentschaft vorgeschlagen. Einige Staaten lehnen das jedoch ab. Die Verhandlungen sind seit Wochen festgefahren.
Die EU-Staaten haben am Mittwoch in der |Arbeitsgruppe Strafverfolgung| wieder über die Chatkontrolle verhandelt. Dort waren die Verhandlungen nach fast zwei Jahren |zuletzt festgefahren|.
Im Gegensatz zu bisherigen Sitzungen hat die belgische Ratspräsidentschaft vorher keinen neuen Textvorschlag erarbeitet und verschickt. Stattdessen hat die Ratspräsidentschaft mündlich ein neues Konzept vorgestellt.
Laut einem Sprecher des Rats schlägt Belgien vor, die Chatkontrolle auf visuelle Inhalte zu beschränken, also auf Bilder und Videos. Audio- und Textinhalte sollen demnach nicht mehr gescannt werden.
Außerdem schlägt die Präsidentschaft „eine Upload-Moderation mit Zustimmung der Nutzer“ vor, so der Sprecher weiter: „Wenn die Genehmigung erteilt wird, kann Bildmaterial hochgeladen werden, das dann mit einer speziellen, überprüften Software aufgespürt werden kann.“
Da die EU-Staaten den Vorschlag nicht vorher prüfen konnten und es noch keine schriftliche Version gibt, haben sie unter Vorbehalt diskutiert. Einige Staaten lehnen eine Einschränkung der Chatkontrolle auf Bilder und Videos jedoch ab, sie wollen sämtliche Inhalte scannen.
Andere Staaten lehnen es ab, neben bekannter strafbarer Kinderpornografie auch nach unbekannten Inhalten und Grooming zu suchen. Vor allem die Niederlande kritisieren diesen Punkt in jeder einzelnen Verhandlungsrunde. Einige Staaten fragten, „wie sich die Upload-Moderation mit dem Aspekt Verschlüsselung verhält“.
Zwar fordern die meisten Staaten weiterhin, bald eine Einigung zu finden. Die grundsätzlichen Probleme der Chatkontrolle sind aber weiterhin ungelöst. Daher gibt es unter den Staaten weiterhin keine ausreichende Mehrheit, das Gesetz zu beschließen.
Die belgische Ratspräsidentschaft hat nicht gesagt, wie es weitergehen soll. |Laut Kalender| finden die nächsten beiden Verhandlungsrunden erst im Juni statt, während und kurz nach der EU-Wahl.
Damit ist es mittlerweile ziemlich unwahrscheinlich, dass Belgien noch eine Einigung der EU-Staaten herbeiführen kann. Anfang Juli übernimmt Ungarn die Ratspräsidentschaft.
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|Arbeitsgruppe Strafverfolgung|
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Fri, 10 May 2024 10:27:01 +0000
Constanze
Wer das Informationsfreiheitsgesetz nutzen will, sollte bei der Plattform „Frag den Staat“ vorbeischauen. Wir sprechen mit Arne Semsrott über Aktivismus, nachhaltige Erfolge, Olaf Scholz’ Haltung zu Transparenz und wie Ministerien Kampagnen für mehr Informationsfreiheit gegen die Wand fahren ließen.
Seit mehr als einem Jahrzehnt gibt es nun das Transparenzportal „Frag den Staat“, und von Anfang an ist Arne Semsrott dabei. Die Website erlaubt es, Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) bequem von der Couch aus loszutreten, sozusagen Klicktivismus für mehr Transparenz – aber mit Anspruch, guter Benutzerführung und zumindest Erfolgsaussicht.
Elisa Lindinger, Elina Eickstädt und Constanze Kurz – das Team des |Podcasts „Dicke Bretter“| – sprechen mit Arne Semsrott darüber, was sich in Sachen Transparenz verändert hat, seit Wolfgang Schmidt und Olaf Scholz das Bundeskanzleramt besiedelt haben. Seine Einschätzungen stellen der Ampel-Regierung kein gutes Zeugnis aus. Was ist die Bilanz bei den Verwaltungsgerichten, die in vielen Fällen angerufen werden müssen? Und wie wird es mit „Frag den Staat“ weitergehen?
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Arne Semsrott ist Politikwissenschaftler und Aktivist für mehr Transparenz und arbeitet seit zehn Jahren bei der Informationsfreiheitsplattform |Frag den Staat|. Er engagiert sich auch beim |Freiheitsfonds|, einem Projekt, bei dem Menschen aus dem Gefängnis freigekauft werden und politisch für eine Entkriminalisierung des Fahrens ohne Ticket geworben wird. Mehrere Jahre hat er auch bei netzpolitik.org über Informationsfreiheit und Transparenz geschrieben.
Sein neues Buch heißt |Machtübernahme – Was passiert, wenn Rechtsextremisten regieren. Eine Anleitung zum Widerstand| und wird am 3. Juni erscheinen.
Elina Eickstädt: Lieber Arne, was ist Informationsfreiheit?
Arne Semsrott: Informationsfreiheit ist das Recht auf Zugang zu Information. Es ist ein Grundrecht, ein Menschenrecht, das wir alle haben. Das ist in Deutschland und in anderen Ländern über Gesetze geregelt, die uns die Möglichkeit bieten, alle möglichen Informationen vom Staat zu holen. Es geht also um alles, was in Aktenschränken liegt und dort teilweise verkümmert. Das können wir besorgen oder wir können zumindest versuchen, es zu besorgen. Und das ist häufig ein ganz schöner Kampf.
Elina Eickstädt: Wo würdest du das Konzept von „Frag den Staat“ als Plattform für Personen, die aktivistisch tätig werden wollen, einordnen? Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz als Aktivismusmittel einzusetzen, ist ja eine neue Idee gewesen.
Arne Semsrott: Ich sehe „Frag den Staat“ als Organisation zwischen allen Stühlen: Sie ist ein mögliches Mittel für Aktivistinnen und für Organisationen, um Druck zu machen, sich Infos zu holen, sich bemerkbar zu machen und Kampagnen oder Vorhaben, die sie haben, zu verstärken.
Es gibt ja diese Informationsfreiheitsgesetze. Über die haben wir die Möglichkeit, Infos vom Staat zu bekommen. Dann ist aber die Frage: Wie kann man das in politischer Arbeit so einsetzen, dass es tatsächlich einen Unterschied macht?
Das offensichtlichste Beispiel: Ich hole mir eine Information, da steht irgendwas Krasses drin. Ein Referat im Innenministerium streitet sich zum Beispiel mit einem Referat im Justizministerium. Ich kriege das mit, weil ich alle E-Mails zwischen den beiden Häusern abfrage. Wenn ich das an die Öffentlichkeit gebe, kann ich vielleicht in einem Gesetzgebungsprozess Druck machen.
Aber es funktioniert auch ein bisschen subtiler. Wenn ich eine spezifische Anfrage stelle, gerade in laufenden Prozessen, dann merken die Behörden das und werden vielleicht achtgeben, was überhaupt in eine Akte reingeschrieben wird. Das heißt, das kann Prozesse ändern durch das Wissen, dass da jemand draufschaut.
Es gibt zudem zahlreiche Ausnahmetatbestände in Informationsfreiheitsgesetzen, sie sind überhaupt verbesserungswürdig. Aber auch wenn ich eine Ablehnung einer Anfrage bekommen, kann ich das für Kampagnen gut nutzen, denn ich kann dann sagen: Seht mal, die haben diesen Gesetzgebungsprozess, aber die geben die Infos nicht raus. Offensichtlich haben die was zu verbergen. Und man kann natürlich auch mit geschwärzten Akten gutes Campaigning machen. Es ist teilweise so, dass Infos, die sie nicht rausrücken, interessanter sind als Infos, die sie rausrücken.
Elisa Lindinger: Ich erinnere mich noch an meine erste IFG-Anfrage über „Frag den Staat“: Das war in der |Kampagne „Topf Secret“|. Das wäre ein drittes Beispiel, wie die Plattform wirkt: Da geht es weniger darum, eine parteipolitische Agenda zu haben oder quasi hoch aufgehängte Themen zu besetzen, sondern stärker darum, einen Datenbestand freizukriegen, der bisher nicht einsehbar war. Konkret ging es um die Gutachten von Gesundheitsämtern zu Restaurants, in die wir alle gern gehen und essen und vielleicht ganz gern wissen wollen würden, wie es in deren Küche aussieht. Solche Kampagnen habt ihr früher relativ oft gemacht und gefühlt wird das jetzt weniger. Täusche ich mich da?
Arne Semsrott: Nein, das stimmt. Bei „Topf Secret“ geht es um Lebensmittelkontrollberichte und ich glaube, was wir mit dieser Kampagne geschafft haben, ist das Zusammenfassen egoistischer Motive von einzelnen Leuten zu einer Kampagne mit einem höheren Ziel. Ich gehe beispielsweise in ein Restaurant, dann habe ich einen verdorbenen Magen. Dann will ich erstmal sehen: War das Hygieneamt eigentlich da? Vielleicht haben sie ja Hygieneprobleme gefunden.
Es haben jetzt etwa 60.000 Leute Lebensmittelkontrollberichte über die Plattform angefragt – aus ihren eigenen Motiven. Das zusammengenommen ergibt dann eine Kampagne für mehr Transparenz in dem Bereich. Denn wir können natürlich sehr gut sagen: Offensichtlich wollen so viele Leute das wissen, dann wäre es doch viel einfacher, diese Infos von sich aus zu veröffentlichen. Das war immer die Forderung, die wir mitkommuniziert haben.
Constanze Kurz: Die Kontrollberichte hängen oft auf Papier in den Ämtern, aber sie veröffentlichen sie nicht online.
Arne Semsrott: Ja, es kommt aber auf die Bundesländer an, die machen es unterschiedlich. Das Ziel, was man eigentlich haben will, ist ein bundesweites Gesetz, vielleicht ein Smiley-System, das draußen am Restaurant angebracht werden muss. Das wäre viel leichter für alle.
Man müsste dafür einen Prozess etablieren. Das ist natürlich schwierig, denn Prozesse etablieren ist immer eine große Pein. Letztlich haben die Verwaltungen und das Landwirtschaftsministerium gesagt: Nein, dann ballern sie uns halt mit tausenden Anträgen zu, das müssen jetzt die Ämter alle abarbeiten.
Wir können aber nun zu den einzelnen Ämtern hingehen und sagen: Macht doch bitte Druck beim Bundesministerium, damit sie Gesetze einführen, dann habt ihr diese Arbeit nicht mehr. Das heißt, man kann über einen klaren, letztlich ökonomischen Druck bei den Behörden dafür sorgen, dass die dann wiederum aus Eigeninteresse für eine Sache lobbyieren.
Constanze Kurz: Wir beobachten die Projekte von „Frag den Staat“ schon länger und sind selber auch Nutzer der Plattform. Es gibt mittlerweile einen klaren „Pushback“, also Gegendruck für das Ansinnen nach mehr Informationsfreiheit. Aktuell gab es etwa ein |Urteil des Bundesverwaltungsgerichts|, das als ein Rückschritt bewertet werden kann. Hast du angesichts dieser Entwicklung noch dieselben aktivistischen Energien, sind sie sogar eher mehr oder strukturierter geworden? Wie siehst du deinen Aktivismus nach einem Jahrzehnt?
Arne Semsrott: Ich glaube, es hat sich ein bisschen verlagert. Ich bin auf jeden Fall deutlich pessimistischer in allem. Das ist gar nicht unbedingt schlimm, das macht die Arbeit vielleicht tatsächlich eher besser. Manchmal ist natürlich ein naives Herangehen super, weil man denkt, man kann es schaffen. Wenn einem vorher klar wäre, was für eine Arbeit das ist, dann würde man vielleicht gar nicht erst anfangen. Insofern ist Naivität auch immer ganz schön.
Aber gerade bei diesen Kampagnen, die Elisa ansprach, sind es deswegen weniger geworden, weil wir mit der letzten Kampagne, die wir gemacht hatten, ganz schön auf die Schnauze gefallen sind. Das war „gläserne Gesetze“, eine Kampagne, mit der wir die Bundesverwaltung zwingen wollten, all ihre Lobbykontakte offenzulegen. Es war riesig angelegt, letztlich 10.000 Anfragen nach einzelnen Lobbytreffen.
Die Bundesministerien haben uns komplett gegen die Wand fahren lassen. Sie haben sie alle abgelehnt. Wir haben viel geklagt dagegen und sind letztlich nach drei Jahren vor den Verwaltungsgerichten angekommen.
Diese Prozesse sind wahnsinnig lang. Das heißt, da war dann die Luft raus aus dieser Kampagne. Nach drei Jahren kannst du nicht so eine Spannung aufrechterhalten. Dann hat die Bundesverwaltung vor dem Verwaltungsgericht einen ziemlich großen Sieg für sich errungen. Sie konnten nämlich gut nachweisen, dass die Informationen nach Lobbytreffen, also beispielsweise wann sich eine Bundesministerin mit einem Chemieverband getroffen hat, in der Bundesverwaltung nicht strukturiert vorliegen, weil deren Aktensysteme einfach sehr schlecht sind.
Das heißt: Wenn sich die Verwaltung intern misslich organisiert, dann sagen die Verwaltungsgerichte, dass es dann nicht rausgegeben werden kann. Das heißt auch: Diese komplett verkorkste Digitalisierung führt dazu, dass man einfach an Infos nicht rankommt. Und dann fällt so eine Kampagne auch auf die Nase.
Elisa Lindinger: Ihr kämpft ja bei „Frag den Staat“ für die Grundlagen, nämlich Transparenz. Diese Transparenz ist in sich wenig wert, aber sie ermöglicht einen Kampf für Gerechtigkeit, für Einflussnahme, für mehr Mitwirkung, für Verantwortlichkeit. Da haben wir noch einen langen Weg zu gehen, ein wirklich dickes Brett zu bohren.
Arne Semsrott: Ja, und wir haben eine Regierung, die selbst kein Interesse daran hat. Da sind die Grünen hervorzuheben, weil sie als Opposition immer für Transparenz gekämpft haben, auch aus Eigeninteresse, weil die Opposition kaum an Infos rangekommen ist. Jetzt sind sie an der Regierung, haben Zugriff auf die Infos und bringen keinen großen Druck dahinter, diesen ganzen Prozess transparenter zu machen.
Constanze Kurz: Wie bewertest du die Ampel-Regierung, nachdem |über die Hälfte der Legislaturperiode| nun vorbei ist?
Arne Semsrott: Die Grünen haben wirklich tolle kleine Anfragen gemacht, als sie in der Opposition waren. Sie haben viele Infos an die Öffentlichkeit geholt, gerade auch im NSA-BND-Komplex. Die Leute, die daran im Bundestag gearbeitet haben, arbeiten da immer noch dran. Aber sie stellen keine kleinen Anfragen mehr, sondern sie stellen interne Anfragen an die Bundesregierung. Das läuft jetzt alles im Koalitionsausschuss. Intern kriegen sie die Antworten genauso wie vorher, aber sie werden alle nicht mehr veröffentlicht.
Das heißt: Die Öffentlichkeit ist einfach außen vor, und das stört die Grünen offensichtlich nicht besonders. Mein Eindruck ist: Die Grünen sind wahnsinnig loyal zu dieser Ampel, die geben kaum Infos raus. Leute, mit denen man vorher ordentlich reden konnte, die reden einfach nicht mehr mit einem.
Was Transparenz angeht, gibt es einfach überhaupt keine Veränderung zur vorherigen Regierung. Wenn, dann ist es sogar teilweise schlechter geworden. Denn jetzt ist der Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt, der für Olaf Scholz seit zwanzig Jahren sozusagen die Leichen im Keller begräbt. Stichwort wäre beispielsweise der Steuerraub, der durch die Cum-Ex-Files öffentlich wurde. Beim Thema Transparenz ist Schmidt ein gebranntes Kind.
Wir haben beispielsweise eine Klage am Laufen zum Sondervermögen Bundeswehr. Das sind diese 100 Milliarden Euro, die kurz nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine beschlossen wurden. Dazu gibt es offiziell drei Dokumente im Kanzleramt, für so eine Entscheidung, in ein paar Tagen 100 Milliarden Euro freizumachen. Drei Dokumente!
Natürlich haben sie viel ausführlicher darüber gesprochen, aber alles wurde nicht mehr veraktet. Auch in diesem Fall sagt dann das Verwaltungsgericht: Wenn sie Infos nicht gibt, dann können wir auch nichts machen. Und damit kommt dann ein Wolfgang Schmidt und ein Olaf Scholz durch. Das hat Merkel vorher sicher auch gemacht. Aber ich habe den Eindruck, dass es jetzt einfach noch krasser geworden ist.
Constanze Kurz: Es ist ja bekanntes Phänomen, auch in der Merkel-Regierungszeit wurde das kritisiert. Die Frage ist, ob es ein strategisches Prinzip ist. Es betrifft ja nicht nur das Kanzleramt, sondern auch die Ministerien. Was wird überhaupt veraktet? Ihr hattet auch juristische Kämpfe um die Fragen nach SMS- und Messenger-Nachrichten. Es ist ja auch eine Realität, dass die Menschen in der jetzigen Regierung zehn Jahre jünger sind als in der Regierung von Merkel davor. Sie benutzen Smartphones anders. Ganz offenkundig verakten sie weniger. Es ist richtig, dass ihr juristisch hier wenig erreicht habt?
Arne Semsrott: Total. Im Gegenteil würde ich sogar sagen, wir haben ein paar wichtige juristische Sachen verloren, die eine schlechte Praxis dann auch noch legalisiert haben.
SMS-Nachrichten sind ein Beispiel. Konkret hatten wir eine Klage gegen das Auswärtige Amt. Es ging um SMS, jetzt aktuell zur Ukraine und davor vom ehemaligen Minister Heiko Maas zu Afghanistan. Da saßen dann die Beamten im Verwaltungsgericht und haben gesagt: Schauen Sie, technisch ist das gar nicht möglich, mit diesen Geräten SMS zu senden, offensichtlich ist das also nicht passiert. Dann fragt das Verwaltungsgericht: Was ist denn mit eurer internen Anweisung? Dann holen die Beamten die interne Anweisung raus, da steht drin: Man darf keine SMS verschicken. Dann sagen alle: Eine deutsche Verwaltung arbeitet nach Recht und Gesetz.
Und das war’s. Jetzt kommt man an die SMS nicht ran, weil es sie offiziell nicht gibt. Dass alles per SMS gemacht wird oder per Threema oder mit anderen Messengern, das ist klar, auch in einem kleinen Gerichtssaal. Das heißt: Das einzige, was da noch bleibt, sind Leaks.
Elina Eickstädt: Wie verändert sich die Strategie von „Frag den Staat“ angesichts solcher Urteile und Praktiken?
Arne Semsrott: Wir sind nicht mehr nur die Informationsfreiheitsgesetz-Organisation. Die IFG-Anfragen sind inzwischen ein Baustein innerhalb eines Ökosystems von verschiedenen Methoden.
Ich selbst widme mich auch Sachen, die ein bisschen weiter entfernt sind vom Informationsfreiheitsgesetz. Es läuft jetzt gerade ein Strafverfahren gegen mich wegen der Veröffentlichung von Dokumenten in Bezug auf die „Letzte Generation“. Die Dokumente stammen aus laufenden Strafverfahren. Das eine Straftat und kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr geahndet werden.
Das hat natürlich mit dem Informationsfreiheitsgesetz nichts mehr zu tun, aber immer mit dem breiten Komplex des Zugangs zu Informationen. Es ist in dem Fall ein strategisches Mittel, sich verklagen lassen und zu schauen, was ein Strafverfahren an Klärung bringen kann. Im Idealfall führt dieses Verfahren dazu, dass die zugrundeliegende Norm im Strafgesetzbuch für verfassungswidrig erklärt wird. Was aber auf jeden Fall schon passiert ist: Wir haben eine Fachdiskussion. Die Strafnorm im Strafgesetzbuch ist Grütze, da sind sich schon mal alle einig.
|Arne Semsrott von FragDenStaat angeklagt wegen Veröffentlichung von Gerichtsdokumenten|
Constanze Kurz: Ein anderer Baustein von dem, was du gerade als Ökosystem beschrieben hast, ist das öffentliche Berichten. Ihr schreibt im Blog anders, nämlich deutlich journalistischer. Ihr schreibt trotzdem immer noch wertend. Ihr bemüht euch nicht, aufgesetzt sachlich zu klingen, sondern man merkt, wenn ihr eine Entscheidung falsch oder eine politische Richtung nicht korrekt findet. Ihr drückt das deutlich aus. Ihr wirkt dabei dennoch auf eine starke Weise professionalisiert. Hängt das an den Menschen, die neu dazukamen, oder ist das absichtlicher Teil der Weiterentwicklung der Plattform?
Arne Semsrott: Wir haben viel gelernt von netzpolitik.org.
Constanze Kurz: Ihr macht auch viele Medien-Kooperationen, richtig?
Arne Semsrott: Wir versuchen tatsächlich alles, was wir machen, immer als Kooperation mit anderen Medien zu machen. Das hat zwei Wirkungen. Das eine ist, dass wir versuchen, die anderen Medien damit zu infiltrieren, also mit unserer Art zu arbeiten. Das funktioniert auch ziemlich gut. Nach einer Recherche, wenn sie denn gut war, stellen sie vielleicht selbst IFG-Anfragen und wollen selbst ähnlich transparent arbeiten, wie sie es vorher mit uns gemacht haben. Das andere ist, dass wir natürlich eine Reichweite in Zielgruppen bekommen, die wir sonst nicht bekommen. In der netzpolitischen Bubble sind wir stark, das kommt aus der Geschichte von „Frag den Staat“. Aber in andere Communitys zu kommen, wo man vielleicht vom Informationsfreiheitsgesetz und von „Frag den Staat“ noch nichts gehört hat, das versuchen wir über solche Kooperationen.
Das gleiche gilt auch für unsere Kampagnen. Das versuchen wir immer mit anderen NGOs zusammen zu machen oder mit anderen sozialen Bewegungen, um einfach andere Gruppen zu erreichen und nicht nur in unserem eigenen Saft zu schmoren.
Ich meine, dass so eine Professionalisierung auch einfach mit einer gewissen Größe kommt. Wir sind jetzt zwanzig Leute, das ist schon eine ganze Menge. Dadurch können wir auch eine größere Breite an Themen bespielen.
Constanze Kurz: Sag mal ein paar Zahlen. Wieviele Leute engagieren sich auf der Plattform? Wieviele IFG-Anfragen und wieviele Antworten gibt es? Wieviele positive Antworten sind darunter?
Arne Semsrott: Über „Frag den Staat“ sind in den letzten zwölf, dreizehn Jahren 260.000 Anfragen von knapp 120.000 Usern gestellt worden. Wir haben natürlich ein paar Power-User, aber in der Regel stellen die Leute zwei, drei Anfragen. Vieles hat einen persönlichen Bezug: Die Leute haben Interesse an einer Verkehrskreuzung oder einer Kita, die neu gebaut wird. Viele Anfragen sind erfolgreich, tatsächlich die meisten. Denn die meisten sind gar nicht brisant, sondern verlaufen im Kommunalen und bringen den Leuten auch wirklich, was sie wissen wollen.
Was man öffentlich mitbekommt, sind natürlich die brisanten Fälle. Da ist ohnehin klar, dass die Verwaltung etwas nicht rausgeben will. Ein Beispiel ist die Anfrage zur Bundeswehr und den 100 Milliarden Euro. Wenn ich so eine Anfrage stelle, weiß vorher schon: Das geht vor Gericht, das geben die nicht freiwillig raus. Bei diesen brisanten Fällen muss man in der Regel klagen.
Wir gewinnen auch die meisten Fälle vor Gericht. Eine häufige Konstellation ist auch, dass wir klagen und die Behörde dann merkt: Okay, er meint es ernst, dann geben sie die Akten raus. Es braucht dann gar nicht erst eine Verhandlung. Die meisten Sachen in erster Instanz, also beim Verwaltungsgericht, gewinnen wir.
Die ganz großen Fälle, die du vorher angesprochen hattest, also etwa um die SMS-Nachrichten und solche großen strategischen Fälle, wo wir durch alle Instanzen gehen und die dann in Leipzig beim Bundesverwaltungsgericht landen, die verlieren wir fast alle. Da sitzen aber auch die konservativsten Richter.
Constanze Kurz: Hast du nicht im Blog sogar ultrakonservativ geschrieben?
Arne Semsrott: Man kann ja mal den Präsidenten vom Bundesverwaltungsgericht in eine Suchmaschine eingeben und sich anschauen, in was für einer Burschenschaft er ist. Und das kann man mit anderen Richtern dort auch machen. Es ist tatsächlich gerade dieser zehnte Senat des Bundesverwaltungsgerichts, der Präsidenten-Senat, der zuständig für Informationsfreiheit ist. Der hat sich vor kurzem noch ein paar Zuständigkeiten dazugeholt.
Es gab in diesem Informationsfreiheitsbereich lange die Konstellation, dass der zehnte Senat, der zuständig war, immer sehr konservativ geurteilt hat: immer alles gegen die Informationsfreiheit. Aber der sechste Senat hat in Informationsfreiheitsachen sehr progressiv geurteilt hatte. Der sechste Senat war für den BND zuständig, er war damit auch zuständig für Presse- und Informationsfreiheit im BND-Kontext. Findige Journalistinnen haben, wenn sie eine Sache geklärt haben wollten, gegen den BND geklagt. Hier bist du in erster Instanz beim Bundesverwaltungsgericht, denn die niederen Verwaltungsgerichte dürfen nicht an den BND ran.
Wenn man also gegen den BND klagt, ist man direkt in Leipzig. Wenn man irgendeine Konstellation geklärt haben wollte, hat man also gegen den BND geklagt und ist dann beim progressiven sechsten Senat nicht beim konservativen zehnten Senat gelandet. Im Vergleich zum zehnten urteilte der sechste Senat oft so, dass mehr rausgegeben werden musste. Das hat den zweiten Senat so gestört, dass sie sich jetzt die Presse- und Informationsfreiheit in BND-Sachen rübergeholt hat. Das heißt auch: Die BND-Klage, die wir am 7. November verhandelt wird, kommt dann vor den zehnten Senat, also vor den Präsidenten-Senat. Wir gehen davon aus, dass die alles zurückdrehen, was vorher geurteilt wurde.
Elina Eickstädt: Mich sprechen oft Menschen an, weil ich viel politische Arbeit machen. Sie fragen: Was können wir eigentlich machen? Was ist die Einstiegsdroge für politische Arbeit aus deiner Sicht?
Arne Semsrott: Tatsächlich glaube ich, IFG-Anfragen zu stellen, das mal auszuprobieren und so Kontakt zur Staatsmacht aufzubauen, ist eine gute Übung, um ein bisschen die Angst davor zu verlieren. Das habe ich an mir gemerkt: Am Anfang war ich unsicher im Umgang mit Behörden. Es kommen als Antwort Briefe in gelben Umschlägen, die man sonst nur kennt, wenn man was zahlen muss oder was falsch gemacht hat. Aber zu merken, ich hab ein Recht denen gegenüber und das kann ich versuchen durchzusetzen, das ist eine ganz gute Übung. Ich glaube, dass IFG-Anfragen tatsächlich eine gute Einstiegsdroge sein können in ein politisches Engagement.
Constanze Kurz: Ich muss dir noch eine Frage stellen: Rückblickend auf die letzten zehn Jahre, worauf bist du im Nachhinein wirklich stolz, was war ein besonders nachhaltiger Erfolg?
Arne Semsrott: Es gibt ein paar Praktiken, die jetzt ganz normal geworden sind: Inzwischen ist es total normal, dass die Bundesministerien die Referentenentwürfe, also die ursprünglichen Entwürfe von Gesetzen, veröffentlichen. Das war 150 Jahre lang nicht so.
Das ist ja ein deutsches Spezifikum: In Deutschland macht ein Ministerium diesen Referentenentwurf. Er war lange nicht online zu finden, bis wir dazu eine Kampagne gemacht hatten. Das ist tatsächlich wichtig, um den Gesetzgebungsprozess besser nachvollziehen zu können. Der demokratische Prozess ist jetzt transparenter.
Aber ich würde als zweites Beispiel auch sagen: Vor drei Jahren ist Franziska Giffey als Bundesministerin zurückgetreten. Ehemals nannte sie sich Dr. Franziska Giffey, jetzt nur noch Franziska Giffey. Sie ist zurückgetreten als Bundesministerin, weil herausgekommen ist, dass sie plagiiert hat. Und dass es rausgekommen ist, liegt an einer IFG-Anfrage.
Elina Eickstädt: Vielleicht enden wir auf dieser positiven Note: Man kann unliebsame Politikerinnen auch mit IFG-Anfragen loswerden. Vielen Dank für das Gespräch, Arne!
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Das Gespräch ist eine gekürzte Version des Podcasts „Dicke Bretter“. Er erscheint beim |Chaosradio|.
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Fri, 10 May 2024 08:19:56 +0000
Sebastian Meineck
Aktuell muss sich ein Journalist in Karlsruhe vor Gericht verantworten. Ihm drohen bis zu drei Jahre Gefängnis. Der Grund: Er hat eine Website verlinkt. Episode #1 unseres Doku-Podcasts „Systemeinstellungen“ erzählt die erstaunliche Geschichte hinter dem Strafprozess.
|https://cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2024/05/SE_EP01_LinkExtremismus.mp3|
Alles beginnt mit einer unscheinbaren Nachrichtenmeldung im Internet. Sechs Sätze über ein eingestelltes Ermittlungsverfahren, hat man schnell überflogen. Monate später klingelt die Polizei beim Journalisten Fabian Kienert: Hausdurchsuchung!
Es ist früh am Morgen, Fabian völlig verschlafen. Der Journalist glaubt, da will bloß irgendjemand Stress machen. Er ruft: „Haut ab!“. Aber die Leute gehen nicht weg, sie hämmern sogar an seine Tür. Plötzlich begreift Fabian: Da draußen im Treppenhaus, da steht gerade die Polizei.
„Link-Extremismus“ ist die erste Episode unseres neuen Doku-Podcasts |Systemeinstellungen – wenn der Staat bei dir einbricht|.
Sie erzählt die Geschichte eines Journalisten von Radio Dreyeckland, der sich aktuell vor Gericht verantworten muss. Der Grund: In seinem Online-Artikel hat er einen Link auf das Archiv von |linksunten.indymedia.org| gesetzt. Das ist ein früheres Portal der linken und linksradikalen Szene. Im Jahr 2017 wurde es verboten.
Aus Sicht der Staatsanwaltschaft hat Fabian mit dem Link eine verbotene Vereinigung unterstützt. Dafür drohen laut Strafgesetzbuch eine Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren.
Kann es sein, dass ein Journalist wegen eines Links in den Knast muss?
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Hier findest Du |alle Folgen von „Systemeinstellungen“|. Die nächste Episode „Razzia im Pfarrhaus“ erscheint am 17. Mai.
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Host und Produktion: Serafin Dinges.
Redaktion: Anna Biselli, Chris Köver, Ingo Dachwitz, Sebastian Meineck.
Cover-Design: Lea Binsfeld.
Titelmusik: Daniel Laufer.
Weitere Musik von Blue Dot Sessions.
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18. April 2024: Bericht zum |Prozessauftakt am Landgericht Karslruhe|
Übersicht: |Hausdurchsuchungen gegen Radio Dreyeckland|
Soliwelle Dreyeckland: |Prozessberichte|
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Serafin Dinges: Wir sind nach Süddeutschland gereist, genauer gesagt nach Freiburg im Breisgau, in die Universitätsstadt mit Aussicht auf den Schwarzwald. Was ihr da rattern hört, das ist mein treuer pinker Rollkoffer. Der kommt in fast jeder Folge vor, wenn ich ihn durch eine neue Stadt ziehe. Jetzt gerade ziehe ich ihn also durch Freiburg, durch einen Innenhof, ein paar Minuten vom Hauptbahnhof entfernt. An den Wänden wächst Blauregen, eine wunderschöne, üppige Kletterpflanze. Hätte ich nicht erkannt. Aber das hat Sebastian für mich rausgefunden. Der interessiert sich nicht nur für die Namen von Pflanzen, sondern ist auch Redakteur bei netzpolitik.org und heute dabei. Hier im Innenhof, da gibt es selbstverwaltete Wohnprojekte, ein Café mit dem Motto „chaotisch, sonnig, links“ – und die Redaktion von Radio Dreyeckland. In den Regalen, da stapeln sich Kassetten und CDs aus Jahrzehnten. Die Schränke, Tische und Türen, die sind beklebt mit Plakaten und Stickern.
