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Wir thematisieren die wichtigen Fragestellungen rund um Internet, Gesellschaft und Politik und zeigen Wege auf, wie man sich auch selbst mit Hilfe des Netzes fĂŒr digitale Freiheiten und Offenheit engagieren kann. Mit netzpolitik.org beschreiben wir, wie die Politik das Internet durch Regulierung verĂ€ndert und wie das Netz Politik, Ăffentlichkeiten und alles andere verĂ€ndert.
Zuletzt aktualisiert: Tue, 17 Dec 2024 14:02:52 +0100
Tue, 17 Dec 2024 14:02:51 +0000
Maximilian Henning
Sie wird ĂŒberwachen, ob sich die Institutionen der Union an Transparenzregeln und Beamt:innen bei Wechseln zu Lobby-Jobs an Anti-DrehtĂŒr-Regeln halten. Ihre VorgĂ€ngerin Emily OâReilly hat lange Jahre starke Arbeit geleistet â kann Teresa Anjinho dem gerecht werden?
Teresa Anjinho wird neue EuropĂ€ische BĂŒrgerbeauftragte. Das EU-Parlament stimmte heute fĂŒr die Portugiesin. In den kommenden fĂŒnf Jahren wird sie die Belange europĂ€ischer BĂŒrger:innen gegenĂŒber den EU-Institutionen vertreten. Wenn Menschen etwa Probleme damit haben, Dokumente von Behörden zu bekommen, auf die sie eigentlich Anrecht hĂ€tten, können sie sich an sie wenden. Dabei kann sie aber nur ermahnen und rĂŒgen.
Anjinho ist momentan Mitglied im Aufsichtsausschuss des EuropĂ€ischen Amts fĂŒr BetrugsbekĂ€mpfung. Die Juristin war zuvor in ihrem Heimatland Portugal bereits Parlamentsabgeordnete, StaatssekretĂ€rin fĂŒr Justiz und stellvertretende BĂŒrgerbeauftragte. Am 27. Februar 2025 wird sie in ihr neues Amt eingeschworen.
Anjinho ersetzt Emily OâReilly, die diese Rolle seit 2013 innehatte. OâReilly hat die Position sehr stark vertreten. FĂŒr Journalist:innen besonders wichtig war, dass sie die EuropĂ€ische Kommission wiederholt wegen mangelnder Transparenz gerĂŒgt hat.
So etwa im Fall der SMS, mit denen KommissionsprĂ€sidentin Ursula von der Leyen wĂ€hrend der Corona-Pandemie den Kauf von Impfdosen vom Pharmariesen Pfizer vereinbarte. Die hatte unser damaliger Kollege Alexander Fanta nach dem europĂ€ischen Recht auf Informationsfreiheit angefordert. Die Kommission blockierte â bis heute. Die New York Times hat die EU-Institution deshalb verklagt, das Verfahren |lĂ€uft momentan noch|.
In einem anderen Fall |untersuchte| OâReilly Frontex, die europĂ€ische Grenzschutzagentur. Dabei ging es um die Frage, ob die Behörde genug RĂŒcksicht auf Risiken fĂŒr Menschenrechte genommen hatte.
Auch das Parlament nahm sie sich vor: Vor zwei Jahren verpasste OâReilly dem Parlament |eine RĂŒge|, weil es Dokumente aus Verhandlungen mit den anderen Institutionen nicht rechtzeitig genug herausgegeben hatte. Die Trilogverhandlungen zwischen Kommission, Rat und Parlament sind weiterhin der intransparenteste Teil des EU-Gesetzgebungsprozesses.
Die Frage ist nun, ob Anjinho ihre Position ebenso energetisch vertreten wird, wie OâReilly das in den vergangenen Jahren getan hat.
Gratulation gab es von Seiten der christdemokratischen EVP-Fraktion. Die hatte, zusammen mit den Sozialdemokraten der S&D, die Kandidatur von Anjinho |unterstĂŒtzt|. âFĂŒr das Amt ist nicht nur eine exzellente juristische Qualifikation, sondern vor allem der direkte Kontakt zu den BĂŒrgerinnen und BĂŒrgern entscheidend. Genau das bringt Frau Anjinho mitâ, sagte Alexandra Mehnert, die im zustĂ€ndigen Petitionsausschuss sitzt. âIch gratuliere ihr herzlich zu der Wahl und freue mich auf die kommenden Jahre der Zusammenarbeit!â
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Tue, 17 Dec 2024 11:48:36 +0000
Maximilian Henning
Nach ManipulationsvorwĂŒrfen wurde die PrĂ€sidentschaftswahl in RumĂ€nien abgesagt. Jetzt startet die EU-Kommission deshalb eine Untersuchung der Social-Media-Plattform Tiktok. Sie soll klĂ€ren, ob im Wahlkampf der Empfehlungsalgorithmus manipuliert wurde und wie die Plattform mit politischer Werbung umging.
Die EuropĂ€ische Kommission untersucht Tiktok. Grund dafĂŒr sind Vorkommnisse rund um die PrĂ€sidentschaftswahlen in RumĂ€nien. Eigentlich hĂ€tten die Menschen in dem Land vor einigen Wochen einen neuen PrĂ€sidenten oder eine neue PrĂ€sidentin wĂ€hlen sollen. Das oberste rumĂ€nische Gericht hatte die Wahl aber nach der ersten von zwei Runden |abgesagt|.
In der ersten Runde hatte ein bis dahin beinahe unbekannter Kandidat, CÄlin Georgescu, völlig unerwartet |die meisten Stimmen gewonnen|. Georgescu ist ein |rechtsextremer, prorussischer Verschwörungstheoretiker|. Der aktuelle PrĂ€sident RumĂ€niens veröffentlichte kurz darauf |Unterlagen des Geheimdienstes|. Laut diesen hatte eine massive, von auĂerhalb des Landes gesteuerte Operation die erste Runde der Wahl beeinflusst.
Die Kommission untersucht nun zwei verschiedene Dinge: Die Empfehlungssysteme von Tiktok und den Umgang der Plattform mit politischer Werbung. Man habe die Untersuchung wegen der veröffentlichten Dokumente und wegen Hinweisen aus der Zivilgesellschaft und von rumÀnischen Behörden eröffnet, sagte heute ein Beamter der Kommission.
In beiden Punkten will sie untersuchen, ob Tiktok genug getan hat, um sich auf die besonderen Herausforderungen einer Wahl in RumĂ€nien vorzubereiten â ob die Plattform etwa genug Moderator:innen hat, die RumĂ€nisch sprechen. AuĂerdem soll geklĂ€rt werden, ob automatisierte Accounts, also Bots, die Empfehlungssysteme der Plattform manipuliert haben.
Grundlage fĂŒr die Untersuchung ist der Digital Services Act (DSA). Mit diesem Gesetz hat die EU groĂen Online-Plattformen umfangreiche Vorgaben gemacht, wie sie ihre eigenen Regeln auf ihren Plattformen aufrechterhalten mĂŒssen.
Die Kommission hat wegen der Wahl schon mehrmals Informationen von Tiktok angefragt. Beamt:innen der Kommission reisten auĂerdem nach RumĂ€nien und trafen sich dort mit Vertreter:innen von rumĂ€nischen Geheimdiensten und DSA-Aufsichtsbehörden. Dabei habe die Plattform auch die Möglichkeit gehabt, auf die von den rumĂ€nischen Behörden veröffentlichen Dokumente zu reagieren, so der Kommissionsbeamte: âAuf Basis all dieser Dokumente haben wir entschieden, dass unser Verdacht bleibt.â
Die Kommission hat Tiktok auĂerdem angeordnet, Daten zu Wahlen in der EU aufzubewahren. Die Anordnung gilt vom November bis Ende MĂ€rz des kommenden Jahres â in diesem Zeitraum stehen in der EU auch noch Wahlen in Kroatien und in Deutschland an. Die Kommission ist auch in Kontakt mit den Behörden in diesen LĂ€ndern, um sie auf neue Risiken und Bedrohungen vorzubereiten, hieĂ es gestern aus der Kommission.
Auch das EuropÀische Parlament hat sich schon mit Tiktok und den Wahlen in RumÀnien beschÀftigt. Vor zwei Wochen, also vor der Annullierung der ersten Wahlrunde, waren zwei Vertreter:innen der Plattform in den Binnenmarktausschuss des Parlaments geladen.
âDie IntegritĂ€t von Wahlen ist fĂŒr Tiktok sehr wichtigâ, sagte eine der Vertreter:innen. Tiktok habe mehr als 6.000 Moderator:innen, 95 davon wĂŒrden RumĂ€nisch sprechen. Dazu kĂ€men 20 FaktenprĂŒfer:innen.
Von Seiten der Abgeordneten gab es teils scharfe Anschuldigungen. âWie kann Tiktok hier sitzen und so tun, als ob ihm die IntegritĂ€t von Wahlen wichtig ist?â, so etwa die GrĂŒnen-Abgeordnete Kim van Sparrentak. FĂŒr sie ist eine groĂe SchwĂ€che des DSA, dass er kein schnelles Eingreifen in Probleme wie in RumĂ€nien ermöglicht.
Die heutige Untersuchung ist die dritte, die die EU-Kommission gegen Tiktok eröffnet. Im Februar hatte sie |angekĂŒndigt|, zu untersuchen, wie Tiktok MinderjĂ€hrige auf seiner Plattform schĂŒtzt.
Im April ging es dann um |âTiktok Liteâ|, eine neue App, die Tiktok in Frankreich und Spanien gestartet hatte. Manche Features dieser App könnten gegen DSA-Regeln verstoĂen, hatte die Kommission damals gewarnt. Tiktok |verpflichtete sich freiwillig|, diese Features zurĂŒckzuziehen. Die Kommission schloss dieses zweite Verfahren daraufhin.
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|die meisten Stimmen gewonnen|
|rechtsextremer, prorussischer Verschwörungstheoretiker|
|Unterlagen des Geheimdienstes|
|verpflichtete sich freiwillig|
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Mon, 16 Dec 2024 16:00:05 +0000
netzpolitik.org
WĂ€hrend immer mehr Ăberwachungsgesetze auf dem Tisch landen, haben viele BĂŒrger:innen nicht einmal funktionierendes Breitband. Wie lĂ€sst sich digitale Spaltung verhindern? Damit Infrastruktur nicht nur nach den WĂŒnschen der Industrie geht, braucht es eine starke zivilgesellschaftliche Stimme.
Es war eine Nachricht mit bemerkenswerten Leerstellen, die schnell die Runde machte: Erstmals habe die Bundesnetzagentur einen Netzanbieter verpflichtet, einen Haushalt in Niedersachsen mit gesetzlich garantiertem Basis-Breitband ans Internet anzuschlieĂen, teilte die |Behörde knapp mit|. Schön und gut. Doch wer, wie, warum und wo genau, das alles blieb offen. Bis wir recherchiert haben, dass ausgerechnet der Satellitenbetreiber Starlink des umstrittenen US-MilliardĂ€rs Elon Musk den |Neubau in Mittelstenahe versorgen| soll.
Die Episode ist nur ein |Mosaikstein in der Debatte| zu den Grenzen des freien Markts und angemessener staatlicher Intervention. Ohne moderne digitale Infrastruktur ist kein Staat mehr zu machen und digitale Teilhabe hat viele Formen â sie beginnt bei der Grundversorgung mit Internet.
Deutschland steht nicht alleine vor dem Problem, seine alternden Netze möglichst rasch und möglichst flÀchendeckend auf den neuesten Stand zu bringen. Auch die EU-Kommission erhöht mittlerweile den Druck auf die MitgliedslÀnder, um die Ziele der Digitalen Dekade zu erreichen: Bis zum Ende des Jahrzehnts sollen alle EU-Haushalte eine Gigabit-Anbindung und alle bevölkerten Gebiete 5G-Mobilfunknetze haben.
Umstritten aber ist und bleibt die Frage, wie das am schnellsten und vor allem am billigsten geht. SchlieĂlich geht es um viel Geld, europaweit werden mindestens dreistellige MilliardenbetrĂ€ge notwendig sein. Kein Wunder, dass die Lobbyabteilungen vor allem groĂer Telekommunikationsunternehmen zunehmend mit ausgefeilten Policy-Papieren um sich werfen. Darin versprechen sie, dass Deregulierung und Konsolidierung des Marktes die Bits nur so flieĂen lassen werden. Anders gesagt: HĂ€nde weg, der Wettbewerb macht es schon.
Zumindest bei einem in der EU-Kommission sind die Unternehmen dabei auf offene Ohren gestoĂen â dem aus der Industrie stammenden Thierry Breton. Zwar ist der Franzose jĂŒngst |aus der Kommission ausgeschieden|. Doch mit seinem auffallend |GroĂindustrie-freundlichen WeiĂbuch zu digitaler Infrastruktur| hat Breton die Grundlage fĂŒr eine Reform gelegt, was auch immer das letztlich heiĂen mag.
UnabhĂ€ngig voneinander drĂ€ngen zwei lang erwartete Berichte italienischer Ex-Premiers â Mario Draghi und Enrico Letta â ebenfalls darauf, den |Markt zu entfesseln|. Sonst drohe Europa, zu weit hinter die USA und China zurĂŒckzufallen, warnen sie.
Damit dĂŒrfte die Diskussion rund um den anstehenden |Digital Networks Act| im Groben abgesteckt sein. Sind wir bereit, womöglich RĂŒckschritte in Kauf zu nehmen, etwa beim Verbraucherschutz oder bei der Angebotsvielfalt, um ein bestimmtes Ausbauziel zu erreichen? Soll am Ende vielleicht nur eine Handvoll richtig groĂer Telekommunikationsunternehmen, die so lange herbeigewĂŒnschten âeuropĂ€ischen Championsâ, EU-weit die Infrastruktur betreiben â und damit eine |neue Machtposition auch gegenĂŒber Inhalteanbietern| im Internet erlangen?
