Zum Auftakt das Zitat eines – leider immer noch – Bundestagavizepräsidenten: „Die Abschaltung der weltweit modernsten und sichersten Atomkraftwerke in Deutschland ist ein dramatischer Irrtum“. Wir reden hier von Anlagen, der Baubeginn 1982 war und die zwischen 1988 und 1989 in Betrieb gegangen sind. Es ist ein wahrer Triumph deutscher Atomtechnik, dass 40 Jahre alte Anlagen die weltweit modernsten sind – und dass bei einer Technik, die angeblich weltweit auf dem Vormarsch ist. Das Design der drei betreffenden Anlagen ist übrigens ein Vorläufer des EPR – und von dem läuft ja schon einer in Finnland – seit letztem Jahr nach knapp 17 Jahren Bauzeit. Ehrlicherweise darf man auch die zwei schon laufenden EPRs in China nicht vergessen; dann sollte man aber auch erwähnen, dass die britischen EPRs in Hinkley Point weit weg von der Fertigstellung sind. Aber nützlich sind sie – sie werden als Beleg angeführt, dass die Atomkraft auf dem Vormarsch sei. Wenn man so verwegen wäre dem Kieler Anwalt zu glauben ist die Technik der neuen Kraftwerke aber schlechter.
Nun sollte man die Worte des talkshowerfahrenen Kieler Anwaltes nicht für voll nehmen, aber sie sind leider symptomatisch. Das Argument, dass die deutschen Atomkraftwerk die besten weltweit sind wurde immer gerne angeführt. Deshalb finde ich so eigentümlich, dass in der momentanen Welle von Nostalgie davon gesprochen wird, dass Deutschland Geisterfahrer sei und die ganze Welt auf Atomkraft setzt (Zahlenpause: Laut Wikipedia¹ benutzten Anfang 2023 33 Länder Kernkraftwerke, 3 Länder bauen ihren ersten Reaktor, 5 Länder planen den Einstieg).
Und wo wir bei unseriösen Politikern sind darf natürlich Markus Söder nicht fehlen – was ein Wahlkampfstunt: Bayern will „seine“ Atomkraftwerke in Landesverantwortung weiterführen. Ich finde das kann man nicht ablehenen – wenn Bayern dann auch ein Endlager für seinen Atommüll baut. Wird zwar etwas teurer, eins für Bayern und eins für den Rest von Deutschland (im bayrischen Koalitionsvertrag steht schließlich „Wir sind überzeugt, dass Bayern kein geeigneter Standort für ein Atomendlager ist.“²), aber man sollte es ihm anbieten. Es wäre spannend zu sehen wie er sich windet.
Das Endlager ist in der Tat auch das Problem weswegen ich den Ausstieg für eine gute Sache halte – ich halte das die-paar-Fässer-mehr-Argument für zynisch und den zusätzlichen CO₂-Eintrag für besser beherrschbar als den Atommüll.
Forschung für Fusion oder auch bessere Kernspaltungsreaktoren halte ich allerdings für eine gute Idee, so lange nicht die böoße Idee einer Transmutation den Bedarf für Endlager negiert.
Und ein dritter Gedanke, der weil er sich so herrlich auf den „deutschen Sonderweg“ einschießt: Ein Kommentar von Christoph von Marschall im Tagesspiegel mit dem Titel „Überhebliche Haltung beim Atomausstieg: Mit Sonderwegen liegt Deutschland in der Regel falsch“.³ Der ist in vieler Hinsicht originell: Spannend zum Beispiel ist, das im Winter (wo immer Dunkelflaute zu sein scheint)
beim Strombedarf gilt: „bis zu 80 Prozent werden dann mit Gas und Kohle erzeugt“. Gut, da steht „bis zu“, aber die 4% Atomstrom reißen es dann auch nicht mehr raus. Aber im ganzen Artikel wird so getan, als würden alle Europäer mit Begeisterung und verantwortungsvoll neue Atomkraftwerke bauen. Die »Renaissance« in der Slowakei besteht darin, dass sie sowjetische Kraftwerke, die sie in den neunzigern wegen Geldmangel auf Halde gelegt haben, fertig bauen und den Kernbrennstoff bei Rosatom kaufen. Gro0es Kino was Unabhängigkeit von Russland betrifft. Ein Containment haben die auch nicht – da ist zugegebenerweise das, was in Deutschland stillgelegt wurde, viel besser. Frankreich muss jede Menge Altreaktoren ersetzen, ob das Renaissance ist? Polen ist ein Sonderfall – die haben bislang nur Kohlekraftwerke, wollen sich aber von Westinghouse Kraftwerke kaufen – wenigstens kein Rosatom.
Es bleibt spannend, aber ich glaube nicht, dass der Verzicht auf deutsche Atomkraftwerke ein Fehler ist.
Kernenergie nach Ländern auf wikipedia.de
²Koalitionsvertrag mit den freien Wählern auf csu.de)
³„Überhebliche Haltung beim Atomausstieg: Mit Sonderwegen liegt Deutschland in der Regel falsch
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2023-04-16T023:32+02:00