Stimme: Gegen Macker und Sexisten // Fight the power, fight the cis-tem // Nazis aufmischen
Serafin Dinges: Radio Dreyeckland, ich glaube, das kann man schon sagen, das ist ein bisschen ein linker Laden. Das freie Radio sendet seit 1977, und die meisten, die hier arbeiten, machen das ehrenamtlich. Freie Radios, das sind kleine, nicht-kommerzielle Radiosender. Die verwalten sich meistens basisdemokratisch, und es gibt eine ganze Szene davon. Radio Dreyeckland hier in Freiburg berichtet über Klimapolitik, über Rassismus, über Musik, über Filme. Es gibt auch Sendungen, die sind auf Englisch, Türkisch oder Persisch. Wir sind hier, um eine der wenigen Personen zu treffen, die bei Radio Dreyeckland auch ein bisschen Geld verdienen. Wir treffen Fabian.
Fabian Kienert: Ich bin Fabian Kienert, freier Journalist und auch schon sehr, sehr lange Redakteur bei Radio Dreyeckland.
Serafin Dinges: Ein schmaler Typ mit leicht zerzausten Haaren. Man könnte ihn so auf Mitte 30 schätzen. Und man kann ihn sich ganz gut in einer WG-Küche bei einer politischen Diskussion vorstellen. Fabian kommt super nachdenklich rüber. Man hat das Gefühl, beim Sprechen prüft er noch mal jedes Wort, ob es wirklich genau so stimmt.
Fabian Kienert: Und bin auch seit mehreren Jahren hier bei Radio Dreyeckland für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Sehr lange Jahre viel in der aktuellen Redaktion von Radio Dreyeckland.
Serafin Dinges: Fabian, der schreibt also schon länger recht unbeschwert Texte für die Website von Radio Dreyeckland. Auch noch bei Radio Dreyeckland ist Andreas.
Andreas Reimann: Mein Name ist Andreas Reimann und seit 2018 bin ich Geschäftsführer von Radio Dreyeckland und auch Verantwortlicher im Sinne des Presserechts der Website von Radio Dreyeckland.
Serafin Dinges: Verantwortlich im Sinne des Presserechts. Das heißt, Andreas ist der Typ im Impressum. Der Mensch, bei dem man sich zuerst beschweren kann, wenn irgendwas auf der Website komisch aussieht. Andreas ist Mitte 50 und schon seit 1991 bei Radio Dreyeckland, also quasi schon immer. In unserem Gespräch bezeichnet er sich mal als Büroklammer.
Andreas Reimann: … wie so eine ganz langweilige Büroklammer an Schreibtisch setzen kann.
Serafin Dinges: Andreas, so bekommen wir schnell das Gefühl, das ist ein Typ mit Erfahrung. Jemand, auf den man sich verlassen kann.
Andreas Reimann: Ja, ich bin wahrscheinlich so ein relativ geduldiger Mensch, der auch dann eben in so was wie eine Finanzverwaltung reinpasst.
Serafin Dinges: Aber zurück in die Redaktionsräume. Bei unserem Besuch im August, da ist es im Radio Dreyeckland recht verträumt. Durchs Fenster sieht man den sonnigen Hof. Im Radio läuft eine aufgezeichnete Sendung. Es ist Siesta-Stimmung. Im Winter dagegen, ein paar Monate davor, war es hier recht – na ja – unentspannt.
Stimme im Radio: Ich weiß nicht, wie eure Berichterstattung gerade ist oder ob ihr schon die Hörerinnen davon informiert haben, die Zuhörenden, was da gerade in zwei Wohnungen in Freiburg stattfindet.
Serafin Dinges: Denn was sich hier in dieser verträumten Redaktion und bei Fabian und Andreas zu Hause abspielt, das ist nicht weniger als ein Kampf um die Pressefreiheit.
Die Meike: Die Polizei ist im Haus und in zwei Privaträumen. Ich wusste aber…
Fabian Kienert: … doch gemeint ist, ja es scheint wirklich irgendwie die Polizei zu sein…
Andreas Reimann: … da hab ich natürlich schon so vor Augen, dass die Wohnung danach aussieht wie nach einem Erdbeben. Aufgerissene Schubladen, zerwühlte Schränke…
Stimme im Radio: … das ist ein unsäglicher Vorgang, den sich diese Staatsanwaltschaft und der Staatsanwalt Graulich leistet.
Stimme auf einer Demo: Es ist Blamage für die Demokratie! Pressefreiheit! Pressefreiheit! Pressefreiheit in Deutschland. Ich fordere Pressefreiheit…
Serafin Dinges: Ich bin Serafin Dinges, und ihr hört die erste Folge von Systemeinstellungen. Ein neuer Podcast von netzpolitik.org. In diesem Podcast treffen wir Menschen, bei denen plötzlich die Polizei auf der Matte steht. Ohne Einladung. Und dann dringen die Polizistinnen ein, in die Wohnung, in die Handys, in die Privatsphäre. Die Polizei darf das, aber sie darf es nicht immer. Und manchmal darf sie, aber sollte vielleicht nicht. Wir fragen uns: Wann ist die Gewalt vom Staat selbst ein Vertrauensbruch oder ein Rechtsbruch? Heute Folge 1: Link-Extremismus.
Serafin Dinges: Unsere Geschichte beginnt im Juli 2022. Da schreibt der Redakteur Fabian eine Meldung für die Website von Radio Dreyeckland. Die Meldung ist super kurz. Ein Titel, sechs Sätze. Die Staatsanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren eingestellt. Paragraf 170 Absatz zwei…würde ich wahrscheinlich einfach rüberscrollen. Für Fabian Routine.
Fabian Kienert: Ja, das war auf jeden Fall stinknormaler Tag jetzt. Nichts. Nichts Besonderes.
Serafin Dinges: Immerhin schreibt er seit rund 15 Jahren für das Radio. Und am Ende packt er noch sein Kürzel drunter: FK, Fabian Kienert. Was Fabian nicht ahnt: Bald werden Menschen in ganz Deutschland über seinen Artikel sprechen. Menschen in Freiburg werden auf die Straße gehen und protestieren. Aber erstmal… Passiert nichts. Der Sommer vergeht, und irgendwann im Herbst findet Fabian in seinem Briefkasten einen Brief, der ihn verwirrt.
Fabian Kienert: Der Absender: Polizeidirektion Freiburg. Da denkt man sich natürlich schon: Hä, um was geht’s jetzt?
Serafin Dinges: Die Polizei Freiburg schreibt: Gegen Fabian wird ermittelt. Er soll doch mal vorbeikommen. Und nicht nur Fabian. Auch der Geschäftsführer Andreas hat Post von der Polizei im Briefkasten. Und auch er soll vorbeikommen.
Andreas Reimann: Ich war wirklich verwundert, weil ich nicht nachvollziehen konnte, um was es geht. Es war in diesem Schreiben überhaupt nicht erklärt begründet, was der Vorwurf ist. Es war nur der Hinweis, es läuft ein Ermittlungsverfahren, weil ich gegen einen Paragraphen verstoßen habe.
Serafin Dinges: Es ist der Herbst 2022 und Andreas und Fabian wissen nicht, was ihnen blüht. Na ja, sie haben zumindest einen Verdacht. In dem Brief schreibt die Polizei vom Vereinsgesetz. Und darum ging es auch in der Meldung, die Fabian im Juli geschrieben hat. Darin steht: die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen gegen einen angeblichen Verein eingestellt. Genauer gesagt gegen Linksunten Indymedia. Linksunten Indymedia, das war mal ein sehr wichtiges Portal für die linke und linksradikale Szene. Alle die wollten, dürften dort posten. Teilweise gab es dort auch linksradikale Bekennerschreiben.
Stimme: Letzte Nacht ist eine dreckige Bullenkarre in Connewitz in Flammen aufgegangen… daher haben wir in der letzten Nacht bei der Bullenwache für Glasbruch bei drei Fenstern gesorgt… Ganz Wien hasst die Polizei, scheiß Bullenschweine!
Serafin Dinges: Auf Linksunten gab es aber auch jede Menge harmlose Berichte, Recherchen, Lesetipps über Antifa Treffen, Aktionen, Demos, sowas halt.
Stimme: Hilfe für Hamburger, Obdachlose, Stellplatz gesucht… Linksradikale Demo in Düsseldorf verläuft friedlich… Straßenmusik gegen AfD-Wahlkampf in Augsburg.
Serafin Dinges: Den Ermittlungsbehörden aber war Linksunten Indymedia lange ein Dorn im Auge. 2017 kam es dann zum Knall. Statt gegen einzelne Posts vorzugehen, die vielleicht Gesetze verletzen, hat das Bundesinnenministerium mal eben das gesamte Portal verboten.
Tagesschau-Sprecher: … eine einflussreiche Internetplattform der linksextremen Szene verboten, die linksunten.indymedia.org.
Serafin Dinges: Ein ganzes Messageboard, eine Website also einfach verboten.
Tagesschau-Sprecher: … den drei Betreibern der Seite wurde heute in Freiburg die Verbotsverfügung zugestellt.
Serafin Dinges: Das ist für deutsche Verhältnisse schon krass. Und ob das rechtlich auch wirklich okay war, daran zweifeln Bürgerrechtler:innen bis heute. Nach dem Verbot gab es noch jahrelange Ermittlungen zu den Menschen hinter Linksunten Indymedia. Im Visier: Verdächtige aus Freiburg. Radio Dreyeckland hat dazu immer wieder kritisch berichtet. Klar, ist ja auch das linke Radio in Freiburg. Als die Ermittlungen dann 2022 endlich eingestellt wurden, schreibt Fabian eine Meldung zum Ende dieser nicht enden wollenden Geschichte. Er schreibt – genau – die eine Meldung, von der wir vorhin gesprochen haben. Der Titel, den Fabian wählt: Linke Medienarbeit ist nicht kriminell. Und jetzt, im Herbst ’22, hat Fabian also diesen Brief von der Polizei in der Hand. Den Brief, den auch Andreas bekommen hat und in dem steht: Gegen sie wird ermittelt. Und beide vermuten, das war wohl diese eine Meldung über Linksunten, die der Polizei nicht geschmeckt hat.
Andreas Reimann: Das war eine reine Mutmaßung. Und wir haben dann überlegt… oder ehrlich gesagt haben wir nicht lange überlegt. Die Entscheidung war eigentlich relativ schnell klar, dass wir zu diesem Termin nicht gehen werden, weil das ist der Staatsschutz in Freiburg, und wir haben eigentlich keine Veranlassung gesehen, jetzt mit dem Staatsschutz über das, was wir auf unseren Kanälen, im Programm oder auf der Webseite veröffentlichen, zu sprechen.
Serafin Dinges: Andreas und Fabian ignorieren den Brief von der Polizei ,und erst mal passiert auch nichts. Scheinbar. Der Herbst geht. Die Tage werden kürzer, der Winter kommt. Fabian erinnert sich.
Fabian Kienert: Da bin ich vielleicht nachträglich naiv davon ausgegangen, dass sich das schon im Sande verläuft. Es gibt ja auch immer mal wieder Ermittlungsverfahren, wo man entweder gar nichts hört oder irgendwann hört, dass es eingestellt wurde. Das fand ich so absurd, da konnte ich mir nicht vorstellen, dass da irgendwie jetzt irgendwas weiter da vonstattengeht.
Serafin Dinges: Was Fabian währenddessen nicht ahnt: Die Polizei ermittelt weiter, und sie wird sich ein zweites Mal melden. Dieses Mal aber nicht mehr per Post.
Serafin Dinges: Es ist der 17. Januar 2023. Freiburg. 6:30 Uhr morgens. Es ist noch dunkel. Die Temperatur knapp über Null. Ein Mehrfamilienhaus mitten in Freiburg. Fabian Kienert schläft.
Fabian Kienert: Ich wurde, ich glaube gegen 6:45 Uhr geweckt. Vielleicht war es auch 6:40 Uhr. Von einem Sturmklingeln. Da habe ich fest geschlafen und habe erst mal eigentlich so das irgendwie als nerviges Geräusch wahrgenommen. Hab ein bisschen gebraucht, bis ich dann auch wirklich aufgestanden bin und nachgeguckt habe. Und dann habe ich halt gemerkt, dass da welche an der Tür sich zu schaffen machen. Und das löst dann natürlich schon eine gewisse Panik aus. Hab dann erst mal einfach irgendwie ängstlich, so ein bisschen: „Haut ab!“ gerufen. Erstmal wusste ich nicht, was es ist. Habe erstmal wirklich einfach gedacht: Boa, irgendjemand versucht sich da irgendwie Zutritt zur Wohnung zu verschaffen. Aber hab einfach erst mal einen Einbruch gedacht. Aber was natürlich, wenn man da irgendwie völlig völlig verschlafen ist, schon einfach eine totale Überforderung ist…
Serafin Dinges: Fabian ist völlig perplex und glaubt, da ist jemand im Treppenhaus und will bei ihm einbrechen.
Fabian Kienert: Dann irgendwann total starkes Klopfen, wurde ich dann halt mit Namen angesprochen. Kriminalpolizei und so. Auch da hab ich erst mal noch gedacht, dass… hä?… das kann nicht sein. Es ist irgendwie ein Trick. Und dann wurde aber auch noch mal gesagt: Hier, Durchsuchungsbeschluss. Und irgendwann hab ich dann doch gemerkt, es scheint wirklich irgendwie die Polizei zu sein, die jetzt hier Durchsuchungsbeschluss hat.
Serafin Dinges: Fabian macht die Tür auf und bekommt irgendwas vor die Nase gehalten. Einen Durchsuchungsbeschluss. Da steht, warum die Polizei jetzt seine Wohnung durchsuchen will. Und plötzlich ergibt alles Sinn. Der komische Brief im Herbst. Der Artikel im Sommer. Linksunten Indymedia. Hat alles dazu geführt, dass die Polizei jetzt hier vor seiner Tür steht.
Fabian Kienert: Dann habe ich den gleich so überflogen und gesagt: Was, ihr seid wegen dieser Meldung hier? Ist das euer Ernst?
Serafin Dinges: Die Polizei meint es ernst und Fabian erinnert sich, wie die Beamt:innen anfangen, sich langsam in der Wohnung zu verteilen. Ungefragt.
Fabian Kienert: Ja, ich habe schon praktisch zum Ausdruck gebracht, dass ich will, dass sie nur in dem Zimmer, wo ich auch bin, ihre Durchsuchungsmaßnahmen machen. Aber da muss man schon sagen das.. da haben sich dann einzelne von denen jetzt auch nicht immer dran gehalten. Also da sind dann schon Schubladen aufgegangen, wo ich nicht direkt dabei war, wo ich das dann irgendwie rascheln gehört habe.
Serafin Dinges: Acht Beamtinnen will Fabian gezählt haben, teilweise in Zivil, teilweise mit Polizeiwesten. Und die fangen jetzt an seine Wohnung zu filzen.
Fabian Kienert: Sie haben jetzt bei mir nicht jeden Kleiderschrank ausgeräumt, sondern sich schon so auf die Umgebung des Schreibtischs praktisch hauptsächlich beschränkt. Mit Ausnahme, also es wurden auch andere Schubladen geöffnet. Aber jetzt natürlich trotzdem sind da viele Unterlagen, die sie da irgendwie kreuz und quer… Und einfach viel Papier, viel Bücher, die sie dann halt aus dem Regal holen, die dann alle irgendwie durcheinander liegen…
Serafin Dinges: Aber Moment, wir können uns jetzt mal einen Luxus, den Fabian damals nicht hat und halten einen Moment inne. Wir müssen uns nämlich fragen, was hier eigentlich gerade passiert. Fabian steht da im Schlafanzug in seiner Wohnung und Beamt:innen durchblättern seine Bücher. Aber was wollen die denn genau mit Fabians Büchern? Und was genau haben diese Bücher mit seinem Artikel über Linksunten Indymedia zu tun? Die Beamt:innen sind nämlich da, um rauszufinden, wer genau die Nachrichtenmeldung über Linksunten Indymedia verfasst hat. So erklären sie es Fabian. Wenn ihr auch nur mit einem halben Ohr zugehört habt, dann wisst ihr schon, wer die Meldung geschrieben hat: Fabian hat die Meldung geschriebe. Und ja, das wusste die Polizei zu diesem Zeitpunkt auch. Hinter der Meldung steht ja das Kürzel „FK“. Und das steht für Fabian Kienert. Und in den polizeilichen Akten stand auch schon Wochen vor dieser Razzia: Bei dem Redakteur mit dem Kürzel FK handele es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um Fabian Kienert. Sogar während der Razzia sagt Fabian immer wieder deutlich: Ich war das. Ich, ich hab den geschrieben.
Fabian Kienert: … ist jetzt nicht genau der anwältliche Rat, immer sowas gleich das einzuräumen. Aber ich habe gerade gleich auch einem Polizisten dort gesagt: Ja, den habe ich geschrieben. Klar, da sehe ich auch kein Problem in diesem Artikel. Das habe ich schon gleich eingeräumt, dass ich diesen Artikel verfasst habe. Aber die Durchsuchung ging trotzdem dort erst mal bei mir weiter.
Serafin Dinges: Trotzdem bestehen die Beamt:innen darauf, seine Wohnung zu durchsuchen für irgendeinen Beweis, dass er diesen Artikel geschrieben hat. Und Fabian erlebt in diesem Moment: Wenn so eine Razzia mal in Gang gesetzt wurde, dann lässt sich die nicht mehr stoppen. Die Beamt:innen haben den Durchsuchungsbeschluss für Fabians Wohnung. Also durchsuchen sie die Wohnung. Fabians Laptop stecken sie in eine Tüte. Immerhin könnte mit dem Laptop ja die Meldung über Linksunten Indymedia verfasst worden sein. Und weil Passwörter für Laptops gerne auf Zetteln stehen, filzen die Beamt:innen auch Fabians Papiere. Und dann gibt es natürlich noch die Frage, die sich eine besonders eifrige Behörde stellen könnte. Nämlich: Hat Fabian diese Meldung auch wirklich ganz alleine verfasst?
Serafin Dinges: Freiburg. Gleicher Tag. Gleiche Uhrzeit. 17. Januar ’23. Halb sieben Uhr morgens. Es ist noch dunkel. Die Temperatur knapp über null. Ein freundliches Wohngebiet mit Reihenhausgärten und gestutzten Hecken. Andreas Reimann schläft.
Andreas Reimann: Ich habe irgendwann läuten gehört. Offenbar erst das dritte oder vierte Läuten. Wie ich dann später der Akte entnommen habe, hat die Polizei mit so einem leicht säuerlichen Unterton in die Akte reingeschrieben, sie mussten mehrfach läuten.
Serafin Dinges: Irgendwas ist da los. Unterm Vordach, am Eingang zum Reihenhaus. Aufgeregt nimmt Andreas die Treppen runter ins Erdgeschoss.
Andreas Reimann: Und dann habe ich die Tür aufgemacht. Und dann sehe ich, dass da relativ viele Leute stehen. Zum Teil in Uniform, zum Teil in Zivil. Und mir wurde dann sofort ein größerer DIN-A4-Kram entgegengehalten. Also ein Papier mit dem Hinweis, dass jetzt hier eine Hausdurchsuchung stattzufinden hat.
Serafin Dinges: Die Polizei fragt Andreas, wer noch in der Wohnung ist. Und Andreas sagt: Oben im Schlafzimmer, da ist seine Frau.
Andreas Reimann: Dann wurde ich gebeten, dass ich da zu meiner Frau hoch gehe, ins ins Schlafzimmer. Die dann ziemlich erschrocken ist. Die hat viel erschrockener reagiert, war dann auch aus dem Schlaf gerissen und hat mir auch danach erzählt. Sie hat das Gefühl, plötzlich war das Schlafzimmer voll mit Polizei. Obwohl es, glaube ich, nur so zwei drei Leute waren.
Serafin Dinges: Wenig später findet sich Andreas unten in der Küche wieder. Die Beamt:innen haben ihm einen Haufen Papiere vorgelegt. Im Haus werden Schubladen geöffnet und irgendwo im Haus hört er seine Frau. Ihm gegenüber ist der Staatsanwalt Manuel Graulich.
Andreas Reimann: Und der Herr Graulich hat dann versucht, erst mal mir zu sagen, um was es geht, und hat zum einen den Durchsuchungsbefehl für die Privatwohnung überreicht. Das war dann gleich so ein Bündel von ich glaube, ich habe es noch mal kurz überschlagen, von 30 Seiten oder so was. Also das war jetzt nicht einfach nur so ein Formular. Also es war ein richtig dickes Papier, und er bat mich auch das durchzulesen. Und ich saß zu dem Zeitpunkt noch barfuß in unserer Küche. Also das war schwierig, mich da zu konzentrieren und überhaupt irgendwie für mich ein Gefühl dafür zu kriegen: Was ist jetzt das Richtige? Was ist jetzt zu tun? So. Soll ich, sollte ich jetzt nicht besser gucken, dass die da keinen Scheiß machen in der Wohnung? Oder soll ich mich jetzt besser auf dieses Ding hier konzentrieren, mir durchlesen, um was es eigentlich geht?
Serafin Dinges: Andreas bleibt sitzen. Erst mal mit dem Staatsanwalt Graulich reden. Andreas erfährt: Die Polizei will wissen, ob auch er involviert war bei dem Artikel, dem Artikel über Linksunten Indymedia. Immerhin ist Andreas, ihr erinnert euch, verantwortlich im Sinne des Presserechts. Aber Andreas, der war nicht involviert, und das sagt er auch. Die Hausdurchsuchung geht trotzdem weiter.
Andreas Reimann: Aber ich habe Ihnen ja gleich gesagt ich habe diesen Artikel eigentlich gar nicht zur Notiz genommen. Mir war gar nicht klar, dass der an dem 30. veröffentlicht wurde. Ich nehme keine Artikel ab. Also damit war für mich sachlich das eigentliche erst mal erklärt und erledigt. Und was die da wirklich wollten, war mir nicht klar.
Serafin Dinges: Und bald stehen die Beamtinnen in der Küche mit allem, was sie in Andreas‘ Wohnung gefunden haben.
Andreas Reimann: Irgendwann kamen sie mit meinem Handy. Und noch mit dem Handy meiner Frau. Und dann, irgendwann wurde, glaube ich, auch schon der PC aus dem meinem Arbeitszimmer im ersten Obergeschoss im Flur abgestellt. Da habe ich schon gemerkt, die haben es auf diese digitalen Devices abgesehen.
Serafin Dinges: Sein Handy, das Handy seiner Frau und der PC aus seinem Arbeitszimmer steht schon am Gang.
Andreas Reimann: Die wollen halt einfach mal Daten haben. Also das ging mir da in dem Moment auch durch den Kopf. Also die wollen offensichtlich ausforschen. Und dann geht mir natürlich im gleichen Moment durch den Kopf: da sind private Dateien drauf, die jetzt wirklich niemanden angehen. Das haben die jetzt auch.
Serafin Dinges: Und während das alles vor sich geht, bekommt Andreas mit: Die Polizei plant noch eine Razzia. Eine dritte, und zwar in der Redaktion von Radio Dreyeckland.
Andreas Reimann: Da habe ich dann dem Herrn Graulich auch gesag, das habe ich dann zu ihm gesagt: Ja, wissen Sie, was Sie da eigentlich machen? Ihnen ist doch schon bewusst, dass Sie da grundrechtssensiblen Bereich betreten? Und trotzdem hatte ich die ganze Zeit über das Gefühl: Das, was die da machen, das werden die Gerichte kassieren. Das ist völlig haltlos. Das geht an Artikel fünf, am Grundrecht und an den ganzen Sachen einfach vorbei. Ähm, das ist völliger Wahnsinn.
Serafin Dinges: Artikel fünf Grundgesetz. Was Andreas da anspricht, das ist die Meinungs- und Pressefreiheit. Die soll dafür sorgen, dass der Rundfunk frei berichten darf. Und Andreas findet dieses Grundrecht, das sollte ihn eigentlich vor so einer Razzia schützen. Geklappt hat es offensichtlich nicht. Und jetzt wollen die Polizist:innen auch noch in die Redaktion von Radio Dreyeckland rein. Andreas ist klar: Wenn das passiert, dann will er dabei sein. Heißt also: Ortswechsel. Der Trupp verlässt die Wohnung. Auf zur nächsten Razzia. Und Andreas? Den nehmen sie einfach mit.
Andreas Reimann: Da waren glaube ich drei, vier Autos bei uns auf der Wendeplatte. Ich bin dann mit dem Graulich und einem irgendwie immer sehr leutselig wirkenden Beamten, der auch so ein bisschen humorig war… Der meinte dann so im Auto: Ach, Herr Reimann, wir müssen Ihnen jetzt, glaube ich, hinten keine Handschellen anlegen oder so was, nicht wahr? Sie verhalten sich ja kooperativ. Und das war jetzt gar nicht mal so… manchmal, wenn Polizisten so etwas zu einem sagen, dann dann merkt man: Oh, die meinen das ernst. Aber da hatte ich schon das Gefühl, der meint das ironisch. Das war fast schon so ein bisschen… „Freut mich, dass Sie so nett sind, Herr Reimann. So kooperativ.“ Aber ich fand das schon auch ein bisschen gespenstisch, muss ich zugeben.
Serafin Dinges: Freiburg, gleicher Tag. 17. Januar 2023. Es ist jetzt kurz vor 8:00 Uhr morgens. Langsam geht die Sonne auf, und durch den Hof mit der üppigen Kletterpflanze an den Wänden, im Studio von Radio Dreyeckland, da steht gerade Meike Bischoff am Mikrofon.
Die Meike: In der freien Radioszene bin ich halt einfach die Meike.
Serafin Dinges: Meike ist so die perfekte Radio-Persönlichkeit. Jemand, der einfach sofort drauflos reden kann und gute Laune verbreitet. Am 17. Januar, da macht sie gerade die Sendung am Morgen fertig.
Die Meike: Na ja, ich bin dann halt die Erste, wenn ich hier kurz vor acht ins Radio schneie. Wahrscheinlich noch ein bisschen verschlafen, fahre die Technik hoch, mach halt mein Ding…
Stimme im Radio: Morgenradio auf Radio Dreyeckland.
Die Meike: … hatte ein Liveinterview abgemacht mit einem Kollegen, der in Lützerath gerade war. Also easy going. Ich meine Routine. Ich schmeiße Nana Mouskouri rein, um acht, „Guten Morgen, Sonnenschein“, so, und den Jingle, und dann ja, dann mache ich halt hier meine Routine.
Nana Mouskouri: Guten Morgen. Guten Morgen. Guten Morgen, Sonnenschein. Diese Nacht bleibt dir verborgen. Doch du darfst nicht traurig sein. Guten Morgen, Sonnenschein. Nein, du darfst nicht traurig sein.
Serafin Dinges: Aber Meike ist noch nicht ganz klar, welche Geister sie da gerade weckt mit „Guten Morgen, Sonnenschein“. Sie steht im Studio von Radio Dreyeckland, einem selbstgebauten Kabuff mit einem großen Radio Mischpult. Es riecht nach Sperrholzplatten, und wenn die Tür zu ist, dann wird es schnell stickig.
Die Meike: Schönen guten Morgen, alle da draußen. Ihr seid bei Radio Dreyeckland auf der 102,3 Megahertz oder im Livestream auf www.rdl.de
Serafin Dinges: Die steht da und kann durch eine Fensterscheibe von ihrem Studio in ein zweites Interviewstudio mit Mikrofonen schauen. Heute Morgen stehen da nur leere Stühle. Und durch diese Kabine wiederum schaut Maike durch ein weiteres Fenster in den Eingangsbereich. Während Meike also wie so vielen Morgen davor die Sendung plant, braut sich draußen was zusammen. Und Andreas? Der bekommt alles mit.
Andreas Reimann: Es gibt hier eben um es ums Eck in der Nachbarstraße gibt es einen Parkplatz, einen öffentlichen Parkplatz, so eine Parkfläche. Die war zu der Uhrzeit um acht noch ziemlich leer. Da sind wir draufgefahren. Da waren dann noch weitere Autos. Als wir da angekommen sind, waren da schon Beamten auf dem Parkplatz zugange oder standen da rum. Dann ist da der Staatsanwalt ausgestiegen, ich dann auch. Und der ist dann gleich zu denen hin. Das war dann klar: Das ist quasi jetzt die Truppe, die das Radio durchsuchen soll. Der Graulich ist dann zu denen hin und hat die ein Stück weit gleich mal so eingenordet, nach dem Motto: Jetzt durchsuchen wir keine Privatwohnung. Also das habe ich wirklich gehört. Was wir jetzt betreten, ist der Raum eines Radiosenders. Da war schon mal die Ansage: Ihr dürft euch jetzt nicht einfach so verhalten, wie ihr das vielleicht gewohnt seid, wie man das bei Privatwohnungen je nachdem macht. Das fand ich auch spannend. Genau. Aha. Also, da ist Ihnen jetzt schon klar: Jetzt die Türschwelle ist noch mal eine besonders sensible Türschwelle, wenn es dann in die Studioräume reingeht.
Serafin Dinges: Staatsanwalt Graulich, Andreas und die Beamt:innen schreiten zum Innenhof. Der mit der schönen Kletterpflanze. Nur dass die im Winter karg und braun ist. Die schreiten durch den Innenhof zur Tür von Radio Dreyeckland. Und Andreas soll diese Tür jetzt öffnen.
Andreas Reimann: Also ich wurde ja nicht gefragt, also: „Dürfen wir rein?“ oder so was. Sondern mir wurde ja ein Durchsuchungsbefehl vor die Nase gehalten. Also ich habe auch gar keine… also ich habe aufgemacht, weil ich den Eindruck hatte: Wenn ich das jetzt nicht tue, dann werden die zu drastischeren Maßnahmen greifen.
Serafin Dinges: Meike hätte von ihrem Studio aus einen direkten Blick auf die Tür gehabt. Aber ausgerechnet in diesem Moment schaut sie nicht hin.
Die Meike: Ja, ich sitz hier, das ist völlig skurril. Weil normalerweise siehst du ja, wenn da jemand reinkommt, durch die Tür. Du hsat die Eingangstür von hier ja im Blick durch diese drei Fenster, durch zwei Studios durch. Und ich hab’s nicht mitgekriegt, dass sie da reinkamen.
Serafin Dinges: Während sich Meike auf die Sendung konzentriert, kommt die Polizei in die Redaktion. Und wer weiß, wie lange das noch so gegangen wäre, wenn Meike nicht Durst gehabt hätte.
Die Meike: Jedenfalls hatte ich halt meine Teetasse draußen, und hier im Studio ist Getränkeverbot inzwischen – aus guten Gründen. Ich bin da raus, und hier ist ja unsere Minibar, weißt…
Serafin Dinges: Ok, und da hast du deine Tasse.
Die Meike: Jaja, das hatte ich dann meine Teetasse. Ich nehme so einen Schluck, und dann plötzlich hier so gefühlt zwölf Polizisten. Und ich glaube es waren auch nur Typen. Und ich so: Hä? Was machen die hier?
Serafin Dinges: Nach Fabian und Andreas ist Meike an diesem Morgen die dritte Person, die vollkommen überrascht auf einen Haufen Polizist:innen schaut.
Die Meike: Und ich war dann so: Ihr dürft hier nicht rein, das ist Privatgelände. Und dann habe ich aber auch schon unseren Geschäftsführer da stehen sehen und der hat mich wahrscheinlich auch gesehen, wie ich da so guck wie so ein Auto.
Serafin Dinges: Der Geschäftsführer, von dem Meike spricht, das ist Andreas.
Andreas Reimann: Und dann habe ich eben zu Meike gesagt, weil sie.. sie guckte dann irgendwie etwas verdutzt, weil um die Uhrzeit sind normalerweise nicht so viele Leute im Radio. Dann meinte ich ja, hier ist die Polizei, Hausdurchsuchung. Irgendwie so was. Und dann kam schon so von den Leuten, die um mich herum standen, so Gemurmel wie: Na ja, dann ist es ja jetzt öffentlich. Dann geht es ja jetzt über Sender.
Serafin Dinges: Währenddessen spricht sich die Razzia rum. Die Autos der Polizei bleiben nicht unbemerkt. Bei Meike klingelt das Telefon.
Die Meike: Und dann ruft noch meine Kollegin an, relativ aufgelöst an, sagt: Äh, Meike, die Polizei steht vor der Tür. Nicht reinlassen! Und ich so: Ja, ist leider schon zu spät. Die sind schon da. Aber Andreas ist auch dabei. Ah ja, okay, Andreas ist dabei, dann ist ja gut.
Serafin Dinges: Und Andreas fragt sich: Nehmen die Beamt:innen denn jetzt gleich den ganzen Laden auseinander?
Andreas Reimann: In dem Moment war mir auch gar nicht so klar: Werden die jetzt den Server einfach mitnehmen? So, so physisch mitnehmen, die Geräte einpacken oder so? Da liegen ja auch Skripte, Rohmaterial der letzten vermutlich 20 Jahre liegen digitalisiert da rum. Also das ist schon ganz viel heftiges Material, was niemanden was angeht und die staatlichen Behörden in einer Demokratie schon gar nicht.