Dass es sich um eine politisch wie wirtschaftlich brisante und komplexe Angelegenheit handelt, wird in offiziellen und inoffiziellen GesprĂ€chen mit Vertreter:innen der EU-Kommission mehr als deutlich. Ebenfalls deutlich wird, dass sie meist bemerkenswert gut vertraut sind mit |Kritik aus der Zivilgesellschaft|: Weil sie genau wissen, dass ihnen jemand auf die Finger schaut. Und weil sie genau wissen, welches Mobilisierungspotenzial die Netz-Community hat, die sich fĂŒr ein offenes Netz einsetzt.
Dank eurer UnterstĂŒtzung können wir dranbleiben, selbst â und erst recht wenn â die Themen sperrig sind oder die groĂe Medienkarawane vorbeigezogen ist. Wir können etwa die Bundesnetzagentur an ihre Aufsichtsfunktion erinnern, wenn die |Telekom Deutschland schon wieder mit der NetzneutralitĂ€t| experimentiert. Wir können recherchieren, mit |welchem Aufwand einzelne unterversorgte Haushalte| ans Internet angeschlossen werden. Wir können dokumentieren, wie es dem |staatlichen Förderprogramm geht|, das die deutschen |VersorgungslĂŒcken seit bald zehn Jahren zu schlieĂen| versucht.
Und wir können und mĂŒssen auf EU-Ebene am Ball bleiben. Dort werden die entscheidenden Weichen gestellt, in den kommenden Jahren auch im Telekommunikationssektor. Wir |brauchen eure Spende|, damit diese Weichen nicht nur nach den WĂŒnschen der GroĂindustrie ausgerichtet werden. Zivilgesellschaftliche Kritik braucht eine Stimme, und die wollen wir sein.
Seit Jahren berichten wir nicht nur aus Berlin, sondern auch aus BrĂŒssel ĂŒber Netzpolitik. Damit wir weiter |scheinbar obskure Veranstaltungen| besuchen oder mitunter |schwer verdauliche Papiere lesen und aufarbeiten können|, brauchen wir |Deine Spende|. Sonst schreibt sich die Industrie ihre Regeln selbst.
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|Neubau in Mittelstenahe versorgen|
|aus der Kommission ausgeschieden|
|GroĂindustrie-freundlichen WeiĂbuch zu digitaler Infrastruktur|
|neue Machtposition auch gegenĂŒber Inhalteanbietern|
|Kritik aus der Zivilgesellschaft|
|Telekom Deutschland schon wieder mit der NetzneutralitÀt|
|welchem Aufwand einzelne unterversorgte Haushalte|
|staatlichen Förderprogramm geht|
|VersorgungslĂŒcken seit bald zehn Jahren zu schlieĂen|
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Mon, 16 Dec 2024 13:51:04 +0000
Ingo Dachwitz
Amnesty International enthĂŒllt, dass Journalist:innen und Aktivist:innen in Serbien in erheblichem AusmaĂ mit Staatstrojanern wie Pegasus und NoviSpy ausgespĂ€ht werden. In der Kritik steht neben der serbischen Regierung die Firma Cellebrite, zu deren Kunden auch deutsche Behörden gehören.
Zahlreiche Menschen aus der serbischen Zivilgesellschaft sind Opfer von illegaler staatlicher Ăberwachung geworden, darunter kritische Journalist:innen und Umwelt-Aktivist:innen. Das deckt eine heute veröffentlichte |Untersuchung des Security Lab von Amnesty International| auf.
Die Sicherheitsforscher:innen der Nichtregierungsorganisation haben unter anderem die Staatstrojaner NoviSpy und Pegasus auf Smartphones von Personen gefunden, die sich kritisch ĂŒber Regierungsprojekte Ă€uĂern. Mit der SpĂ€hsoftware lassen sich beispielsweise alle Inhalte von Telefonen auslesen, laufende Kommunikation mitschneiden und Mikrofone unbemerkt anschalten. In mehreren FĂ€llen wurden offenbar die Telefone von Menschen infiziert, wĂ€hrend sie sich GebĂ€uden von Sicherheitsbehörden befanden.
âUnsere Untersuchung zeigt, wie die serbischen Behörden Ăberwachungstechnologien und digitale Repressionstaktiken als Instrumente einer umfassenderen staatlichen Kontrolle und Repression gegen die Zivilgesellschaft eingesetzt habenâ, |sagt Dinushika Dissanayake|, die stellvertretende Regionaldirektorin fĂŒr Europa bei Amnesty International. Serbien ist seit 2012 EU-Beitrittskandidat, wird seit einigen Jahren aber immer autoritĂ€rer regiert.
Aktivist:innen berichten von den traumatisierenden und einschĂŒchternden Folgen, die die Ăberwachung hat. Eine Person vergleicht die Situation mit einem âdigitalen GefĂ€ngnisâ. Die Ăberwachung habe zwei mögliche Auswirkungen: âEntweder man entscheidet sich fĂŒr Selbstzensur, was die eigene Arbeit erheblich beeintrĂ€chtigt, oder man entscheidet sich dafĂŒr, sich trotzdem zu Ă€uĂern, wobei man dann mit den Konsequenzen rechnen muss.â
Ein Opfer der staatlichen Ăberwachung war laut Amnesty der Umwelt- und Antikorruptionsaktivist Nikola RistiÄ. Sein Telefon wurde den Untersuchungen von Amnesty International zufolge mit Cellebrites UFED geknackt und mit NoviSpy ĂŒberwacht.
Auch der Investigativjournalist SlaviĆĄa Milanov gehörte zu den ĂŒberwachten Personen. Am 24. Februar 2024 wurde er von der Polizei wegen des angeblichen Verdachts auf Trunkenheit am Steuer festgenommen. Der unabhĂ€ngige Journalist sollte einen Test machen, um zu belegen, dass er nicht unter Alkoholeinfluss Auto gefahren sei.
Sein ausgeschaltetes Telefon musste Milanov an der Rezeption der Polizeiwache zurĂŒcklassen. Als er wieder auf freiem FuĂ war, bemerkte er VerĂ€nderungen am GerĂ€t. Unter anderem war die Datenfunktion des Telefons abgestellt. Der Journalist lieĂ sein Telefon daraufhin von Amnestys Security Lab untersuchen Die Sicherheitsforscher:innen entdeckten Belege dafĂŒr, dass es wĂ€hrend seiner Befragung mit Cellebrites UFED-Produkt entsperrt wurde. AuĂerdem wurde das GerĂ€t mit dem Staatstrojaner NoviSpy infiziert.
âDiese Taktik der heimlichen Installation von Spionagesoftware auf den GerĂ€ten von Personen wĂ€hrend der Festnahme oder Befragung scheint bei den Behörden weit verbreitet zu seinâ, konstatiert Amnesty International in einer Pressemitteilung. Ein Aktivist, der sich mit der Gruppe Krokodil fĂŒr VerstĂ€ndigung im Westbalkan einsetzt, sei gehackt worden, wĂ€hrend er bei einem GesprĂ€ch mit dem Inlandsgeheimdienst BIA gewesen sein.
Der Geheimdienst hatte den Aktivisten im Oktober 2024 in das BIA-BĂŒro in Belgrad eingeladen, nachdem dieser sich ĂŒber einen Angriff durch eine russischsprachige Gruppe beschwert hatte. Die Untersuchung des Amnesty International Security Labs konnte nachweisen, dass das Handy der Person wĂ€hrend des GesprĂ€chs mit NoviSpy infiziert wurde. Die Sicherheitsforscher:innen konnten Screenshots von E-Mail-Konten sowie Signal- und WhatsApp-Nachrichten sicherstellen, die mit der SpĂ€hsoftware erstellt wurden.
Andere Aktivist:innen wurden der Untersuchung zufolge mit dem berĂŒchtigten Pegasus-Trojaner infiziert, der von der israelischen NSO Group hergestellt wird. Als Sicherheitsforscher:innen vom Citizen Lab und von Amnesty International die SpĂ€hsoftware vor einigen Jahren auf den Telefonen hunderter Politiker:innen, Journalist:innen und Menschenrechtler:innen entdeckten, löste dies einen |weltweiten Skandal| aus. Auch das Umfeld des ermordeten saudischen Journalisten Jamal Kashoggi wurde mit Pegasus ĂŒberwacht.
Im aktuellen Bericht nimmt Amnesty eine andere Firma in den Blick, die 1999 ebenfalls in Israel gegrĂŒndet wurde und inzwischen Niederlassungen auf der ganzen Welt hat: Cellebrite. Das Unternehmen stellt sogenannte Forensik-Produkte her, mit denen sich digitale GerĂ€te aufbrechen und Daten sichern lassen. Cellebrite hat VertrĂ€ge mit zahlreichen Regierungen weltweit und vermarktet sich selbst als Werkzeug fĂŒr den rechtsstaatlichen Einsatz.
Auch deutsche Behörden nutzen laut |Recherchen von netzpolitik.org| Produkte von Cellebrite. Unter anderem in Baden-WĂŒrttemberg, Bayern und Niedersachsen werden die Werkzeuge der Firma genutzt, um Telefone von Asylbewerber:innen zu knacken. Dies soll helfen, ihre IdentitĂ€t festzustellen. Fachleute bezweifeln jedoch den Nutzen der MaĂnahme und bezeichnen sie als âreine Schikaneâ gegen Asylbewerber:innen.
Amnesty International hat Cellebrite nach eigenen Angaben mit dem Ergebnis der Untersuchung in Serbien konfrontiert. Das Unternehmen betonte demzufolge, dass seine Produkte lediglich fĂŒr einen rechtskonformen Einsatz lizensiert wĂŒrden und es die Berichte ĂŒber möglichen Missbrauch untersuchen werde. Die Produkte wĂŒrden keine Spyware installieren oder Echtzeit-Ăberwachung wie ein Staatstrojaner liefern.
Amnesty wiederum betont, dass Cellebrites Produkte trotzdem eine wichtige Rolle bei illegaler Ăberwachung spielen könnten. Die Nachforschungen wĂŒrden zeigen, âwie die Produkte von Cellebrite dazu missbraucht werden können, Spionagesoftware zu installieren und in groĂem Umfang Daten von Mobiltelefonen zu sammeln, auch auĂerhalb von gerechtfertigten strafrechtlichen Ermittlungen, was eine groĂe Gefahr fĂŒr die Menschenrechte darstelltâ.
âUnsere Recherchen zeigen: Die globale Ăberwachungsindustrie ist weiterhin auĂer Kontrolleâ, kommentiert Lena Rohrbach von Amnesty International Deutschland den Bericht gegenĂŒber netzpolitik.org. Es brauche dringend eine effektive Regulierung der Branche und des Einsatzes von Ăberwachungsinstrumenten. âCellebrite und andere Unternehmen mĂŒssen endlich ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nachkommen und sicherstellen, dass ihre Produkte nicht fĂŒr Menschenrechtsverletzungen eingesetzt werden.â
Konsequenzen fordert Rohrbach auch in Serbien: âDie serbischen Behörden mĂŒssen sofort aufhören, hochgradig invasive Ăberwachungssoftware einzusetzen und Journalistinnen und UmweltschĂŒtzerinnen auszuspionieren.â Die serbische Regierung mĂŒsse die Betroffenen entschĂ€digen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen.
Serbien ist seit gut zwölf Jahren Beitrittskandidat fĂŒr die EuropĂ€ische Union. Unter dem seit 2017 regierenden nationalistischen PrĂ€sident Aleksandar VuÄiÄ orientierte sich das Land jedoch stĂ€rker in Richtung Russland und verzeichnete groĂe RĂŒckschritte bei der Achtung der Menschenrechte. VuÄiÄ regiert in Teilen autokratisch und geht immer wieder hart gegen Opposition und Zivilgesellschaft vor.
Besonders die Umweltbewegung ist derzeit im Visier des Staates. Im Sommer 2024 schlossen die EuropĂ€ische Union und Serbien ein weitreichendes |Abkommen ĂŒber die Förderung von Lithium| im Land. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hatte den Deal eingefĂ€delt. Das Leichtmetall wird fĂŒr die Energiewende und fĂŒr die Akkus in E-Autos und digitalen GerĂ€ten benötigt, doch viele Menschen vor Ort fĂŒrchten katastrophale Folgen fĂŒr die Umwelt.
|Zehntausende demonstrieren| gegen das Abkommen, bis heute. Schon lĂ€nger ĂŒbt die serbische Regierung massiven Druck auf fĂŒhrende Köpfe der Bewegung aus. Schon vor Monaten hatte ein Umweltaktivist von |Ăberwachung und anonymen Todesdrohungen| berichtet. Die EnthĂŒllungen von Amnesty zeigen nun, dass die nationalistische Regierung Ăberwachungswerkzeuge systematisch einsetzt, um die Zivilgesellschaft zu schwĂ€chen.
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|Untersuchung des Security Lab von Amnesty International|
|Recherchen von netzpolitik.org|
|Abkommen ĂŒber die Förderung von Lithium|
|Ăberwachung und anonymen Todesdrohungen|
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Mon, 16 Dec 2024 07:27:58 +0000
Matthias Monroy
Die Zahl von Abfragen und Gespeicherten im BKA-Gesichtserkennungssystem nimmt weiter zu. Ein Upgrade mit einer Fehlerrate nahe Null macht 50 Lichtbildexpert:innen arbeitslos. Nur die KI-Verordnung der EU ist noch im Weg.
Deutsche Polizeien nutzen das Gesichtserkennungssystem (GES) des Bundeskriminalamtes (BKA) immer zahlreicher fĂŒr Abfragen. Im Jahr 2023 wurden ĂŒber die Plattform insgesamt 117.894 Suchen durchgefĂŒhrt, davon 74.803 durch die LandeskriminalĂ€mter, 26.187 durch das BKA und 16.904 durch die Bundespolizei. Dies stellt einen deutlichen Anstieg gegenĂŒber 2022 dar, als insgesamt 91.767 Anfragen gestellt wurden.