Serafin Dinges: An der Stelle zählen wir mal durch. Andreas ist in der Redaktion. Meike ist in der Redaktion. Aber wo ist Fabian? Der ist noch auf dem Weg – und war dabei nicht untätig. Er hat inzwischen mit seiner Anwältin telefoniert. Angela Furmaniak. Die Anwältin ist schon bestens in dem Thema drin, denn Furmaniak hatte auch Betroffene bei den Ermittlungen zu Linksunten Indymedia vertreten. Die Anwältin ruft direkt den Staatsanwalt an: Manuel Graulich. Das Ergebnis ist so eine Art Deal. Wenn sich Fabian noch mal ganz offiziell als Verfasser des Artikels bekennt, dann wird die Razzia in der Redaktion gestoppt. Dann rühren die Beamt:innen nichts an. Mit diesem Plan radelt Fabian also in die Redaktion. Die Polizist:innen hatten zwar angeboten, ihn im Auto mitzunehmen, aber darauf hatte Fabian nach der Razzia weniger Lust, sagt er. Also ab aufs Fahrrad. Einmal durchgelüftet und immer noch ohne Frühstück, schlägt Fabian in der Redaktion auf.
Fabian Kienert: Und das saß eben dann jetzt so der Staatsanwalt… saß an diesem Tisch in den Räumlichkeiten von Radio Dreyeckland und hat praktisch auf mich gewartet, weil es die Kommunikation gegeben hat zwischen ihm und meine Anwältin, dass ich eine Erklärung abgeben werde. Und der Durchsuchungsbeschluss, der hätte es hergegeben, dass praktisch Sie die komplette Infrastruktur von Radio Dreyeckland beschlagnahmt hätten, wenn ich diese Erklärung nicht abgegeben hätte.
Serafin Dinges: Um zu beweisen, dass wirklich nur er der Autor ist, bekommt Fabian seinen Laptop wieder. Zumindest ganz kurz. Er loggt sich bei Radio Dreyeckland ein und präsentiert den Bearbeitungsverlauf des sagenumwobenen Artikels. Und dort, so beschreibt es Fabian, war ganz klar zu sehen: Ja, nur er hat das geschrieben. Andreas und Meike schauen zu, wie Fabian gerade ihren Radiosender vor dem Zugriff der Polizei rettet.
Andreas Reimann: Ich wollte auch dabei sein, wie dann dieser PC Laptop geöffnet und gestartet wird. Ich wollte sehen, was die da machen, auch um das im Nachhinein auch bezeugen zu können.
Serafin Dinges: Eine gefühlte Ewigkeit starrt die Polizei auf dem Bildschirm. So beschreibt Meike das. Und dann geben sie sich zufrieden. Fabian ist der einzige Autor. Das wurde jetzt noch mal für alle Anwesenden demonstriert. Die Polizei verlässt die Redaktion und bei Radio Dreyeckland klingelt wieder das Telefon. Am Apparat: die Deutsche Presseagentur, kurz die dpa.
Andreas Reimann: Da war ich schon auch noch ein bisschen aufgeregt. Aber da habe ich schon gemerkt: Aha, da meldet sich jetzt die dpa. Also da meldet sich jetzt die Öffentlichkeit, da ist ein Interesse.
Serafin Dinges: Noch am selben Tag berichten auch der SPIEGEL über die Razzien, der SWR, die taz und der Deutschlandfunk. Und am nächsten Tag sammeln sich rund 250 Freiburger:innen auf dem Platz der alten Synagoge zu einer spontanen Kundgebung. Und die Protestierenden sind sauer.
Stimme auf einer Demo: Die Durchsuchungen sind ein Frontalangriff auf die Pressefreiheit als Ganzes. Getroffen hat es RDL, gemeint sind wir alle…
Stimme auf einer Demo: …Zeichen gegen diese repressive Kackscheiße zu setzen und zu zeigen, dass wir uns nicht einschüchtern lassen. Finger weg von linken Medien!…
Stimme auf einer Demo: Welch ein Riesen-Polizeiaufgebot, mit welcher Unverschämtheit, die in die Räume von den Leuten eingedrungen sind…
Stimme auf einer Demo: Finger weg von unseren Strukturen. Wir sind alle Radio Dreyeckland…
Stimme auf einer Demo: … überfallen haben. Und das Ganze zahlt der Staat. Ich kann’s nicht fassen. Wo sind wir? Diese Aktion ist eine Blamage für die Demokratie. Ich wiederhole: Es ist eine Blamage für die Demokratie! Pressefreiheit! Pressefreiheit!
Mengenmenge: Pre-sse-frei-heit! Pre-sse-frei-heit! (…)
Stimme auf einer Demo: Pressefreiheit in Deutschland! Ich fordere Pressefreiheit! (…)
Andreas Reimann: Der Stress viel von mir ab, glaube ich, als irgendjemand kam und, ja ,erst mal so Betroffenheit gezeigt hat, Empathie gezeigt hat, und gefragt hat: Können wir irgendwas für dich tun? Und dann meinte ich: Ja, du könntest mir jetzt einfach ne Laugenbrezel kaufen in der Bäckerei.
Sebastian Meineck: Hallo, Serafin.
Serafin Dinges: Hallo. Sebastian Meineck, Autor dieser Folge. Willkommen zur Werbepause.
Sebastian Meineck: Hallo.
Serafin Dinges: Woran arbeitest du gerade? Wobei erwische ich dich?
Sebastian Meineck: Ich bin tatsächlich in dieser Sekunde dabei zu schauen, ob es unser Podcas- Cover auch noch lesbar ist, wenn man es sehr, sehr klein vor sich sieht. So wie das dann aussieht, wenn man das auf der App vor sich hätte. Es ist eine wirklich seltsame Aufgabe, denn wir haben natürlich dieses Cover in einer riesigen Auflösung ausspielen lassen. Und jetzt sitze ich da vor Gimp und zieh das so auf 100 mal 100 Pixel. Und gucke, ob man noch „Systemeinstellungen“ lesen kann.
Serafin Dinges: Wenn du gerade nicht Cover ganz klein siehst, dann schreibst du ganz schön viel für netzpolitik.org. Netzpolitik ist vor allem durch Spenden finanziert. Wie ändert das deine Arbeit?
Sebastian Meineck: Das ändert die Arbeit radikal. Das war wir gar nicht klar, als ich da angefangen hatte. Unser Ziel ist es wirklich, Entwicklungen zu begleiten, die relevant sind. Es ist für uns erst mal egal, ob das durch die großen Medien geht, ob das viele Klicks bringt, ob das zu einer bestimmten Zielgruppe passt. Wir sind allein dem Thema verpflichtet, also in diesem Fall dem Kampf für digitale Freiheitsrechte.
Serafin Dinges: Heißt das für dich, dass du mehr Freiheit hast oder mehr Angst, dass die Leute nicht mehr spenden, wenn du nicht die richtigen Sachen schreibst?
Sebastian Meineck: Auf jeden Fall mehr Freiheit. Nee, Angst habe ich da überhaupt nicht. Natürlich, unsere Finanzierung ist immer jedes Jahr – Stabhochsprung. So vergleiche ich das gerne. Immer im Dezember, wo typischerweise die meisten Spenden reinkommen, fragen wir uns: Erreichen wir das Budgetziel? Können wir so weitermachen? Nee, aber thematisch bedeutet das eine unheimliche Freiheit.
Serafin Dinges: OK, wer dabei mithelfen will, dass Sebastian im Dezember nicht Angst haben muss, dass das Spendenziel nicht erreicht wird, findet alle Infos unter netzpolitik.org/spenden. Aber erst mal weiter mit der Folge und du machst die Grafik fertig.
Sebastian Meineck: Ich gucke mir das jetzt noch mal genau an!
Serafin Dinges: Vielen Dank.
Sebastian Meineck: Mach’s gut.
Serafin Dinges: Ciao!
Serafin Dinges: Heute ermittelt die Staatsanwaltschaft nicht mehr gegen Andreas. Die Vorwürfe hat sie schnell fallen gelassen, nicht aber die Vorwürfe gegen Fabian. Als Autor des Artikels soll Fabian die Tätigkeit einer verbotenen Vereinigung unterstützt haben. So lautet der Vorwurf. Und zwar indem Fabian die verbotene Vereinigung, also Linksunten Indymedia in seiner Meldung nicht nur genannt hat, sondern auch verlinkt. Richtig gehört. In Fabians Meldung steht der Link zur Website. Ich sage das jetzt ganz vorsichtig: linksunten PUNKT indymedia PUNKT org. Um das noch mal klar zu machen Fabien hat jetzt nicht geschrieben: Hey, schaut euch mal diese krass verbotene Website an! Er hat über die Einstellung eines Gerichtsverfahrens geschrieben und dabei erwähnt, Zitat: „Im Internet findet sich linksunten.indymedia.org als Archivseite“.
Serafin Dinges: Und so ist es auch: Die Webseite von Linksunten, wie sie früher war, die gibt es nicht mehr. Neue Beiträge kann man dort nicht mehr posten. Seit 2020 gibt es unter der gleichen Adresse nur noch ein Archiv mit den alten Beiträgen. Trotzdem findet die Staatsanwaltschaft: fabian hat mit diesem Link eine verbotene Organisation unterstützt. Deshalb drohen Fabian eine Geldstrafe und bis zu drei Jahre Gefängnis. Um noch deutlicher zu machen, wie absurd das Ganze ist: Das Bundesinnenministerium hat diesen Link zu Linksunten schon selbst vor ein paar Jahren veröffentlicht. 2018 twitterte das Innenministerium, Zitat: „Verboten wurde die unter der URL linksunten.indymedia.org abrufbare Internetseite.“ Und für genau diesen Link soll Fabian also vor Gericht. Und weil das Ganze so sonderbar ist, nutzt Radio Dreyeckland in seinen Berichten über den Fall ein Wortspiel: Link-Extremismus, also Extremismus durch einen Link statt Links… Vielleicht muss ich den Witz auch gar nicht erklären. Jetzt also die Frage: Geht das? Kann ein Journalist wegen eines Links ins Gefängnis? Fabian glaubt nicht dran.
Fabian Kienert: Es gibt zwar Leute, die sage: Man sollte nicht naiv davon ausgehen, dass man auf jeden Fall nicht verurteilt wird. Aber ich gehe davon aus, dass ich nicht verurteilt werde.
Serafin Dinges: Fabian spekuliert, der gesamte Fall Radio Dreyeckland könnte ein Einschüchterungsversuch sein, und zwar gegen die linke Szene, lanciert von Beamt.innen, die frustriert sind von dem erfolglosen Ermittlungen rund um Linksunten Indymedia.
Fabian Kienert: Ich glaube, da ist einfach irgendwie auch der Wille auch zu diesem ganzen Linksunten… Endlich mal irgendwie noch mal was zu finden, wo man Leute irgendwie greifen kann. Und scheinbar gibt es da im Freiburger Staatsschutz Leute, die halt auch auch Radio Dreyeckland regelmäßig besuchen, um endlich irgendwann mal was zu finden. Und dass da vielleicht auch ein gewisser Ärger über Polizei-kritische Berichterstattung auch von mir da ist, würde ich schon annehmen.
Serafin Dinges: Er selbst sagt, er würde seinen Artikel wieder so schreiben. Er steht dazu. Die Hausdurchsuchung hat ihn aber trotzdem mitgenommen.
Fabian Kienert: So, die ersten Wochen nach der Hausdurchsuchung habe ich schon nicht so gut geschlafen. Und so Klingeln zu ungewöhnlichen Uhrzeiten, das ist schon, finde ich, immer noch irgendwie belastend. Da geht schon plötzlich irgendwie immer noch so ein Film an.. ich mach den Computer schnell aus, wenn es nur irgendwie klingelt.
Serafin Dinges: Wir haben versucht, für diesen Podcast auch mit dem Freiburger Staatsschutz und der Staatsanwaltschaft Karlsruhe zu sprechen und so Interview-Anfragen wurden aber schriftlich abgelehnt. Das es den Behörden mit ihren Razzien auch um Einschüchterung ging, daran glaubt auch Meike.
Die Meike: Ja definitiv. Und hat auch geholfen, also: hat gewirkt sozusagen. Also hat genau den Zweck erfüllt, den es sollte. Wir hatten den Fall… wir hatten so junge Praktikantis danach in der Aktuellen, und der war total verunsichert. Also der hat dann irgendwie gefragt: Kannst du uns da irgendwie noch mal eine Liste machen mit Leuten, die wir nicht anfragen sollten? Oder irgendwie so in in der Hinsicht. Und wir so: OK, Stopp, Stopp, Stopp. Du hast es nicht verstanden. Also kalr, der war ganz neu in dem Gebiet, so, ne? Aber wir machen hier Journalismus. Du darfst meinetwegen Charles Manson im Gefängnis anfragen zu einem Interview. Das ist das, was unser Job hier so ist. Wir sollen die Öffentlichkeit darüber informieren, was passiert. Und ihr Bild machen können die Leute sich dann selber, so..
Serafin Dinges: Andreas kontextualisiert das alles noch mal etwas. Er sagt: Der Sender ist eben nicht die Badische Zeitung oder die Tagesschau.
Andreas Reimann: Und das ist meine Vermutung letztlich auch, dass es uns getroffen hat und nicht andere Medien, die ja über den Sachverhalt damals zu dem Linksunten-Indymedia-Verfahren auch berichtet hatten… dass wir eben wahrscheinlich im Blick der Staatsanwaltschaft kein seriöses Medium sind. Sondern eben ein Medium, was in ihrer Denke in irgendeiner links-aktivistischen Schublade liegt. Wahrscheinlich in der gleichen Schublade, wo auch ein Portal wie Linksunten Indymedia liegt, das noch mal, glaube ich, ein anderes Grundverständnis hat von Journalismus als wir. Vielleicht ist auch so eine Denke dahinter: Die, naja, die arbeiten ja nicht für Geld. Also dann haben sie ja wohl andere Interessen. Nämlich irgendwie links-aktivistische Interessen oder sowas. Also das man aus Engagement heraus, aus Verantwortung heraus Journalismus macht… Leben können die meisten Journalistinnen ja ohnehin nicht wirklich gut davon… das scheint bei denen nicht angekommen zu sein.
Serafin Dinges: Neun Monate nach der Razzia gibt es einen ersten Erfolg für Meike und den Sender, für Andreas und Fabian. Sie hatten Beschwerde gegen die Razzien eingereicht und das Landgericht Karlsruhe hat entschieden: Jawohl, die Hausdurchsuchungen waren rechtswidrig. Das bedeutet, die Polizei hätte an diesem einem Januarmorgen nicht bei Andreas und Fabian in die Wohnung gehen dürfen, nicht ihre Papiere durchwühlen, nicht in die Redaktion eindringen. In seinem Beschluss teilt das Landgericht Karlsruhe heftig gegen die Razzien aus. Es schreibt vom Einschüchterungseffekt, den so eine Hausdurchsuchung hat. Einschüchterung nicht nur für Fabian und Andreas. Auch für andere Redaktionsmitglieder, die kritisch über staatliche Angelegenheiten berichten. Einschüchterung für Informant:innen, die sich mit vertraulichen Infos an die Redaktion wenden. Das Gericht kommt zum Schluss: Die Presse und Rundfunkfreiheit, die wurde bei den Razzien nicht ausreichend berücksichtigt. Wenige Monate später dann auch wieder der Dämpfer: das Oberlandesgericht Stuttgart hat die Entscheidung vom Landgericht teilweise wieder einkassiert. Das Oberlandesgericht sagt: Diese eine Razzia bei Fabian, die war doch okay. Man hätte eben rausfinden müssen, wer den Artikel verfasst hat. Ein Hin und Her also. Aber das ist noch immer nicht das letzte Wort. Fabian hat mit seinen Anwältinnen Verfassungsbeschwerde gegen die Razzia eingereicht. Bisher noch ohne Ergebnis. Und Fabian muss sich jetzt in Karlsruhe vor dem Landgericht verantworten. Der Vorwurf: Unterstützung einer verbotenen Vereinigung. Neun Prozesstage sind angesetzt, verteilt über mehrere Wochen. Der erste Prozesstag war kurz vor Erscheinen dieser Podcastfolge – am 18. April. Weitere Berichterstattung findet ihr auf netzpolitik.org. Und Andreas? Der ist zwar nicht mehr im Visier der Justiz. Seine Geräte hatten die Beamt:innen trotzdem eingesackt. Überlegt euch mal: Was habt ihr alles auf dem Handy? Was steht in euren Chatverlauf? Was für Fotos habt ihr in der Cloud? Und wie fühlt sich das an, wenn ihr denkt: Vielleicht können all das jetzt fremde Augen sehen, irgendwo bei der Staatsanwaltschaft? Beim Handy von Andreas zum Beispiel, da gab es keine Sperre, keine Verschlüsselung. Da lag alles offen.
Andreas Reimann: Ich musste dann wirklich auch dem Moderator meiner von meinem von unserem WhatsApp-Sportgruppe sagen: Nimm mich mal raus. Mein Handy liegt bei der Staatsanwaltschaft. Die können gerade alles sehen, was wir… auch wenn das im Grunde ganz harmlos ist, so… Wer geht wann, wer hat Lust, am nächsten Freitag mal morgens um acht joggen zu gehen… das liegt jetzt alles bei der Staatsanwaltschaft. Das ist mir peinlich, bitte versuch ganz schnell, mich noch rauszunehmen. Vielleicht haben Sie dann zumindest auf das, was seit der Hausdurchsuchung im Chat war, keinen Zugriff mehr.
Serafin Dinges: Andreas erinnert sich auch heute noch genau an den Abend vom 17. Januar 2023. Der Abend nach den Razzien. Der Ärger war vorbei ,und Andreas war wieder im Schlafzimmer, da, wo für ihn am Morgen alles angefangen hat.
Andreas Reimann: Das weiß ich noch genau. Wir waren auch nicht so schrecklich spät zu Hause und ich habe mich ins Bett gelegt. Und dann liege ich da im Bett. Und der erste Gedanke war: Die läuten wieder morgens um sechs. Also da kam sofort dieses Scheißgefühl hoch. Und meine Frau, die dann nach mir ins Bett kam, die hat mir später gesagt: Es ging ihr genauso. Das hat sie in dem Moment gar nicht so erwähnt, aber sie ist mit dem gleichen Gefühl ins Bett gegangen: die kommen wieder. Also da ist erst mal was kaputt. Da ist man erst mal irgendwie auf eine Art angegriffen, und das wirkt nach. Das hat sich nach ein paar Tagen dann gelegt. Aber das hat nachgewirkt.
Serafin Dinges: Systemeinstellungen ist eine Produktion von netzpolitik.org, dem Medium für digitale Freiheitsrechte. Host und Producer bin ich, Serafin Dinges. Unsere wunderbare Redaktion sind: Anna Biselli, Chris Köver, Ingo Dachwitz und Sebastian Meineck. Titelmusik von Daniel Laufer und zusätzliche Musik von Blue Dot Sessions und mir. Coverdesign: Lea Binsfeld. Besonderen Dank an Lara Seemann und Lena Schäfer. Wenn euch der Podcast gefallen hat, dann freuen wir uns sehr über eine gute Bewertung und wenn ihr ihn weiterempfiehlt. Bis zum nächsten Mal.
Serafin Dinges: Nächstes Mal bei Systemeinstellungen:
Sandra Menzel: Ich denke so schnell kann das gehen das man irgendwie von so einer hoch gelobten Flüchtlingsaktivistin und wunderbare Arbeit dann da niederfällt in eine angezeigte Straftäterinnen, gegen die mit einer Hausdurchsuchung ermittelt werden muss.
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Fri, 10 May 2024 03:13:55 +0000
Matthias Monroy
2017 hat die EU-Kommission eine Hintertür für Pushbacks nach Libyen geschaffen. Im gleichen Jahr begann Sea-Watch die Beobachtung dieser Menschenrechtsverletzungen aus der Luft. Damit soll nun Schluss sein.
Schiffe von EU-Staaten dürfen Asylsuchende nicht in Folterstaaten wie Libyen zurückbringen. Um dieses Verbot für sogenannte Pushbacks zu umgehen, hat die EU-Kommission |eine Hintertür im Völkerrecht geschaffen| und seit 2017 eine libysche Küstenwache mitaufgebaut. Die Truppe entführt Geflüchtete in internationalen Gewässern, inhaftiert sie in Folterlagern, regelmäßig setzt sie bei diesen Pullbacks Waffen ein und lässt Menschen ertrinken.
Ebenfalls seit 2017 beobachtet die Organisation Sea-Watch diese Menschenrechtsverletzungen aus der Luft und informiert die zuständigen maritimen Leitstellen über Boote in Seenot. Damit soll nun Schluss sein: Die italienische Luftfahrtbehörde ENAC hat am Montag |eine Anordnung veröffentlicht|, die den Einsatz von Flugzeugen ziviler Rettungsorganisationen über dem Mittelmeer verbietet. Zur Begründung heißt es, die Flüge gefährdeten „die Sicherheit von Migranten“.
„Das Flugverbot ist politisch motiviert und rechtlich nicht haltbar. Mitten im Europawahlkampf versucht Italien, die letzten Zeug:innen der europäischen Verbrechen im Mittelmeer loszuwerden”, kommentiert Oliver Kulikowski von der Airborne-Abteilung von Sea Watch.
Laut der Anordnung betrifft das Verbot Flüge im Osten und Westen Siziliens. Davon umfasst ist auch Lampedusa, wo Sea-Watch das zweimotorige Flugzeug „Seabird 2“ stationiert. Es wird von der Schweizer humanitären Piloteninitiative (HPI) betrieben und trägt deshalb das Hoheitszeichen der Schweiz. Auch die „Colibri“ von Pilotes Volontaires aus Frankreich unternimmt Aufklärungsflüge für Sea-Watch im Mittelmeer und ist deshalb ebenso von dem Verbot betroffen.
Allein zwischen Januar und März dieses Jahres haben die Sea-Watch-Flieger 40 Einsätze mit insgesamt 205 Flugstunden absolviert. Dabei haben die Besatzungen 2.755 Menschen in Seenot in 47 Booten gesichtet. Alle Vorfälle wurden wie vorgeschrieben an die Leitstellen der benachbarten Seenotrettungszonen in Malta, Italien und Libyen gemeldet.
Mehr als 700 Menschen wurden anschließend von der libyschen „Küstenwache“ abgefangen und nach Tripolis zurückgebracht. In mindestens acht Fällen konnte Sea-Watch dabei die Beteiligung der europäischen Grenzagentur Frontex nachweisen.
In der Anordnung behauptet die ENAC, der Einsatz von Flugzeugen sei eine „unangemessene Interventionsmaßnahme“ und führe dazu, „dass Migranten von den nordafrikanischen Routen in Rettungsbooten abgeholt werden“. Weiter heißt es, die Seenotrettung obliege allein den dafür zuständigen Behörden. Dazu verweist die Luftfahrtbehörde auf internationale Verträge wie das SOLAS-Übereinkommen zur Rettung von Menschen auf See.
|Keiner der genannten Verträge verbietet es jedoch|, dass zivile Organisationen Rettungsschiffe oder Flugzeuge außerhalb von Hoheitsgewässern betreiben und über entdeckte Seenotfälle die nationalen Leitstellen informieren.
Die Luftfahrtbehörde ENAC untersteht dem italienischen Verkehrsministerium, das von Matteo Salvini geleitet wird. Der rechtsradikale Lega-Politiker war von 2018 bis 2019 Innenminister und hatte zu dieser Zeit bereits erfolglos versucht, die zivilen Seenotretter mit von ihm erlassenen Dekreten an die Kette zu legen.
Erst Anfang 2023 war die Regierung unter der Postfaschistin Giorgia Meloni damit erfolgreich: |Per Gesetz werden Kapitän:innen gezwungen|, nach einer Rettungsaktion sofort einen zugewiesenen Hafen anzusteuern, der tausende Kilometer entfernt sein kann. Werden weitere Menschen aus Seenot an Bord genommen, drohen eine Geldstrafe von 20.000 Euro und die wochenlange Festsetzung des Schiffes.
Dieses Gesetz zur Repression gegen Rettungsschiffe hat die ENAC nun auf auf den Luftraum erweitert. Wer Rettungsmaßnahmen „außerhalb des geltenden Rechtsrahmens“ durchführt, wird demnach mit Sanktionsmaßnahmen sowie „Verwaltungshaft“ für die Flugzeuge bestraft.
Die Anwälte von Sea-Watch arbeiten bereits daran, gegen die Anordnung vorzugehen. Das Flugverbot kann wie die Repressalien gegen die zivilen Rettungsschiffe vor italienischen Verwaltungsgerichten angefochten werden. In den vergangenen Wochen waren die Organisationen SOS Mediterranée aus Frankreich und SOS Humanity aus Deutschland dazu |erstmals erfolgreich|. Unter anderem argumentierten die Richter:innen, Italien habe nicht das Recht, Schiffe für angebliche Taten auf hoher See zu sanktionieren, wenn diese nicht unter italienischer Flagge fahren. Auch der Vorwurf, Anordnungen der libyschen Küstenwache nicht zu befolgen, laufe ins Leere, da deren Einsätze nicht als Rettungsaktionen angesehen werden könnten.
Ungeachtet der drohenden Repressalien will Sea-Watch die Gegenüberwachung aus der Luft nicht beenden. Am Mittwochmittag startete die „Seabird 2“ von Lampedusa zu einem Aufklärungsflug. Maßnahmen der italienischen Regierung erfolgten bislang nicht.
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|Keiner der genannten Verträge verbietet es jedoch|
|Per Gesetz werden Kapitän:innen gezwungen|
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Wed, 08 May 2024 16:19:25 +0000
Markus Reuter
Erstmals muss das Europäische Parlament Abrechnungsdaten eines Abgeordneten herausgeben. Weil Ioannis Lagos wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung verurteilt wurde, überwiegt das öffentliche Interesse, urteilte das Gericht der Europäischen Union.
Der griechische Neonazi |Ioannis Lagos| sitzt in Griechenland wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung im Gefängnis. Gleichzeitig ist er seit 2019 gewählter Abgeordneter im Europaparlament. Trotz seiner Haftstrafe hat Lagos weiterhin Zugriff auf Gelder des Europäischen Parlaments. Wie er diese verwendet, ist unbekannt.
Die Transparenz-NGO FragDenStaat hatte beim Europäischen Parlament eine |Informationsfreiheitsanfrage zu den Geldern des rechtsradikalen Abgeordneten gestellt|. Das Parlament lehnte die Anfrage im April 2022 ab. Es gebe generell keine Details über die Abrechnungen von Abgeordneten heraus. Dagegen klagte FragDenStaat vor dem |Europäischen Gericht in Luxemburg| – und |hat nun Recht bekommen|.
In der |Pressemitteilung (PDF)| des Gerichts heißt es:
Mit seinem heutigen Urteil erklärt das Gericht die Entscheidung des Europäischen Parlaments vom 8. April 2022 für nichtig, soweit den Antragstellern damit der Zugang zu Dokumenten über Herrn Lagos vom Parlament gezahlte Reisekostenerstattungen und Tagesgelder sowie zu Dokumenten über seinen parlamentarischen Assistenten gezahlte Reisekostenerstattungen verweigert wird.
Das Gericht befindet, dass im vorliegenden Fall die Privatsphäre des Abgeordneten hinter dem Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu den Dokumenten zurückstehen muss. Der Antrag ziele darauf ab, eine verstärkte öffentliche Kontrolle und Rechenschaftspflicht zu erleichtern, etwa im Hinblick auf den Zugang von Lagos zu öffentlichen Geldern. Dies aber sei angesichts der außergewöhnlichen Umstände – nämlich der langjährigen Haft des Politikers – gerechtfertigt, so das Gericht. Entsprechende Unterlagen über Tagegelder und Reisekosten von Lagos‘ Mitarbeitern müssten daher herausgegeben werden.
FragDenStaat |hält den Fall auch für einen anderen Abgeordneten für relevant|. Der AfD-Europaabgeordnete Maximilian Krah steht derzeit ebenfalls im Fokus der Medien. Sein Mitarbeiter soll ein chinesischer Spion sein und |sitzt aktuell in Untersuchungshaft|.
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|Informationsfreiheitsanfrage zu den Geldern des rechtsradikalen Abgeordneten gestellt|
|Europäischen Gericht in Luxemburg|
|hält den Fall auch für einen anderen Abgeordneten für relevant|
|sitzt aktuell in Untersuchungshaft|
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Wed, 08 May 2024 15:01:35 +0000
Chris Köver
Ein neues Tool von OpenAI soll erkennen können, ob ein Bild echt ist oder mit dem Bildgenerator DALL-E erstellt wurde. Etwas ähnliches hat das gehypte Unternehmen bereits für seine KI-generierten Texte versprochen – und ist daran gescheitert.
Das KI-Unternehmen OpenAI arbeitet an Technologien, um Bilder zu erkennen, die mit seinem populären Generator DALL-E 3 erstellt werden. Das Werkzeug ist Teil eines größeren Pakets von Maßnahmen, mit dem das Unternehmen kurz vor der US-Wahl dafür sorgen will, dass sich seine KI-generierten Inhalte auch als solche erkennen lassen. Werkzeuge wie DALL-E haben es sehr einfach gemacht, täuschend echte Bilder zu erstellen. |Fachleute fürchten|, dass solche Bilder, Videos oder Tonaufnahmen in anstehenden Wahlkämpfen zur Gefahr werden.
|In einem Blogpost| schreibt OpenAI, es werde den neuen Detektor zunächst mit Forscher:innen teilen. Diese sollen das Werkzeug testen und Rückmeldungen geben, wie es verbessert werden kann. In internen Tests soll der Detektor bereits mehr 98 Prozent der Bilder von DALL-E 3 richtig erkannt haben. Gleichzeitig schneidet das System laut OpenAI schlechter ab, wenn es darum geht zwischen Bildern von DALL-E und Produkten der Konkurrenz zu unterscheiden, etwa von Stable Diffusion oder Midjourney.
In der gleichen Mitteilung sagt OpenAI, es sei dem Lenkungsausschuss der |„Coalition for Content Provenance and Authenticity|“ beigetreten. Das Gremium, in dem andere Tech-Konzerne wie Adobe, Microsoft, Meta und Google sitzen, arbeitet an einem gemeinsamen Standard zur Beglaubigung von Medieninhalten. Er soll für Bilder, Videos und Ton-Dateien Informationen dazu liefern, wann und mit welchen Werkzeugen sie erstellt wurden. Im Falle eines mit DALL-E 3 generierten Bildes steht dann etwa in den Metadaten der Datei: „Verwendetes KI-Werkzeug: DALL-E“.
OpenAI fügt diese Daten bereits |seit Anfang des Jahres| automatisch in Inhalte ein, die mit seinen Systemen ChatGPT und DALL-E erstellt werden. Auch in Videos aus dem bislang nicht veröffentlichten System Sora sollen die Metadaten enthalten sein. Nachrichtenorganisationen und Forscher:innen sollen dadurch schneller erkennen können, woher ein Bild stammt.
Allerdings lassen sich solche Metadaten aus Dateien auch leicht wieder entfernen. Wer mit einem Bild, Video oder einer vermeintlichen Tonaufzeichnung bewusst täuschen wollte, würde sie wohl kaum in der Datei belassen. Sie eignen sich nicht, um zu belegen, ob ein Inhalt echt oder KI-generiert ist.
Das weiß auch OpenAI und schreibt: „Menschen können immer noch betrügerische Inhalte ohne diese Informationen erstellen (oder sie entfernen).“ Das Unternehmen plädiert dennoch dafür, solche Standards zu etablieren. Wenn sich die Metadaten erst mal etabliert hätten, würden Menschen misstrauischer gegenüber Medien, bei denen sie fehlten.
OpenAI reagiert mit seiner Ankündigung auch auf den wachsenden Druck. In den USA stehen dieses Jahr Präsidentschaftswahlen an. Forscher:innen weisen darauf hin, wie gefälschte Inhalte im Wahlkampf eingesetzt werden, um den Ausgang der Wahlen zu beeinflussen. Im Kongress |wurden mehrere Gesetzentwürfe eingebracht|, die auf KI abzielen, bislang steht aber kein Gesetz kurz vor der Verabschiedung.
Anderswo hat die Politik den Druck schon erhöht: In der EU verpflichtet etwa die neue KI-Verordnung alle Anbieter von KI-Systemen zur Transparenz: Wer Werkzeuge anbietet, mit denen man Bild-, Audio- oder Videoinhalte erzeugen kann, „die Personen, Gegenständen, Orten, Einrichtungen oder Ereignissen deutlich ähneln und fälschlicherweise den Anschein erwecken, authentisch oder wahrheitsgetreu zu sein“, muss diese Inhalte klar kennzeichnen. Das gleiche gilt auch für Plattformen, die solche Inhalte verbreiten.
CEO Sam Altman reiste im vergangenen Jahr um die gesamte Welt, um mit Politiker:innen über OpenAIs Technologien zu sprechen. In der EU konnten die Lobbyist:innen des Unternehmens immerhin erfolgreich verhindern, dass die neuen Regeln für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz allzu strikt mit Basismodellen umgehen, die auch die Grundlage von OpenAIs Text- und Bildgeneratoren sind.
Mit den Ankündigungen dieser Woche signalisiert OpenAI so seine Bereitschaft, der Gefahr selbst entgegenzutreten, die von seinen Werkzeugen ausgeht. Ob das auch gelingt, ist eine andere Frage: In der Vergangenheit ist OpenAI bereits einmal damit gescheitert, die Inhalte aus einen eigenen Generatoren verlässlich zu erkennen. Einen Detektor, der Texte aus ChatGPT von menschlichen Texten unterscheiden sollte, |hat das Unternehmen vergangenen Sommer beerdigt|: Die Erkennungsquote war zu schlecht.
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|„Coalition for Content Provenance and Authenticity|
|wurden mehrere Gesetzentwürfe eingebracht|
|hat das Unternehmen vergangenen Sommer beerdigt|
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Wed, 08 May 2024 12:51:21 +0000
Esther Menhard
Der Bundesrat hat das Onlinezugangsgesetz 2.0 im März abgelehnt. Eine Einigung soll nun der Vermittlungsausschuss bringen. Vor der ersten Sitzung Mitte Mai bekräftigen die Länder ihre Forderungen nach mehr Einfluss sowie nach einer stärkeren finanziellen Beteiligung des Bundes.
Ein Schrank voller Akten, stapelweise Mappen auf dem Schreibtisch, daneben händisch ausgefüllte Formulare, die als eingescannte PDFs ins Postfach wandern – so sieht der Alltag in vielen Behörden aus. Mitarbeiter:innen in der öffentlichen Verwaltung müssen sich nach wie vor in Geduld üben, bevor sie vollumfänglich auf digitale Systeme setzen und Bürger:innen, Unternehmen und Organisationen deren Leistungen online beantragen können.
Die lahmende Verwaltungsdigitalisierung soll ein Gesetz seit nunmehr sieben Jahren beschleunigen. Das Onlinezugangsgesetz (OZG) trat 2017 in Kraft und verpflichtet Bund, Länder und Kommunen dazu, knapp 600 Verwaltungsleistungen für Bürger:innen, Unternehmen und Organisationen online anzubieten. Laut Gesetz sollte dies bis Ende 2022 erfolgen. Die Frist ist längst verstrichen und eine neue Version des Gesetzes liegt nun seit einigen Monaten auf dem Tisch.
Doch das OZG 2.0 hat einen schweren Stand. Zuerst zogen sich die Verhandlungen der Regierungsparteien über Jahre hin, bevor der Bundestag im Februar |das Gesetz endlich verabschiedete|. Im März folgte dann aber bereits der nächste Dämpfer: |Der Bundesrat lehnte das OZG 2.0 ab| und stoppte das Gesetzgebungsverfahren damit kurz vor der Ziellinie.
Vor allem die unionsgeführten Länder stimmten gegen das Vorhaben – obwohl die Ampel nicht nur die Verbesserungsvorschläge von Sachverständigen in die neue Fassung, sondern auch zahlreiche Forderungen der Länder aufnahm. So können die Länder laut Gesetz weiterhin |Elster| für die Identifizierung und Authentifizierung verwenden. Die Plattform haben Bund und Länder unter Federführung Bayerns entwickelt, um die Steuererklärungen der Bürger:innen und Unternehmen online einzuholen. Ursprünglich wollte der Bund, dass das Nutzerkonto Bund – kurz |BundID| – Elster vollständig ablöst.
Vor allem aber adressiert das Gesetz eines der Hauptprobleme der Verwaltungsdigitalisierung: den Flickenteppich digitaler Verwaltungsleistungen von Bund, Länder und Kommunen. Das OZG 2.0 sieht fortan einheitliche Standards und offene Schnittstellen vor. Eben das ist aber der Stein des Anstoßes. Denn die Standards sollen zwar zunächst nur für Bundesleistungen gelten. Die Zuständigkeit, diese festzulegen, liegt aber |allein beim Bundesinnenministerium| (BMI). Das muss das Ländergremium des IT-Planungsrates lediglich über seine Beschlüsse informieren.
Die passive Rolle des IT-Planungsrates im neuen Gesetz zeige, dass der Bund keine umfassende Standardisierungsstrategie anstrebe, „die alle relevanten Beteiligten aus Verwaltung und Privatwirtschaft angemessen einbezieht“, sagt Reinhard Sager vom Deutschen Landkreistag (DLT) |in einer Pressemitteilung|. Laut Kay Ruge (DLT) sei der Bund nicht zu Zugeständnissen bereit gewesen.
Nach der Ablehnung im Bundesrat rief der Bund auf Drängen der Innenministerin Nancy Faeser (SPD) |am 10. April| den Vermittlungsausschuss an. Die erste Sitzung ist für Mitte Mai vorgesehen, der genaue Termin |steht noch nicht fest|. Ob Bund und Länder das OZG 2.0 noch gemeinsam in dieser Legislaturperiode verabschieden werden und wie das Gesetz konkret aussehen wird, ist derzeit offen. Das hängt unter anderem davon ab, wie weit die Forderung der Länder geht, die Standards mitzugestalten.
So hält Ruge gegenüber netzpolitik.org eine Einigung im Vermittlungsausschuss nur dann für möglich, „wenn bei der Setzung von Standards für die Digitalisierung auch die Rechte der Länder gewahrt werden.“ Doch die Einigung hängt auch an einem weiteren Punkt: Der Bund müsse die Folgekosten des OZG 2.0 auch mit eigenen finanziellen Beiträgen begrenzen, so Ruge.
Wie sehr die Kosten mit der Umsetzung des OZG 2.0 ansteigen werden, sei |laut Schleswig-Holsteins Digitalisierungsminister Dirk Schrödter| (CDU) kaum einzuschätzen. Fest stehe aber, dass sie vor allem Länder und Kommunen belasten werde. Die trügen die Hauptumsetzungslast, begründet Florian Herrmann (CSU) aus Bayern die Ablehnung seines Landes im Bundesrat.
Die Länder hätten zum Teil schon viel in die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung investiert. Das OZG 2.0 mache vieles davon zur Makulatur, kritisiert Schrödter. Schleswig-Holstein etwa habe seine Hausaufgaben erledigt. „Dafür dürfen wir nicht bestraft werden“, so der Landesminister.
Der Forderung nach finanzieller Unterstützung erteilt jedoch nicht zuletzt die FDP eine klare Absage. Die Liberalen verweisen ebenso wie die Union auf die Schuldenbremse. Für die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung sieht der Bundeshaushalt für 2024 nur noch |3,3 Millionen Euro| vor. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr veranschlagte die Bundesregierung dafür 377 Millionen Euro.
Während die Länder ihre Forderungen öffentlich äußern, hält sich der Bund im Vorfeld der ersten Ausschusssitzung zurück. Eine Presseanfrage an das BMI dazu, wie eine Einigung zwischen Bund und Ländern aussehen könnte, bleibt unbeantwortet. Aus dem Büro des Bundestagsabgeordneten Lars Zimmermann (SPD) heißt es, man wolle sich nicht zum laufenden Verfahren äußern.
Die grüne Innenpolitikerin Misbah Khan findet derweil klare Worte: „Ich gehe davon aus, dass allen beteiligten Akteuren, aus der Opposition und den Ländern, die Bedeutung der Reform ebenfalls bewusst ist und sich dieses Verfahren nicht für parteitaktische Spielereien eignet“, sagt sie gegenüber netzpolitik.org. Das OZG sei enorm wichtig, damit die digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung gelingt.
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|das Gesetz endlich verabschiedete|
|Der Bundesrat lehnte das OZG 2.0 ab|
|allein beim Bundesinnenministerium|
|laut Schleswig-Holsteins Digitalisierungsminister Dirk Schrödter|
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Wed, 08 May 2024 10:40:58 +0000
Markus Reuter
Reisen über Länder und Verkehrsmittel hinweg zu planen, ist heute immer noch sehr kompliziert. Das neue Mobilitätsdatengesetz soll Abhilfe schaffen und dazu führen, dass vom Fahrplan des lokalen Busunternehmens über den E-Roller bis zur Ladestation die Daten ausgetauscht und vernetzt werden können.
Das Verkehrs- und Digitalministerium von Volker Wissing (FDP) hat |laut einem Bericht von Tagesspiegel Background (€)| mit leichter Verspätung den Gesetzentwurf für ein Mobilitätsdatengesetz vorgelegt. Idee des Gesetzes ist eine bessere Vernetzung von Mobilitätsdaten. So soll mit dem Gesetz unter anderem die „Kleinstaaterei“ beendet werden, bei der Nutzer:innen bei einer Reise von A nach B für verschiedene Transportmittel vom E-Roller über Zug bis zum Taxi verschiedene Dienste, Apps und Tickets nutzen müssen.
„Indem wir mehr und bessere Mobilitätsdaten zur Verfügung stellen, werden multimodale Reise und Echtzeit-Verkehrsinformationsdienste nicht nur ermöglicht, sondern auch deren Buchung und Bezahlung“, sagt Ben Brake, Leiter der Abteilung Digital- und Datenpolitik im BMDV zu Tagesspiegel Background.
In welcher Form die Mobilitätsdaten dann geteilt werden sollen, legt der Gesetzentwurf laut Background allerdings nicht fest. Auf Vorgaben wolle das Verkehrs- und Digitalministerium (BMDV) verzichten, weil sich aufgrund des technischen hin Fortschritts schnell Änderungen ergeben könnten. Stattdessen soll in Zukunft ein „Bundeskoordinator“ diese Frage regeln. Laut dem Bericht soll dieser Bundeskoordinator Leitlinien erlassen, welche die Spezifikationen, Standards, Anforderungen und Formate der Daten festlegen sowie die Zusammenarbeit zwischen den Dateninhabern und den Datennutzern regeln.
Diese Koordination der Mobilitätsdaten soll in Zukunft die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) übernehmen und bekommt dafür laut Entwurf offenbar 22 Stellen zugesprochen. Bei der BASt liegt auch der von der EU vorgeschriebene Nationale Zugangspunkt für Mobilitätsdaten. Aufgabe der Bundesanstalt wird laut dem Bericht zudem sein, „national und international tätige Dateninhaber von Mobilitätsdaten zur Datenbereitstellung“ anzuregen und zu erklären, wie die Bereitstellung funktioniert. Zudem soll die BASt auch Beschwerden über Qualität und Rechtskonformität der Daten entgegennehmen. Eine Aufgabe, die man eher bei einer kontrollierenden Stelle erwartet hätte. Personenbezogene Daten sind laut dem Gesetzentwurf vom Teilen ausgeschlossen.
Damit die Unternehmen wirklich Daten zur Verfügung stellen, soll es in Zukunft auch Strafen geben. Diese fallen allerdings laut dem Entwurf mit „bis zu 10.000 Euro“ eher gering aus. Die Kontrolle und Aufsicht über die Daten soll beim Bundesamt für Logistik und Mobilität (BALM) angesiedelt sein, das allerdings nur vier Stellen für diese Aufgabe erhält. Dem BALM kommt die Aufgabe zu, Bußgelder „als äußerstes Mittel“ zu verhängen.
Laut dem Medienbericht wird das Gesetz frühestens Ende 2024 oder Anfang 2025 in Kraft treten. Bis alles eingerichtet ist und die Vorgaben für Bußgelder stehen, dürfte es allerdings 2026 werden.
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|laut einem Bericht von Tagesspiegel Background (€)|
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Tue, 07 May 2024 14:28:38 +0000
Chris Köver
Auch in London darf die Polizei die umstrittene Gesichter-Suchmaschine PimEyes nicht nutzen. Dennoch sollen Beamt:innen die Seite mehr als 2.000 Mal aufgerufen haben. Jetzt hat die Behörde den Zugriff über Dienstgeräte gesperrt.
Die Londoner Polizei soll mehr als 2.000 Mal die Seite der Suchmaschine PimEyes aufgerufen haben. |Das berichtet| das britische Nachrichtenmedium i-News und verweist auf Dokumente, die es mit Hilfe einer Informationsfreiheitsanfrage erhalten hat. Demnach hätten Dienstcomputer der Behörde in den ersten drei Monaten des Jahres 2.337 Mal die Seite von PimEyes besucht.
Mit der Suchmaschine kann man anhand eines Fotos im offenen Internet |nach weiteren Bildern dieser Person suchen|. Sie ist hoch umstritten, weil die Suche auf biometrischen Daten basiert. Dafür werden offen im Internet verfügbare Fotos automatisch ausgewertet – ohne eine Zustimmung der Betroffenen einzuholen. Zugleich ist PimEyes öffentlich zugänglich, sodass damit jede beliebige Person andere |anhand eines Schnappschusses identifizieren kann|. Denn die Suchergebnisse von PimEyes sind Links zu den Fundorten im Netz, die häufig entscheidende Hinweise auf eine Person liefern.
Die Europäische Union hat deswegen in ihrer KI-Verordnung |vor kurzem genau das verboten|, was PimEyes überhaupt erst möglich macht: massenhaft Gesichtsbilder aus dem offenen Internet zu sammeln und zum Aufbau einer Datenbank biometrisch auszuwerten. PimEyes könnten in der EU damit hohe Strafen drohen, sobald die Regeln umgesetzt werden.
Die Londoner Polizei |setzt bereits mehrere Formen von Gesichtserkennung| ein, etwa um Aufnahmen aus öffentlichen Kameras in Echtzeit auszuwerten oder rückwirkend mit ihren Datenbanken abzugleichen.
Allerdings müssen Beamt:innen dafür den offiziellen Weg beschreiten: Gesucht werden darf nur nach Personen auf Fahndungslisten und auch nur in der nationalen Polizeidatenbank (Police National Database, PND). Dabei handelt es sich um eine zentrale Datenbank mit Bildern von Straftäter:innen, die von Behörden im ganzen Land hochgeladen und vom Innenministerium verwaltet werden.
|In welcher Welt wollen wir leben?|
Mit PimEyes könnten die Beamt:innen hingegen im offenen Internet nach Zielpersonen suchen. Und das, ohne dass diese Suchen von Vorgesetzten abgesegnet werden müssten.
Ein Sprecher der Londoner Polizei sagte gegenüber i-News, die Aufrufe der Website würden noch nicht heißen, dass Beamt:innen die Gesichtersuche auch tatsächlich eingesetzt hätten. „Es gibt eine Reihe von Gründen, warum ein Beamter nachforschen könnte, was PimEyes ist, insbesondere im Lichte der jüngsten Presseberichte.“ Nachdem die Zugriffe bekannt geworden seien, habe man „die bestehenden Sicherheitsvorkehrungen verschärft und den Zugang zu dieser Website auf Met-Geräten gesperrt“. Offiziell soll die Suche mit PimEyes ohnehin nicht erlaubt gewesen sein.
PimEyes wurde ursprünglich von zwei polnischen Studierenden gegründet. Nach |kritischen Berichten unter anderem von netzpolitik.org| verlagerte die Firma ihren Sitz zunächst auf die Seychellen und antwortete nicht mehr auf Fragen. |Auch Datenschutzbehörden| wurden aktiv.
Seit 2022 gehört PimEyes nun |einem Sicherheitsforscher aus Georgien: Georgi Gobronidze|. Er bemüht sich, das Image des Unternehmens zu wandeln, und vermarktet PimEyes als Hilfe zur digitalen Selbstverteidigung statt als Stalking-Werkzeug. Frauen sollen damit Bilder aus dem Netz entfernen lassen können, die ohne ihr Einverständnis hochgeladen wurden. Für diesen „Premium-Service“ nimmt PimEyes eine monatliche Gebühr.
|„Der Mensch ist der Stalker, nicht die Suchmaschine“|
In Deutschland war die Suchmaschine zuletzt in den Schlagzeilen, weil Journalist:innen mit ihrer Hilfe eine Spur zur seit Jahrzehnten gesuchten ehemaligen RAF-Terroristin Daniela Klette entdeckt hatten. |Polizeigewerkschaften| forderten daraufhin, auch die Polizei solle „solch hilfreiche Software“ einsetzen dürfen und monierten, „Polizeibehörden in anderen EU-Nachbarstaaten“ seien bereits weiter.
Allerdings nutzen auch deutsche Polizeibehörden bereits seit langem Gesichtserkennung, etwa das „Gesichterkennungssystem“ des BKA, das Bilder mit Aufnahmen bekannter Straftäter:innen in der eigenen Datenbank INPOL abgleicht. Dass die Polizei hingegen mit Suchmaschinen wie PimEyes wahllos nach Gesichtern im Internet sucht, ist laut der Einschätzung von Fachleuten nicht mit Grundrechten vereinbar. Dabei würden |massenhaft Unverdächtige ins Visier geraten|.
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|einem Sicherheitsforscher aus Georgien: Georgi Gobronidze|
|„Der Mensch ist der Stalker, nicht die Suchmaschine“|
|massenhaft Unverdächtige ins Visier geraten|
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Tue, 07 May 2024 13:00:22 +0000
Constanze
Die Regierung hat sich im Koalitionsvertrag von Hackbacks klar distanziert, doch aus der CDU und von Ex-Geheimdienstlern kommt aktuell die Forderung nach digitaler Eskalation. Dabei verdreht Ex-BND-Chef Schindler die Tatsachen und stellt das Zurückhacken als Abwehr dar. Doch ein Hackback ist ein Gegenangriff und damit eine offensive Angriffsmaßnahme. Ein Kommentar.
Seit die Bundesregierung nach einem IT-Angriff auf SPD-E-Mails dafür |Russland verantwortlich gemacht hat|, fordern sowohl Außenministerin Annalena Baerbock als auch Unionspolitiker Konsequenzen nach dem Hack. Während Baerbock nicht benennt, welche weiteren Konsequenzen neben dem Abzug des Botschafters aus Moskau noch folgen sollen, wird in der Union die alte Debatte um offensive IT-Gegenangriffe aufgewärmt.
Der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter, Oberst a.D. und Ex-Präsident des Reservistenverbandes, und der Ex-Geheimdienstchef und heutige Berater Gerhard Schindler gehören zu den prominentesten Vertretern, die nun wieder mehr Massenüberwachungsmaßnahmen und offensive IT-Angriffe aus Deutschland heraus fordern. Schindler möchte für die Geheimdienste die Erlaubnis zur „strategischen Kommunikationsaufklärung im Inland“, ein Euphemismus für das automatisierte Durchleuchten sämtlicher Telekommunikationsdaten innerhalb Deutschlands.
Statt einer „Überwachungsgesamtrechnung“, die von der Bundesregierung geplant ist, solle besser eine „Bedrohungsgesamtrechnung“ erstellt werden, sekundiert ihm Kiesewetter. Er erklärte, die aktuellen IT-Angriffe würden zeigen, dass Deutschland ein „Kriegsziel“ Russlands sei, wie er dem |ZDF sagte|. Deswegen wünscht er sich auch, dass deutsche Geheimdienste die Erlaubnis zu sogenannten Hackbacks erhalten sollen. Er sagte: „Wir müssen auch IT-technisch gegeneskalieren.“
Doch diese Eskalation |verstößt gegen geltendes Recht| und soll es gerade nicht geben: Die Ampelregierung hatte im Koalitionsvertrag diesen Hackbacks eine Absage erteilt, auch in der nationalen Sicherheitsstrategie positioniert sich die Regierung dagegen. Der |Koalitionsvertrag sagt klar|: „Hackbacks lehnen wir als Mittel der Cyberabwehr grundsätzlich ab.“ Dafür gibt es gute Gründe, die vor allem in der Natur digitaler Angriffe liegen.
Denn was ist ein „Hackback“? Wörtlich meint es Zurückhacken, im übertragenen Sinne also einen Gegenschlag ausführen. Und für einen Gegenschlag braucht man vor allem einen sichtbaren und greifbaren Gegner. Die hinreichend sichere Feststellung, wer hinter einem ausgefeilten IT-Angriff steckt, ist aber keine leichte, sie ist manchmal auch gar nicht möglich, und sie dauert aufgrund des Nachvollziehens des Angriffsweges auch oft längere Zeit. Und die Gefahr, beim Hackback den Falschen zu erwischen, ist auch nicht wegzudiskutieren. Die Vorstellung von Nicht-Technikern, die Hacken nur aus Vorabendserien kennen, dass man mal eben einem Angreifer durch Zurückhacken das Handwerk legen könnte, ist schlicht ausgemachter Unsinn. Das zeigt auch gerade der aktuelle SPD-E-Mail-Vorfall, dessen Untersuchung viele Monate in Anspruch nahm.
Denkt man an kriegerische Auseinandersetzungen im physischen Raum, mag ein solches Vorgehen nachvollziehbar sein: Du beschießt mich, ich schieße zurück. Wenn ich allerdings nicht gesichert herausfinden kann, wer auf mich schießt, dann wird es kompliziert. Im Digitalen ist das der Normalfall: So gut wie kein Angreifer ist sofort sicher auszumachen. Zudem sind keine abgrenzbaren zivilen und militärischen Räume vorhanden, denn das Schlachtfeld wären unsere zivilen Netze.
Ex-BND-Chef Schindler |geht also kategorisch fehl| und verdreht die Tatsachen, wenn er in einem aktuellen Interview für Hackbacks trommelt und dabei behauptet, Hackbacks seien „ein Mittel, um Cyberangriffe abzuwehren“.
Denn ein solcher Gegenangriff ist eine klar offensive Maßnahme. Eine Abwehr eines Angriffs bestünde darin, den Angreifer daran zu hindern, seinen Angriff fortzusetzen und Schaden von sich selbst fernzuhalten. Diesen Unterschied kennt natürlich auch der Ex-Geheimdienstler. Die Falschdarstellung dient dem Zweck, das offensive Zurückhacken zu verniedlichen und eben als bloße Abwehrmaßnahme hinzustellen.
Jeder IT-Angriff muss zuallererst gut untersucht und die Eintrittswege der Angreifer nachvollzogen werden, um weitere Angriffe zu verhindern und die oft sabotierten und dysfunktionalen Computersysteme wieder so an den Start zu bringen, dass nicht gleich der nächste Angriff ins Haus steht. An jedem einzelnen Tag im Jahr finden derart viele IT-Angriffe statt, dass man |von einer IT-Sicherheitskrise sprechen muss| und es nicht mal mehr gemeldet wird, wenn der Schaden nicht enorm groß ist.
Eigentlich müssten angesichts dieses für Wirtschaft, Behörden und Private ausgesprochen bedrohlichen Zustandes Sofortmaßnahmenpläne umgesetzt werden, die der Bedeutung von sicheren IT-Systemen für uns alle angemessen wären. Die BSI-Chefin Claudia Plattner brachte es nach dem Bekanntwerden der jüngsten Angriffe auf den Slogan: |Wir müssen alle unsere IT in Ordnung bringen|.
Das ist zweifellos richtig, aber man möchte den Nachsatz hinzufügen, dass dies eine wahre Mammutaufgabe ist, die politisch flankiert werden müsste. Aber wirklich das letzte, was die ohnehin desolate Gesamtsituation in der IT-Sicherheit jetzt braucht, sind auch noch deutsche Geheimdienste und Militärs, die ihre Cyberwaffen laden und sich im Zurückhacken versuchen.
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|von einer IT-Sicherheitskrise sprechen muss|
|Wir müssen alle unsere IT in Ordnung bringen|
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Tue, 07 May 2024 12:07:35 +0000
netzpolitik.org
Hausdurchsuchung! Handy her! Was passiert mit Menschen, die unerwartet ins Visier des Staates geraten? In „Systemeinstellungen“ erzählen Betroffene, wie sich ihr Leben schlagartig verändert. Ein Podcast über Ohnmacht und erschüttertes Vertrauen.
|https://netzpolitik.org/wp-upload/2024/05/Systemeinstellungen_Trailer_final_v1_240506.mp3|
Wenn die Polizei plötzlich an deine Tür hämmert und ruft: Hausdurchsuchung! Was tun? In unserem neuen Podcast „Systemeinstellungen“ erzählen wir die Geschichten von Menschen, die unerwartet ins Visier des Staates geraten. Wir treffen unter anderem eine 15-jährige Klima-Aktivistin, die sich vor der Polizei bis auf die Unterwäsche ausziehen muss. Einen Soziologen, dessen Familie monatelang überwacht wird. Eine engagierte Pfarrerin auf dem Land, die ihre Kirche für Geflüchtete in Not öffnet und plötzlich die Polizei im Pfarrhaus hat.
Sie alle haben unterschiedliche Hintergründe, aber eines gemeinsam: den Schock, als plötzlich Beamt*innen ihre Schlafzimmer, ihre Handys, ihr privates und dienstliches Leben durchsuchen. Die erste von sieben Episoden, „Link-Extremismus“, erscheint am Freitag, 10. Mai. Ab dann folgt jede Woche eine weitere Episode – überall, wo es Podcasts gibt.
Den Trailer gibt es schon jetzt, hier im eingebetteten Player auf der Seite oder zum Download |als MP3|. Für diesen Podcast gibt es auch ein vollständiges Transkript mit Zeitmarken |im WebVTT-Format|.
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alle Episoden findest Du auch auf unserer Übersichtsseite |netzpolitik.org/systemeinstellungen|
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Host und Produktion: Serafin Dinges
Redaktion: Anna Biselli, Chris Köver, Ingo Dachwitz, Sebastian Meineck
Cover-Design: Lea Binsfeld
Titelmusik: Daniel Laufer
Kontakt: |podcast@netzpolitik.org|
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Mon, 06 May 2024 09:26:05 +0000
Leonhard Dobusch
Die Zusammenführung der Entwicklung ihrer Mediathek-Software unter dem Titel „Streaming OS“ nutzen ARD und ZDF auch dazu, diese Open Source zu machen. Neben den üblichen Vorteilen von Freier und Open-Source-Software sind damit auch spezifische Vorteile für öffentlich-rechtliche Medien verbunden.
Hier bei netzpolitik.org gibt es eine eigene |Kolumne zum Thema „Öffentliches Geld – Öffentliches Gut!“|. Wechselnde Autor:innen gehen dabei der Frage nach, wo mit öffentlichen Mitteln finanzierte, digitale Güter mithilfe von freien Lizenzen zu digitalen Gemeingütern gemacht werden. Ganz besonders einleuchtend ist das bei öffentlich finanzierter Software-Entwicklung: Hier sollten freie Open-Source-Lizenzen längst der Normalfall sein, auch weil es Herstellerabhängigkeiten und Parallelentwicklungen reduziert sowie regionale Software-Wirtschaft fördert.
In der Realität passiert der Umstieg auf Freie und Open-Source-Software selten im großen Stil, auch wenn immer mehr Open-Source-Komponenten zur Anwendung kommen. Das gilt auch für den Bereich öffentlich-rechtlicher Medien, wo im Zuge der Digitalisierung immer größere Beträge in Softwareentwicklung und -beschaffung fließen. Auch dort kommt natürlich längst an verschiedenen Stellen Open-Source-Software zum Einsatz. Allein die BBC |listet auf einer eigenen Seite über 40 Open-Source-Projekte|.
Trotzdem ist die heutige gemeinsame Ankündigung von ARD und ZDF, ihre Mediathekentwicklung auf Open-Source-Basis zusammenzuführen, ein bemerkens- und begrüßenswerter Schritt. In der |Pressemeldung zum Projekt mit dem Namen „Streaming OS“| ist von einer „der größten Open Source-Initiativen in Deutschland“ die Rede. Die Abkürzung OS steht dabei zwar für „Operating System“, die Doppeldeutigkeit der Abkürzung wird aber sicher gern in Kauf genommen.
Interessant an der Ankündigung ist auch die organisatorische Umsetzung. So soll das Projekt „von einem gemeinsamen, schlank besetzten ‚OS-Office'“ gesteuert werden, zusätzlich aber für den Mediathek-Betrieb eine gemeinsamen Tochterfirma gegründet werden. Dieser Schritt entspricht ziemlich genau einer |Empfehlung des von den Ländern eingerichteten „Zukunftsrats“|. In dessen Gutachten hieß es:
ARD, ZDF und Deutschlandradio gründen eine gemeinsame, rechtlich verselbstständigte Gesellschaft für die Entwicklung und den Betrieb einer technologischen Plattform, die alle Technologien für digitale Plattformen und Streaming vereinheitlicht und betreibt.
Auch ich habe mich seit Jahren dafür ausgesprochen, die Mediathekentwicklung auf ein solides Open-Source-Fundament zu stellen (beispielsweise auf der |re:publica 2019|, gemeinsam |mit Jan-Hendrik-Passoth im Tagesspiegel| oder in meiner |Rede zum Otto-Brenner-Preis 2023|). Neben den bereits angesprochenen, allgemeinen Vorteilen von Open-Source-Software und der besonderen Sinnhaftigkeit bei öffentlicher Finanzierung gibt es aber auch noch weitere Gründe, warum es gerade für öffentlich-rechtliche Medien so sinnvoll ist, Open Source zu forcieren:
Open Source als Public Value jenseits des Programms: Zentrale Aufgabe öffentlich-rechtlicher Medien ist es, „Public Value“, also gesellschaftlichen Nutzen zu stiften. Die Open-Source-Initiative von ARD und ZDF belegt, dass das nicht nur in Form von Public-Value-Programmen möglich ist, sondern auch durch Investitionen in digitale Gemeingüter wie eben Open-Source-Software.
Open Source als Unterstützungs- und Kooperationsangebot an private Medien: Verbunden damit sind auch Potenziale zur Stärkung des Medienstandorts Deutschland. Viele Komponenten digitaler Medienangebote sind über verschiedene Anbieter hinweg gleich, werden aber trotzdem parallel entwickelt. Für private Medienhäuser bietet der Einsatz von (Teilen von) Streaming OS die Möglichkeit für Kosteneinsparungen in Bereichen, die nicht wettbewerbsdifferenzierend sind.
Open Source als unilaterale Europäisierung: Vor allem aber ist Streaming OS auch eine Einladung an andere öffentlich-rechtliche Medien in Europa, mit einzusteigen. Allerdings ohne, dass vorab in langen Meetings ein (ohnehin unrealistisches) gemeinsames Softwareprojekt definiert wird. Stattdessen ist Streaming OS ein Angebot zur Kooperation, ohne sich völlig in wechselseitige Abhängigkeiten zu begeben. Im Zweifel erlauben es Open-Source-Lizenzen immer, auf Basis des bislang gemeinsam entwickelten Codes |getrennte Wege zu gehen|.
Zusammengefasst ist es also überaus erfreulich, dass es ARD und ZDF nicht dabei belassen, die Entwicklung ihrer Mediathek-Software unter einem Dach zusammenzulegen, sondern diesen Schritt dazu nutzen, auf Open Source zu setzen. Die ohnehin notwendigen Änderungen und Neuentwicklungen bieten dafür das perfekte Gelegenheitsfenster. Bleibt zu hoffen, dass viele andere öffentlich-rechtliche Medien in Europa, allen voran die Schweizer SRG und der Österreichische ORF, auf den Open-Source-Zug aufspringen.
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|Kolumne zum Thema „Öffentliches Geld – Öffentliches Gut!“|
|listet auf einer eigenen Seite über 40 Open-Source-Projekte|
|Pressemeldung zum Projekt mit dem Namen „Streaming OS“|
|Empfehlung des von den Ländern eingerichteten „Zukunftsrats“|
|mit Jan-Hendrik-Passoth im Tagesspiegel|
|Rede zum Otto-Brenner-Preis 2023|
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Sun, 05 May 2024 06:04:16 +0000
Lukas Mezger
Nach dem italienischen Kulturgüterschutzgesetz ist eine spezielle Verwaltungsabgabe zu zahlen, wenn historische Gebäude und Kunstwerke abgebildet werden. Ein Urteil des Stuttgarter Landgerichts hat den kuriosen Gebührenforderungen nun endlich Grenzen gesetzt. Und das Kulturministerium in Rom ergänzte die Vorschrift immerhin um Ausnahmen für die Wissenschaft.
Seit dem Jahr 2004 enthält das italienische Kulturgüterschutzgesetz eine weltweit wohl einzigartige Vorschrift: Wer die Abbildung eines historischen Gebäudes oder Kunstwerks nutzen möchte, das zum Kulturerbe Italiens gezählt wird, muss dafür eine Abgabe zahlen. Das kann das Foto des römischen Kolosseums in einem Buch oder die Abbildung von Botticellis „Geburt der Venus“ auf einer Webseite sein. Die Regelung entspricht einer Lizenzgebühr – ungeachtet der Tatsache, dass der urheberrechtliche Schutz der verwendeten Werke freilich längst abgelaufen ist.