Die Statistik war bereits durch die Antwort auf eine Kleine Anfrage im Bundestag bekannt. Auf weitere Nachfrage von netzpolitik.org differenzierte ein BKA-Sprecher auch die SuchlĂ€ufe fĂŒr die einzelnen Behörden: Demnach fĂŒhrten LandeskriminalĂ€mter im Jahr 2023 74.803 Abfragen durch, das BKA 26.187. Von der Bundespolizei stammten 16.904 Abfragen, was |gegenĂŒber dem Vorjahr| mehr als eine Verdopplung darstellt.
Die Zunahme der durchgefĂŒhrten Recherchen erklĂ€rt das BKA damit, dass bei den Polizeibehörden âdas Bewusstsein ĂŒber Gesichtserkennung als Hilfsmittel zunimmtâ. Jedoch stieg die Zahl der identifizierten Personen nur leicht: Im Jahr 2023 wurden insgesamt 3.796 Personen mithilfe der Gesichtserkennung ausfindig gemacht oder verifiziert, im Jahr 2022 waren es 3.599. Die meisten positiven Treffer (2.113) erzielte wie in den Vorjahren die Bundespolizei, gefolgt von den LandeskriminalĂ€mtern (1.674) und dem BKA (9).
Das bislang ausschlieĂlich retrograd funktionierende GES steht seit 2008 allen deutschen Polizeibehörden zur VerfĂŒgung. Es soll helfen, Straftaten aufzuklĂ€ren oder die IdentitĂ€t von Asylsuchenden zu verifizieren. Neben Fotos aus der erkennungsdienstlichen Behandlung können auch Handyfotos oder Aufnahmen von Videokameras im öffentlichen Raum fĂŒr die Abfrage genutzt werden.
Die abgefragten biometrischen Daten liegen in der INPOL-Datei. Diese gröĂte deutsche Polizeidatenbank wird ebenfalls vom BKA fĂŒr alle angeschlossenen Behörden zentral gefĂŒhrt. Auch die Zahl der dort gespeicherten Gesichtsbilder ist im Jahr 2023 wieder deutlich gestiegen. Mit Stand vom 8. MĂ€rz 2024 waren in INPOL insgesamt 7.293.861 Lichtbilder zu 5.099.635 Personen gespeichert â gegenĂŒber dem Vorjahr eine Zunahme um rund zehn Prozent. Von den gespeicherten Bildern stammen 3.061.861 aus ânicht-polizeilichen Quellenâ, erklĂ€rt das BKA. Einen GroĂteil davon dĂŒrften AsylantrĂ€ge ausmachen.
Im Jahr 2014 betrug die Fehlerrate des GES noch rund 30 Prozent, heute soll sie auf unter ein Prozent gesunken sein. Das berichtete eine Mitarbeiterin des BKA auf der Herbsttagung der Wiesbadener Bundeshörde im November. In den kommenden Jahren soll das System dann gar keine Fehler machen: Das BKA hat im September 2024 ein auf KĂŒnstlicher Intelligenz basiertes, erneuertes GES eingefĂŒhrt, das BKA-Chef Holger MĂŒnch als eines der leistungsstĂ€rksten weltweit bezeichnet.
Es soll prÀzise Identifizierungen selbst unter schwierigen Bedingungen wie schlechten LichtverhÀltnissen, schwierigen Blickwinkeln und bei Altersunterschieden bis zu 30 Jahren ermöglichen.
Auf der Herbsttagung hat MĂŒnch unter dem Motto âWie wir die Welle reitenâ |weitere Details zu dem neuen GES| mitgeteilt. Demnach ist die Treffergenauigkeit bei sogenannten 1:n-Recherchen so hoch, dass ein nachfolgender manueller Abgleich durch Lichtbildexpert:innen eigentlich ĂŒberflĂŒssig wĂ€re. Diese menschliche Endkontrolle soll nur aufgrund von Vorgaben |der von der EU erlassenen KI-Verordnung| weiterhin erfolgen, wie BKA-PrĂ€sident MĂŒnch betonte. âAufgrund von rechtlichen Vorgaben werden jedoch Mitarbeitende Aufgaben weiterhin manuell erledigen mĂŒssenâ, heiĂt es aber auch in der PrĂ€sentation der BKA-Expertin.
Trotzdem werden in der Abteilung fĂŒr die Verifizierung zahlreiche Stellen abgebaut. Auf der Herbsttagung sprachen BKA-Mitarbeiter hierzu von jetzt schon 15 âfreigesetztenâ Mitarbeiter:innen, Ende 2026 soll diese Zahl bei 50 Personen liegen. AnschlieĂend seien âweitere AutomatisierungsmaĂnahmenâ vorgesehen.
Laut MĂŒnch wurde fĂŒr diesen Prozess ein âPersonalprojektâ ins Leben gerufen, um den Wandel in der Abteilung fĂŒr Gesichtserkennung zu begleiten und fĂŒr die obsolet werdenden Mitarbeiter:innen neue, anspruchsvollere TĂ€tigkeiten zu schaffen.
Der BKA-Chef bezeichnet die EinfĂŒhrung KI-gestĂŒtzter Biometrie-Methoden als âKreativitĂ€tâ, die es âweiter zu entfesselnâ gelte. Dazu verweist MĂŒnch auf den Fall der als RAF-Terroristin verhafteten Daniela Klette. Ein Investigativjournalist hatte |eine Spur Klettes entdeckt|, indem er alte Fahndungsfotos von ihr ĂŒber den privaten Anbieter PimEyes mit Fotos in Sozialen Netzwerken abglich. Auf diese Weise habe der Podcaster âBefugnisdefiziteâ der Polizei aufgedeckt, so MĂŒnch.
Auch deutsche Polizeien sollen jetzt die Möglichkeit zur Internetsuche mit Gesichtsbildern erhalten, hierzu hatte der Bundestag das sogenannte âSicherheitspaketâ beschlossen. |Einen ersten Anlauf| hatte der Bundesrat noch gekippt, da es vielen LĂ€ndern nicht weit genug ging. Nun soll das Paket aber |noch einen zweiten Anlauf| nehmen.
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|weitere Details zu dem neuen GES|
|der von der EU erlassenen KI-Verordnung|
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Sun, 15 Dec 2024 12:33:04 +0000
Michael Voregger
Gelsenkirchens FuĂballclub Schalke 04 ist wichtig fĂŒr die Stadt und seine Fans. Dabei gibt es reichlich Auseinandersetzungen mit der Polizei, die das fĂŒr öffentlichkeitswirksame MaĂnahmen nutzt â ob Fotofahndung oder harsche Pressemitteilungen.
In Gelsenkirchen |ist seit Januar| Tim Frommeyer PolizeiprĂ€sident. Er steht dabei vor komplexen Herausforderungen: Neben der BekĂ€mpfung von KriminalitĂ€t, die Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul hĂ€ufig als âClankriminalitĂ€tâ bezeichnet, prĂ€gen Spannungen mit der organisierten Fanszene des FC Schalke 04 seinen Arbeitsalltag. Eine Entspannung in diesem Konflikt ist bisher nicht in Sicht.
Schalke 04 ist wichtig in Gelsenkirchen, der Verein hat auch im deutschen FuĂball und eine besondere Bedeutung. Mit einem Zuschauerschnitt von ĂŒber 61.000 Fans pro Heimspiel bleibt der Verein eine zentrale Kraft, auch in der 2. Bundesliga. Im europĂ€ischen Vergleich belegte Schalke 04 in dieser Saison |den 14. Platz im UEFA-Ranking der absoluten Zuschauerzahlen| und war damit der einzige Zweitligist unter den Top 16.
Frommeyer nutzt das Thema und die Auseinandersetzungen darum offenbar: Mit gezielter MedienprĂ€senz, umstrittenen Entscheidungen, digitaler Fotofahndung nach verdĂ€chtigen Fans und der Empfehlung an die UEFA zu Spielverlegungen sorgt Frommeyer fĂŒr heftige Diskussionen. Dadurch spielt die Polizei in der |Ă€rmsten Stadt Deutschlands| nicht nur die Rolle des OrdnungshĂŒters, sondern zunehmend auch die einer politischen Kraft.
WĂ€hrend Frommeyer die Aufmerksamkeit durch das Thema nutzt, zeigte er |bei seiner traditionellen Vorstellung im Stadtrat| stellenweise wenig VerstĂ€ndnis fĂŒr kritische Fragen. Besonders zeigte sich das bei der Diskussion um einen möglichen Ausschluss Gelsenkirchens von Champions-League-Spielen.
Nachdem es beim Spiel zwischen Schachtjor Donezk und Atalanta Bergamo auf Schalke zu Auseinandersetzungen zwischen den Fans kam, kĂŒndigte Frommeyer an: âEine mögliche Konsequenz der VorfĂ€lle könnte eine Empfehlung an die UEFA sein, in Zukunft keine âGastspieleâ fremder Vereine mehr auf Schalke durchzufĂŒhrenâ â ein Schritt, der finanzielle Verluste fĂŒr Schalke und einen Imageschaden fĂŒr die Stadt bedeuten wĂŒrde. Die Forderung wurde direkt nach dem Spiel |ĂŒber die Pressestelle der Polizei veröffentlicht|.
Was die Polizei sagt, stimmt?
Das Verhalten der âsogenannten Fansâ bezeichnete Frommeyer als âasozialâ â ein Begriff, der aufgrund seiner historischen Konnotationen umstritten ist. Der Duden |ordnet das Adjektiv als diskriminierend ein|. Der Autor Matthias Heine schreibt in seiner Veröffentlichung |âVerbrannte Wörterâ| : âWer das Wort asozial leichtfertig benutzt, offenbart Gedankenlosigkeit und mangelhafte Geschichtskenntnisseâ.
|Von der Lokalredaktion der WAZ| wurde die Pressemeldung der Polizei ungeachtet dessen inhaltlich ĂŒbernommen. Es erfolgte keine kritische Bewertung, journalistische Einordnung oder abweichende EinschĂ€tzung.
Beim Antrittsbesuch des PolizeiprĂ€sidenten im Stadtrat kritisierte der sportpolitische Sprecher der SPD Daniel Siebel sowohl die einseitige Berichterstattung der Lokalzeitung ĂŒber den Vorfall als auch die Wortwahl der Polizei: âStatt dem Aufruf des Deutschen Journalistenverbandes zu folgen, nĂ€mlich Polizeiberichte als eine von mehreren möglichen Quellen zu nutzen und nicht als alleinige, hĂ€tte die WAZ das gemacht, dann wĂ€re die Headline vielleicht nicht âgewaltorientierte Schalker griffen friedliche Atalanta-Fans anâ, sondern hĂ€tte man vielleicht erfahren, dass auf beiden Seiten gewaltorientierte Fans sind.â
Nach dem zunĂ€chst freundlichen Empfang des PolizeiprĂ€sidenten im Stadtrat zeigte er sich sichtlich irritiert von der Kritik: âWenn wir in jeder Situation erst mal hinterfragt werden, ob denn das eventuell auch stimmen sollte, was die Polizei da geĂ€uĂert hat, finde ich das eine etwas verquere Herangehensweiseâ, sagte Tim Frommeyer. âDas muss ich auch klar sagen. Also ich gehe schon davon aus, dass der GroĂteil der Menschen in dieser Stadt und darĂŒber hinaus davon ausgeht, dass wenn die Polizei etwas Ă€uĂert, das auch genau so passiertâ.
Die Debatte um Stadionkultur
Doch der Konflikt zwischen organisierten Fangruppen und der Polizei eskaliert nicht nur medial immer wieder. Seit August 2023 wurden |Choreografien in der Nordkurve verboten| â eine Reaktion der Polizei auf VerstöĂe gegen Absprachen zur Nutzung von Pyrotechnik. Dabei ist die Nordkurve seit Jahrzehnten ein zentraler Ort der Fankultur.
Am Rande der Nordkurve befindet sich auch die Leitstelle von Polizei und Feuerwehr. Seit der Eröffnung der Arena 2001 war es ĂŒber 20 Jahre möglich, die ganze Breite der Nordkurve fĂŒr Choreografien zu nutzen. Jetzt besteht die Polizei auf die Rundumsicht aus der Leitstelle, die bei Choreografien zeitweise verhĂ€ngt wurde, obwohl das gesamte Stadion mit hochauflösenden Kameras ĂŒberwacht wird.
Durch diese Kameras entstehen viele Aufnahmen. Das zeigt etwa ein Ereignis aus dem Mai 2023 â als noch Choreografien genehmigt wurden. Nach der Bundesliga-Partie zwischen dem FC Schalke 04 und Eintracht Frankfurt kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den Fans. Es gab mehrere Verletzte. Im Anschluss arbeitete eine Ermittlungskommission ĂŒber ein Jahr an der Suche nach VerdĂ€chtigen, bevor im April 2024 die |Fotos von 69 verdĂ€chtigen Personen im Internet veröffentlicht| wurden. Die âBildâ druckte nach der Veröffentlichung der Fahndung durch die Polizei zahlreiche Fotos der gesuchten Personen auf einer kompletten Zeitungsseite ab.