Die seltsame Norm fristet in der Praxis bislang ein Schattendasein. Vielen Nutzer:innen ist die Zahlungspflicht völlig unbekannt. Und die zuständigen staatlichen Kulturinstitutionen treiben die Gebühr nur äußerst selten ein. Einige prominente Fälle sind jedoch jedoch öffentlich geworden und zeigen, wie absurd die Regelung ist.
Deshalb gibt es an der Regelung auch vielstimmige Kritik. Insbesondere seitdem die Europäische Union 2019 das Recht zur freien Nutzung von Abbildungen gemeinfreier Kunstwerke anerkannt hat (in Art. 14 der DSM-Richtlinie), fordert unter anderem |die Organisation Communia, die Vorschrift aufzuheben|.
Zu den prominentesten Kritikern der Regelung gehört überraschenderweise der italienische Rechnungshof. Im vergangenen Jahr plante das italienische Kulturministerium, neue Gebühren-Mindestsätze einzuführen. Der Rechnungshof kritisierte daraufhin, dass die „Postkarten-Steuer“ den erklärten Bemühungen des italienischen Staates entgegenlaufe, Open Access zu fördern. Auch liege der freie Zugang zu digitalen Kulturgütern im wirtschaftlichen Interesse Italiens. Darüber hinaus verkenne die Gebührenpflicht „operative Besonderheiten des Internets“, also den kulturellen Wert, den das Teilen von Inhalten im Netz hat.
Eine Vielzahl von Verbänden und Organisationen schloss sich der Kritik an, |darunter auch Wikimedia Italia|. In der Wikipedia finden sich abertausende Fotos des reichen italienischen Kulturerbes – auch dank des großen Erfolgs des alljährlichen Fotowettbewerbs „Wiki Loves Monuments“. Wegen der bestehenden Rechtsunsicherheit kann dieser Wettbewerb in Italien nur mit erheblichem bürokratischem Aufwand durchgeführt werden.
Die Diskussion um die Vorschrift nimmt mitunter auch absurde Auswüchse an. So |untersagte ein italienisches Gericht der Männerzeitschrift GQ| im März 2023, ein Model in der Pose von Michelangelos „David“ auf dem Titelblatt abzubilden. Auch große italienischen Tageszeitungen griffen das Thema auf.
Im vergangenen Jahr schwappte die Debatte dann nach Deutschland. Ein staatliches Museum in Venedig hatte zunächst in Italien Klage gegen den Spieleverlag Ravensburger erhoben. Das schwäbische Unternehmen hatte die weltberühmte Zeichnung des „|Vitruvianischen Menschen|“ von Leonardo da Vinci aus dem 15. Jahrhundert auf einem Puzzle abgebildet.
Die venezianischen Gerichte gaben dem Museum Recht und verhängten gegen das Puzzle sogar einen weltweiten Verkaufsstopp. Dagegen erhob Ravensburger Klage vor dem Landgericht Stuttgart. Der Verlag wollte feststellen zu lassen, dass die Vergütungspflicht nur innerhalb Italiens besteht.
Das Verfahren erfuhr hierzulande nur wenig Aufmerksamkeit, hat aber große wirtschaftliche und praktische Bedeutung. Potenziell könnte eine große Zahl an Produkten in den Anwendungsbereich der italienischen Vorschrift fallen – von kunsthistorischen Nachschlagewerken bis zu alltäglichen Designs, die von italienischer Kunst inspiriert sind. Ravensburger allein vertreibt zahlreiche Produkte mit Motiven aus dem italienischen Kulturerbe. Bislang hat der Verlag jedoch nur den Vertrieb des von der Klage erfassten Puzzles eingestellt.
Im März dieses Jahres verkündete das Landgericht Stuttgart seine Entscheidung. Demnach kann die „Postkarten-Steuer“ im Ausland nicht geltend gemacht werden, da das italienische Kulturgüterschutzgesetz aufgrund des sogenannten Territorialitätsprinzips nur innerhalb Italiens Anwendung findet. Die Gebührenforderungen müssen sich deshalb auf den Vertrieb innerhalb Italiens beschränken, so das Gericht (|Az. 17 O 247/22|).
Wie |der SWR berichtete|, ist der Rechtsstreit damit aber nicht beendet. Das italienische Museum hat gegen das Urteil Berufung eingelegt. Daher bietet Ravensburger das Puzzle bislang auch noch nicht wieder an. Fest steht aber schon jetzt: Auf dem italienischen Markt wird der Verlag das Produkt auch nach der Gerichtsentscheidung nur verkaufen können, wenn er auch die geforderte Gebühr bezahlt.
Immerhin veranlasste die breite Kritik das italienische Kulturministerium im März dazu, die Gebührenvorschrift um Ausnahmen zu ergänzen. Demnach soll es fortan wenigstens zu wissenschaftlichen Zwecken erlaubt sein, italienische Kulturgüter kostenfrei abzubilden. Unternehmen wie Ravensburger wird das jedoch nur wenig helfen.
Anfang April kommentierte die Tageszeitung „Corriere della Sera“ das Stuttgarter Urteil und zitierte dabei den italienischen Kulturpolitiker Giuliano Volpe. Auf die Frage, ob das Gesetz nicht erforderlich sei, um das italienische Kulturerbe vor „unwürdigen“ Nutzungen zu schützen, entgegnete Volpe: „Schlechter Geschmack oder gar Vulgarität können nicht gesetzlich geregelt werden, dagegen muss man eher mit den Waffen der Kultur, der Bildung, aber auch der Ironie und Satire kämpfen.“ Mitunter münden solche Versuche des Gesetzgebers nämlich in Realsatire.
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|die Organisation Communia, die Vorschrift aufzuheben|
|darunter auch Wikimedia Italia|
|untersagte ein italienisches Gericht der Männerzeitschrift GQ|
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Fri, 03 May 2024 15:54:05 +0000
Daniel Leisegang
Die 18. Kalenderwoche geht zu Ende. Wir haben 13 neue Texte mit insgesamt 121.606 Zeichen veröffentlicht. Willkommen zum netzpolitischen Wochenrückblick.
Liebe Leser:innen,
heute ist Tag der Pressefreiheit und |es steht nicht gut um sie|. Laut Reporter ohne Grenzen haben sich die Bedingungen für journalistische Arbeit im vergangenen Jahr weltweit deutlich verschlechtert. Es gibt mehr Repression, mehr Zensur, mehr Überwachung. Alles andere als rosige Aussichten im Superwahljahr 2024, in dem rund die Hälfte der Weltbevölkerung dazu aufgerufen ist, wählen zu gehen.
Deutschland ist |im Ranking| ein paar Plätze nach oben gerückt. Das ist jedoch kein Grund zu größerer Freude. Zwar werden Journalist:innen hierzulande auf Demos seltener physisch angegriffen als im Vorjahr. Reporter ohne Grenzen geht jedoch weiterhin von einer hohen Dunkelziffer an Übergriffen aus. Vor allem aber verdankt sich das bessere Abschneiden dem Negativtrend in anderen Ländern.
Diesem Negativtrend will sich Europa offenkundig nicht verschließen. |Am Dienstag weichte der Europäische Gerichtshof| seine einst grundrechtsfreundliche Haltung zur Vorratsdatenspeicherung weiter auf. Die anlasslose Massenüberwachung ist demnach auch zulässig, um jegliche Art von Straftaten zu verfolgen – und sogar Urheberrechtsverletzungen.
Chloé Berthélémy vom Dachverband europäischer Digital-Rights-Organisationen (EDRi) sieht in dem EuGH-Urteil eine „traurige Wende“. Im politischen Kontext der zunehmenden Unterdrückung von Journalist:innen, Menschenrechtsverteidigern und der Zivilgesellschaft untergrabe das Gericht auf gefährliche Weise das Recht, online anonym zu bleiben, |so die Expertin|.
Bundesinnenministerin Faeser hingegen witterte umgehend Morgenluft. Der EuGH habe entschieden, so Faeser in einer Pressemitteilung, dass „eine Pflicht zur Speicherung von IP-Adressen zur Verbrechensbekämpfung nicht nur ausdrücklich zulässig ist, sondern auch zwingend erforderlich ist“. Der Zombie der anlasslosen Massenüberwachung ist damit in dieser Woche vollends auf die politische Bühne zurückgekehrt.
Wer angesichts solcher untoten Debatten etwas Positives sucht, sollte |unseren Longread der Woche| lesen. Die Gastautor:innen Maria Farrell und Robin Berjon plädieren darin für eine Verwilderung des Internets und damit für ein vielfältiges und selbstverwaltetes Netz jenseits der ummauerten Gärten der Tech-Giganten.
Habt ein wildes Wochenende!
Daniel
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Das Justizministerium will in seinem Eckpunkten zu einem Digitale-Gewalt-Gesetz auch Unternehmen schützen. Gerichtsentscheidungen machen deutlich, dass dieser Plan nicht mit dem Europarecht vereinbar ist. Ob und wann es zu einem Gesetz kommt, das Betroffene von digitaler Gewalt schützt, ist offen. Von Anne Roth –
|Artikel lesen|
Bibelverse und Babywindeln statt Doppelbelastung und Dauerstress: Der Content der „Tradwives“ weckt die Sehnsucht nach einem entspannteren Leben. Soziale Medien werden so zum Sprachrohr einer reaktionären Bewegung. Von Carla Siepmann –
|Artikel lesen|
Das Finanzamt hat den Hauptentwicklern von Mastodon die Gemeinnützigkeit aberkannt. Wer Digitalisierung und digitale Souveränität vorantreiben will, sollte die Entwicklung von freier und offener Software als gemeinnützig anerkennen. Ein Kommentar. Von Markus Reuter –
|Artikel lesen|
Immer wieder geraten Menschen oder Organisationen, die ethisch verantwortungsvoll Sicherheitslücken aufdecken, in den Fokus von strafrechtlichen Ermittlungen. Dieses Mal hat es Österreichs bekannteste Datenschutz-NGO epicenter.works erwischt. Die Ermittlungen wurden erst nach zwei Jahren eingestellt. Von Markus Reuter –
|Artikel lesen|
Die EU brauche strengere Regeln beim Einsatz von Staatstrojanern, fordert die NGO Civil Liberties Union for Europe in einem Bericht zur europäischen Medienlandschaft. Außerdem nehme das Vertrauen in Medien insgesamt ab – auch in Deutschland, wo die Presse verhältnismäßig viel Glaubwürdigkeit genießt. Von Tomas Rudl –
|Artikel lesen|
Kurz vor der Europawahl wird Meta verdächtigt, nicht genug gegen Desinformation zu tun. Die EU-Kommission befürchtet weitere Verstöße gegen den Digital Services Act, etwa erschwerten Datenzugang für Forscher:innen. Auch die Drosselung politischer Inhalte könnte regelwidrig sein. Von Maximilian Henning –
|Artikel lesen|
Der Europäische Gerichtshof ändert seine bisher grundrechtsfreundliche Haltung zur Vorratsdatenspeicherung und erlaubt in einem Urteil die anlasslose Überwachung sogar bei Urheberrechtsverletzungen. Grundrechte-Organisationen sind entsetzt und sprechen von einer „Wende“. Von Markus Reuter –
|Artikel lesen|
Der EuGH hat gerade den massenhaften und automatisierten Zugriff auf IP-Adressen genehmigt. Mit dem heutigen Urteil räumt das Gericht ein, dass es seine Rechtsprechung ändern wird, wenn seine Urteile nicht umgesetzt werden. Ein Gastkommentar. Von Gastbeitrag –
|Artikel lesen|
Das Internet ist zu einer ausbeuterischen und fragilen Monokultur geworden. Aber wir können es renaturieren, indem wir die Lehren von Ökologen nutzen. Von Gastbeitrag, Maria Farrell, Robin Berjon –
|Artikel lesen|
Im Juni wählt Europa ein neues Parlament und bekommt auch eine neue EU-Kommission. Deren alte Präsidentin wird wahrscheinlich auch die neue sein: Ursula von der Leyen. Was hat die mächtigste Frau der Welt in den vergangenen fünf Jahren netzpolitisch erreicht? Wir prüfen ihre Versprechen. Von Maximilian Henning –
|Artikel lesen|
Die Pressefreiheit steht weiterhin unter Druck. In vielen Regionen haben sich die Arbeitsbedingungen für Journalist:innen verschlechtert. Reporter ohne Grenzen warnt im weltweiten Superwahljahr vor weiteren Repressionen. Von Markus Reuter –
|Artikel lesen|
Die Suche im Internet gestaltet sich immer schwieriger. Ein Grund dafür sind sogenannte Affiliate-Links, mit denen Website-Anbieter auf einfache Weise Geld verdienen. Gegen deren Suchmaschinenoptimierung sind Dienste wie Google Search oder Microsoft Bing offenbar machtlos. Von Nora Nemitz –
|Artikel lesen|
Laut eigener Aussage nutzt die sächsische Polizei ein Gesichtserkennungssystem mit Echtzeit-Funktion. Einsätze erfolgen auch in Berlin. Dort macht der Senat erstmals technische Details bekannt. Von Matthias Monroy –
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|Am Dienstag weichte der Europäische Gerichtshof|
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Fri, 03 May 2024 15:50:12 +0000
Matthias Monroy
Laut eigener Aussage nutzt die sächsische Polizei ein Gesichtserkennungssystem mit Echtzeit-Funktion. Einsätze erfolgen auch in Berlin. Dort macht der Senat erstmals technische Details bekannt.
Bei der Videoüberwachung gehörte die Polizei in Sachsen schon immer zu den Pionieren. Leipzig war |die erste ||deutsche ||Stadt|, in der seit dem Jahr 1996 ein öffentlicher Platz am Bahnhof rund um die Uhr mit Kameras beobachtet wird. Ein Jahrzehnt später war das Bundesland |Vorläufer| bei der Überwachung mit fliegenden Kameras. Weitere zehn Jahre später beschaffte die Polizei in Görlitz und Zwickau in der Oberlausitz |stationäre und mobile Systeme zur Videoüberwachung|, die Kennzeichen und Gesichter aufnehmen und abgleichen können – letzteres allerdings retrograd, also im händischen Verfahren.
Vor wenigen Wochen |wurde bekannt|, dass die sächsische Polizei auch ein heimliches Observationssystem mit hochauflösenden Kameras und Gesichtserkennung einsetzt. Diese können entweder in parkenden Fahrzeugen verbaut oder stationär montiert werden. So kann die Polizei ermitteln, ob sich eine verdächtige Person an einem bestimmten Ort aufgehalten hat.
Details zur Funktionsweise unterliegen in Sachsen gemäß einer Polizeidienstvorschrift der Geheimhaltung, sagte ein Polizeisprecher auf Anfrage des „nd“. Ob es sich bei dieser „Observationstechnik für verdeckte Maßnahmen“ um Elemente des „Personen-Identifikations-Systems“ (PerIS) aus der Oberlausitz handelt, ist unklar. Jedoch gibt es Hinweise darauf: Der erste bekanntgewordene Einsatz der verdeckten Observationstechnik aus Sachsen erfolgte in Berlin im Bereich der „grenzüberschreitenden Bandenkriminalität“. Diese Ermittlungen führt die Polizeidirektion Görlitz, die das PerIS |als erste sächsische Behörde 2020 angeschafft hat|.
Für die Ermittlungen in Berlin hat das Landeskriminalamt aus Görlitz ein Amtshilfeersuchen an die Staatsanwaltschaft in der Hauptstadt gestellt. Das bestätigt die Berliner Senatsverwaltung für Inneres in der Antwort auf eine Kleine Anfrage des Linken-Abgeordneten Niklas Schrader, der auch innenpolitischer Sprecher der Fraktion ist. Darin finden sich auch technische Details zu der Anlage. Das mobile Überwachungssystem nimmt demnach Kennzeichen von durchfahrenden Kraftfahrzeugen sowie Gesichtsbilder der Fahrer:innen und Beifahrer:innen auf.
Die Aufnahmen werden mit bereits im System vorhandenen Lichtbildern abgeglichen. Diese Datenbank speist sich aus Bildern, die von Polizisten „händisch ausgewählt und manuell in das System eingepflegt“ werden. Ein automatischer Abgleich mit anderen polizeilichen oder europäischen Informationssystemen erfolgt angeblich nicht.
Das System kann Gesichtsbilder „mit der zeitlichen Verzögerung von wenigen Sekunden“ verarbeiten, wie die Berliner Staatsanwaltschaft bereits dem „nd“ mitgeteilt hatte. Alle im Umkreis erfassten Personen würden mit Bildern von Tatverdächtigen aus einem konkreten Ermittlungsverfahren abgeglichen, erklärte der Sprecher. Entdeckt die Software eine verdächtige Person, wird der Fund durch einen Polizeibeamten überprüft.
„Bei den wesentlichen technischen Komponenten beziehungsweise Details handelt es sich um ein System hochauflösender Kameras, die qualitativ sehr gute Bilder auch bei Dunkelheit und unter schlechten Witterungsbedingungen erstellen können“, erläutert nun der Berliner Innensenat. Einsätze der Technik erfolgten „zur Identifizierung von Tatverdächtigen und zur Aufhellung von Fluchtrouten und bei der Tat genutzten Wegen bekannter Tatverdächtiger“.
Um welche konkreten Verfahren es sich handelt, beantwortet der Senat nicht. In einem Fall werde wegen einer „internationalen Kraftfahrzeugverschiebung“ ermittelt, in dem anderen wegen eines schweren Raubes an einer Tankstelle. Diese Tat werde einer Gruppierung zur Last gelegt, die „regelmäßig bandenmäßig schwere Tresordiebstähle“ an Tankstellen begehen soll. Einer der Vorfälle sei „zu einem schweren Raub eskaliert“.
Als rechtliche Grundlage für den Einsatz der biometrischen Überwachung nennt die Berliner Staatsanwaltschaft den |Paragraf 98a der Strafprozessordnung|. Er erlaubt eine Rasterfahndung bei einer Straftat von erheblicher Bedeutung, wenn andere Methoden „erheblich weniger erfolgversprechend oder wesentlich erschwert“ wären. Nach diesem Gesetz dürfen alle von der Technik erfassten Personen „mit anderen Daten maschinell abgeglichen werden“.
Wie oft die Polizei Sachsen die „Observationstechnik für verdeckte Maßnahmen“ bereits eingesetzt hat und ob diese Einsätze erfolgreich waren, ist dort angeblich mangels Statistiken nicht bekannt. In Berlin habe es „bislang eine bestätigte Personenidentifizierung“ gegeben, heißt es in der Antwort.
Bei den Observationen mit Videokameras geraten sämtliche Personen im Umkreis ins polizeiliche Raster. Die Staatsanwaltschaft Berlin sieht darin „keine flächendeckende Überwachung“. Tobias Singelnstein, Professor für Strafrecht an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main, widerspricht: „Eine solche Maßnahme greift in erheblichem Maße in die Rechte von völlig Unbeteiligten ein, weil je nach Umständen eine Vielzahl von Personen erfasst wird“. Die Strafprozessordnung erlaube eine solche Maßnahme nicht.
Auch der Fragesteller Niklas Schrader steht der heimlichen Technik äußerst kritisch gegenüber: „Der Einsatz von biometrischer Gesichtserkennung von Polizeifahrzeugen aus ist ein schwerer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte auch von Unbetroffenen. Indem sich Berlin entsprechende Technik aus Sachsen ausleiht, werden Schritt für Schritt die Voraussetzungen geschaffen, diese flächendeckend durchzusetzen“, warnt der innenpolitische Sprecher der Berliner Linken und fordert vom Senat „ein deutliches Bekenntnis, vom Einsatz biometrischer Überwachung und auch der Ausweitung von polizeilicher Videoüberwachung im öffentlichen Raum Abstand zu nehmen“.
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|stationäre und mobile Systeme zur Videoüberwachung|
|als erste sächsische Behörde 2020 angeschafft hat|
|Paragraf 98a der Strafprozessordnung|
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Fri, 03 May 2024 13:28:16 +0000
Nora Nemitz
Die Suche im Internet gestaltet sich immer schwieriger. Ein Grund dafür sind sogenannte Affiliate-Links, mit denen Website-Anbieter auf einfache Weise Geld verdienen. Gegen deren Suchmaschinenoptimierung sind Dienste wie Google Search oder Microsoft Bing offenbar machtlos.
Die Google-Suche, so inzwischen |ein| |weitverbreiteter| |Eindruck|, spuckt längst nicht mehr so gute Ergebnisse aus wie noch vor wenigen Jahren. Wer beispielsweise nach hochwertigen Kopfhörern oder schönen Reisezielen sucht, erhält als Suchergebnis vor allem Links auf kommerzielle Blogs oder Vergleichsportale.
Die dortigen Texte sind in den meisten Fällen nicht sonderlich aussagekräftig – und zunehmend ist fraglich, ob sie von einem Menschen geschrieben wurden. Die Produktempfehlungen sind oft mit einem Link versehen, der einen zu Amazon oder einem anderen kommerziellen Anbieter weiterleitet.
Insofern sind die Seiten kaum mehr als ein Zwischenstopp auf dem Weg zum Händler.
Den Eindruck, dass Internetsuchen in den vergangenen Jahren qualitativ schlechter geworden sind, bestätigt auch |eine Studie von Forscher*innen der Universität Leipzig und der Bauhaus-Universität Weimar|.
Für die Dauer eines Jahres haben die Wissenschaftler:innen knapp 7.400 Abfragen zu Produktbewertungen beobachtet. Dabei konzentrierten sie sich nach eigenen Angaben „auf die Suche nach Produktbewertungen, die wir aufgrund des inhärenten Interessenkonflikts zwischen Nutzern, Such- und Inhaltsanbietern als besonders anfällig für Affiliate-Marketing betrachten.“
Die Studienergebnisse veröffentlichten die Forschenden zu Beginn dieses Jahres. Demnach sind Webseiten, die Produkte vergleichen und zu kommerziellen Anbietern verlinken, maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Internetsuche schlechter wird. Und nicht nur Google ist davon betroffen, sondern laut den Wissenschaftler:innen auch Microsoft Bing und DuckDuckGo.
Die entsprechenden Webseiten bieten Inhalte an, die mit sogenannten Affiliate-Links versehen sind. Klicken Seitenbesucher:innen auf diese Links und kaufen dann ein entsprechendes Produkt, verdienen die Betreiber der Affiliate-Seiten zwischen 5 und 15 Euro pro Kauf.
Kleineren Bloggern kann dies durchaus dabei helfen, mit ihrer Website Einnahmen zu erzielen. Daneben gibt es jedoch inzwischen weitaus mehr Seiten, die nichts anderes als Affiliate-Link-Farmen sind.
Diese Seiten präsentieren meist eine Fülle an Produkten und versehen dieses mit Affiliate-Links zu verschiedenen Händlern, die dieses Produkt anbieten. Abgesehen von den Werbeinhalten und den Links sind diese Seiten relativ inhaltsleer.
Darüber hinaus sind Affiliate-Links oft auch auf Kochseiten wie Chefkoch.de zu finden. Seiten ohne Affiliate-Links, die etwa auf Angebote von Supermärkten verweisen, sind meistens sehr viel weiter unten auf der Suchseite zu finden.
Damit Internetnutzer:innen auf die Webseiten kommen, betreiben deren Betreiber gezielt Suchmaschinenoptimierung (SEO). Sie halten ihre Website fortwährend auf dem neuesten Stand, passen sie aktuellen Suchtrends an und aktualisieren dafür Textüberschriften sowie Metadaten.
Bei alledem achten die Betreiber insbesondere darauf, eine möglichst breite Palette potenzieller Suchbegriffe abzudecken. Auf diese Weise gelingt es ihnen, dass ihre Webseiten in den Ergebnissen der Google-Suche relativ weit oben angezeigt werden, ohne dass die Seitenbetreiber dafür viel Geld investieren müssen.
Google und andere Suchmaschinenbetreiber bemühen sich offenbar darum, gegen diese Art der gezielten SEO vorzugehen. So zeigt die Studie, dass die Flut an Affiliate-Link-Webseiten in den oberen Suchergebnissen nach jedem internen Update der Google-Suche vorübergehend zurückging. Das Ganze gleicht jedoch einem Katz- und Maus-Spiel. Denn schon nach relativ kurzer Zeit füllte sich die erste Ergebnisseite wieder mit den Seiten der Affiliate-Link-Farmen.
Solange Google dieses Problem nicht nachhaltig in den Griff bekommt, solange die Nutzer:innen der Suche auch qualitativ schlechtere Suchergebnisse erhalten – gespickt mit Webseiten, die kaum relevanten Inhalt enthalten, und die nur einem Zweck dienen: dem Seitenbetreiber Einnahmen zu bescheren.
Immerhin kennzeichnen viele Anbieter ihre Inhalte als kommerzielles Angebot, etwa indem sie Affiliate-Links mit dem Symbol eines Einkaufswagens versehen. So erhalten die Besucher:innen dieser Seiten eine Ahnung davon, dass der Anbieter mit ihren Klicks Geld verdient. Und zugleich bestätigt sich damit einmal mehr auch bei ihnen der Eindruck, dass die Google-Suche immer schlechter wird.
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|eine Studie von Forscher*innen der Universität Leipzig und der Bauhaus-Universität Weimar|
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Fri, 03 May 2024 10:18:59 +0000
Markus Reuter
Die Pressefreiheit steht weiterhin unter Druck. In vielen Regionen haben sich die Arbeitsbedingungen für Journalist:innen verschlechtert. Reporter ohne Grenzen warnt im weltweiten Superwahljahr vor weiteren Repressionen.
Die Lage der Pressefreiheit hat sich im weltweiten Vergleich noch einmal deutlich verschlechtert. Dies geht aus der |Rangliste der Pressefreiheit 2024 von Reporter ohne Grenzen (RSF)| hervor. Der jährlich erscheinenden Analyse zufolge befanden sich im vergangenen Jahr 36 Länder in der schlechtesten Wertungskategorie – so viele wie seit mehr als zehn Jahren nicht. Unabhängige journalistische Arbeit ist in solchen Ländern praktisch unmöglich.
Auf den hintersten Plätzen der Rangliste befinden sich das nun von den Taliban regierte Afghanistan, sowie Syrien und die |„Informationswüste“ Eritrea|, welche den 180. und damit letzten Platz belegt. Auch in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion verschlechterte sich die Lage weiter. Russland, Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Aserbaidschan befinden sich unter den letzten 35 Plätzen auf der Rangliste. Einer der größten Absteiger ist Georgien, das auf Platz 103 abrutschte. Die Regierungspartei „Georgischer Traum“ verfolgt |eine pressefeindliche Politik| und will gerade |ein Gesetz zu „Ausländischen Agenten“ nach russischem Vorbild| einführen. Einzig in der Ukraine hat sich die Lage – trotz Krieg – verbessert.
Schlecht sieht es für die Pressefreiheit auch im asiatisch-pazifischen Raum aus, wo mit Afghanistan, China, Vietnam, Myanmar und Nordkorea gleich fünf Länder unter den letzten zehn Plätzen rangieren. Aber auch auf den Philippinen, in Kambodscha und Malaysia sind Medien zunehmend unter Druck. Indien steht unter dem |immer autoritärer regierenden Narendra Modi| nur noch auf Platz 159 weltweit.
Doch es gibt auch Lichtblicke: So konnten laut RSF Länder wie Timor-Leste (20), Samoa (22) und Taiwan (27) ihren Status als regionale Vorbilder in Sachen Pressefreiheit behaupten.
Auch in Nahost und Nordafrika sieht es eher düster aus. Lediglich Katar ist mit Platz 84 unter den Top 100, Israel ist mittlerweile auf Platz 101 abgerutscht. Länder wie Syrien (179), Iran (176), Saudi-Arabien (166) und Ägypten (170) sind unter den 20 Ländern, in denen die Pressefreiheit weltweit am stärksten eingeschränkt ist.
Besonders schwierig ist die Lage derzeit im Sudan (149) wegen des Bürgerkriegs. Spitzenreiter der Region Subsahara ist Mauretanien auf dem 33. Platz.
In vielen Ländern Lateinamerikas leben Journalist:innen gefährlich, so etwa in Mexiko (121). In keinem anderen Land, das sich nicht im Krieg befindet, werden so viele Journalisten ermordet. Abgestürzt in der Wertung ist auch Argentinien (66), wo mit dem neuen Präsidenten Javier Milei ein ausgemachter Gegner der Presse die Bühne betreten hat.
In Europa ist die Lage hingegen im Gesamtbild gut, aber durchwachsen. So konstatiert RSF pressefeindliche Tendenzen in der Slowakei (29) und Ungarn (67), sowie eine schwierige Lage der Presse in Griechenland (88), wo es zu einem |Abhörskandal gegen Journalisten| kam. Unter politischem Druck steht laut RSF unabhängiger Journalismus in Bosnien und Herzegowina (81), Serbien (98) und Albanien (99). Schlusslicht der Region ist die Türkei auf dem 158. Platz.
Deutschland steht hingegen auf Platz 10 und hat sich vom 21. Platz verbessert. Die Situation in Deutschland habe sich aber nur geringfügig verbessert und auch nur in der Kategorie Sicherheit, schreibt RSF. Der Sprung auf Ranglistenplatz 10 sei zudem auch der Tatsache geschuldet, dass sich andere Länder auf der Rangliste verschlechtert hätten.
Besorgniserregend in Deutschland sei weiterhin die Gewalt gegen Medienschaffende: RSF verifizierte für das Jahr 2023 insgesamt 41 Übergriffe auf Journalistinnen und Reporter. Im Vorjahr lag die Zahl noch bei 103 – ein Negativrekord –, im Jahr 2021 bei 80. |Laut RSF| fanden 18 dieser 41 Übergriffe während Kundgebungen von Verschwörungstheoretikern oder extremen Rechten statt.
Besonderes Augenmerk legt RSF in diesem Jahr auf die Lage der Pressefreiheit im Umfeld von Wahlen. Diese führen regelmäßig dazu, dass Journalist:innen festgenommen, beschimpft und bedroht werden. Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung sei 2024 an die Wahlurnen gerufen – und in solchen Zeiten leben Journalist:innen besonders gefährlich.
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|Rangliste der Pressefreiheit 2024 von Reporter ohne Grenzen (RSF)|
|eine pressefeindliche Politik|
|ein Gesetz zu „Ausländischen Agenten“ nach russischem Vorbild|
|immer autoritärer regierenden Narendra Modi|
|Abhörskandal gegen Journalisten|
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Thu, 02 May 2024 07:20:50 +0000
Maximilian Henning
Im Juni wählt Europa ein neues Parlament und bekommt auch eine neue EU-Kommission. Deren alte Präsidentin wird wahrscheinlich auch die neue sein: Ursula von der Leyen. Was hat die mächtigste Frau der Welt in den vergangenen fünf Jahren netzpolitisch erreicht? Wir prüfen ihre Versprechen.
Große Krisen, große Worte, große Vorhaben. So lässt sich Ursula von der Leyens Amtszeit als Präsidentin der EU-Kommission zusammenfassen. „Eine Union, die mehr erreichen will“, das versprach die CDU-Politikerin vor fünf Jahren in ihren politischen Leitlinien für die neue Kommission. Von der Leyen, kurz VdL, war damals die Überraschungskandidatin für den Posten als Präsidentin. Ihre Kandidatur war das |Ergebnis eines Politdramas|, an dessen Ende sie die Unterstützung aller EU-Regierungschefs erhielt. Das düpierte EU-Parlament konnte die Entscheidung nur noch abnicken, zähneknirschend und mit einer hauchdünnen Mehrheit.
Denn eigentlich sollte nach der letzten Europawahl der CSU-Politiker Manfred Weber |Kommissionspräsident werden|. Das hatte zumindest das Parlament vorab gefordert, um den Prozess demokratischer zu machen: Weber war Chef der Europäischen Volkspartei und Spitzenkandidat der Konservation, die die EU-Wahl gewonnen hatten. Doch die Mitgliedstaaten spielten ihre übliche Rolle im EU-Gefüge und verhinderten das. Victor Orban soll ein Wörtchen mitgeredet haben, ebenso wie Emmanuel Macron. Am Ende wurde es Webers Parteikollegin von der Leyen.
Diese war damals noch deutsche Verteidigungsministerin und im Amt mäßig erfolgreich. Als Kommissionspräsidentin hatte sie mit großen Krisen zu kämpfen, die Corona-Pandemie und der russische Angriffskrieg prägten die vergangenen fünf Jahre. Doch auch ambitionierte Digitalprojekte, allen voran der Kampf gegen die Macht der großen Tech-Konzerne aus Übersee, standen auf ihrer |Agenda|. Es gab sehr viele Vorhaben, zu viele für einen Text. Wir beschränken uns deshalb hier auf die, die sie in ihrer Agenda angekündigt hatte. Soviel sei zu ihnen schon einmal verraten: Während von der Leyen sich das Erreichen wichtiger Meilensteine auf die Fahne schreiben kann, blieb sie bei digitalen Grund- und Bürgerrechten hinter den großen Worten zurück.