Fotofahndung und die ErzĂ€hlung vom gefĂ€hrlichen FuĂballstadion
Diese Fotofahndung hat heftige Kritik ausgelöst. Verschiedene Fangruppen und die Ultras haben das Vorgehen im Stadion mit SprĂŒchen auf Transparenten kritisiert. Kritiker bemĂ€ngeln, dass die Veröffentlichung von Bildern unbeteiligter Personen Persönlichkeitsrechte verletzen könnte. |Darunter auch die Königsblaue Hilfe|, ein Fanhile-Verein, der bei Problemen mit Polizei und Justiz unterstĂŒtzt: âDiese Massenfahndung aufgrund des schnell konstruierten Vorwurfs des Landfriedensbruch stellt fĂŒr uns eine neue QualitĂ€t polizeilicher Repression dar, die Schrauben werden angesichts der EM im Sommer enger gedreht. Die VerhĂ€ltnismĂ€Ăigkeit der MaĂnahme darf zumindest stark angezweifelt werden!â
Die Polizei argumentiert, dass die Fotofahndung ein notwendiges Instrument zur AufklÀrung von Straftaten sei. Fans halten dagegen, Menschen seien bei vergangenen Fotofahndungen fÀlschlich an den Pranger gestellt worden. Die Debatte um Datenschutz und Rechte der Betroffenen bleibt bestehen.
Sie zeigt sich auch in der Diskussion um ein |Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Oktober|. Darin erklĂ€rte das Gericht Teile des BKA-Gesetzes fĂŒr verfassungswidrig. Fans begrĂŒĂten das Urteil, da es Grundlagen der umstrittenen âGewalttĂ€ter Sportâ-Datei infrage stellt. Diese ermöglicht es, Fans aufgrund bloĂer Verdachtsmomente zu erfassen â selbst wenn Verfahren spĂ€ter eingestellt werden. Die Konsequenzen reichen von polizeilichen Befragungen bis zu ReisebeschrĂ€nkungen oder Stadionverboten.
Die PolizeifĂŒhrung in Gelsenkirchen zeigt sich bisher unbeeindruckt von der Gerichtsentscheidung, die das Recht auf informationelle Selbstbestimmung stĂ€rkt und bestimmte Datensammlungen als verfassungswidrig erklĂ€rt. Der PolizeiprĂ€sident Tim Frommeyer will nach seinen ĂuĂerungen im Stadtrat offenbar weiter an dem bestehenden Verfahren festhalten.
Sicherheitsgipfel ohne Fans
Beim jĂŒngsten |Sicherheitsgipfel mit Vertretern von Politik und Sport| wurde das Urteil des Bundesverfassungsgerichts kaum thematisiert. Stattdessen beschloss man die EinfĂŒhrung einer zentralen Stadionverbotskommission und bestĂ€tigte das Verbot von Pyrotechnik â einem anderen Dauerkonflikt.
WĂ€hrend die Polizei in Gelsenkirchen strikt gegen Pyrotechnik vorgeht, zeigen sich Vertreter der Feuerwehr offener fĂŒr Vereinbarungen mit den Fans. Ăffentlich Ă€uĂern wollen sie sich dazu aber nicht. Ein kontrolliertes Abbrennen im Stadion, wie es in DĂ€nemark oder Norwegen praktiziert wird, bleibt unrealistisch.
Vertreter der Fanszene waren bei dem Sicherheitsgipfel nicht eingeladen. Sie kritisieren, dass FuĂballspiele als besonders gefĂ€hrliche Ereignisse dargestellt werden. âEs gibt keine Statistik, auch keine Polizeistatistik, die darauf hindeuten wĂŒrde, dass das Stadionerlebnis in Deutschland unsicher sei. Selbst Polizeizahlen belegen, dass FuĂballstadien zu den sichersten Orten des Landes gehören, anders als vergleichbare Massenveranstaltungen, wie Volksfeste oder zuletzt das Oktoberfestâ kritisiert Thomas Kessen von der bundesweiten Fanorganisation âUnsere Kurveâ. Im Vergleich zeigt sich, dass die Wahrscheinlichkeit, Opfer einer Straftat zu werden, auf Volksfesten wie dem Oktoberfest |höher ist als in deutschen FuĂballstadien|.
Kessen wĂŒnscht sich einen Dialog: âWann definieren wir âHochrisikospieleâ endlich gemeinsam und erarbeiten auch die entsprechenden Vorgehensweisen und Lösungen endlich gemeinsam mit allen Beteiligten? Die in vielen BundeslĂ€ndern bereits praktizierten âStadionallianzenâ zeigen deutlich, was durch den Einbezug weiterer Beteiligter erreicht werden kann. Wer an einer belastbaren Lösung interessiert ist, der sollte nicht auf Schlagzeilen und dumpfen Populismus setzen,â fordert Kessen.
Stadionallianzen wurden erstmals in der Saison 2017/18 in Baden-WĂŒrttemberg eingefĂŒhrt. Seitdem haben sich weitere BundeslĂ€nder diesem Ansatz angeschlossen. Aktuell bestehen Stadionallianzen in sieben BundeslĂ€ndern, darunter Niedersachsen, Bayern, Hessen und Sachsen. Beispielsweise fĂŒhrte Sachsen im Juni 2023 eine Tagung im Rudolf-Harbig-Stadion in Dresden durch, um die EinfĂŒhrung des Modells der Stadionallianzen an den sĂ€chsischen Vereinsstandorten der ersten bis vierten Liga voranzutreiben. In Gelsenkirchen gibt es solche Initiativen bisher nicht. Die Polizei setzt hier augenscheinlich auf einseitige Kommunikation ihrer Botschaften.
Gelsenkirchen hat andere Probleme
Wie seine VorgĂ€ngerin Britta Zur nutzt Frommeyer die sozialen Medien geschickt zur Selbstdarstellung und politischen Einflussnahme. ZunĂ€chst fĂ€llt die Inszenierung der Verantwortlichen bei der Veröffentlichung der Behördenfotos auf. Ein ehemaliger Pressefotograf der Funke Mediengruppe ist dafĂŒr zustĂ€ndig. Unter Zurs Leitung nutzte die Polizei Gelsenkirchen Plattformen wie Twitter, Instagram und Facebook, um ĂŒber EinsĂ€tze zu informieren und eigene Positionen in die Ăffentlichkeit zu bringen.
Ein Beispiel fĂŒr diese Strategie ist |ein Tweet| der Polizei Gelsenkirchen nach Zurs AmtseinfĂŒhrung: âUnsere PrĂ€sidentin schieĂt scharf mit Worten, wenn es sein muss. DafĂŒr braucht sie keine Waffe.â Das folgt dem Ansatz, polizeiliche Themen zu kommunizieren, bevor es andere tun.
Britta Zur nutzte Gelsenkirchen als Sprungbrett. Sie wurde erst Ordnungsdezernentin in DĂŒsseldorf und ist inzwischen zur Bahntochter DB Sicherheit gewechselt. MaĂnahmen gegen FuĂballfans scheinen eine bewĂ€hrte Strategie fĂŒr Aufmerksamkeit zu sein. Doch wĂ€hrend solcher Aktionen mediale Resonanz finden, bleibt die BekĂ€mpfung organisierter und |JugendkriminalitĂ€t| eine deutlich gröĂere Herausforderung.
Michael Voregger, Jahrgang 1961, ist freiberuflicher Medientrainer, Autor, Podcaster, Sozialwissenschaftler und Journalist. Er lebt und arbeitet in Gelsenkirchen. Als Journalist liefert er BeitrĂ€ge zu den Themenschwerpunkten Internet, Digitalisierung und Medien (WDR, Deutschlandradio, die taz, etc.). Er fĂŒhrt Workshops zu Medienthemen online und in PrĂ€senz fĂŒr Stiftungen, VerbĂ€nde und Landesmedienanstalten durch. Er ist anerkannter Projektleiter bei der Landesanstalt fĂŒr Medien NRW und hat die Sendelizenz fĂŒr den BĂŒrgerfunk.
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|den 14. Platz im UEFA-Ranking der absoluten Zuschauerzahlen|
|ïżœïżœrmsten Stadt Deutschlands|
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|höher ist als in deutschen FuĂballstadien|
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Sat, 14 Dec 2024 13:01:21 +0000
Anna Biselli
Die 50. Kalenderwoche geht zu Ende. Wir haben 20 neue Texte mit insgesamt 126.651 Zeichen veröffentlicht. Willkommen zum netzpolitischen WochenrĂŒckblick.
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die meisten von Euch kennen wahrscheinlich den Spruch: âAm Ende des Geldes ist noch so viel Monat ĂŒbrig.â Bei spendenfinanzierten Organisationen wie uns mĂŒsste es eher heiĂen: âAm Ende des Jahres ist noch so viel Spende offen.â In dieser Situation sind wir nun wieder. |Fast 300.000 Euro fehlen uns noch| in diesem Jahr. Das ist eine Menge Holz und das schaffen wir nur mit eurer UnterstĂŒtzung.
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Liebe GrĂŒĂe,
anna
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Soziale Netzwerke sind wegen des Netzwerkeffekts nur schwer totzukriegen. Doch dem Twitter-Nachfolger X von Elon Musk droht nun genau das. Wie konnte das passieren? Welche Plattformen könnten die Nachfolge antreten? Eine Analyse ĂŒber Aufstieg und Fall sozialer Netzwerke. Von Markus Reuter â
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Sat, 14 Dec 2024 05:46:58 +0000
Markus Reuter
Soziale Netzwerke sind wegen des Netzwerkeffekts nur schwer totzukriegen. Doch dem Twitter-Nachfolger X von Elon Musk droht nun genau das. Wie konnte das passieren? Welche Plattformen könnten die Nachfolge antreten? Eine Analyse ĂŒber Aufstieg und Fall sozialer Netzwerke.
Friendster, MySpace, StudiVZ und Digg waren alle einmal wichtige soziale Netzwerke, heute verblasst die Erinnerung an sie. Soziale Netzwerke kommen und gehen. Doch ihre Art zu sterben hat unterschiedliche Ursachen. Ist Elon Musks Plattform X als nÀchstes dran?
FrĂŒher hieĂ die Plattform einmal Twitter. Sie hatte das besondere Merkmal, dass dort Nachrichten aus der ganzen Welt in Echtzeit zu finden waren: Egal ob in |Hongkong StraĂenhĂ€ndler in der âFishball Revolutionâ protestierten|, eine Landespolitikerin in den USA zurĂŒcktrat oder Kim Kardashian eine neue Sendung ankĂŒndigte: Auf Twitter kursierte diese Nachricht oftmals vor der Berichterstattung in klassischen Medien. Und nicht nur das: Nutzer:innen konnten sich ihren Nachrichtenmix selbst zusammenstellen, in Echtzeit sozialen Bewegungen und spannenden Akteur:innen folgen und immer live am Ball sein. Diese globale Ăffentlichkeit machte die Faszination von Twitter aus.
Twitter-EigentĂŒmer Elon Musk zerstört das, seit er den Laden ĂŒbernommen hat. Die Folge: Der Exodus scheint mittlerweile unaufhaltsam. In mehreren Wellen hat das soziale Netzwerk seit dem Machtwechsel vor zwei Jahren |etwa zehn Prozent seiner Nutzer:innen verloren|. Unter Protest verabschiedet haben sich |Sportvereine|, |Prominente|, |UniversitĂ€ten|, |Journalist:innen|, |NGOs|, |Bibliotheken|, |Institutionen|, |Medien|, |Holocaust-GedenkstĂ€tten|, |Unternehmen|, |Kirchen|, |Regierungsstellen| und |sogar Polizeien|.
Noch hat Musks Netzwerk |mehr als 300 Millionen registrierte Accounts|. Das klingt nach viel â doch der Schein trĂŒgt. Die SĂ€ulen der Vorherrschaft sind bei X filigraner als bei anderen Netzwerken und ab einem gewissen Kipppunkt könnte es ganz schnell abwĂ€rtsgehen.
In dieser Analyse schauen wir uns an, was bei X gerade passiert, welche Effekte dort wirken, welche GrĂŒnde der Exodus hat â und welche Zukunft X und seinen potenziellen Nachfolgern bevorstehen könnte.
|Warum kann es plötzlich ganz schnell gehen?|
|Warum sind etablierte Netzwerke so dominant?|
|Was fĂŒr Typen von Netzwerken gibt es?|
|Warum ist X jetzt besonders gefÀhrdet?|
|Was hat den Reiz von Twitter ausgemacht?|
|Welche Fehlentscheidungen hat Musk getroffen?|
|Wer profitiert vom Exodus?|
|HÀtte Twitter/X den Exodus vermeiden können?|
|Wie geht es jetzt weiter?|
Jånos Török und Jånos Kertész von der Central European University in Budapest haben im Jahr 2017 |wissenschaftlich beschrieben, wie soziale Netzwerke kaskadenartig zusammenbrechen|. Die Studie beruht auf Daten des in Ungarn einstmals sehr beliebten sozialen Netzwerks |iWiW,| dessen Nutzer:innen ab etwa 2010 zu Facebook abwanderten.
In ihrer Studie stellten die Forscher fest, dass zuerst lose gebundene Nutzer:innen verschwinden, dann aber soziale Ansteckung und kollektive Prozesse bei der Abwanderung eine groĂe Rolle spielen. Das heiĂt konkret, dass der Weggang eines Kontakts weitere Kontakte dazu bringen kann, das Netzwerk zu verlassen. Zudem konnten die Wissenschaftler Schwellenwerte erkennen, ab denen der Zusammenbruch eines sozialen Netzwerkes sehr schnell geht.
Ab wann Abwanderung fĂŒr ein Netzwerk gefĂ€hrlich wird, lĂ€sst sich durch die verschiedenen Netzwerkeffekte und Strukturen beschreiben. Benjamin Sandofsky, selbst ehemaliger Angestellter bei Twitter, hat das |in einem lesenswerten und kenntnisreichen Artikel beschrieben|. Sein Text, den ich ĂŒber den |Newsletter âKrasse Linksâ| gefunden habe, ist eine der Grundlagen fĂŒr diesen Artikel.
GrundsĂ€tzlich lĂ€sst der sogenannte |Netzwerkeffekt| den Wert eines sozialen Netzwerkes oder einer Dienstleistung fĂŒr die Nutzer:innen steigen, je mehr Nutzer:innen dort angemeldet sind. Warum einen alternativen Dienst wĂ€hlen, wenn man dort fast niemanden erreichen kann? Ein neues Netzwerk kann nur dann fĂŒr viele attraktiv werden, wenn ein Schwellenwert ĂŒberschritten wird, um einen eigenen Netzwerkeffekt auszulösen.
Netzwerkeffekte lassen sich bei unterschiedlichen GeschĂ€ftsmodellen im Internet beobachten. Die Ăbernachtungsseite Booking.com zum Beispiel wird nicht so viel benutzt, weil das Buchen von Hotels dort besonders revolutionĂ€r ist, sondern weil der Dienst mit 29 Millionen UnterkĂŒnften einfach sehr, sehr viele Angebote bĂŒndelt. Dieser eine Anlaufpunkt erspart aufwendige Recherchen.
Auch fĂŒr Anbieter von Hotels und Ferienwohnungen wirkt hier ein Netzwerkeffekt: Auf der Plattform erreichen sie eine groĂe Anzahl potenzieller Kund:innen; mĂŒssen sich nicht selbst um die Sichtbarkeit in Suchmaschinen kĂŒmmern. Diese |indirekten Netzwerkeffekte| halten sie bei Booking.com â |trotz mittlerweile hoher durchschnittlicher Provisionen von 15 Prozent|.
Auch der Messenger WhatsApp ist nicht etwa so erfolgreich, weil es keine Ă€hnlichen Apps gĂ€be, sondern weil er einfach die meisten Nutzer:innen hat â und Nutzer:innen am liebsten mit einer einzigen App möglichst alle ihre Kontakte erreichen wollen. In der RealitĂ€t haben aber viele Menschen schon heute mehrere Messenger-Apps auf ihren Smartphones, um mit all ihren Kontakten kommunizieren zu können. Dies können Signal oder Threema sein, um mit einer aktivistischen oder datenschutzinteressierten Bubble in Kontakt zu sein. Oder auch regionale Platzhirsche wie |Viber|, um mit Menschen in Osteuropa oder den Philippinen zu kommunizieren. WhatsApp hat also durchaus Konkurrenz. Der Messenger geht aber nicht weg, weil seine Netzwerkeffekte so dominant sind.
Die Macht von Netzwerken wird nicht durch die schiere Anzahl an Personen (Nodes) und deren AktivitĂ€t bestimmt, sondern durch die Anzahl ihrer Verbindungen (Connections). Nach |Metcalfeâs Law| erhöht sich mit der Anzahl der Verbindungen also der Wert eines Netzwerkes. Auf diese Weise können mehr Nutzer:innen diesen Wert quadratisch ( n2 )ansteigen lassen.
Dieses simple Modell mag zwar fĂŒr ein Telefonnetz zutreffen, lĂ€sst sich aber nicht direkt auf soziale Netzwerke ĂŒbertragen. Denn auf vielen sozialen Netzwerken möchten nicht alle Menschen wirklich alle anderen erreichen. Es gibt deswegen auch das |Reedsche Gesetz|, das dem Rechnung tragen soll. Demnach verdoppelt sich der Nutzwert eines Netzwerkes im Vergleich zur Anzahl seiner Nutzer:innen.
Aber auch dieses Modell ist nicht ganz passgenau, denn der Wert eines sozialen Netzwerkes liegt ja nicht nur in der bloĂen Anzahl möglicher Verbindungen, sondern in der Anzahl erwĂŒnschter Verbindungen. So bilden Netzwerke wie Facebook eher erweiterte Freundeskreise und Bekanntschaften ab. Deswegen ist Facebook laut Benjamin Sandofsky ein |Sparse Network|, bei dem lĂ€ngst nicht das Maximum aller möglichen Verbindungen zwischen den einzelnen Nutzer:innen im Mittelpunkt steht.
Noch mal anders verhĂ€lt es sich bei X. Die Art der Verbindungen im Netzwerk fĂŒhrt zu der Antwort, warum X ab einem gewissen Punkt Gefahr lĂ€uft, sehr schnell seine Relevanz zu verlieren. Denn X ist hochgradig von asymmetrischen Verbindungen abhĂ€ngig. Im Gegensatz zu Facebook spielen Verbindungen zu groĂen Accounts mit vielen Follower:innen eine entscheidende Rolle.
Damit folgt X einer anderen Logik als WhatsApp oder Facebook. WĂ€hrend Facebook mit Fokus auf das soziale Umfeld einen |Social Graph| abbildet, haben wir es beim Twitter-Nachfolger mit einem |Interest Graph| zu tun. Hier folgen Menschen ihren Interessen folgend Accounts, von denen sie Informationen erhalten, sei es ĂŒber Politik, Promis, Medien oder Wissenschaft. Kontakte zu Bekannten und Freund:innen gibt es auch, sie stehen aber nicht im Vordergrund.
Ein auf Interessen basiertes Netzwerk fĂŒr Kurznachrichten kann zwar eine hohe Bedeutung fĂŒr manche Zielgruppen aus Journalismus, Aktivismus oder Politik haben. Es hat aber nicht das Wachstumspotenzial von beispielsweise Facebook, Instagram oder TikTok. In seinen besten Zeiten hatte Twitter nur einen Bruchteil der Nutzer:innen im Vergleich zu diesen Netzwerken. Es war aber dennoch dominant in seiner spezifischen Funktion.
Die Verbindungen bei X sind also hochgradig asymmetrisch. Accounts mit nur wenigen eigenen Follower:innen können Accounts mit einer Gefolgschaft von mehreren Millionen folgen. Das sind typischerweise Institutionen, Politiker:innen, NGOs, Journalist:innen, Medien, Sportler:innen und Sportvereine, Unternehmen und Prominente aller Art. Das erhöht den Stellenwert |dieser einzelnen Super-Knotenpunkte| im Netzwerk â und ist die Achillesferse von X.
Entscheiden sich Lady Gaga mit ihren mehr als 80 Millionen Follower:innen oder CNN mit seinen 60 Millionen oder Real Madrid mit etwa 50 Millionen Follower:innen, X zu verlassen und in Zukunft auf einem anderen Netzwerk zu posten, so kann das dem Wert von X ĂŒberproportional schaden.
Nun mag der Abgang einzelner groĂer Accounts noch keine erdrutschartigen Effekte entfalten. Kommt es aber zu einem gröĂeren Exodus bekannter Accounts bei gleichzeitiger Etablierung eines neuen Netzwerkes, dann kann |sehr schnell ein Kipppunkt erreicht sein|. Dann bricht die gesellschaftliche und informationspolitische Relevanz von X in kurzer Zeit in sich zusammen. In diesem Fall fĂ€llt es auch nicht mehr ins Gewicht, wenn noch 280 Millionen Accounts auf dem Netzwerk verbleiben und das Konkurrenznetzwerk bloĂ 40 Millionen Accounts hat, solange darunter die relevanten Akteur:innen sind.
Sandofsky beschreibt |in seinem Artikel| sehr anschaulich, wie Twitter einst von der Nerd-Plattform zur Nachrichtenquelle in Echtzeit wurde â mit dem Tweet eines im Wasser |gelandeten Flugzeuges im Hudson River| im Jahr 2009. Der Arabische FrĂŒhling und zahlreiche weitere politische Ereignisse zementierten Twitters zentrale Rolle als globale Nachrichten-Ăffentlichkeit. Der Rest ist Geschichte.
Sandofsky hebt hier die Rolle der Super-Connectoren hervor, die damals mit ihrer Reichweite dazu beitrugen, dass sich die Nachricht vom notgelandeten Flugzeug in Sekundenschnelle ĂŒber den Globus verteilte. Er schreibt weiter, aus dem Englischen ĂŒbersetzt:
Netzwerkeffekte machen einen Dienst nicht unbesiegbar. Twitter ist zu 40 Prozent ein soziales Netzwerk, zu 40 Prozent ein Interest Graph und zu 20 Prozent ein kulturelles PhĂ€nomen. Ich wĂŒrde Twitters Niedergang also irgendwo zwischen Digg und MySpace ansiedeln. Wir befinden uns vielleicht erst am Anfang eines mehrjĂ€hrigen Prozesses, aber wenn Twitter seine Super-Connectoren verliert, wird sich die Entwicklung meiner Meinung nach schnell beschleunigen.
Bislang haben die Twitter-Alternativen Mastodon, Threads und Bluesky wÀhrend Nachrichtenlagen ein eher schwaches Bild abgeliefert, wenn es um Echtzeit-Informationen ging. Doch das Àndert sich gerade, nicht bei Mastodon und Threads, aber |bei Bluesky|. So hat X |laut dem Guardian| zuletzt 2,7 Millionen aktive Nutzer:innen in den USA verloren, gleichzeitig hat Bluesky 2,5 Millionen aktive gewonnen.
Dieser Exodus macht sich nun auch in der Informationsdichte auf Bluesky bemerkbar. So lassen sich zum Beispiel die pro-europĂ€ischen Demokratieproteste in Georgien heute auf dem Netzwerk |einigermaĂen gut verfolgen| â ohne stĂ€ndig bei Twitter zu schauen, ob man etwas verpasst hat. Solche Entwicklungen sind ein weiteres Anzeichen dafĂŒr, dass X angezĂ€hlt ist.
|Die Chance ist jetzt|
Wenn Netzwerke sterben, dann hat dies nicht nur mit aufstrebenden neuen Konkurrenten zu tun, die bessere Funktionen liefern. Eine Rolle spielen auch Fehlentscheidungen beim Netzwerk selbst, wachsende Kommerzialisierung und Ausbeutung der Nutzer:innenschaft (|Enshittification|). Und es geht auch um die Langsamkeit und Selbstzufriedenheit von Platzhirschen, die die Zeichen der Zeit nicht erkennen.
WĂ€hrend MySpace in seiner selbstkonfigurierbaren Design-Knalligkeit einfach irgendwann |over the Top, unsicher und schlecht zu bedienen| war, hatte man bei Digg eine ganze |Reihe falscher Produktentscheidungen| getroffen, die dem Kern der Community und des Netzwerkes widersprachen.
Ăber den Niedergang von Twitter nach der Ăbernahme durch den MilliardĂ€r Elon Musk ist viel geschrieben worden. Zu den groĂen Fehlern gehören nicht nur die |SchlieĂung der Schnittstelle von Twitter| und die |Entlassung des Moderation- und Sicherheitsteams|, sondern auch die vollkommene |Entwertung verifizierter Accounts| bei zugleich algorithmischer VerstĂ€rkung zahlender Hass-Accounts. Gleichzeitig |zensierte die Plattform missliebige Inhalte| wie Links zu konkurrierenden Plattformen, indem es |diese nicht mehr erlaubte| oder die Reichweite solcher Postings einschrĂ€nkte.
X förderte, wĂ€hrend der EigentĂŒmer dabei laut âMeinungsfreiheitâ rief, in den letzten zwei Jahren |Hass, Desinformation, Rassismus, Sexismus, Antisemitismus und Verschwörungsideologien| und machte das einstmals florierende Netzwerk |zu einem unwirtlichen und feindlichen Ort|, in dem eine demokratische Debatte nicht mehr möglich ist. Auch Musk selbst |beteiligt sich an solchen Inhalten| und vermittelt Nutzer:innen gezielt das GefĂŒhl, dass er alles persönlich bestimmen kann. Von der Reichweite von Inhalten bis zum |Wegnehmen von Accounts|.
Somit kommt X als |rechtsradikales Propaganda-Werkzeug des reichsten Mannes der Welt| daher. Der Eindruck drĂ€ngt sich auf, dass bleibende Nutzer:innen sich damit irgendwie gemeinmachen. Das wiederum fĂŒhrt dazu, dass |immer mehr Menschen und Institutionen damit hadern| â und das Netzwerk verlassen. Sandofsky geht so weit, dass er X auf dem Weg zu einem neuen |8chan| sieht.
Wenn in so einer Situation ein möglicher Konkurrent bereitsteht und der Leidensdruck der Nutzer:innen groĂ genug ist, dann gehen erste Nutzer:innen zu diesem Konkurrenten und legen sich dort einen Account an. Dies geschah in mehreren Wellen. Die Early Adopter verschwanden schon direkt bei Musks Ăbernahme vor allem zu Mastodon, weitere Wellen folgten. Davon profitierten vor allem Meta-Tochter Threads und Bluesky. In einer dieser Wellen stiegen nach erstem Zögern auch erste |Medien wie Correctiv| oder |netzpolitik.org| bei X aus.
Seit der von Donald Trump gewonnenen und von Musk unterstĂŒtzten Wahl gehen auch groĂe |MedienhĂ€user wie der Guardian| und |zahlreiche Prominente|, |zuletzt auch in Deutschland|. Der Exodus hat an Fahrt gewonnen und dabei kommt vor allem Bluesky immer mehr aus der Nische: |Mehr als 200 Bundestagsabgeordnete| haben auf dem Netzwerk mit dem Schmetterlingslogo schon einen Account angelegt, die Wissenschaft kommt, die |britischen| |Parlamente|, internationale NGOs und immer mehr Journalist:innen. |Mehr als 25 Millionen Accounts| sind mittlerweile bei Bluesky registriert.
Die Nutzer:innen genieĂen auf Bluesky derzeit eine Stimmung wie auf Twitter vor zehn Jahren: Freiheit von fremdbestimmten Algorithmen und eine AtmosphĂ€re, in der gemeinsame Kommunikation, Debatte und Information im Vordergrund stehen. Wenn sich Bluesky weiter so entwickelt, könnte sich dort eine neue globale Ăffentlichkeit nach dem Vorbild von Twitter formieren.
|Millionen Menschen stĂŒrmen Bluesky|
Gibt es noch eine Chance fĂŒr X, den Exodus aufzuhalten? Das ist angesichts der notorischen Unbelehrbarkeit von Musk unwahrscheinlich. Die zunehmenden Hasskommentare und die aggressive Stimmung auf X schrecken viele Menschen ab. Hinzu kommt, dass viele auch die dominante Rolle des EigentĂŒmers und seiner willkĂŒrlichen Entscheidungen leid sind; sie haben einfach keine Lust mehr auf Musk und seine Plattform.