Das wichtigste digitalpolitische Vorhaben der VdL-Kommission war wohl das Mammutgesetz für Digitale Dienste. Dieses ist zwar, wie wir damals kommentierten, |weder ein Plattformgrundgesetz| noch |eine Revolution|, aber trotzdem eine sehr wichtige Neuregelung der großen Online-Plattformen. Das Gesetz soll unter anderem Haftung und Sicherheit von Sozialen Medien verbessern und Plattformkonzerne stärker in die Pflicht nehmen. Wie gut das gelingt, wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen. In den ersten Monaten, in denen das Gesetz vollständig gültig war, ging die Kommission jedenfalls bereits hart gegen Plattformen vor, die sich nicht an die Regeln hielten.
Das Schwestergesetz ist das Gesetz für Digitale Märkte, auf Englisch Digital Markets Act (DMA). Das hat einige seiner Ziele übernommen, etwa bessere Regeln für Produkte. Wenn der DMA die |erhoffte Wirkung auf die Marktübermacht| dieser Unternehmen entfaltet, könnte es sogar das wichtigere der beiden Gesetze werden. Dabei war im Programm von der Leyens vom DMA noch gar keine Rede.
Zu den beiden Plattformgesetzen gesellt sich das Großvorhaben einer Verordnung zu Künstlicher Intelligenz. Eigentlich wollte von der Leyen bereits in den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit ein Gesetz vorschlagen, das Künstliche Intelligenz regulieren soll, gedauert hat es noch bis 2021. Ein Jahr später brachte der ChatGPT-Boom das Thema dann auf einmal ganz nach vorn auf die politische Agenda. Das Gesetz stand damals schon halb, musste noch einmal grundlegend erweitert werden und wäre auf den letzten Metern fast noch gescheitert. Am Ende kam es |ohne ausreichende Verbote| für biometrische Überwachung über die Ziellinie. Damit läuft die Verordnung Gefahr, großflächige Überwachung in Europa zu ermöglichen.
Für Menschen, die an Europas Außengrenzen ankommen, ist die umfassende Überwachung bereits Realität. Wer auf der Flucht etwa an der griechischen Grenze ankommt, musste bisher schon seine Fingerabdrücke preisgeben. Mit dem groß angelegten neuen Migrationspakt kommen dazu |nun auch noch biometrische Fotos|. Das ist zwar nur ein Teilaspekt der unter von der Leyens Führung verschärften Abschottungspolitik der EU gegen Geflüchtete. Doch für Migrant:innen kann das, wenn sie wegen ihrer Fingerabdrücke zurück in ein unsicheres Heimatland geschickt werden, den Tod bedeuten.
Die Tech-Riesen sind auch deshalb mächtig, weil sie Geld scheffeln. Meta, der Mutterkonzern von Facebook, machte im vergangenen Jahr einen Umsatz von umgerechnet 126 Milliarden Euro. Das entspricht ungefähr der gesamten Volkswirtschaft der Slowakei. Gleichzeitig bezahlten sie lange verschwindend geringe Steuern, durch kreative Unternehmensstrukturen und besondere Deals. Von der Leyen hatte angekündigt, dagegen vorgehen zu wollen: Steuern für Tech-Riesen sollten „ganz oben auf der Agenda“ stehen.
Das bezog sich besonders auf Verhandlungen bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, der OECD. Diese wurden 2021 abgeschlossen, Ergebnis war ein Deal aus zwei Teilen: Einerseits sollen die Gewinne großer Unternehmen in den Ländern besteuert werden, in denen sie sie erzielen. Andererseits soll es weltweite Minimalsteuer von 15% auf Unternehmen geben.
Die Minimalsteuer ist in der EU umgesetzt, die |entsprechende Richtlinie| gilt seit Anfang dieses Jahres. Schwieriger sieht es bei der Verteilung der Gewinne aus, denn hier sträuben sich die USA. Dort sitzen viele Tech-Riesen, das Land hätte also viel zu verlieren – und hat deshalb schon angekündigt, auf Steuern mit Strafzöllen zu reagieren. Der Prozess |verzögert sich deshalb momentan immer weiter|, wahrscheinlich bis nach der US-Präsidentschaftswahl. Das kann man von der Leyen nicht wirklich vorwerfen, aber Priorität hatte das Thema für sie auch nicht.
„Bei der Verteidigung unserer Grundwerte dürfen wir keine Kompromisse eingehen. Angriffe auf die Rechtsstaatlichkeit erschüttern die Union in ihren rechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Grundfesten.“ Vor ihrem Amtsantritt fand von der Leyen starke Worte zur Verteidigung der europäischen Werte – weniger stark war ihre Reaktion auf den Pegasus-Skandal. Medien und Nichtregierungsorganisationen hatten enthüllt, dass der Pegasus-Trojaner der israelischen NSO Group in mehreren Mitgliedstaaten, darunter Spanien und Polen, gegen Oppositionelle eingesetzt wurde.
Die Details dazu, ob und wie europäische Regierungen hier ihre eigenen Bürger:innen und politischen Feinde ausgespäht haben, wird die europäische Öffentlichkeit aber wahrscheinlich nie erfahren. Das EU-Parlament drängte mit einem |eigenen Untersuchungsausschuss| auf die Aufklärung des Skandals, den wir |intensiv begleitet haben|. |Die Kommission blieb trotzdem untätig|. Die Mitgliedstaaten verstecken sich hinter der Ausrede der nationalen Sicherheit – sobald die berührt ist, hat die EU nichts mehr zu melden. Nur |Polen| und seit neuestem auch |Spanien| arbeiten daran, die Spionage aufzuklären.
Mit aller Macht trieben die EU-Kommission und Innenkommissarin Ylva Johansson stattdessen das Vorhaben der |Chatkontrolle| voran: Um Darstellungen von Kindesmissbrauch und andere illegale Inhalte aufzuspüren, sollten mittels Client-Side-Scanning Chat-Nachrichten proaktiv durchsucht werden. Das Vorhaben dieser Massenüberwachung ist vorerst gescheitert, doch sicher nicht vom Tisch.
Von der Leyen hatte sich auch mehr Transparenz auf die Fahnen geschrieben. „Die Bürgerinnen und Bürger sollten wissen, mit wem wir – als die Organe, die ihnen dienen – uns treffen, mit wem wir diskutieren und welche Positionen wir vertreten“, hieß es in ihren Leitlinien. Tatsächlich veröffentlichen alle EU-Kommissar:innen und ihre leitenden Mitarbeiter:innen im EU-Transparenzregister, |mit wem sie sich zu welchen Themen treffen|. So etwas gibt es auf Bundesebene nicht. Per Informationsfreiheitsantrag kann auch jede Bürger:in die Protokolle dieser Treffen anfordern.
Nicht so genau nahm von der Leyen es aber mit der Transparenz, wenn es um ihre SMS ging. Die standen im Zentrum von „Pfizergate“, einem Skandal, den unser ehemaliger Kollege Alexander Fanta |losgetreten hat|. Er hatte per Informationsfreiheitsanfrage die SMS angefordert, die von der Leyen mit dem Chef von Impfstofflieferant Pfizer ausgetauscht hatte, um einen Lieferdeal einzufädeln. Die Kommission hat die SMS bis heute nicht herausgerückt, die Europäische Bürger:innenbeauftragte |hat sie dafür verwarnt|. Eine Klage der New York Times |läuft noch|.
Online-Plattformen gibt es nicht mehr nur für Videos oder Bilder, sondern zunehmend auch für Jobs. Vor zwei Jahren arbeiteten laut der Kommission noch 28 Millionen Europäer:innen auf Online-Plattformen, im 2025 sollen es schon 43 Millionen sein. Vor dem Amtsantritt hatte von der Leyen angekündigt, prüfen zu wollen, wie man die Arbeitsbedingungen dieser Menschen verbessern kann, „insbesondere im Hinblick auf Kompetenzen und Bildung.“
Daraus wurde dann ein wenig mehr – auch durch den Einsatz von Nicolas Schmit, dem sozialdemokratischen Arbeitskommissar von der Leyens. Statt einer vagen Erklärung für mehr Digitalkompetenz legte die Kommission einen ambitionierten Vorschlag für eine Richtlinie zur Plattformarbeit vor. Die sollte europaweit einheitliche Regeln gegen Scheinselbstständigkeit einführen, dazu noch neue Rechte bei algorithmischen Entscheidungen. Fast wäre das Vorhaben am Widerstand Frankreichs und der FDP gescheitert. Am Ende wurde es eine abgespeckte Richtlinie, die zwar |mehr Rechte für Plattformarbeiter:innen| bringt, aber den Mitgliedstaaten mehr Macht überlässt – die diese etwa unter Macron gegen Arbeiter:innen nutzen dürften.
Vom 6. bis 9. Juni wählen die Menschen in der EU ein neues Parlament. Es ist wahrscheinlich, dass Ursula von der Leyen danach weitere fünf Jahre Zeit bekommt, um die Geschicke der EU zu leiten. Am Montag |stellte sich von der Leyen| das erste Mal ihren Konkurrent:innen für den Posten als Kommissionspräsidentin. Sie ist diesmal offiziell Spitzenkandidatin der EVP, diese führt in Umfragen haushoch. Wenn nicht die Sozialdemokraten noch überraschend einen Turbo-Wahlkampf hinlegen oder die Mitgliedstaaten wieder eine andere Überraschungskandidatin aus dem Hut zaubern, wird es eine zweite VdL-Kommission geben.
Auf dem Papier kann Ursula von der Leyen eine ordentliche Bilanz vorweisen. Von den großen digitalpolitischen Brocken, die sie sich vorgenommen hatte – Plattformen neu regeln, Steuern auf ihre Gewinne erheben, die Grundwerte der EU verteidigen – hat sie viele umsetzen können. Doch nicht jede beschlossene Verordnung ist eine gute Verordnung, das zeigt sich besonders bei der KI-Verordnung. Wenn man Projekte auf Teufel komm heraus fertigstellen will, dann leidet oft die Qualität. Bei Einbauschränken heißt das, dass die Türen klappern – bei Gesetzen kann es bedeuten, dass sie massenhafte biometrische Überwachung ermöglichen.
So stark von der Leyens Ergebnisse im Ringen mit den US-Plattformkonzernen sind, so düster ist die digitalpolitische Bilanz bei den Grundwerten. Sollte sie eine zweite Amtszeit erreichen, hätte Ursula von der Leyen die Möglichkeit, ihren großen Worten hier Taten folgen zu lassen, vor allem bei Transparenz und Bürgerrechten.
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|erhoffte Wirkung auf die Marktübermacht|
|nun auch noch biometrische Fotos|
|verzögert sich deshalb momentan immer weiter|
|eigenen Untersuchungsausschuss|
|Die Kommission blieb trotzdem untätig|
|mit wem sie sich zu welchen Themen treffen|
|mehr Rechte für Plattformarbeiter:innen|
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Wed, 01 May 2024 06:00:09 +0000
Robin Berjon
Das Internet ist zu einer ausbeuterischen und fragilen Monokultur geworden. Aber wir können es renaturieren, indem wir die Lehren von Ökologen nutzen.
Der Text ist die Übersetzung des englischsprachigen Beitrags „|We Need To Rewild The Internet|“, der am 16. April im |Noema Magazine| erschienen ist.
„Das Wort für Welt ist Wald“ – Ursula K. Le Guin
Im späten 18. Jahrhundert begannen Beamte in Preußen und Sachsen damit, ihre vielschichtigen und vielfältigen Wälder in geradlinige Reihen mit nur einer Baumart umzugestalten. Für die dort lebenden Menschen waren die Wälder bis dahin eine Quelle für Nahrung, Weideland, Schutz, Medizin, Bettzeug und vieles mehr. Für den frühmodernen Staat waren sie hingegen lediglich eine Quelle für Holz.
Die sogenannte „wissenschaftliche Forstwirtschaft“ war einer der Wachstumsmotoren des Jahrhunderts, ein „Wachstums-Hack“. Sie erleichterte das Zählen, Vorhersagen und Ernten der Holzerträge und bedeutete, dass die Eigentümer nicht mehr auf qualifizierte lokale Förster angewiesen waren, um die Wälder zu bewirtschaften. An ihre Stelle traten weniger qualifizierte Arbeitskräfte, die einfache algorithmische Anweisungen befolgten, um die Monokulturen in Ordnung und das Unterholz kahl zu halten.
Informationen und Entscheidungsgewalt flossen nun direkt nach oben. Jahrzehnte später, als die ersten Plantagen abgeholzt waren, wurde Baum für Baum ein riesiges Vermögen gemacht. Die gerodeten Wälder wurden wieder aufgeforstet, in der Hoffnung, den Boom zu verlängern. |Was dann geschah|, wissen die Leserinnen und Leser des amerikanischen politischen Anthropologen für |Anarchie| und Ordnung, James C. Scott.
Die Katastrophe und ihre Folgen waren so schlimm, dass dafür ein neues Wort geprägt wurde: „Waldsterben“. Alle Bäume derselben Art und desselben Alters wurden von Stürmen niedergewalzt, von Insekten und Krankheiten heimgesucht – selbst die überlebenden Bäume waren spindeldürr und schwach. Die Wälder waren jetzt so kahl, dass sie fast tot waren. Die erste prächtige Ernte war nicht der Beginn unendlichen Reichtums, sondern eine einmalige Ausbeute von Bodenschätzen, die in Jahrtausenden durch biologische Vielfalt und Symbiose entstanden waren. Die Vielschichtigkeit der Wälder war die Gans, die goldene Eier legte, und sie wurde geschlachtet.
Diesen Drang, die Unordnung zu beseitigen, die das Leben erst widerstandsfähig macht, bezeichnen viele Naturschutzbiologen als ‚Pathologie des Befehlens und des Kontrollierens‘.
Die Geschichte der deutschen Forstwissenschaft vermittelt eine zeitlose Wahrheit: Wenn wir komplexe Systeme vereinfachen, zerstören wir sie, und die verheerenden Folgen werden manchmal erst dann erkannt, wenn es zu spät ist.
Diesen Drang, die Unordnung zu beseitigen, die das Leben erst widerstandsfähig macht, bezeichnen viele Naturschutzbiologen |als „Pathologie des Befehlens und des Kontrollierens“|. Heute hat derselbe Drang nach Zentralisierung, Kontrolle und Extraktion das Internet |in das gleiche Schicksal| geführt wie die verwüsteten Wälder.
In den 2010er Jahren, den Boomjahren des Internets, wurde vielleicht die erste glorreiche Ernte eingefahren, die eine einzigartige Fundgrube der Vielfalt ausgebeutet hat. Das komplexe Geflecht menschlicher Interaktionen, das in der anfänglichen technologischen Vielfalt des Internets gedieh, wird |nun in weltumspannenden Datenextraktionsmaschinen| gebündelt, die einigen wenigen ein riesiges Vermögen einbringen.
Unsere Online-Räume sind keine Ökosysteme, auch wenn die Technologie-Unternehmen |dieses Wort lieben|. Sie sind Plantagen – hochkonzentrierte und kontrollierte Umgebungen, die eher mit industriellen Rindermastanlagen oder Hühnerbatterien zu vergleichen sind, die die darin gefangenen Lebewesen in den Wahnsinn treiben.
Wir alle kennen das. Wir erleben es jedes Mal, wenn wir zum Smartphone greifen. Die meisten Menschen übersehen jedoch, dass diese Konzentration bis tief in die Infrastruktur des Internets hineinreicht – die Leitungen und Protokolle, Kabel und Netzwerke, Suchmaschinen und Browser. Diese Strukturen bestimmen, wie wir das Internet jetzt und in Zukunft aufbauen und nutzen.
Sie haben sich zu einer Reihe nahezu globaler Duopole zusammengeschlossen. Im April 2024 teilten sich beispielsweise die Internet-Browser von Google und Apple |fast 85 Prozent des Weltmarktes|, die beiden Desktop-Betriebssysteme von Microsoft und Apple |mehr als 80 Prozent|. Google wickelt |84 Prozent der weltweiten Internetsuchen| ab und Microsoft rund 3 Prozent. Etwas mehr als die Hälfte aller Mobiltelefone |stammen von Apple und Samsung|, und über 99 Prozent der mobilen Betriebssysteme basieren |auf Software von Google oder Apple|. Zwei Cloud-Computing-Anbieter, Amazon Web Services und Microsoft Azure, |vereinen mehr als 50 Prozent des weltweiten Marktes auf sich|. Die E-Mail-Clients von Apple und Google |verwalten fast 90 Prozent des weltweiten Mail-Verkehrs|. Google und Cloudflare wickeln rund die Hälfte der weltweiten Domain-Namen-Systemanfragen ab.
Zwei Arten von allem mögen ausreichen, um eine fiktive Arche zu füllen und eine zerstörte Welt wieder zu bevölkern, aber sie können kein offenes, globales „Netz der Netze“ betreiben, in dem jeder die gleichen Chancen auf Innovation und Wettbewerb hat. Kein Wunder also, dass die Internet-Ingenieurin Leslie Daigle die Konzentration der technischen Architektur des Internets |als „‚Klimawandel‘ des Internet-Ökosystems“ bezeichnet hat|.
Das Internet hat die Tech-Giganten erst möglich gemacht. Ihre Dienste haben sich dank seines offenen und interoperablen Kerns weltweit verbreitet. In den vergangenen zehn Jahren haben sie jedoch daran gearbeitet, die verschiedenen konkurrierenden, oftmals quelloffenen oder kollektiv bereitgestellten Dienste, auf denen das Internet beruht, in ihre eigenen Domänen einzuschließen. Dies verbessert zwar ihre operative Effizienz, verhindert aber auch, dass potenzielle Konkurrenten jene Bedingungen für sich nutzen können, unter denen die Tech-Giganten einst florieren konnten. Für die großen der Branche ist die lange Zeit der offenen Entwicklung des Internets vorbei. Ihr Internet ist kein Ökosystem mehr. Es ist ein Zoo.
Google, Amazon, Microsoft und Meta festigen ihre Kontrolle über die zugrundeliegende Infrastruktur durch Übernahmen, vertikale Integration, den Aufbau eigener Netzwerke, die Schaffung von Engpässen und die Konzentration von Funktionen aus verschiedenen technischen Schichten in einem einzigen Silo mit Kontrolle von oben nach unten. Sie können sich das leisten, weil sie von dem enormen Reichtum profitieren, den sie aus der einmaligen Ernte des kollektiven, globalen Reichtums gewonnen haben.
Die Abschottung der Infrastruktur und die Einführung einer technologischen Monokultur blockiert unsere Zukunft. Internetfachleute sprechen gerne vom „Stack“, der mehrschichtigen Architektur aus Protokollen, Software und Hardware, die von verschiedenen Dienstanbietern betrieben werden und das tägliche Wunder der Konnektivität ermöglichen. Es handelt sich um ein komplexes, dynamisches System, in dessen Kerndesign ein grundlegender Wert integriert ist: Die wichtigsten Funktionen werden getrennt gehalten, um Ausfallsicherheit und Universalität zu gewährleisten sowie Raum für Innovation zu schaffen.
Ursprünglich |vom US-Militär finanziert| und von Forschenden entwickelt, um in Kriegszeiten zu funktionieren, hat sich das Internet zu einem System entwickelt, das überall und unter allen Bedingungen funktioniert und von jeder Person genutzt werden kann, die eine Verbindung herstellen möchte. Doch was einst ein dynamisches, sich ständig weiterentwickelndes Tetris-Spiel |mit verschiedenen „Spielern“ und „Schichten“| war, ist heute zu einem kontinentübergreifenden System verdichteter tektonischer Platten erstarrt. Infrastruktur ist nicht nur das, was wir an der Oberfläche sehen, sondern auch die Kräfte, die darunter liegen, die Berge auftürmen und Tsunamis auslösen. Wer die Infrastruktur kontrolliert, bestimmt die Zukunft. Wer das bezweifelt, sollte bedenken, dass wir in Europa immer noch Straßen benutzen und in Städten leben, die das Römische Reich vor 2.000 Jahren gebaut hat.
Im Jahr 2019 schlugen einige Internet-Ingenieure in der Internet Engineering Task Force – dem globalen Gremium zur Festlegung von Standards – Alarm. Daigle, eine angesehene Ingenieurin und ehemalige Vorsitzende des Aufsichtsausschusses und des Internet Architecture Board, |schrieb in einem Strategiepapier|, die Konsolidierung bedeute eine Verknöcherung der Netzwerkstrukturen über den gesamten Stack hinweg. Dies erschwere es, die etablierten Betreiber zu verdrängen und verstoße zudem gegen ein Grundprinzip des Internets: dass es keine „dauerhaften Favoriten“ gebe. Konsolidierung verdrängt nicht nur den Wettbewerb. Sie schränkt auch die möglichen Beziehungen zwischen den Betreibern verschiedener Dienste ein.
Das komplexe Netz menschlicher Interaktionen, das in der anfänglichen technologischen Vielfalt des Internets gedieh, ist in den weltumspannenden Datenextraktionsmaschinen gefangen, die einigen wenigen ein riesiges Vermögen einbringen.
Daigle drückt es so aus: „Je mehr proprietäre Lösungen anstelle von kollaborativen, auf offenen Standards basierenden Lösungen entwickelt und eingesetzt werden, desto weniger wird das Internet als Plattform für künftige Innovationen erhalten bleiben.“ Die Konsolidierung untergräbt die Zusammenarbeit zwischen Diensteanbietern über den gesamten Stack hinweg, indem sie eine Reihe unterschiedlicher Beziehungen – wettbewerbsorientierte und kooperative – in eine einzige, räuberische Beziehung umwandelt.
Seitdem haben Organisationen, die für die Entwicklung von Standards zuständig sind, mehrere Initiativen gestartet, um die Konsolidierung der Infrastruktur als solche klar zu benennen und in Angriff zu nehmen. Allerdings sind alle Initiativen gescheitert. Die meisten Internet-Ingenieure mit ihrem technischen Detailwissen sahen den Wald vor lauter Bäumen nicht. Sie waren offenbar außerstande, sich von den Interessen ihrer Arbeitgeber und |den tief verwurzelten beruflichen Werten der Vereinfachung und Kontrolle| zu lösen.
Aus der Nähe erscheint das Internet zu kompliziert, um es zu entwirren, aus der Ferne zu unüberschaubar. Was aber wäre, wenn wir das Internet nicht als ein dem Untergang geweihtes „|Hyperobjekt|“ betrachten würden, sondern als ein beschädigtes und kämpfendes Ökosystem, das kurz vor der Zerstörung steht? Was wäre, wenn wir es nicht mit hilflosem Entsetzen über die unheimlichen Übergriffe seiner derzeitigen Beherrscher betrachten würden, sondern mit Mitgefühl, Konstruktivität und Hoffnung?
Technologen sind gut darin, schrittweise Lösungen zu finden. Aber um ganze Lebensräume zu regenerieren, müssen wir von den Ökologinnen und Ökologen lernen, die das ganze System betrachten. Ökologen wissen auch, wie man weitermacht, wenn andere einen erst ignorieren und dann sagen, es sei zu spät. Sie wissen, wie man mobilisiert und gemeinsam arbeitet. Und sie wissen, wie man Räume der Vielfalt und Resilienz schafft, die sie überdauern und Möglichkeiten für eine Zukunft im Überfluss schaffen, die sie sich zwar vorstellen, aber niemals kontrollieren können. Kurz gesagt: Wir müssen die Infrastruktur des Internets nicht reparieren. Vielmehr müssen wir sie neu verwildern lassen und damit wieder zum Leben erwecken. Im Englischen nennen wir das „Rewilding“.
Rewilding „zielt darauf ab, gesunde Ökosysteme wiederherzustellen, indem wilde, biodiverse Räume geschaffen werden“, |so die International Union for Conservation of Nature| (IUCN). Es ist ehrgeiziger und risikotoleranter als der traditionelle Naturschutz. Er zielt auf ganze Ökosysteme ab, um Raum für komplexe Nahrungsnetze und das Entstehen unerwarteter Beziehungen zwischen den Arten zu schaffen. Der Ansatz ist weniger an der Rettung einzelner bedrohter Arten interessiert. Sie sind nur Bestandteile des Ökosystems, und wenn man sich nur auf die Bestandteile konzentriert, verliert man den Blick für das Ganze. Ökosysteme gedeihen durch zahlreiche Verbindungen zwischen ihren vielen Elementen, genau wie Computernetzwerke. Und wie in Computernetzwerken sind die Interaktionen in Ökosystemen vielschichtig und generativ.
Rewilding hat Menschen, die sich für das Internet interessieren, viel zu bieten. Wie Paul Jepson und Cain Blythe |in ihrem Buch| „Rewilding: The Radical New Science of Ecological Recovery“ (zu Deutsch: Die radikale neue Wissenschaft der ökologischen Wiederherstellung) schreiben, achtet Rewilding „auf die sich entwickelnden Eigenschaften der Interaktionen zwischen den ‚Dingen‘ in den Ökosystemen … ein Übergang vom linearen zum systemischen Denken“.
Es ist eine grundsätzlich positive und handwerkliche Herangehensweise an ein scheinbar unlösbares Problem. Es ist kein Mikromanagement. Es schafft Raum für „ökologische Prozesse, die komplexe und sich selbst organisierende Ökosysteme fördern“. Rewilding setzt in die Praxis um, was jede gute Managerin und jeder gute Manager weiß: Stell die besten Leute ein, gib ihnen das, was sie brauchen, um zu gedeihen, und lass sie dann in Ruhe. Es ist das Gegenteil von Befehl und Kontrolle.
Die Transformation des Internets ist mehr als eine Metapher. Es ist ein Rahmen und ein Plan. Es bietet uns eine neue Sicht auf das verhängnisvolle Problem der Ausbeutung und Kontrolle sowie neue Mittel und Verbündete, um dieses Problem zu lösen. Es erkennt an, dass die Abschaffung von Internetmonopolen nicht nur ein intellektuelles Problem ist, sondern auch ein emotionales. Es beantwortet Fragen wie: Wie können wir weitermachen, wenn die Monopolisten mehr Geld und Macht haben? Wie können wir kollektiv handeln, wenn sie unsere gemeinsamen Räume, Finanzmittel und Netzwerke unterwandern? Und wie können wir unseren Verbündeten vermitteln, wie eine Lösung aussehen und sich anfühlen wird?
Rewilding ist eine positive Vision für die Netzwerke, in denen wir leben wollen, und eine gemeinsame Geschichte, wie wir dorthin gelangen. Es pflanzt einen neuen Baum auf dem müden alten Bestand der Technologie.
Die Ökologie ist mit komplexen Systemen vertraut, wovon Technologen profitieren können. Sie hat vor allem Erfahrungen damit, dass |sich Grundlinien verschieben|.
Wer in den 1970er Jahren geboren ist, erinnert sich wahrscheinlich an viel mehr tote Insekten auf der Windschutzscheibe des Autos der Eltern als auf der eigenen Scheibe heute. Die Populationen landlebender Insekten |gehen weltweit um etwa 9 % pro Jahrzehnt zurück|. Wenn du ein Geek bist, hast du wahrscheinlich deinen eigenen Computer programmiert, um einfache Spiele zu entwickeln. Sicherlich erinnerst du dich an ein Internet, in dem es mehr zu lesen gab |als die gleichen fünf Websites|. Vielleicht hattest du sogar ein eigenes Blog.
Aber viele Menschen, die nach dem Jahr 2000 geboren sind, halten wahrscheinlich eine Welt für normal, in der es nur wenige Insekten und wenige Umgebungsgeräusche durch Vögel gibt – und in der nur einige wenige soziale Medien und Messaging-Apps statt das ganze Internet genutzt werden. Wie Jepson und Blythe schreiben, verschieben sich die Grundlinien, „wenn jede Generation die Natur, die sie in ihrer Jugend erlebt hat, als normal ansieht und damit unwissentlich den Rückgang und die Schäden akzeptiert, die vorangegangene Generationen angerichtet haben“. Der Schaden ist bereits vorprogrammiert. Er scheint sogar naturgegeben zu sein.
Die Ökologie weiß, dass die Verschiebung der Grundlinien die kollektive Dringlichkeit dämpft und die Gräben zwischen den Generationen vertieft. Menschen, die Monokultur und Kontrolle im Internet ablehnen, werden oft als Nostalgiker bezeichnet, die sich nach den Pionierzeiten zurücksehnen. Es ist verdammt schwierig, eine offene und wettbewerbsfähige Infrastruktur für jüngere Generationen zu schaffen, die mit der Vorstellung aufgewachsen sind, dass das Internet aus zwei oder drei Plattformen, zwei App-Stores, zwei Betriebssystemen, zwei Browsern, einem Cloud-/Megastore und einer einzigen Suchmaschine für die ganze Welt besteht. Wenn das Internet für dich ein riesiges, in den Himmel ragendes Silo ist, in dem du lebst, und das Einzige, was du von außen sehen kannst, ein anderes riesiges, in den Himmel ragendes Silo ist, wie kannst du dir dann etwas anderes vorstellen?
Konzentrierte digitale Macht führt zu den gleichen Symptomen, die Befehl und Kontrolle in biologischen Ökosystemen hervorrufen: akute Not, unterbrochen von plötzlichen Zusammenbrüchen, sobald Kipppunkte erreicht werden. Wie weit müssen wir gehen, damit Rewilding gelingt? Es ist eine Sache, Wölfe wieder in dem knapp 3.500 Quadratmeilen großen Yellowstone-Park |wieder anzusiedeln|, und eine ganz andere, etwa 20 Quadratmeilen eines Poldergebietes abzuriegeln – Land, das von einem Gewässer zurückgewonnen wurde, bekannt als Oostvaardersplassen in der Nähe von Amsterdam. Der große und vielfältige Yellowstone ist wahrscheinlich komplex genug, um sich an Veränderungen anzupassen, aber Oostvaardersplassen |hat damit zu kämpfen|.
In den 1980er Jahren versuchte die niederländische Regierung, einen Teil der überwucherten Oostvaardersplassen zu regenerieren. Ein unabhängiger Ökologe der Regierung, Frans Vera, prognostizierte, dass Schilf und Gestrüpp vorherrschen würden, wenn die inzwischen ausgestorbenen Pflanzenfresser sie nicht abweiden würden. Statt der alten Auerochsen führte die staatliche Forstverwaltung |deutsche Heckrinder| ein, die für ihre schlechte Laune bekannt sind, und statt des ausgestorbenen Steppenponys eine polnische halbwilde Rasse.
Rund 30 Jahre später, als es keine natürlichen Raubtiere mehr gab und Pläne für einen Wildtierkorridor zu einem anderen Reservat gescheitert waren, gab es viel mehr Tiere, als die spärliche Wintervegetation vertragen konnte. Die Menschen |waren entsetzt| über die verhungerten Kühe und Ponys, und 2018 führten die Behörden Tierschutzkontrollen und Keulungen ein.
Es reichte nicht aus, nur die Uhr zurückzudrehen. Der Teil der Oostvaardersplassen war zu klein und zu isoliert, um sich selbst überlassen und wieder verwildert zu werden. Da die Tiere nirgendwo anders hin konnten, waren Überweidung und Zusammenbruch unvermeidlich – eine ernüchternde, aber notwendige Lektion. Rewilding ist ein kontinuierlicher Prozess. Es geht nicht darum, Ökosysteme in ein mythisches Eden zurückzuversetzen. Vielmehr versuchen die Renaturierer, die Widerstandsfähigkeit der Ökosysteme wiederherzustellen, indem sie autonome natürliche Prozesse in Gang setzen und in großem Maßstab ablaufen lassen, um Komplexität zu erzeugen. „Rewilding“ ist jedoch selbst ein Eingriff des Menschen und kann mehrere Schritte erfordern, um erfolgreich zu sein.
Unsere Online-Räume sind Plantagen – hochkonzentrierte und kontrollierte Umgebungen, die eher mit industriellen Rindermastanlagen oder Hühnerbatterien zu vergleichen sind, die die darin gefangenen Lebewesen in den Wahnsinn treiben.
Was auch immer wir tun, das Internet wird nicht zu den alten, damals üblichen Schnittstellen wie FTP und Gopher zurückkehren, oder dazu, dass Unternehmen wieder ihre eigenen Mailserver betreiben, anstatt Lösungen von der Stange wie die G-Suite zu verwenden. Aber einiges von dem, was wir brauchen, ist bereits da, vor allem im Web. Schauen wir uns nur das Wiederaufleben von RSS-Feeds, E-Mail-Newslettern und Blogs an, weil wir – wieder einmal – feststellen, dass die Abhängigkeit von einer einzigen Anwendung für globale Konversationen zu einer einzigen Fehlerquelle und Kontrolle führt. Es entstehen neue Systeme, wie das |Fediverse| mit seinen föderierten Inseln oder Bluesky |mit seiner algorithmischen Auswahl| und |Moderation|.