Dabei zeigen andere Beispiele, dass dominante Netzwerke durchaus effektiv auf Konkurrenten reagieren können. Kommen neue Netzwerke mit beliebten Funktionen auf den Markt, dann reagieren Platzhirsche teils aggressiv: Entweder kaufen sie ein Netzwerk einfach auf oder integrieren zum Verwechseln Àhnliche Funktionen bei sich selbst.
Wenn die Meta-Tochter Threads also von heute auf morgen eine |chronologische Timeline und selbstbestimmte Feeds| bekommt, dann liegt das nicht daran, dass Meta plötzlich gegen bevormundende algorithmische Sortierung ist. Der Grund ist der Erfolg dieser Funktion bei Bluesky.
Diese Strategie lĂ€sst sich immer wieder beobachten. So hatte Meta-Tochter Instagram |als Reaktion auf Vine die UnterstĂŒtzung von Videos| eingefĂŒhrt, als Reaktion auf Snapchat die sogenannten Stories â und |als Reaktion auf TikTok die Reels|. Und was kam dabei raus? |Vine| gibt es nicht mehr; Snapchat |konnte Instagram nicht vom Thron stĂŒrzen|, TikTok allerdings prosperiert weiter. Auch Twitter hat in der Vergangenheit andere Apps und Netzwerke abgewehrt, so zum Beispiel den |Corona-Shooting-Star Clubhouse|, den Twitter mit den Twitter Spaces erledigte.
Dieses Mal gibt es bei X allerdings wenig Potenzial fĂŒr eine Verteidigung der eigenen Netzwerkmacht. Zu viel ist kaputt gegangen in den vergangenen zwei Jahren. Das muss allerdings nicht das Ende von X bedeuten, eher das Ende von dem, was X und vor allem Twitter einmal waren. Der Zerfall kann sich ĂŒber Jahre ziehen â selbst StudiVZ wurde erst im Jahr 2022 |endgĂŒltig dichtgemacht|.
KĂŒnftig könnte X ein Ort wie Truth Social werden, ein Propaganda-Spielplatz des reichsten Mannes der Welt, den demokratische KrĂ€fte lieber meiden. Ob jemals wieder so eine Plattform fĂŒr Debatten einer globalen Ăffentlichkeit entsteht? Es sieht derzeit eher nach gröĂeren fragmentierten Ăffentlichkeiten aus: Mastodon das Lagerfeuer fĂŒr die eher nerdige Klientel, Threads als eher unpolitische Kurznachrichten-Plattform und Bluesky als Informationsnetzwerk.
Spannend wird dabei auch die Frage sein, wie sich diejenigen verhalten, die jetzt auf X fĂŒr Hass, Desinformation und rechte Hetze sorgen. Denn klar ist, dass |die rechten KrĂ€fte die demokratischen, progressiven Accounts brauchen|. Einerseits um von deren |Empörung durch Reichweite| zu profitieren und andererseits, um ihre rechtsradikalen Positionen in den Mainstream-Diskurs einzuspeisen. Es dĂŒrfte nicht lange dauern, bis sie auch bei Bluesky & Co anklopfen. Dann kommt es darauf an, wie abwehrbereit diese sozialen Netzwerke und die Nutzer:innen darauf reagieren.
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|Hongkong StraĂenhĂ€ndler in der âFishball Revolutionâ protestierten|
|etwa zehn Prozent seiner Nutzer:innen verloren|
|mehr als 300 Millionen registrierte Accounts|
|Warum kann es plötzlich ganz schnell gehen?|
|Warum sind etablierte Netzwerke so dominant?|
|Was fĂŒr Typen von Netzwerken gibt es?|
|Warum ist X jetzt besonders gefÀhrdet?|
|Was hat den Reiz von Twitter ausgemacht?|
|Welche Fehlentscheidungen hat Musk getroffen?|
|HÀtte Twitter/X den Exodus vermeiden können?|
|wissenschaftlich beschrieben, wie soziale Netzwerke kaskadenartig zusammenbrechen|
|in einem lesenswerten und kenntnisreichen Artikel beschrieben|
|Newsletter âKrasse Linksâ|
|trotz mittlerweile hoher durchschnittlicher Provisionen von 15 Prozent|
|Woody993, Wikipedia / Montage: netzpolitik.org|
|sandofsky.com / Montage: netzpolitik.org|
|dieser einzelnen Super-Knotenpunkte|
|sehr schnell ein Kipppunkt erreicht sein|
|gelandeten Flugzeuges im Hudson River|
|over the Top, unsicher und schlecht zu bedienen|
|Reihe falscher Produktentscheidungen|
|SchlieĂung der Schnittstelle von Twitter|
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|Entwertung verifizierter Accounts|
|zensierte die Plattform missliebige Inhalte|
|Hass, Desinformation, Rassismus, Sexismus, Antisemitismus und Verschwörungsideologien|
|zu einem unwirtlichen und feindlichen Ort|
|beteiligt sich an solchen Inhalten|
|rechtsradikales Propaganda-Werkzeug des reichsten Mannes der Welt|
|immer mehr Menschen und Institutionen damit hadern|
|MedienhÀuser wie der Guardian|
|Mehr als 200 Bundestagsabgeordnete|
|Mehr als 25 Millionen Accounts|
|Millionen Menschen stĂŒrmen Bluesky|
|chronologische Timeline und selbstbestimmte Feeds|
|als Reaktion auf Vine die UnterstĂŒtzung von Videos|
|als Reaktion auf TikTok die Reels|
|konnte Instagram nicht vom Thron stĂŒrzen|
|Corona-Shooting-Star Clubhouse|
|die rechten KrÀfte die demokratischen, progressiven Accounts brauchen|
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Fri, 13 Dec 2024 10:48:31 +0000
Martin Schwarzbeck
Ein juristisches Gutachten klĂ€rt, in welchen FĂ€llen digitale Dienstleistungen auch analog angeboten werden mĂŒssen. Es kommt zu dem Schluss, dass ein Verbot von Digitalzwang ins Grundgesetz gehört.
Menschen, die auf bestimmte Dienstleistungen angewiesen sind, haben ein Recht darauf, diese auch offline nutzen zu können. Das besagt ein |juristisches Gutachten| des |Netzwerk Datenschutzexpertise|. Der Verein |digitalcourage|, der das Gutachten initiierte, sieht dadurch seine |Kampagne gegen Digitalzwang| deutlich gestÀrkt.
Das Gutachten, das von |Thilo Weichert| und |Karin Schuler| erstellt wurde, klĂ€rt, unter welchen Voraussetzungen eine analoge Alternative zum digitalen Angebot verpflichtend ist. Die Grundannahme ist: Es gibt Menschen, die digitale Angebote nicht wahrnehmen können, weil sie sich zum Beispiel die nötigen GerĂ€te und AnschlĂŒsse nicht leisten können, nicht ĂŒber die nötige Medienkompetenz verfĂŒgen oder |aufgrund einer BeeintrĂ€chtigung Schwierigkeiten mit bestimmten Angeboten| haben.
Andere versuchen, digitale Angebote zu meiden, |weil sie sich darum sorgen, was mit ihren Daten geschieht|. |Laut statistischem Bundesamt| hatten 2022 sechs Prozent der Menschen zwischen 16 und 74 noch nie das Internet genutzt.
Gleichzeitig kann, so das Gutachten, Digitalisierung zu gröĂerer Wirtschaftlichkeit und zu mehr BĂŒrgernĂ€he fĂŒhren. Es gelte also, eine Balance zu finden. âSelbstverstĂ€ndlich kann ein Grundrecht auf eine analoge Alternative zu digitalen Verfahren nicht voraussetzungslos und unbeschrĂ€nkt bestehenâ, heiĂt es in dem Gutachten.
Das Recht auf ein analoges Angebot begrĂŒnden die Autor*innen des Gutachtens unter anderem im Recht auf Datenschutz, im Diskriminierungsverbot, in der staatlichen Schutzpflicht gegenĂŒber Menschen mit Behinderungen, Senioren oder sozial Benachteiligten, im Anspruch auf Daseinsvorsorge, im Recht auf Informationsfreiheit und MeinungsĂ€uĂerung sowie im Rechtsstaatsprinzip.
Das Gutachten versammelt beispielhaft einige Dienstleistungen, die nur noch digital angeboten werden. Die Energiepreispauschale wurde 2023 beispielsweise nur an Studierende ausgezahlt, die sich bei BundID registriert hatten. Die bayerische KĂŒnstlerförderung ist nur digital beantragbar. Einige Banken nehmen keine PapierĂŒberweisungen mehr an.
Es gibt Anbieter von Strom, Wasser, Gas oder Telekommunikation, die ausschlieĂlich digital mit ihren Kund*innen kommunizieren. Ohne Smartphone-App lassen sich Pakete nicht mehr aus Packstationen befreien. In vielen Arztpraxen lassen sich Termine nur noch online vereinbaren. Die Bahncard gibt es nicht mehr als Karte. Eintrittskarten fĂŒr einige Museen oder SchwimmbĂ€der lassen sich nur noch elektronisch kaufen.
âDigitalisierung darf nicht zu einer digitalen Spaltung der Gesellschaft fĂŒhrenâ, |sagt Karin Schuler|. Ihr Co-Autor Thilo Weichert, der auch Co-Vorsitzender von digitalcourage ist, fĂŒgt hinzu: âZur Verdeutlichung ist es sinnvoll, ein Verbot digitaler Diskriminierung verfassungsrechtlich zu fixieren.â Dieses Anliegen, ein Verbot von Digitalzwang ins Grundgesetz aufzunehmen, unterstĂŒtzt auch der Verein digitalcourage, der zu diesem Zweck eine |Unterschriftenaktion| betreibt, die noch bis zum 23. Mai 2025 lĂ€uft.
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|Netzwerk Datenschutzexpertise|
|aufgrund einer BeeintrÀchtigung Schwierigkeiten mit bestimmten Angeboten|
|weil sie sich darum sorgen, was mit ihren Daten geschieht|
|Laut statistischem Bundesamt|
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Thu, 12 Dec 2024 16:59:22 +0000
Daniel Leisegang
Das Feld dĂŒnnt sich aus: Vier Teams wetteifern nun darum, einen Prototypen fĂŒr eine digitale Brieftasche zu erstellen. Google und Samsung sind ausgeschieden. Die dritte und letzte Stufe des Wettbewerbs endet im September 2025.
Die Bundesagentur fĂŒr Sprunginnovationen (Sprind) hat am Mittwoch bekannt gegeben, welche vier Unternehmen weiter einen Prototypen fĂŒr eine deutsche EUDI-Wallet |entwickeln|. Die dritte und letzte Stufe des Innovationswettbewerbs beginnt im Dezember 2024 und endet im September 2025.
Im Rennen sind zum einen |Ubique Innovation| aus der Schweiz und |Animo Solutions| aus den Niederlanden. Beide Teams erhalten in den kommenden Monaten jeweils 450.000 Euro. Zum anderen sind noch die |Lissi GmbH|, die als Ausgliederung der Commerzbank gegrĂŒndet wurde, und das Team |wwWallet| dabei, ein Kooperationsprojekt von |GUnet| (Greek Universities Network), |Sunet| (Swedish University Computer Network) und |Yubico|. Diese beiden Teams werden nicht finanziell gefördert, sollen aber vom Feedback der Jury und dem Netzwerk der Sprind |profitieren|.
Im Mai dieses Jahres waren insgesamt elf Teams an den Start gegangen, sechs von ihnen erhielten in der ersten Runde eine Finanzierung. Unter den fĂŒnf Teams, die keine Förderung bezogen, war neben einer Abteilung von Samsung auch das Android-Team des Tech-Konzerns Google. Beide Teams sind nach der zweiten Runde ausgeschieden. Die GrĂŒnde fĂŒr diese Jury-Entscheidung sind nicht bekannt.
Ăber die Entscheidung, Google an den Start gehen zu lassen, hatte es im Mai innerhalb der Jury Unstimmigkeiten |gegeben|. Ein entsprechender Hinweis |findet sich| auf der Sprind-Website:
Bei der Bewertung der Bewerbung des Google-Teams Ă€uĂerte die Jury Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes. Ein Jurymitglied sprach sich aufgrund von Datenschutz- und Wettbewerbsbedenken deutlich gegen Google aus. Da das Team alle Bewertungskriterien und Anforderungen (einschlieĂlich der Datenschutzanforderungen) erfĂŒllte, beschloss die Mehrheit der Jurymitglieder, das Team zur Teilnahme an Stufe 1 einzuladen und diesen Aspekt (neben anderen) zum Ende der Stufe 1 erneut zu bewerten.
DatenschĂŒtzer:innen fĂŒrchten, dass eine digitale Brieftasche die Ăberidentifikation im Internet befördert. AuĂerdem hatte die Jury ausschlieĂlich Unternehmen zum Innovationswettbewerb zugelassen. Der Einfluss der Zivilgesellschaft beschrĂ€nkt sich damit auf wenige PlĂ€tze in der Jury. Dabei war der Zivilgesellschaft zu Beginn des Verfahrens noch das genaue Gegenteil zugesagt worden. Entsprechend groĂ war deren Kritik an der â|Pseudo-Beteiligung|â.
Der Jury gehören zehn Personen an, darunter sind Christiane Fritsch von der ING Deutschland, Brian Behlendorf von der |Open Source Security Foundation|, Thomas Lohninger von der BĂŒrgerrechtsorganisation |epicenter.works| und Uwe Kraus vom |Bundesamt fĂŒr Sicherheit in der Informationstechnik| (BSI). Die Namen aller Jury-Mitglieder sind auf der Sprind-Website |genannt|.
Bis zum Herbst 2026 mĂŒssen die EU-Mitgliedstaaten ihren BĂŒrger:innen |eine digitale Brieftasche anbieten|. Mit ihr sollen sie sich online wie offline ausweisen und digitale Nachweise speichern können.
Das EU-Gesetz, das dem ganzen Prozess zugrunde liegt, trat im Mai dieses Jahres in Kraft. Die novellierte eIDAS-Verordnung sieht vor, dass die Wallet |freiwillig und kostenlos sowie interoperabel sein soll|. AuĂerdem sollen die Nutzer:innen transparent darĂŒber bestimmen können, welche Daten sie an wen weitergeben. Es liegt nun an den Mitgliedstaaten, die Verordnung in nationale Gesetze zu gieĂen. In Deutschland wird das voraussichtlich erst die nĂ€chste Regierung ĂŒbernehmen.
Der Innovationswettbewerb gehört zu einem öffentlichen Architektur- und Konsultationsprozess fĂŒr die Umsetzung der eIDAS-2.0-Verordnung, den die Sprind durchfĂŒhrt. Ziel ist es, ein umfassendes Architekturkonzept zu erstellen und eine prototypische Infrastruktur fĂŒr die EUDI-Wallet zu entwickeln.
|Laut Bundesinnenministerium| plante die Ampel-Regierung, das finale Architekturkonzept, das âauch die Rollen und ZustĂ€ndigkeiten im EUDI-Wallet-OÌkosystem definieren wirdâ, im Herbst nĂ€chsten Jahres zu veröffentlichen. Auf dieser Grundlage werde dann in einem âiterativen Prozessâ schrittweise eine âvollfunktionsfĂ€hige EUDI-Walletâ |entstehen|, die den rechtlichen Anforderungen entspricht. Im Rahmen des Konsultationsprozesses fĂŒr EUDI-Wallets werde dann auĂerdem die Frage diskutiert, âwer in der Bundesrepublik Deutschland die EUDI-Wallets herausgeben und betreiben wirdâ.
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|Open Source Security Foundation|
|Bundesamt fĂŒr Sicherheit in der Informationstechnik|
|eine digitale Brieftasche anbieten|
|freiwillig und kostenlos sowie interoperabel sein soll|
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Thu, 12 Dec 2024 16:20:02 +0000
Esther Menhard
Auf der MinisterprĂ€sidentenkonferenz in Berlin beschlossen Bund und LĂ€nder den Staatsvertrag fĂŒr das National Once Only Technical System. Damit wollen sie die technische Infrastruktur schaffen, um Registermodernisierung und Verwaltungsdigitalisierung anzuschieben.
Neben den groĂen Themen Rundfunk-BeitrĂ€ge und Migrationspolitik stand bei der MinisterprĂ€sidentenkonferenz die Digitalisierung der Verwaltung auf der Agenda. Dabei ging es um nichts weniger als die neue âDatenautobahnâ, so die EinschĂ€tzung der Senatskanzlei Hamburg auf Anfrage von netzpolitik.org. Die Rede ist vom sogenannten National-Once-Only-Technical-System, kurz |NOOTS|. Ăber das System sollen Verwaltungen von Bund, LĂ€ndern und Kommunen Daten untereinander austauschen können. Gestern beschlossen Bund und LĂ€nder den dazugehörigen |Staatsvertrag|.
Vorgabe fĂŒr das NOOTS ist die EU-Verordnung zum |Single-Digital-Gateway| und das europĂ€ische Once-Only-Technical-System (EU-OOTS). Nach dem |Once-Only-Prinzip| sollen BĂŒrger:innen und Unternehmen der Verwaltung ihre Daten ein einziges Mal ĂŒbermitteln und nicht stets erneut angeben mĂŒssen. Stattdessen können sie den Behörden erlauben, die Daten in den Registern abzufragen, ohne BĂŒrger:innen und Unternehmen zu involvieren. Der Staatsvertrag ist die Voraussetzung fĂŒr grenzĂŒberschreitende Nachweisabrufe innerhalb der EU.
DafĂŒr wollen Bund und LĂ€nder eine |IT-Infrastruktur aufbauen|, in der alle öffentlichen Stellen unabhĂ€ngig vom Ressort und ebenenĂŒbergreifend Daten und Nachweise abrufen können. Eine Schwierigkeit ist die dezentrale Organisation von DatenbestĂ€nden der deutschen Verwaltung. Zum NOOTS sollen laut Architektur-Zielbild fĂŒr das Jahr 2025 |Komponenten| wie die Registerdaten-Navigation, das IdentitĂ€ts- und Zugangsmanagement fĂŒr Behörden sowie das IdentitĂ€tsmanagement fĂŒr Personen und das |Datenschutzcockpit| gehören. Gerade letzteres |kritisieren Fachleute| massiv.
Den Betrieb des NOOTS soll das Bundesverwaltungsamt ĂŒbernehmen, das dabei auf einen öffentlichen IT-Dienstleister setzen wird. Zudem wird das Bund-LĂ€nder-Gremium, der IT-Planungsrat, eine Steuerungsgruppe NOOTS einrichten. Die soll ĂŒber Anschlussbedingungen, Betrieb und Weiterentwicklung der technischen Infrastruktur entscheiden.
Finanzieren werden das Mammutprojekt Bund und LĂ€nder gemeinsam. FĂŒr die Jahre 2025 und 2026 greifen sie dabei zu hundert Prozent auf das Budget fĂŒr die Föderale IT-Kooperation (FITKO) zu, ab 2027 wollen sie 53,4 Prozent der Gesamtkosten mit Mitteln aus dem FITKO-Budget decken, 46,6 Prozent soll der Bund tragen. Wie hoch die Kosten fĂŒr das NOOTS ausfallen werden, ist jedoch noch nicht absehbar, wie etwa Brandenburg anmerkt.
Dass der Bund sich an der Finanzierung mit gut 47 Prozent beteiligen will, begrĂŒĂen vor allem Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und ThĂŒringen. Gleichzeitig kritisieren die LĂ€nder, wie die Koordination der ZustĂ€ndigkeiten im Staatsvertrag festgeschrieben ist. Die vorgegebenen Entscheidungswege seien âzu aufwĂ€ndigâ und könnten âdie Umsetzung des NOOTS im Weiteren unnötig verzögernâ. Was im Einzelnen damit gemeint ist, ist noch unklar, da der Text des Staatsvertrages noch nicht veröffentlicht ist.
FĂŒr das NOOTS braucht es eine Rechtsgrundlage, entweder als Ănderung des Grundgesetzes oder als Staatsvertrag. Denn grundsĂ€tzlich enthĂ€lt das Grundgesetz ein Verbot der |Mischverwaltung|, die Bundes- und Landesverwaltungen arbeiten eigenstĂ€ndig und auch die VerwaltungszustĂ€ndigkeiten sind voneinander getrennt.
Zwar ist im Grundgesetz angelegt, dass Bund und LĂ€nder fĂŒr den Aufbau gemeinsamer informationstechnischer Systeme miteinander kooperieren. Die Ausgestaltung der Zusammenarbeit fĂŒr das NOOTS erfolgt jedoch erst ausschlieĂlich durch den Staatsvertrag. Im GesprĂ€ch war noch im Sommer eine GrundgesetzĂ€nderung, damit der Bund die alleinige Kompetenz fĂŒr den Betrieb des NOOTS erhĂ€lt. DafĂŒr gab es im Bundestag jedoch keine Mehrheiten.
Damit der Staatsvertrag in Kraft tritt, mĂŒssen die Bundesregierung und die LĂ€nder ihn noch förmlich zeichnen. Und die Landesparlamente sowie der Bundestag mĂŒssen ihn noch ratifizieren.
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Thu, 12 Dec 2024 14:58:06 +0000
netzpolitik.org
Grundrechte statt Ăberwachung zu fordern, liegt gerade nicht im Trend. Doch der markige Ruf nach mehr vermeintlicher Sicherheit gefĂ€hrdet unsere Gesellschaft. Deshalb halten wir dagegen. Das geht nur dank eurer UnterstĂŒtzung.
Als Horst Seehofer, Vater des populistischen Migration-als-Mutter-aller-Probleme-Zitats, das Amt als Innenminister abgab, |schöpften viele Hoffnung|. Denn mit Nancy Faeser ĂŒbernahm eine Sozialdemokratin das Haus. Und die wĂŒrde wohl nicht lĂ€nger die Grundrechte schleifen, als gĂ€be es kein Morgen.
Es kam anders. Und im RĂŒckblick lassen sich die Ăberschriften unserer Texte vor und nach Seehofer kaum unterscheiden. Aus der Fortschrittsampel ist ein |zersplitterter Rechtsabbiegepfeil| geworden.
âĂberwachung ist die Mutter aller Problemeâ, sagen wir. Aber eigentlich liegt der Kern noch eine Ebene tiefer. Vielleicht sollte es heiĂen: Probleme immerzu nur mit der EinschrĂ€nkung von Grundrechten zu beantworten, ist die Mutter aller Probleme. Das passt zwar nicht so gut auf ein Plakat, trifft es aber ziemlich gut.
Wer einen solchen Kurs fĂ€hrt, muss sich am Ende nicht wundern, wenn von einer freiheitlichen Demokratie nichts mehr ĂŒbrig bleibt. Und wenn sich die autoritĂ€ren Fantasten ĂŒber einen gefĂŒllten Werkzeugkoffer freuen. Deshalb werden wir nicht mĂŒde, immer wieder laut zu werden, wenn Grund- und Freiheitsrechte beschnitten werden â ganz gleich, welche Parteifarbe die jeweilige:n Innenminister:innen tragen.
Ăberwachung und EinschrĂ€nkung von Grundrechten â das gibt es nicht nur im GroĂen wie |bei der Chatkontrolle| und |beim geplanten Sicherheitspaket| mit seiner biometrischen Gesichtserkennung. Das gibt es auch da, wo eine |Reform der GewalttĂ€ter-Sport-Datei| verschleppt wird, in der schon viele FuĂballfans |unrechtmĂ€Ăig gespeichert| wurden. Wenn schon wieder jemand |die Vorratsdatenspeicherung fordert|. Wenn Staatstrojaner |immer tiefer in die Behördenpraxis| eindringen. Wenn eine dringend nötige Ăberwachungsgesamtrechnung |immer weiter hinausgeschoben| und diskreditiert wird. Oder wenn Befugnisse unverhĂ€ltnismĂ€Ăig angewendet werden.
Wir schauen hin, seit Jahren.
Wenn Freiheitsrechte eingeschrĂ€nkt werden, bekommt das nur selten so viel Aufmerksamkeit wie die markigen Rufe nach vermeintlicher Sicherheit. Aber dank eurer UnterstĂŒtzung können wir beharrlich darĂŒber berichten.
Es sind nicht nur staatliche Stellen, die im Ăberwachungsfeld mitspielen. Auch private Ăberwachung ist eine Problemmutter. Bei den Tech-Konzernen paart sie sich bestens mit dem Streben nach immer mehr Profit. Wer alles ĂŒber uns weiĂ, kann gut an uns verdienen und unsere SchwĂ€chen ausnutzen. Das ist der Treibstoff fĂŒr den Ăberwachungskapitalismus.
Ăberwacht werden aber nicht nur BĂŒrger:innen von Staaten und Nutzer:innen von Tech-Konzernen. Ăberwachung gibt es auch im Privaten. Wo Ex-Partner:innen ihren Opfern |Stalkerware auf Smartphones| spielen, wird sie zur physischen Gefahr. Auch dazu recherchieren wir.
Inmitten all der schlechten Nachrichten fragen wir uns immer wieder: Wie könnten andere Lösungen fĂŒr all die realen Probleme aussehen? Lösungen, die ohne GrundrechtseinschrĂ€nkungen funktionieren. Lösungen, die Probleme da lösen, wo sie entstehen. Ohne Angst, sondern mit Mut, WertschĂ€tzung und Hoffnung. Weil wir die offene und solidarische Gesellschaft verteidigen und stĂ€rken mĂŒssen.
Mit deiner |Spende fĂŒr netzpolitik.org| ermöglichst du es uns, konsequent fĂŒr Grund- und Freiheitsrechte einzutreten. Ganz egal, ob das gerade âim Trendâ liegt oder nicht. Wir tun das, weil es wichtig ist. Und wir wollen weitermachen. Deshalb freuen wir uns, wenn du uns â gerade jetzt â dabei unterstĂŒtzt.
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|beim geplanten Sicherheitspaket|
|Reform der GewalttÀter-Sport-Datei|
|die Vorratsdatenspeicherung fordert|
|immer tiefer in die Behördenpraxis|
|immer weiter hinausgeschoben|
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Thu, 12 Dec 2024 14:05:14 +0000
Markus Reuter
Die Chatkontrolle hat im EU-Rat nicht die nötige Zustimmung bekommen. Datenschutz- und Menschenrechtsorganisationen können erst einmal aufatmen: Die gefĂ€hrlichen ĂberwachungsplĂ€ne stecken fest â bis zur nĂ€chsten Abstimmung.
Im Rat der EU hat die Chatkontrolle heute weiterhin nicht die erforderliche Zustimmung erhalten, welche die Ăberwachungsverordnung nach Jahren in den Verhandlungstrilog mit Kommission und Parlament bringen wĂŒrde. Damit ist die RatsprĂ€sidentschaft Ungarn wie andere vor ihr an diesem Versuch gescheitert. Das liegt auch daran, dass die RatsentwĂŒrfe bislang immer nur kosmetische Ănderungen enthalten haben, welche die von mehreren Staaten formulierte Kritik nicht aufnehmen.