Wir wissen nicht, was die Zukunft bringen wird. Unsere Aufgabe ist es, so viele Möglichkeiten wie möglich offen zu halten und darauf zu vertrauen, dass diejenigen, die später kommen, sie nutzen werden. Anstatt Reinheitstests durchzuführen, um herauszufinden, welche Art von Internet dem ursprünglichen am ähnlichsten ist, können wir Änderungen anhand der Werte des ursprünglichen Designs testen. Schützen die neuen Standards die „Allgemeinheit“ des Netzes, das heißt seine Fähigkeit, mehrere Verwendungszwecke und Anwendungen zu unterstützen, oder schränken sie die Funktionalität ein, um die Effizienz für die größten Technologieunternehmen zu optimieren?
|Bereits 1985 schrieben| die Pflanzenökologen Steward T.A. Pickett und Peter S. White in „The Ecology of Natural Disturbance and Patch Dynamics“, dass ein „wesentliches Paradoxon des Naturschutzes darin besteht, dass wir versuchen zu erhalten, was sich verändern muss“. Einige Internet-Ingenieure sind sich dessen bewusst. David Clark, ein Professor am Massachusetts Institute of Technology, der an einigen der ersten Protokolle des Internets mitwirkte, hat ein ganzes Buch über alternative Netzwerkarchitekturen |geschrieben|, die hätten entwickelt werden können, wenn die Schöpfer des Internets anderen Werten wie Sicherheit oder zentraler Verwaltung Vorrang eingeräumt hätten.
Aber unser Internet hat sich durchgesetzt, weil es als Allzwecknetz konzipiert wurde, um alle miteinander zu verbinden.
Unser Internet wurde entwickelt, um komplex und unüberwindbar zu sein, um Dinge zu tun, die wir uns noch gar nicht vorstellen können. Als wir Clark interviewten, sagte er uns: „‚Komplex‘ bedeutet ein System, in dem es ein sich entwickelndes Verhalten gibt, ein System, dessen Ergebnisse nicht modellieren werden können. Ihre Intuitionen können falsch sein. Aber ein zu einfaches System bedeutet verpasste Gelegenheiten.“ Alles, was wir gemeinsam schaffen und was es wert ist, ist komplex und damit ein wenig unübersichtlich. Die Risse sind der Ort, an dem neue Menschen und neue Ideen eintreten.
Die Internet-Infrastruktur ist ein erodiertes Ökosystem, aber sie ist auch eine gebaute Umgebung, wie eine Stadt. Ihre Unvorhersehbarkeit macht sie generativ, wertvoll und zutiefst menschlich. 1961 |argumentierte Jane Jacobs|, eine amerikanisch-kanadische Aktivistin und Autorin von „The Death and Life of Great American Cities“, dass gemischt genutzte Stadtviertel sicherer, glücklicher, wohlhabender |und lebenswerter seien| als Viertel, die den sterilen, |stark kontrollierenden Entwürfen| von Stadtplanern wie Robert Moses in New York nachempfunden sind.
Als eine von oben nach unten aufgebaute Umgebung ist das Internet zu etwas geworden, das uns widerfährt, und nicht zu etwas, das wir jeden Tag gemeinsam neu gestalten.
Genau wie die von Kriminalität geplagten, Le-Corbusier-ähnlichen Türme, in die Moses die Menschen pferchte, als er gemischte Stadtviertel abriss und Autobahnen durch sie hindurch errichtete, ist das heutige von oben nach unten aufgebaute, konzentrierte Internet für viele ein unangenehmer und schädlicher Ort. Seine Besitzer sind schwer zu vertreiben, und ihre Interessen stimmen nicht mit unseren überein.
Wie Jacobs schreibt: „Wie in allen Utopien hatten nur die verantwortlichen Planer das Recht, Pläne von Bedeutung zu haben.“ Als eine von oben nach unten aufgebaute Umgebung ist das Internet zu etwas geworden, das uns widerfährt, und nicht zu etwas, das wir jeden Tag gemeinsam neu gestalten.
Ökosysteme existieren, weil die Arten sich gegenseitig kontrollieren und ausbalancieren. Es gibt verschiedene Formen der Interaktion, nicht nur Extraktion, sondern auch Reziprozität, Gemeinschaft, Konkurrenz und Raubtiere. In florierenden Ökosystemen sind den Raubtieren |Grenzen gesetzt|. Sie sind nur ein Teil eines komplexen Netzwerks, das Kalorien weitergibt, und keine Einbahnstraße, die zum Ende der Evolution führt.
|Am 18. Juli 2001 entgleisten| 11 Waggons eines aus 60 Waggons bestehenden Güterzugs im Howard Street Tunnel unter dem Stadtteil Mid-Town Belvedere, nördlich der Innenstadt von Baltimore. Innerhalb weniger Minuten wurde ein Waggon beschädigt, der mit einer hochentzündlichen Chemikalie beladen war. Die auslaufende Chemikalie entzündete sich, und schon bald standen benachbarte Waggons in Flammen. Es dauerte fünf Tage, bis das Feuer gelöscht war.
Die Katastrophe vervielfachte sich und breitete sich aus. Die dicken, gemauerten Tunnelwände |wirkten wie ein Ofen|, und die Temperaturen stiegen auf über 1.000 Grad Celsius. Eine große Wasserleitung über dem Tunnel brach und überflutete ihn innerhalb weniger Stunden mit Millionen von Litern Wasser. Er kühlte sich nur wenig ab. Drei Wochen später |sprengte eine Explosion|, die mit der brennbaren Chemikalie in Verbindung gebracht wurde, Kanaldeckel |in bis zu eineinhalb Kilometern Entfernung|.
WorldCom, damals der zweitgrößte Ferngesprächsanbieter der USA, hatte in einem der Tunnel Glasfaserkabel verlegt, über die ein Großteil des Telefon- und Internetverkehrs verlief. Laut dem MIT-Professor Clark bedeutete die Ausfallplanung von WorldCom jedoch, dass der Datenverkehr in Erwartung eines solchen Ereignisses auf verschiedene Glasfasernetze verteilt wurde.
Auf dem Papier verfügte WorldCom über eine redundantes Netz. Doch fast unmittelbar nach der Katastrophe |verlangsamte sich| der Internetverkehr in den USA, und die Telefonleitungen von WorldCom an der Ostküste und über den Atlantik fielen aus. Die enge Topographie der Region hatte all diese verschiedenen Glasfasernetze auf einen einzigen Engpass konzentriert, den Howard Street Tunnel. Die Widerstandsfähigkeit von WorldCom war buchstäblich eingeäschert worden. Das Unternehmen hatte technische Redundanz, aber keine Vielfalt. Manchmal erkennen wir die Konzentration erst, wenn es zu spät ist.
Clark erzählt die Geschichte des Brandes im Howard Street Tunnel, um zu zeigen, dass Engpässe nicht immer offensichtlich sind – vor allem auf operativer Ebene – und dass riesige Systeme, die aufgrund ihrer Größe und Ressourcen sicher erscheinen, unerwartet zusammenbrechen können.
Im heutigen Internet |wird ein Großteil des Datenverkehrs| über die privaten Netze von Technologieunternehmen abgewickelt, beispielsweise über die eigenen Unterseekabel von Google und Meta. Ein großer Teil des Internetverkehrs erfolgt über einige wenige marktbeherrschende Content-Distributionsnetze wie Cloudflare und Akamai, die ihre eigenen Netzwerke aus Proxyserver und Datenzentren betreiben. Der Datenverkehr wird auch über eine immer geringer werdende Anzahl von DNS-Auflösern (Domain Name System) geleitet, die wie Telefonbücher für das Internet funktionieren und die Namen von Websites mit ihren numerischen Adressen verknüpfen.
All dies verbessert die Geschwindigkeit und Effizienz der Netze, schafft aber auch neue und nicht offensichtliche Engpässe wie den Howard Street Tunnel. Zentralisierte Diensteanbieter behaupten, über bessere Ressourcen und mehr Erfahrung mit Angriffen und Ausfällen zu verfügen. Aber sie sind auch |große und attraktive Ziele für Angreifer| und potenzielle Schwachstellen im System.
Am 21. Oktober 2016 funktionierten Dutzende große US-Websites plötzlich nicht mehr. Die Domainnamen von Airbnb, Amazon, Paypal, CNN und der New York Times ließen sich nicht mehr auflösen. Sie alle waren Kunden des kommerziellen DNS-Dienstleisters Dyn, der von einer Cyberattacke betroffen war. Die Angreifer |infizierten zehntausende internetfähige Geräte| mit Schadsoftware und bauten ein Netzwerk gekaperter Geräte, ein so genanntes Botnet, mit dem sie Dyn mit Anfragen bombardierten, bis der Dienst zusammenbrach. Amerikas größte Internet-Marken wurden durch nichts anderes als ein Netzwerk von |Babyphones|, Sicherheits-Webcams und anderen Verbrauchergeräten zu Fall gebracht. Obwohl sie wahrscheinlich alle über Ausfallpläne und Redundanzen verfügten, kam es zum Zusammenbruch, weil ein einziger Engpass – in einer entscheidenden Schicht der Infrastruktur – ausfiel.
Abstürze, Brände und Überschwemmungen mögen einfach nur Entropie in Aktion sein, aber systemisch konzentrierte und riskante Infrastrukturen sind manifeste Entscheidungen – und wir können bessere treffen.
Großflächige Ausfälle aufgrund von zentralen Engpässen sind inzwischen so häufig, dass Investoren sie sogar dazu nutzen, um Chancen zu erkennen. Als im Jahr 2021 ein Ausfall des Cloud-Anbieters Fastly dazu führte, dass führende Websites nicht mehr erreichbar waren, |schnellte Fastlys Aktienkurs in die Höhe|. Die Anleger waren begeistert von den Schlagzeilen, die sie über einen obskuren technischen Dienstleister informierten, der offenbar einen wichtigen Dienst besetzt hatte. Der Ausfall kritischer Infrastrukturen erscheint den Investoren nicht als Verwundbarkeit, sondern als Gewinnchance.
Das Ergebnis der infrastrukturellen Monokultur ist eine eingebaute Verwundbarkeit, die wir erst nach einem Ausfall bemerken. Aber auch in unseren Such- und Navigationswerkzeugen ist die Monokultur deutlich sichtbar. Durch Suchen, Browsen und die Nutzung sozialer Medien finden und teilen wir Wissen und kommunizieren miteinander. Es handelt sich um eine kritische, globale epistemische und demokratische Infrastruktur, die nur von wenigen US-Unternehmen kontrolliert wird. Abstürze, Brände und Überschwemmungen mögen nur Entropie in Aktion sein, aber systemisch konzentrierte und riskante Infrastrukturen sind manifeste Entscheidungen – und wir können bessere treffen.
Ein erneuertes Internet wird viel mehr Dienste zur Auswahl haben. Einige Dienste wie die Suche und soziale Medien werden aufgespalten werden, |wie es bei AT&T der Fall war|. Anstatt dass Technologieunternehmen die persönlichen Daten der Menschen auslesen und verkaufen, werden verschiedene Zahlungsmodelle die Infrastruktur finanzieren, die wir brauchen. Derzeit gibt es kaum explizite Regelungen für öffentliche Güter wie Internetprotokolle und Browser, die für das Funktionieren des Internets unerlässlich sind. Die großen Technologieunternehmen subventionieren sie und üben einen großen Einfluss auf sie aus.
Ein Teil des Rewildings besteht darin, das, was in den großen Tech-Stack hineingezogen wurde, wieder herauszuholen und für die tatsächlichen Kosten der Konnektivität zu bezahlen. Einige Aspekte, etwa die grundlegende Konnektivität, werden wir weiterhin direkt begleichen. Andere, wie Browser, werden wir indirekt, aber transparent unterstützen, wie weiter unten beschrieben. Das erneuerte Internet wird eine Fülle von Möglichkeiten bieten, sich miteinander zu verbinden und zueinander in Beziehung zu treten. Es wird nicht nur ein oder zwei Nummern geben, die man anrufen kann, wenn die Anführer eines politischen Putsches beschließen, das Internet mitten in der Nacht abzuschalten, wie es in Ländern wie |Ägypten| und |Myanmar| geschehen ist. Kein Unternehmen wird auf Dauer an der Spitze stehen. Ein neu verwildertes Internet wird ein aufregenderer, nutzbarerer, stabilerer und angenehmererer Ort sein.
Die Wirtschaftsnobelpreisträgerin Elinor Ostrom hat in ihrer umfangreichen Forschungsarbeit |herausgefunden|, dass „wenn Menschen gut über ein Problem informiert sind, mit dem sie konfrontiert sind, und darüber, wer sonst noch daran beteiligt ist, und wenn sie ein Umfeld schaffen können, in dem Vertrauen und Gegenseitigkeit entstehen, wachsen und über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten werden können, dann werden sie oft komplexe und positive Maßnahmen ergreifen, ohne darauf zu warten, dass eine externe Autorität Regeln aufstellt, deren Einhaltung überwacht und Strafen verhängt“. Ostrom |kam zu dem Ergebnis|, dass Menschen sich spontan organisieren, um natürliche Ressourcen zu bewirtschaften – von der Zusammenarbeit mit Wasserunternehmen in Kalifornien bis hin zu Hummerfischern in Maine, die sich organisieren, um Überfischung zu verhindern.
Selbstorganisation gibt es auch bei der Schlüsselfunktion des Internets: der Koordinierung des Datenverkehrs. Internet Exchange Points (|IXPs|) sind ein Beispiel für das Management gemeinsamer Ressourcen, bei dem sich Internet Service Provider (ISPs) darauf einigen, die Daten der anderen zu geringen oder gar keinen Kosten zu übertragen. Netzbetreiber aller Art – Telekommunikationsunternehmen, große Technologieunternehmen, Universitäten, Regierungen und Rundfunkanstalten – müssen große Datenmengen durch die Netze anderer ISP leiten, um ihr Ziel zu erreichen.
Würden sie dies separat durch Einzelverträge regeln, müssten sie viel mehr Zeit und Geld aufwenden. Stattdessen gründen sie häufig IXPs, in der Regel als unabhängige, gemeinnützige Vereinigungen. Neben der Verwaltung des Datenverkehrs bilden IXPs in vielen Ländern – insbesondere in Entwicklungsländern – das Rückgrat einer florierenden technischen Gemeinschaft, die die wirtschaftliche Entwicklung vorantreibt.
Sowohl zwischen Menschen als auch im Internet sind Verbindungen produktiv. Von technischen Standards über die Verwaltung von Gemeinschaftsressourcen bis hin zu lokalen Breitbandnetzen, den so genannten „Altnets“, verfügt das Internet-Rewilding bereits über eine breite Palette kollektiver Instrumente, die genutzt werden können.
Die Liste der zu diversifizierenden Infrastrukturen ist lang. Neben Leitungen und Protokollen gibt es Betriebssysteme, Browser, Suchmaschinen, das Domain Name System, soziale Medien, Werbung, Cloud-Anbieter, App-Stores, KI-Unternehmen und vieles mehr. Und all diese Technologien sind auch miteinander verbunden.
Aber wenn man aufzeigt, was in einem Bereich getan werden kann, ergeben sich auch Möglichkeiten in anderen Bereichen. Fangen wir mit der Regulierung an.
Man braucht nicht immer eine große neue Idee wie Rewilding, um einen größeren Strukturwandel zu gestalten und voranzutreiben. Manchmal reicht es auch, eine alte Idee wiederzubeleben. Präsident Bidens „|Executive Order on Promoting Competition in the American Economy|“ aus dem Jahr 2021 belebte die ursprüngliche, arbeitnehmerfreundliche und vertrauenbildende Reichweite und Dringlichkeit des Richters am Obersten Gerichtshof Louis D. Brandeis aus dem frühen 20. Jahrhundert zusammen mit rechtlichen Rahmenbedingungen, die auf die 1930er Jahre und den Great New Deal zurückgehen.
Es geht darum, die Strukturen niederzureißen, die all jenen den Zugang zum Licht verwehren, die nicht reich genug sind, um im obersten Stockwerk zu wohnen.
Damals wurde |das US-Kartellrecht geschaffen|, um die Macht der Oligarchen in der Öl-, Stahl- und Eisenbahnindustrie zu brechen, die Amerikas junge Demokratie bedrohten. Es bot einen grundlegenden Schutz für Arbeitnehmer und betrachtete die wirtschaftliche Chancengleichheit als wesentliche Voraussetzung für die Freiheit. Diese Auffassung, dass Wettbewerb unverzichtbar ist, wurde durch die Wirtschaftspolitik der Chicagoer Schule in den 1970er Jahren und die Gerichtsurteile der Richter der Reagan-Ära |im Laufe der Jahrzehnte ausgehöhlt|. Sie vertraten |die Ansicht|, dass Eingriffe nur dann erlaubt sein sollten, wenn eine Monopolmacht die Verbraucherpreise in die Höhe treibt. Die geistige Monokultur dieser verbraucherschädlichen Schwelle hat sich seither weltweit verbreitet.
Das ist auch der Grund, warum die Regierungen einfach tatenlos zusahen, als sich die Technologiekonzerne des 21. Jahrhunderts zum Oligopol aufschwangen. Wenn das einzige Handlungskriterium einer Regulierungsbehörde darin besteht, sicherzustellen, dass die Verbraucher keinen Cent mehr bezahlen, dann fallen die kostenlosen oder datensubventionierten Dienste der Tech-Plattformen kaum ins Gewicht. (Natürlich zahlen die Verbraucher auf andere Weise, da diese Tech-Giganten ihre persönlichen Daten gewinnbringend verwerten). Dieser Laissez-faire-Ansatz hat es den größten Unternehmen ermöglicht, den Wettbewerb |durch die Übernahme von Konkurrenten| und die vertikale Integration von Dienstleistern zu ersticken, was zu den heutigen Problemen geführt hat.
Die Regulierungs- und Durchsetzungsbehörden in Washington und Brüssel sagen nun, dass sie diese Lektion gelernt haben und nicht zulassen werden, dass die sogenannte Künstlichen Intelligenz (KI) eine ähnliche Dominanz erlangt wie die Konzentration im Internet. Die Vorsitzende der Federal Trade Commission, Lina Khan, und der Kartellrechtsexperte des US-Justizministeriums, |Jonathan Kanter|, |identifizieren Engpässe| im KI-„|Stack|“ – der Konzentration bei der Kontrolle von Verarbeitungschips, Datensätzen, Rechenkapazitäten, Algorithmus-Innovationen, Vertriebsplattformen und Benutzeroberflächen. Sie analysieren die Engpässe, um festzustellen, ob und wie sie den systemischen Wettbewerb beeinträchtigen. Das sind potenziell gute Nachrichten für alle, die verhindern wollen, dass die derzeitige Dominanz der Tech-Giganten auch in der sich abzeichnenden KI-Zukunft fortbesteht.
Als Präsident Biden im Jahr 2021 die Durchführungsverordnung zum Wettbewerb unterzeichnete, |sagte er|: „Kapitalismus ohne Wettbewerb ist kein Kapitalismus, sondern Ausbeutung“. Bidens Wettbewerbshüter ändern die Art der Fälle, mit denen sie sich befassen, und erweitern die anwendbaren Rechtstheorien über den Umfang des Schadens, den sie den Richtern vorlegen. Anstelle des traditionell engen Fokus auf Verbraucherpreise wird in den heutigen Fällen argumentiert, dass der wirtschaftliche Schaden, den marktbeherrschende Unternehmen verursachen, auch den Schaden umfasst, den Arbeitnehmer, kleine Unternehmen und der Markt als Ganzes erleiden.
Khan und Kanter haben verengte und abstruse Modelle des Marktverhaltens zugunsten der realen Erfahrungen von Beschäftigten im Gesundheitswesen, Landwirten und Schriftstellern über Bord geworfen. Sie haben verstanden, dass die Beschneidung wirtschaftlicher Möglichkeiten den Rechtsextremismus schürt. Bei der Durchsetzung des Kartellrechts und der Wettbewerbspolitik setzen sie explizit auf Zwang versus Wahlmöglichkeiten sowie auf Macht versus Demokratie. Kanter |sagte kürzlich| auf einer Konferenz in Brüssel, „übermäßige Machtkonzentration ist eine Bedrohung. … Es geht nicht nur um Preise oder Produktion, es geht um Freiheit, Unabhängigkeit und Chancen“.
Die Behörden in Washington und Brüssel haben damit begonnen, präventiv zu verhindern, dass Technologieunternehmen ihre Vormachtstellung in einem Bereich nutzen, um einen anderen zu erobern. Nach einer Untersuchung durch die US-Finanzaufsichtsbehörde FTC und die EU-Kommission hat Amazon kürzlich |seine Pläne aufgegeben|, den Haushaltsgerätehersteller iRobot zu übernehmen. Die Regulierungsbehörden auf beiden Seiten des Atlantiks haben auch versucht, Apple daran zu hindern, seine Dominanz auf der iPhone-Plattform zu nutzen, um den Wettbewerb in den App-Stores einzuschränken und künftige Märkte zu beherrschen, indem sie etwa Automobilherstellern die Nutzung von CarPlay vorschreiben und den Zugang zu ihrer digitalen Zahlungsmethode Tap-to-Pay im Finanzdienstleistungssektor einschränken.
Dennoch haben sich |ihre Durchsetzungsmaßnahmen| bisher auf die für die Verbraucher sichtbaren Teile des von den Technologiegiganten betriebenen und proprietären Internets konzentriert. Die wenigen, eng gefassten Maßnahmen der Durchführungsverordnung 2021, die darauf abzielen, infrastrukturbasierte Monopole zu reduzieren, verhindern nur zukünftigen Missbrauch wie die Aneignung von Funkfrequenzen. Sie verhindern nicht solche, |die bereits etabliert sind|. Natürlich ist das beste Mittel gegen Monopole, sie von vornherein zu verhindern. Aber wenn die Regulierungs- und Durchsetzungsbehörden die bestehende Dominanz dieser Giganten nicht jetzt beseitigen, werden wir noch Jahrzehnte, vielleicht sogar ein Jahrhundert, mit dem heutigen Infrastrukturmonopol leben müssen.
Selbst aktivistische Regulierungsbehörden schrecken davor zurück, härteste Maßnahmen gegen Marktkonzentrationen in alteingesessenen Märkten zu ergreifen. Dazu gehören Nichtdiskriminierungsauflagen, funktionale Interoperabilität und strukturelle Entflechtungen, also die Zerschlagung von Unternehmen. Und zu erklären, dass Such- und Social-Media-|Monopole| eigentlich |öffentliche Versorgungsunternehmen| sind – und sie dazu zu zwingen, als gemeinsame, für alle offene Träger zu agieren – scheint den meisten derzeit noch als zu extrem.
Aber Rewilding einer bereits erbauten Umwelt zu betreiben, bedeutet nicht, sich einfach nur zurückzulehnen und dabei zuzusehen, welches zarte, lebendige Pflänzchen sich seinen Weg durch den Beton bahnen kann. Stattdessen geht es darum, die Strukturen niederzureißen, die all jenen den Zugang zum Licht verwehren, die nicht reich genug sind, um im obersten Stockwerk zu wohnen.
Als der Schriftsteller und Aktivist Cory Doctorow |darüber schrieb|, wie wir uns aus den Fängen von Big Tech befreien können, sagte er, dass es wahrscheinlich Jahrzehnte dauern würde, die großen Unternehmen zu zerschlagen. Aber die Schaffung einer starken und verbindlichen Interoperabilität würde Raum für Innovation schaffen und den Geldfluss zu den großen Unternehmen verlangsamen – Geld, das diese sonst dazu verwenden würden, ihre Burggräben zu vertiefen.
Doctorow beschreibt „Comcom“ – oder Competitive Compatibility, zu Deutsch: wettbewerbsfähige Kompatibilität – als eine Art „Guerilla-Interoperabilität, die durch Reverse Engineering, Bots, Scraping und andere erlaubnisfreie Taktiken erreicht wird“. Bevor ein Dickicht invasiver Gesetze entstand, um es zu ersticken, war Comcom die Art und Weise, wie die Menschen herausfanden, wie man Autos und Traktoren repariert oder Software umschreibt. Comcom treibt das Verhalten an, das man in einem florierenden Ökosystem beobachten kann: „Man probiert alles aus, bis es funktioniert.“
Ökologen haben ihr Fachgebiet als ‚Krisendisziplin‘ neu ausgerichtet – ein Fachgebiet, in dem es nicht nur darum geht, Dinge zu lernen, sondern auch darum, sie zu retten. Wir Technologen müssen es ihnen gleichtun.
In einem Ökosystem ist die Artenvielfalt ein anderes Wort für „Taktikenvielfalt“. Denn jede neue erfolgreiche Taktik schafft eine neue Nische, die es zu besetzen gilt. Sei es ein Oktopus, der sich als Seeschlange tarnt, ein Kuckuck, der seine Küken in das Nest eines anderen Vogels schmuggelt, eine Orchidee, deren Blüten einer weiblichen Biene gleichen, oder ein Parasit, der Nagetiere dazu bringt, lebensgefährliche Risiken einzugehen – jede evolutionäre Mikro-Nische wird durch eine erfolgreiche Taktik geschaffen. Comcom ist schlicht und einfach taktische Vielfalt: Es geht darum, wie Organismen in komplexen, dynamischen Systemen interagieren. Und der Mensch hat bewiesen, dass er kurzfristig denkt, indem er es den Oligarchen ermöglichte, dieser Vielfalt ein Ende zu setzen.
Nun aber gibt es erste Bemühungen, sich dem entgegenzustellen. Die EU verfügt bereits über mehrjährige Erfahrung mit Interoperabilitätsvorschriften und hat wertvolle Erkenntnisse darüber gewonnen, wie Unternehmen solche Gesetze umgehen. Im Gegensatz dazu stehen die USA noch ganz am Anfang, wenn es darum geht, die Software-Interoperabilität, |zum Beispiel bei Videokonferenzen|, zu gewährleisten.
Eine Möglichkeit, die Regulierungs- und Durchsetzungsbehörden überall zu motivieren und zu ermutigen, besteht vielleicht darin, zu erklären, dass die unterirdische Architektur des Internets zu einem Schattenland geworden ist, in dem die Entwicklung fast zum Stillstand gekommen ist. Die Bemühungen der Regulierungsbehörden, das sichtbare Internet wettbewerbsfähig zu machen, werden wenig bewirken, wenn sie sich nicht auch um die Verwüstungen unter der Oberfläche kümmern.
Vieles von dem, was wir brauchen, ist bereits vorhanden. Abgesehen davon, dass die Regulierungsbehörden viel Mut, Visionen und mutige neue Strategien für Rechtsstreitigkeiten benötigen, brauchen wir eine energische und wettbewerbsfördernde Regierungspolitik in den Bereichen Beschaffung, Investitionen und physische Infrastruktur. Die Universitäten müssen |Forschungsgelder von Technologieunternehmen ablehnen|, da diese immer an Bedingungen geknüpft sind, sowohl ausgesprochen |als auch| |unausgesprochen|.
Stattdessen brauchen wir mehr öffentlich finanzierte Technologieforschung mit öffentlich zugänglichen Ergebnissen. Diese Forschung sollte die Machtkonzentration im Internet-Ökosystem und praktische Alternativen dazu untersuchen. Wir müssen anerkennen, dass ein großer Teil der Internet-Infrastruktur de facto eine Versorgungseinrichtung („utility“) ist, die wir wieder unter unsere Kontrolle bringen müssen.
Wir müssen regulatorische und finanzielle Anreize schaffen und Alternativen unterstützen, wie etwa die Verwaltung von Gemeinschaftsressourcen, kommunale Netzwerke und die unzähligen anderen Mechanismen der Zusammenarbeit unterstützen, die die Menschen genutzt haben, um wichtige öffentliche Güter wie Straßen, Verteidigung und sauberes Wasser bereitzustellen.
All dies erfordert Geld. Den Regierungen fehlen die Steuereinnahmen aus den einmaligen Gewinnen der heutigen Tech-Giganten. Das aber zeigt auch, wo das Geld ist. Wir müssen es uns zurückholen.
Wir wissen das alles, aber tun uns trotzdem schwer, gemeinsam zu handeln. Warum?
Es ist nicht einfach, sich Alternativen vorzustellen, weil wir in starren Technologie-Plantagen gefangen sind, statt in funktionierenden, vielfältigen Ökosystemen. Selbst diejenigen, die das Problem klar vor Augen haben, fühlen sich oft hilflos und allein. Rewilding vereint alles, von dem wir wissen, dass wir es tun müssen, und bringt einen völlig neuen Werkzeugkasten und eine neue Vision mit sich.
Umweltschützer sehen sich mit den gleichen Ausbeutungssystemen konfrontiert und organisieren sich – in großem Maßstab und sektorübergreifend. Sie |sehen deutlich|, dass die Probleme nicht isoliert sind, sondern Teil derselben Problematik von Befehl und Kontrolle, Ausbeutung und Herrschaft, die der politische Anthropologe Scott zuerst in der wissenschaftlichen Forstwirtschaft erkannt hat. Die Lösungen sind die gleichen in der Ökologie und in der Technologie: Der Rechtstaat muss aggressiv eingesetzt werden, um ungleiche Kapital- und Machtverhältnisse auszugleichen. Und dann müssen die Lücken mit besseren Lösungen gefüllt werden.
Susan Leigh Star, Soziologin und Theoretikerin für Infrastrukturen und Netzwerke, schrieb 1999 in ihrem einflussreichen Essay „The Ethnography of Infrastructure“:
„Wenn man eine Stadt studiert und ihre Kanalisation und Energieversorgung vernachlässig – wie viele es getan haben –, so entgehen einem wesentliche Aspekte von Verteilungsgerechtigkeit und Planungsmacht. Studiert man ein Informationssystem und vernachlässigt seine Standards, Leitungen und Einstellungen, dann entgehen einem ebenso wesentliche Aspekte der Ästhetik, der Gerechtigkeit und des Wandels.“
Die technischen Protokolle und Standards, die der Internet-Infrastruktur zugrundeliegen, werden vordergründig in offenen, kollaborativen Standardisierungsorganisationen (SDOs) entwickelt. Sie befinden sich jedoch zunehmend unter der Kontrolle einiger weniger Unternehmen. Die scheinbar „freiwilligen“ Standards sind oft die Geschäftsentscheidungen der größten Unternehmen.
Die Dominanz großer Unternehmen in den SDOs bestimmt auch, was nicht standardisiert wird – zum Beispiel die Suche, die de facto ein globales Monopol ist. Trotz wiederholter Bemührungen |innerhalb der SDOs|, die Konsolidierung des Internets direkt anzugehen, wurden kaum Fortschritte erzielt. Dies |schadet der Glaubwürdigkeit| der SDOs, insbesondere außerhalb der USA. Die SDOs müssen sich radikal ändern, sonst verlieren sie ihr implizites globales Mandat, die Zukunft des Internets zu gestalten.
Wir brauchen Internet-Standards, die global, offen und generativ sind. Sie sind die Drahtmodelle, die dem Internet seine planetarische Form geben, die hauchdünnen und zugleich stahlharten Fäden, die seine Interoperabilität gegen Fragmentierung und permanente Dominanz zusammenhalten.
Im Jahr 2018 |gelang es einer kleinen Gruppe kalifornischer Bürgerinnen und Bürger|, ein kalifornisches Verbraucherdatenschutzgesetz (|California Consumer Privacy Act|) durchzusetzen. Das Gesetz enthielt eine unscheinbare Bestimmung: das Recht, den Verkauf oder die Weitergabe persönlicher Daten über ein „benutzeraktiviertes globales Datenschutzkontrollsignal“ (GPC-Signal) abzulehnen, das eine automatisierte Methode für diesen Zweck vorsieht. Das Gesetz legte nicht fest, wie das GPC funktionieren sollte. Da ein technischer Standard erforderlich war, damit Browser, Unternehmen und Anbieter dieselbe Sprache sprechen, wurden die Einzelheiten des Signals an eine Expertengruppe delegiert.
Im Juli 2021 |ordnete der kalifornische Generalstaatsanwalt an|, dass alle Unternehmen die neu geschaffene GPC für in Kalifornien ansässige Verbraucher verwenden müssen, die ihre Websites besuchen. Die Expertengruppe |begleitet| nun die technische Spezifikation durch die Entwicklung globaler Webstandards beim World Wide Web Consortium. Der GPC automatisiert die Abfrage, ob Kalifornier dem Verkauf ihrer Daten, zum Beispiel durch Cookie-basiertes Tracking, auf Websites zustimmen oder nicht. Es wird jedoch noch nicht von großen Browsern wie Chrome und Safari unterstützt. Eine breite Akzeptanz wird einige Zeit in Anspruch nehmen, aber es ist ein kleiner Schritt, um die tatsächlichen Ergebnisse zu verändern, indem Antimonopol-Praktiken tief in die Standards integriert werden – und sie werden |bereits anderswo übernommen|.
GPC ist nicht der erste gesetzlich vorgeschriebene offene Standard. Aber er wurde von Anfang an bewusst als Brücke zwischen Politik und Standardsetzung konzipiert. Diese Idee setzt sich immer mehr durch. Ein |kürzlich veröffentlichter Bericht| des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen empfiehlt, dass Staaten „regulatorische Funktionen an Standardisierungsorganisationen delegieren“.
Das heutige Internet bietet nur ein Minimum an Transparenz für die wichtigsten Anbieter von Internet-Infrastrukturen. Browser zum Beispiel sind hochkomplexe Teile der Infrastruktur. Sie bestimmen, wie Milliarden von Menschen das Internet nutzen, und werden dennoch kostenlos zur Verfügung gestellt. Das liegt daran, dass die meistgenutzten Suchmaschinen undurchsichtige finanzielle Vereinbarungen mit den Browser-Herstellern treffen und sie dafür bezahlen, dass sie als Standard eingestellt werden. Da nur wenige Menschen ihre Standardsuchmaschine wechseln, |verdienen Browser wie Safari und Firefox Geld damit|, dass die Suchleiste standardmäßig auf Google eingestellt ist. Damit sichern sie ihre Dominanz, auch wenn |die Qualität der Suchmaschine abnimmt|.
Dies schafft ein Dilemma. Würden die Kartellwächter den Wettbewerb erzwingen, verlören die Browser ihre Haupteinnahmequelle. Infrastruktur braucht Geld, aber die globale Natur des Internets stellt unser öffentliches Finanzierungsmodell infrage und lässt die Tür für eine Übernahme durch den Privatsektor offen. Wenn wir jedoch das derzeitige undurchsichtige System als das sehen, was es ist, nämlich eine Art nichtstaatliche Besteuerung, dann können wir eine Alternative entwickeln.
Suchmaschinen sind ein idealer Ort für Regierungen, um eine Abgabe zur Unterstützung von Browsern und anderen wichtigen Internet-Infrastrukturen zu erheben. Sie könnte auf transparente Weise und unter offener, länderübergreifender und von vielen Interessengruppen getragener Kontrolle finanziert werden.
Wir müssen aufhören, die Internet-Infrastruktur als etwas zu betrachten, das nur schwer zu reparieren ist. Es ist das zugrundeliegende System, das wir für fast alles nutzen, was wir tun. Der ehemalige schwedische Premierminister Carl Bildt und der ehemalige stellvertretende kanadische Außenminister Gordon Smith |schrieben| 2016, dass das Internet „die Infrastruktur aller Infrastrukturen“ wird. Es ist die Art und Weise, wie wir Wissen organisieren, verbinden und aufbauen – vielleicht eines Tages sogar als globale Intelligenz. Im Moment ist dieses Netz jedoch konzentriert, zerbrechlich und manchmal überaus toxisch.
Ökologen haben ihr Fachgebiet als „|Krisendisziplin|“ neu ausgerichtet – ein Fachgebiet, in dem es nicht nur darum geht, Dinge zu lernen, sondern auch darum, sie zu retten. Wir Technologen müssen es ihnen gleichtun. „Rewilding the Internet“ verbindet und erweitert die Aktivitäten der Menschen in den Bereichen Regulierung und Standardisierung. Und es eröffnet neue Wege, um die Infrastruktur zu organisieren und aufzubauen. Und nur so können wir eine gemeinsame Geschichte erzählen, wohin wir gehen wollen.
Es ist eine gemeinsame Vision mit vielen Strategien. Die Instrumente, die wir brauchen, um die extraktiven technologischen Monokulturen zu überwinden, sind bereits vorhanden oder bereit, gebaut zu werden.
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Maria Farrell ist Autorin und Rednerin zum Thema Technologie und Zukunft. Sie hat bei der Internationalen Handelskammer, der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers sowie der Weltbank im Bereich Technologiepolitik gearbeitet.
Robin Berjon ist Experte für digitale Governance und hat an zahlreichen Webstandards mitgewirkt, unter anderem an der Global Privacy Control. Er arbeitet an neuartigen Web-Protokollen wie dem InterPlanetary File System und sitzt im Vorstand des World Wide Web Consortium sowie im Technology Advisory Panel des britischen Information Commissioner’s Office.
|Diesen| und weitere englischsprachigen Beiträge dieser Art gibt es auf |www.noemamag.com|.
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|We Need To Rewild The Internet|
|als „Pathologie des Befehlens und des Kontrollierens“|
|nun in weltumspannenden Datenextraktionsmaschinen|
|fast 85 Prozent des Weltmarktes|
|84 Prozent der weltweiten Internetsuchen|
|stammen von Apple und Samsung|
|auf Software von Google oder Apple|
|vereinen mehr als 50 Prozent des weltweiten Marktes auf sich|
|verwalten fast 90 Prozent des weltweiten Mail-Verkehrs|
|als „‚Klimawandel‘ des Internet-Ökosystems“ bezeichnet hat|
|mit verschiedenen „Spielern“ und „Schichten“|
|schrieb in einem Strategiepapier|
|den tief verwurzelten beruflichen Werten der Vereinfachung und Kontrolle|
|so die International Union for Conservation of Nature|
|sich Grundlinien verschieben|
|gehen weltweit um etwa 9 % pro Jahrzehnt zurück|
|als die gleichen fünf Websites|
|mit seiner algorithmischen Auswahl|
|stark kontrollierenden Entwürfen|
|Am 18. Juli 2001 entgleisten|
|in bis zu eineinhalb Kilometern Entfernung|
|wird ein Großteil des Datenverkehrs|
|große und attraktive Ziele für Angreifer|
|infizierten zehntausende internetfähige Geräte|
|schnellte Fastlys Aktienkurs in die Höhe|
|wie es bei AT&T der Fall war|
|Executive Order on Promoting Competition in the American Economy|
|das US-Kartellrecht geschaffen|
|im Laufe der Jahrzehnte ausgehöhlt|
|durch die Übernahme von Konkurrenten|
|öffentliche Versorgungsunternehmen|
|zum Beispiel bei Videokonferenzen|
|Forschungsgelder von Technologieunternehmen ablehnen|
|gelang es einer kleinen Gruppe kalifornischer Bürgerinnen und Bürger|
|California Consumer Privacy Act|
|ordnete der kalifornische Generalstaatsanwalt an|
|kürzlich veröffentlichter Bericht|
|verdienen Browser wie Safari und Firefox Geld damit|
|die Qualität der Suchmaschine abnimmt|
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Tue, 30 Apr 2024 16:03:27 +0000
Gastbeitrag
Der EuGH hat gerade den massenhaften und automatisierten Zugriff auf IP-Adressen genehmigt. Mit dem heutigen Urteil räumt das Gericht ein, dass es seine Rechtsprechung ändern wird, wenn seine Urteile nicht umgesetzt werden. Ein Gastkommentar.
Dies ist ein übersetzter |Beitrag der französischen Digital-Rights-Organisation La Quadrature du Net| zum heutigen |Urteil des Europäischen Gerichtshofes|, welches die Vorratsdatenspeicherung erheblich ausweitet. Gastbeiträge geben nicht zwangsläufig die Haltung der Redaktion wider.
In seinem Urteil vom 30. April 2024 teilte der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) seine Einschätzung der Rechtmäßigkeit des massiven Überwachungssystems von Hadopi. Das Urteil ist enttäuschend. Der EuGH hat seine bisherige Rechtsprechung erheblich verwässert, was sich nicht nur auf den Fall der französischen Behörde Hadopi auswirkt.
Mit diesem neuen Urteil wird der Zugriff auf IP-Adressen nicht mehr standardmäßig als schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte angesehen. Infolgedessen lässt der Gerichtshof die Möglichkeit einer Massenüberwachung des Internets zu.
Der EuGH hat den massenhaften automatisierten Zugriff auf IP-Adressen genehmigt, die mit der bürgerlichen Identität und dem Inhalt einer Kommunikation verbunden sind. Dieser Zugriff kann zu Bagatellzwecken und ohne vorherige Überprüfung durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsbehörde erfolgen.
Das Urteil vom 30. April 2024 stellt eine wichtige Wende in der EU-Rechtsprechung dar. Nach einem Jahrzehnt des juristischen Kampfes, in dem sich die europäischen Regierungen bewusst dafür entschieden haben, die vielen früheren EuGH-Urteile zur Vorratsdatenspeicherung nicht zu respektieren und umzusetzen, haben die Polizeien in ganz Europa gerade den Kampf gewonnen. Mit dem heutigen Urteil räumt der EuGH ein, dass er seine Rechtsprechung irgendwann ändern wird, wenn seine Urteile nicht umgesetzt werden. Dies ist eine beunruhigende Schwächung der Autorität des Gerichtshofs angesichts des Drucks der Mitgliedstaaten.
Während der EuGH im Jahr 2020 die Auffassung vertrat, dass die Vorratsspeicherung von IP-Adressen einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte darstellte und der Zugriff auf die IP-Adressen zusammen mit der zivilen Identität des Internetnutzers nur zur Bekämpfung schwerer Straftaten oder zum Schutz der nationalen Sicherheit erfolgen durfte, trifft dies nun nicht mehr zu. Der EuGH hat seine Argumentation umgekehrt: Er ist nun der Ansicht, dass die Vorratsspeicherung von IP-Adressen standardmäßig keinen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte mehr darstellt und dass ein solcher Zugriff nur in bestimmten Fällen einen schwerwiegenden Eingriff darstellt, der durch geeignete Schutzmaßnahmen abgesichert werden muss.
Im Hinblick auf unseren Fall und die Besonderheit von Hadopi in Frankreich fordert der Gerichtshof Hadopi lediglich auf, sich etwas weiterzuentwickeln. Er ist der Ansicht, dass in bestimmten „atypischen“ Situationen der Zugriff auf die IP-Adresse und die bürgerliche Identität im Zusammenhang mit urheberrechtlich geschützten Werken einen schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf Privatsphäre darstellen kann (zum Beispiel wenn das Material Rückschlüsse auf politische Meinungen, die sexuelle Orientierung usw. zulässt); er ist auch der Ansicht, dass ein solcher Zugriff im „Wiederholungsfall“ einen schwerwiegenden Eingriff darstellt, und verlangt daher, dass der Zugriff auf die IP-Adressen nicht „vollständig automatisiert“ sein darf. In allen anderen Fällen stellt der EuGH jedoch eindeutig fest, dass Hadopi massiv und automatisiert auf die bürgerlichen Identitäten von Personen zugreifen kann.
Mit anderen Worten: Die abgestufte Reaktion (benannt nach dem von Hadopi angewandten Verfahren, das darin besteht, mehrere Warnungen zu verschicken, bevor rechtliche Schritte eingeleitet werden, wenn der Internetnutzer seine Verbindung nicht „sichert“) wird eine andere Form annehmen müssen. Der französische Gesetzgeber wird sich einen komplizierten Mechanismus ausdenken müssen, um eine Art unabhängiger externer Kontrolle des Zugriffs auf die bürgerliche Identität durch Hadopi zu gewährleisten. Während Hadopi derzeit nicht verpflichtet ist, sich einer externen Kontrolle zu unterziehen, muss sich die Behörde nun einer solchen unterziehen, wenn sie in diesen „atypischen“ Fällen oder im Falle eines „wiederholten Verstoßes“ auf die Identität zugreifen will. Mit anderen Worten: Externe Bedienstete von Hadopi werden für das Anklicken eines „Validierungs“-Buttons verantwortlich sein, während Hadopi heute selbst die Genehmigung erteilt.
Ganz allgemein hat diese Entscheidung des EuGH vor allem das Ende der Online-Anonymität bestätigt. Während der Gerichtshof im Jahr 2020 feststellte, dass ein in der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation verankertes Recht auf Online-Anonymität existiert, gibt er es jetzt auf. Leider setzt er der Online-Anonymität ein faktisches Ende, indem er der Polizei einen umfassenden Zugang zur zivilen Identität, die mit einer IP-Adresse verbunden ist, und zum Inhalt einer Kommunikation gewährt.
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|Beitrag der französischen Digital-Rights-Organisation La Quadrature du Net|
|Urteil des Europäischen Gerichtshofes|
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Tue, 30 Apr 2024 14:36:14 +0000
Markus Reuter
Der Europäische Gerichtshof ändert seine bisher grundrechtsfreundliche Haltung zur Vorratsdatenspeicherung und erlaubt in einem Urteil die anlasslose Überwachung sogar bei Urheberrechtsverletzungen. Grundrechte-Organisationen sind entsetzt und sprechen von einer „Wende“.
Der Europäische Gerichtshof hat |in einem Urteil| die Zulässigkeit der Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen erheblich ausgeweitet. Nicht nur sagt das Gericht in seiner |Pressemitteilung|, dass „die allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von IP-Adressen nicht zwangsläufig einen schweren Eingriff in die Grundrechte“ darstelle, sondern sieht auch deren Erhebung zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen als rechtmäßig an. Geklagt hatten verschiedene Digital-Rights-Organisationen, unter ihnen La Quadrature du Net gegen das französische Anti-Piraterie-System |HADOPI|.
Laut dem Gericht ist eine Vorratsdatenspeicherung zulässig, „wenn die nationale Regelung Speichermodalitäten vorschreibt, die eine wirksame strikte Trennung der verschiedenen Kategorien personenbezogener Daten gewährleisten und es damit ausschließen, dass genaue Schlüsse auf das Privatleben der betreffenden Person gezogen werden können.“
Der Europäische Gerichtshof hatte bislang immer |gegen eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung geurteilt|, so zum Beispiel |gegen die deutsche Variante der Massenüberwachung|. Das Gericht hatte in den letzten Jahren wiederholt eine anlasslose Vorratsspeicherung von Verbindungs- und Standortdaten deutlich abgelehnt.
Gleichzeitig hatte er aber in Ausnahmefällen erlaubt, IP-Adressen zu speichern, um schwere Kriminalität zu bekämpfen und schwere Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit zu verhüten. Im letzten Jahr hatte sich schon angedeutet, dass es |zu einem anderen Umgang mit der Überwachung kommen könne|. Dennoch ist die Enttäuschung bei Datenschützer:innen und Grundrechte-Organisationen über das Urteil groß.
Erik Tuchtfeld, Co-Vorsitzender von D64 |sprach von „Ganz schlechten Nachrichten“|. Chloé Berthélémy vom Dachverband europäischer Digitalorganisationen sagt: „Das heutige Urteil des EuGH zum französischen Anti-Piraterie-System HADOPI stellt eine traurige Wende in der europäischen Rechtsprechung zum Schutz des Grundrechts auf Privatsphäre im Internet dar.“ Der Gerichtshof habe beschlossen, „die bisherige Rechtsprechung zum Zugang zu Daten privater Unternehmen aufzuweichen, um Internetnutzer leichter identifizieren zu können.“ In einem breiteren politischen Kontext der zunehmenden Unterdrückung von Journalistinnen, Menschenrechtsverteidigern und der Zivilgesellschaft in Europa untergrabe dieses Urteil auf gefährliche Weise das Recht, online anonym zu bleiben.
La Quadrature du Net nennt das Urteil |in einer Erklärung| „enttäuschend“. Der EuGH habe seine bisherige Rechtsprechung erheblich verwässert, was sich nicht nur auf den Fall Hadopi auswirke. „Mit diesem neuen Urteil wird der Zugriff auf IP-Adressen nicht mehr standardmäßig als schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte angesehen. Infolgedessen lässt der Gerichtshof die Möglichkeit einer Massenüberwachung des Internets zu“, so die Digitalorganisation aus Frankreich.
Auch La Quadrature stuft das Urteil als „wichtige Wende in der EU-Rechtsprechung“ ein. Der Gerichtshof habe mit dem Urteil den „massenhaften, automatisierten Zugriff auf IP-Adressen genehmigt, die mit der bürgerlichen Identität und dem Inhalt einer Kommunikation verbunden sind“. Dieser Zugriff könne laut dem Gericht sogar zu Bagatellzwecken und ohne vorherige Überprüfung durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsbehörde erfolgen.
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|gegen eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung geurteilt|
|gegen die deutsche Variante der Massenüberwachung|
|zu einem anderen Umgang mit der Überwachung kommen könne|
|sprach von „Ganz schlechten Nachrichten“|
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Tue, 30 Apr 2024 12:39:24 +0000
Maximilian Henning
Kurz vor der Europawahl wird Meta verdächtigt, nicht genug gegen Desinformation zu tun. Die EU-Kommission befürchtet weitere Verstöße gegen den Digital Services Act, etwa erschwerten Datenzugang für Forscher:innen. Auch die Drosselung politischer Inhalte könnte regelwidrig sein.
Die EU-Kommission hat heute eine Untersuchung zu Facebook und Instagram |eröffnet|. Sie verdächtigt beide Plattformen, gegen die Regeln des Digitale-Dienste-Gesetzes (Digital Services Act, DSA) zu verstoßen. Es geht dabei um verschiedene Probleme, unter anderem mit dem Vorgehen gegen Desinformation in Werbung und dem Drosseln von politischen Inhalten.
Die Kommission hatte |schon im Oktober|, nach dem Anfang des Israel-Hamas-Krieges, erste Informationen zum Umgang mit Desinformation angefordert. Auch damals ging es schon darum, wie auf Facebook und Instagram Wahlen geschützt werden sollen. „Das hier ist ein Fall, der für Monate aufgebaut wurde“, sagte heute eine Beamte der Kommission.
Die Untersuchung betrifft vier Bereiche. Erster davon ist, wie sehr Meta die Inhalte von bezahlter Werbung kontrolliert. Hier scheine es keine ausreichende Moderation zu geben, sagte gestern ein Kommissionsbeamter. Neben politischen Inhalten gebe es auch immer mehr Werbung für Finanzbetrügereien.
Auch bei organischen Inhalten, die von normalen Nutzer:innen auf den Plattformen gepostet werden, sieht die Kommission Probleme. Die Regeln zur Moderation seien undurchsichtig und restriktiv. Besonders kritisch sei, dass Meta-Plattformen politische Inhalte allgemein zu drosseln scheine. Davon seien Accounts betroffen, die besonders viel politische Inhalte posten würden, so der Kommissionsbeamte.
Bei der Diagnose dieser Probleme stützt sich die Kommission auf die Erkenntnisse unabhängiger Forscher:innen. Die stehen jetzt aber vor einer neuen Hürde: Meta hatte im März angekündigt, das viel genutzte CrowdTangle-Tool |im Sommer abschalten zu wollen|. Forscher:innen und Journalist:innen |haben CrowdTangle bisher genutzt|, um Metas Plattformen zu untersuchen. Schon jahrelang hatte Meta nicht mehr in seine Entwicklung investiert. Ein neues Tool namens Meta Content Library soll CrowdTangle ersetzen, wird aber anscheinend nur eingeschränkte Funktionen haben.
Der Funktionsumfang der Content Library reicht der EU-Kommission nicht aus. Sie hat Meta deshalb nun fünf Tage Zeit gegeben, um weitere Informationen zur Abschaltung von CrowdTangle bereitzustellen. Danach will die Kommission über mögliche weitere eventuelle Maßnahmen entscheiden.
Schlussendlich kritisiert die Kommission auch die Meldemöglichkeiten für illegale Inhalte auf Facebook und Instagram. Diese könnten eventuell nicht den Vorschriften des DSA entsprechen, weil sie zum Beispiel nicht einfach genug zu erreichen sind.
Insgesamt vermutet die Kommission, dass Facebook und Instagram 13 verschiedene Vorschriften des Digitale-Dienste-Gesetzes verletzt haben könnten. Meta droht dafür nun eine Strafzahlung von bis zu sechs Prozent des jährlichen weltweiten Umsatzes. Im vergangenen Jahr waren das |126 Milliarden Euro|, die Strafe könnte also bis zu 7,5 Milliarden Euro betragen.
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|im Sommer abschalten zu wollen|
|haben CrowdTangle bisher genutzt|
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Tue, 30 Apr 2024 12:10:46 +0000
Tomas Rudl
Die EU brauche strengere Regeln beim Einsatz von Staatstrojanern, fordert die NGO Civil Liberties Union for Europe in einem Bericht zur europäischen Medienlandschaft. Außerdem nehme das Vertrauen in Medien insgesamt ab – auch in Deutschland, wo die Presse verhältnismäßig viel Glaubwürdigkeit genießt.
Die EU-Länder müssten den Einsatz von Staatstrojanern nur auf „außergewöhnlichste Umstände“ einschränken und zudem Journalist:innen ausdrücklich ausnehmen, fordert die Nichtregierungsorganisation |Civil Liberties Union for Europe in ihrem aktuellen Bericht zur Medienfreiheit in Europa|. Generell müsste Spähsoftware „strikt reguliert“ werden, damit es nicht weiter zu Verletzungen von Grundrechten kommt.
Das Hacken von IT-Geräten mit Spionagewerkzeugen wie Pegasus und Predator sei weiterhin ein Problem in der EU, schreibt die |NGO in ihrem Bericht|. Im Jahr 2023 seien Journalist:innen in Deutschland, Griechenland, den Niederlanden und Polen Ziel von Angriffen gewesen. Auch habe der |Untersuchungsausschuss des EU-Parlaments zu Pegasus| im Vorjahr festgestellt, dass unter dem Vorwand „nationaler Sicherheit“ Journalist:innen überwacht worden waren, unter anderem in Polen, Ungarn und Griechenland. Konsequenzen sind daraus jedoch |bis heute nicht erwachsen|.
Mit dem Einsatz von Spähsoftware in den Ländern seien fundamentale Grundrechte verletzt und die Demokratie gefährdet worden, so der Bericht. In Griechenland, verweist die NGO auf die Untersuchung des EU-Parlaments, seien damit nicht nur Journalist:innen, Politiker:innen und Geschäftsleute überwacht worden. Das Land habe die Spionagesoftware Predator zudem in Staaten mit einer schlechten Menschenrechtsbilanz exportiert. Zugleich hätte etwa Grigoris Dimitriadis, inzwischen zurückgetretener Generalsekretär des griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis, zahlreiche |Journalist:innen mit sogenannten SLAPP-Klagen überzogen|, die über seine Beziehungen zu der Spyware-Firma berichtet hatten.
Als SLAPP-Klage gilt ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen, mit dem Kritiker:innen zum Schweigen gebracht werden sollen. Zu solchen strategischen Klagen gegen Journalist:innen sei es häufig in Ländern wie Kroatien, Griechenland, Italien, den Niederlanden und Schweden gekommen, schreibt die NGO. Dagegen hat die EU im vergangenen Jahr eine eigene Richtlinie auf den Weg gebracht, endgültig |verabschiedet wurde sie diesen März|.
Gemeinsam mit dem |ebenfalls neuen Medienfreiheitsgesetz|, dem European Media Freedom Act (EMFA), seien nun zwei Gesetze in Kraft, die Journalist:innen insgesamt besser schützen sollten – allerdings mit dem Wermutstropfen, dass der Einsatz von Spähwerkzeugen gegen Journalist:innen nicht restlos europaweit verboten wurde. Beide Gesetze und ihre nationale Umsetzung müssten nun von der EU-Kommission eng begleitet und überwacht werden, fordert die NGO.
Ähnliches gelte für den Digital Services Act (DSA), der erst |kürzlich vollständig in Kraft| getreten ist. Hierbei müsste die EU-Kommission gemeinsam mit den europäischen Regulierungsbehörden sicherstellen, dass insbesondere die sehr großen Online-Dienste wie Google oder Facebook die Vorgaben umsetzen. Wie beim DSA wäre es wünschenswert, Daten über die Entfernung oder Sperrung von Inhalten im Rahmen des EMFA strukturiert zu veröffentlichen. Dies würde Journalist:innen und der Zivilgesellschaft dabei helfen, die Methoden verschiedener Online-Dienste sowie die Rolle, die die Regulierer und die Kommission bei diesem Ansatz spielen, zu analysieren und zu vergleichen.
Insgesamt sei in vielen EU-Ländern eine hohe Medienkonzentration feststellbar, selbst in Ländern, in denen die Freiheit der Presse hochgehalten und von den jeweiligen Regierungen und Parteien geachtet werde. Besonders hoch falle die Konzentration in Kroatien, Frankreich, Ungarn, den Niederlanden, Polen, Slowakei und Slowenien aus. Dort würde die Mehrheit der Medienhäuser von einer Handvoll Individuen kontrolliert, was die Diversität der Berichterstattung gefährde und zu einer verzerrten Berichterstattung führen könne.
In Deutschland hätte hingegen eine WDR-Studie ergeben, dass die Berichterstattung |mehrheitlich als glaubwürdig wahrgenommen| werde. Obwohl es sich um vergleichsweise hohe Werte handle, habe im Zuge der Corona-Pandemie das Vertrauen in die Medien dennoch abgenommen. Hierbei lasse sich jedoch ein Riss zwischen Ost und West feststellen. So sei eine |Untersuchung der Konrad-Adenauer-Stiftung |zum Schluss gekommen, dass das Vertrauen in öffentlich-rechtliche Medien in Ostdeutschland bei 58 Prozent liege, im Westen jedoch bei 73 Prozent. Auch sei es wiederholt zu Attacken gegenüber Journalist:innen gekommen, meist in rechtsextremen, verschwörungsideologischen und antisemitischen Kontexten.
Beim Zugang zu Informationen lege der Presse jedoch auch die Regierung Steine in den Weg, kritisiert die NGO. Anders als im |Koalitionsvertrag der Ampelkoalition| versprochen, sei etwa bis heute |kein presserechtlicher Auskunftsanspruch gesetzlich verankert|. Zudem gebe es weiterhin große Unterschiede bei Informationsfreiheit- und Transparenzgesetzen der Bundesländer, bemäkelt Civil Liberties Union for Europe. Auch in Bundesländern wie Sachsen, die solche Gesetze erlassen haben, gebe es |breite Ausnahmen, um Auskünfte zu verweigern|, beklagt die NGO – und erst recht in Bundesländern wie Bayern oder Niedersachsen, die solche Gesetze bis heute vermissen lassen.
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|Civil Liberties Union for Europe in ihrem aktuellen Bericht zur Medienfreiheit in Europa|
|Untersuchungsausschuss des EU-Parlaments zu Pegasus|
|Journalist:innen mit sogenannten SLAPP-Klagen überzogen|
|verabschiedet wurde sie diesen März|
|ebenfalls neuen Medienfreiheitsgesetz|
|kürzlich vollständig in Kraft|
|mehrheitlich als glaubwürdig wahrgenommen|
|Untersuchung der Konrad-Adenauer-Stiftung |
|Koalitionsvertrag der Ampelkoalition|
|kein presserechtlicher Auskunftsanspruch gesetzlich verankert|
|breite Ausnahmen, um Auskünfte zu verweigern|
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Tue, 30 Apr 2024 07:01:30 +0000
Markus Reuter
Immer wieder geraten Menschen oder Organisationen, die ethisch verantwortungsvoll Sicherheitslücken aufdecken, in den Fokus von strafrechtlichen Ermittlungen. Dieses Mal hat es Österreichs bekannteste Datenschutz-NGO epicenter.works erwischt. Die Ermittlungen wurden erst nach zwei Jahren eingestellt.
Da staunte Thomas Lohninger von epicenter.works nicht schlecht, als er im Dezember 2022 erfuhr, dass die Staatsanwaltschaft mit Ermächtigung des österreichischen Gesundheitsministers seit einem Jahr gegen ihn wegen angeblichen Hackings ermittelte. Die Datenschutz-NGO hatte zusammen mit der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“ eine Sicherheitslücke im Epidemiologischen Meldesystems aufgedeckt und diese vor |Veröffentlichung| nach den Prinzipien des |responsible disclosure| dem Gesundheitsministerium mitgeteilt, damit dieses sie schließen konnte.
Die gemeinsame Recherche hatte ein |schwerwiegendes Sicherheitsproblem in Österreichs zentralem Meldesystem für Corona-Daten| festgestellt: Demnach wäre es für Unbefugte möglich gewesen, personenbezogene Daten abzufragen und falsche Laborergebnisse einzuspielen. Der Zugriff auf die Schnittstelle zum Epidemiologischen Meldesystem (EMS) war durch ein nicht-personalisiertes Zertifikat möglich. Wer ein solches Zertifikat hatte, konnte auf das System zugreifen. Insgesamt waren laut der Recherche mehr als 225 solcher Zertifikate im Umlauf, mindestens eines davon lief auf eine Labor-Firma, die schon seit mehreren Monaten nicht mehr dazu berechtigt hätte sein sollen. Es gab keine Bindung auf IP-Adressen von Laboren, welche den Zugriff begrenzt hätte.
Nachdem Standard und epicenter.works sich beim von den Grünen geführten Gesundheitsministerium gemeldet hatten, schloss dieses die Lücke vor Veröffentlichung der Berichte am 16. Dezember. Eine Woche später stellten nach Angabe von epicenter.works jedoch zwei hochrangige Beamte aus dem Gesundheitsministerium Anzeige wegen § 118a StGB (Widerrechtlicher Zugriff auf ein Computersystem) und ermächtigten so die Strafverfolgung gegen die NGO im Namen des damaligen Ministers. Das Delikt kann bei einer Verurteilung mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden.
Erst ein Jahr später erfährt die Datenschutzorganisation, dass gegen sie ermittelt wird. Sie wendet sich an den Nachfolger des Gesundheitsministers, beschwert sich per |Brief (PDF)|, fordert die Rücknahme der Ermächtigung – und erhält keine Antwort. Erst ein gutes Jahr später, Mitte Februar 2024, wird das Verfahren dann endlich eingestellt. Es dauerte unter anderem so lange, weil das Verfahren mit einem weiteren juristischen Verfahren gegen den Verursacher der Sicherheitslücke verknüpft war und deswegen jeder Schritt berichtspflichtig war.
Lohninger hält eine politische Motivation der Anzeige nicht für ausgeschlossen. Der Verein habe in der Covid-Pandemie |eine Vielzahl an Sicherheitslücken und Datenschutzproblemen| im Gesundheitsbereich aufgezeigt. „Wir fragen uns, ob die Anzeige gegen uns damit zu tun hat“, so Lohninger gegenüber netzpolitik.org.
Der Vorstand der Datenschutz-NGO weiter:
Es ist alarmierend, dass über zwei Jahre gegen uns als Datenschutzorganisation ermittelt wird, obwohl wir nur unseren Job als Public Watchdog gemacht haben. Anstatt uns um den Schutz der Daten der Bevölkerung zu kümmern und wie bisher Sicherheitslücken den Verantwortlichen zu melden, waren auch wir mit der Strafverfolgung gegen uns abgelenkt.
Im Gesundheitsministerium wehrt man sich gegen diesen Vorwurf. Eine Sprecherin sagt gegenüber netzpolitik.org, dass das Ministerium zur Anzeige verpflichtet gewesen sei, deswegen habe es die Ermächtigung auch nicht später zurücknehmen können. „Selbstverständlich gab es kein Motiv, die Arbeit von epicenter.works zu behindern“, so die Sprecherin weiter. „Kontrolle ist wichtig in unserer Demokratie. Das gilt vor allem, wenn es um den Schutz von Gesundheitsdaten geht. NGOs wie epicenter.works leisten mit ihrer Arbeit hierfür einen wichtigen Beitrag.“
Die warmen Worte helfen der Datenschutzorganisation im Nachhinein nur wenig, ihr sind im Verfahren für interne Bearbeitung und juristische Beratung fast 15.000 Euro Kosten entstanden, von denen die Anwaltskosten immerhin von der Rechtsschutzversicherung übernommen wurden.
Doch auch politisch ist der Fall ein Problem. Epicenter spricht von einer „abschreckenden Wirkung“ auf alle Sicherheitsforscher:innen und NGOs, die ähnliche Sicherheitslücken den Verantwortlichen aus Angst vor Strafverfolgung vermutlich nicht mehr melden werden. „Moralisch richtiges Handeln wird nach derzeitiger Rechtslage bestraft, was uns alle unsicherer macht“, sagt Lohninger.
Die Bürgerrechtsorganisation fordert nicht erst seit dem Verfahren gegen sich selbst, im Hackerparagrafen „eine explizite gesetzliche Ausnahme für den verantwortlichen Umgang mit Sicherheitslücken zu schaffen“, die dann unter gewissen Voraussetzungen immer straffrei bleiben soll. In einem |Hintergrundpapier (PDF)| hat sie die Gründe dafür dargelegt.
Offenlegung:
Thomas Lohninger hat in der Vergangenheit Artikel bei netzpolitik.org geschrieben.
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|schwerwiegendes Sicherheitsproblem in Österreichs zentralem Meldesystem für Corona-Daten|
|eine Vielzahl an Sicherheitslücken und Datenschutzproblemen|
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Skriptlauf: 2024-05-10T16:32:03