Zu den LĂ€ndern, die derzeit gegen die Chatkontrolle sind â und sich bei der Abstimmung enthalten haben â  gehören nach Informationen von netzpolitik.org neben Deutschland, Belgien, Luxemburg, Polen, Tschechien, Slowenien, Estland, Finnland und Ăsterreich auch die Niederlande. Letztere hatten sich zuletzt |deutlich gegen die Chatkontrolle ausgesprochen|. Die Gegner-LĂ€nder reprĂ€sentieren mehr als 35 Prozent aller EU-Einwohner:innen. Stimmen sie dem Verordnungstext nicht zu, kann dieser nicht angenommen werden. Die Verhandlungen um den Text gehen deshalb weiter, bis mehr LĂ€nder zustimmen oder er zurĂŒckgezogen wird.
Eine Kernkritik dieser LĂ€nder richtet sich gegen das |Client-Side-Scanning|, also die Durchleuchtung von Inhalten direkt auf dem GerĂ€t der BĂŒrger:innen. Der aktuelle |ungarische Entwurf, den wir hier im Volltext veröffentlichen (PDF)|, sieht vor, dass es Client-Side-Scanning fĂŒr visuelle Inhalte und URLs geben soll. Text- und Audioinhalte sollen nicht gescannt werden. VerschlĂŒsselte Inhalte sollen nur gescannt werden, wenn Nutzer:innen dem zustimmen. Tun sie das nicht, könnten sie aber keine Links, Bilder oder Videos mehr in den Apps verschicken.
Das eigentliche Problem bleibt damit bestehen: Das Gesetz wĂŒrde eine umfassende Infrastruktur fĂŒr die anlasslose Ăberwachung privater Kommunikation aufbauen. WĂŒrde die Verordnung umgesetzt, wĂ€re das ein herber Schlag gegen Ende-zu-Ende-VerschlĂŒsselung in Europa.
Elina EickstĂ€dt, Sprecherin des Chaos Computer Clubs, sagt gegenĂŒber netzpolitik.org: âDie Enthaltungen haben gezeigt, dass fĂŒr viele LĂ€nder das Gesetz erst zustimmungsfĂ€hig wird, sobald das Scannen von Ende-zu-Ende-verschlĂŒsselter Kommunikation nicht mehr enthalten ist.â Die Enthaltung der Bundesregierung sei eine âkleine EnttĂ€uschung, aber leider keine Ăberraschungâ, so EickstĂ€dt weiter. Sie hĂ€tte sich hier eine klarere Ablehnung Deutschlands gewĂŒnscht.
Gegen die VorschlĂ€ge von Kommission und Rat gibt es schon lange |breite Kritik|. Der verschlĂŒsselte Messenger Signal hatte |angekĂŒndigt|, sich aus Europa zurĂŒckzuziehen, wenn das Gesetz in dieser Form kommen sollte. Wissenschaftler:innen aus der ganzen Welt haben immer wieder vor dem Vorhaben gewarnt, genau so wie |VerbĂ€nde von Informatiker:innen|. Selbst |der niederlĂ€ndische Geheimdienst| warnte vor der Chatkontrolle.
Auch der Deutsche Anwaltverein (DAV) spricht sich in einer Pressemitteilung erneut gegen die Chatkontrolle aus. David Albrecht, Mitglied im DAV-Ausschuss fĂŒr das Recht der Inneren Sicherheit, sagt: âVerschlĂŒsselte Kommunikation wĂŒrde unter der Chatkontrolle ein Ende finden. Der ungarische Vorschlag ist, wie alle anderen vor ihm, ein nicht hinnehmbarer Eingriff in BĂŒrgerrechte und PrivatsphĂ€re. Das automatische Scannen jedes digitalen Datenaustauschs darf keine Praxis in der EU werden.â
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|deutlich gegen die Chatkontrolle ausgesprochen|
|ungarische Entwurf, den wir hier im Volltext veröffentlichen (PDF)|
|VerbÀnde von Informatiker:innen|
|der niederlÀndische Geheimdienst|
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Thu, 12 Dec 2024 13:03:10 +0000
Sebastian Meineck
Das Gesetz gegen digitale Gewalt ist schwach gestartet und im Rohr krepiert. Kurz vor Ende der Legislaturperiode hat das Justizministerium das nur fast fertige Papier eines Entwurfs veröffentlicht. Ein Nachruf.
FrĂŒher in der Schule, zum Ende einer Klassenarbeit, haben die Lehrer*innen gesagt: âSoo, die Zeit ist um. Es ist nicht schlimm, wenn ihr nicht fertig geworden seid. Schreibt noch den Satz zu Ende und gebt dann ab.â
Genau das ist nun auch mit dem Gesetz ĂŒber digitale Gewalt passiert. Die Zeit der Ampelkoalition ist um. Das Bundesjustizministerium ist mit dem Gesetzentwurf nicht fertig geworden. Der letzte Stand des Vorhabens wurde nun |fĂŒr die Nachwelt veröffentlicht|. Das Papier markiert das leise Ende eines einst ambitionierten Vorhabens. Die kĂŒnftige Regierung kann sich davon inspirieren lassen, oder die RĂŒckseite als Schmierpapier verwenden.
Was sind meine Augenbrauen damals erfreut gehĂŒpft, als ich vor drei Jahren im |Koalitionsvertrag| der Ampel las:
Mit einem Gesetz gegen digitale Gewalt werden wir rechtliche HĂŒrden fĂŒr Betroffene, wie LĂŒcken bei Auskunftsrechten, abbauen und umfassende Beratungsangebote aufsetzen.
Das klang vielversprechend. Umfassende Beratung? Genau, was |den Betroffenen fehlt|. Rechtliche HĂŒrden? Gerade bei bildbasierter Gewalt |ein Riesenthema|, ebenso bei Ăberwachung durch (Ex-)Partner*innen |per Spyware|. DarĂŒber berichten wir seit Jahren.
Ein fader Geschmack auf der Zunge kam auf, als das Justizministerium im April 2023 |erstmals Eckpunkte vorlegte|. Darin war keine Rede mehr von Beratungsangeboten, das wĂ€re ja auch teuer geworden. Der Abbau rechtlicher HĂŒrden kreiste um AuskunftsansprĂŒche fĂŒr Betroffene. Das heiĂt, Betroffene sollten vor Gericht erwirken können, dass Online-Anbieter etwa IP-Adressen von VerdĂ€chtigen herausrĂŒcken. Mit sogenannten Accountsperren lag noch ein |höchstens semi-nĂŒtzliches Werkzeug| fĂŒr Betroffene mit im Korb.
Die gröĂte Kritik an den Eckpunkten war jedoch: Da stand âdigitale Gewaltâ drauf, aber da steckte kaum âdigitale Gewaltâ drin. Digitale Gewalt ist ein |Sammelbegriff| fĂŒr mehrere Formen zwischenmenschlicher Gewalt, die Frauen und andere marginalisierte Gruppen der Gesellschaft besonders treffen. Dazu gehören Stalking, Doxing, BelĂ€stigungen, Bedrohungen, Ortung und Ăberwachung, Veröffentlichung intimer Fotos oder Videos, auch per Deepfake.
BloĂ, im Eckpunktepapier selbst war keine Spur mehr von der Geschlechterdimension des PhĂ€nomens. Viele Formen digitaler Gewalt waren schlicht nicht abgebildet. Stattdessen sprach aus den Eckpunkten eine groĂe UnschĂ€rfe. Die geplanten AuskunftsansprĂŒche bezogen sich |sogar auf Urheberrechtsverletzungen| und Inhalte von Messengern. Als ein das Thema völlig verfehlendes Beispiel nannte das Justizministerium selbst eine unwahre Restaurantkritik. Seit wann sind Beschwerden ĂŒber angeblich labberige Pizzen bitte digitale Gewalt? Was fĂŒr ein Facepalm-Moment.
Das Feedback von Fachleuten und Zivilgesellschaft |war entsprechend umfassend|. In der Folge geschah lange nichts, bis Anfang Dezember die Ampelkoalition zerbrach. Und dann war klar: Das wird wohl nichts mehr mit dem Gesetz gegen digitale Gewalt, |wie mit vielen anderen Ampel-Vorhaben auch|. Was sich dennoch seit dem Eckpunktepapier am Vorhaben geÀndert hat, lÀsst sich nun einem |40-seitigen PDF nachlesen|.
Schon die verschiedenen Titel zeigen, dass hier wenig ausgegoren ist. Ist es nun ein Gesetzentwurf oder doch nur ein Diskussionsentwurf? Ist es ein Gesetz âgegen digitale Gewaltâ oder ein âGesetz zur StĂ€rkung der privaten Rechtsverfolgung im Internetâ? Im Zweifel von allem ein bisschen, man ist eben nicht fertig geworden.
Die halbgare Umbenennung â weg vom Begriff âdigitale Gewaltâ â dĂŒrfte eine Reaktion auf die Kritik sein, dass das Gesetz sich nicht wirklich mit digitaler Gewalt befasse. Der neue Name, âStĂ€rkung der privaten Rechtsverfolgungâ, ist zwar folgerichtig, aber zugleich eine EnttĂ€uschung. Denn vorgenommen hatte man sich eigentlich etwas anderes.
Als wĂ€re die Aufgabe der Klassenarbeit eine Gedichtanalyse gewesen, aber man hat stattdessen â vielleicht mit ein paar eingestreuten Reimen â den SchwĂ€nzeltanz der Bienen erklĂ€rt.
Die Papiere aus dem Justizministerium sind nicht mehr das, was meine Augenbrauen hĂŒpfen lieĂ, als ich 2021 den Koalitionsvertrag las. Sie sind nicht das, worauf zahlreiche Betroffene, vor allem Frauen, seit Langem hoffen.
Allzu sehr wie eine Baustelle wirkt auch die Begrenzung des Gesetzes auf eine konkrete Reihe von TatbestĂ€nden. Aus den BegrĂŒndungen geht hervor: Hier sollte das PhĂ€nomen digitale Gewalt modelliert werden â mit dem, was unter anderem das Strafrecht hergibt. Auch das Urheberrecht ist weiterhin dabei. Das Ergebnis lĂ€sst sich schwerlich als gelungen beschreiben.
Konkret gehören zur Liste etwa âStörung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftatenâ (also auch entsprechende rechtsextreme Hetze?), âVerbreitung pornographischer Inhalteâ (also auch Pornoseiten ohne Ausweiskontrollen?) sowie âVerbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalteâ (also auch PĂ€dokriminalitĂ€t?). Kurzum: Sowohl der neue Entwurf als auch die alten Eckpunkte haben ein Problem mit dem Fokus. Worum soll es hier bitte gehen?
FrĂŒher in der Schule haben sich Lehrer*innen auch unfertige Klassenarbeiten vorgenommen. Sie haben sich mit viel Geduld und Wohlwollen angeschaut, wofĂŒr es immerhin ein paar Teilpunkte geben könnte. Die Gedichtanalyse analysiert gar kein Gedicht, beinhaltet aber immerhin ein paar saubere Paarreime? Halber Punkt!
Aber das Diskussionspapier aus dem Justizministerium ist keine Klassenarbeit. Ich wĂŒnsche mir keine Teilpunkte nach dem Motto: âDas BMJ hat sich sehr bemĂŒhtâ. Ich wĂŒnsche mir ein rundum |durchdachtes und gutes Gesetz gegen digitale Gewalt|.
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|fĂŒr die Nachwelt veröffentlicht|
|höchstens semi-nĂŒtzliches Werkzeug|
|sogar auf Urheberrechtsverletzungen|
|wie mit vielen anderen Ampel-Vorhaben auch|
|durchdachtes und gutes Gesetz gegen digitale Gewalt|
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Thu, 12 Dec 2024 11:25:12 +0000
Daniel Leisegang
Die FachĂ€rztin Silke LĂŒder glaubt nicht an die Versprechen der elektronischen Patientenakte fĂŒr alle. Stattdessen sorgt sie sich um die Folgen schlechter AufklĂ€rung, das Ende der Ă€rztlichen Schweigepflicht und ForschungsmĂŒll.
Im Februar 2025 kommt die elektronische Patientenakte fĂŒr alle, die ihr nicht widersprechen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach wirbt intensiv fĂŒr das Vorhaben. Sein Versprechen: Alle wichtigen Gesundheitsdaten und damit die gesamte Krankengeschichte einer Person sind fortan an einem Ort einsehbar. Das mache Behandlungen effizienter und verbessere unterm Strich die Gesundheitsversorgung. Und Versicherte könnten genau nachvollziehen, welche Diagnosen gestellt und welche Leistungen fĂŒr sie abgerechnet wurden.
Wir haben mit Silke LĂŒder ĂŒber die elektronische Patientenakte fĂŒr alle (ePA) gesprochen. Sie ist FachĂ€rztin fĂŒr Allgemeinmedizin in Hamburg und kann auf ihre langjĂ€hrige Erfahrung als HausĂ€rztin zurĂŒckblicken. Sie ist auĂerdem Delegierte auf den Deutschen Ărztetagen und seit 2012 stellvertretende Bundesvorsitzende der Freien Ărzteschaft e. V. Mehrfach stand sie als SachverstĂ€ndige dem Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages Rede und Antwort.
netzpolitik.org: Frau LĂŒder, die elektronische Patientenakte klingt nach einer Win-win-Situation fĂŒr alle Beteiligten, oder?
Silke LĂŒder: Im Augenblick hat man eher das GefĂŒhl, dass die Win-Situation sehr einseitig verteilt ist. Das Projekt lĂ€uft jetzt seit zwanzig Jahren. Und es war eher eines aus der Kategorie âPleiten, Pech und Pannenâ mit Milliardenkosten, die niemand genau beziffern kann. Profitiert haben bisher die beteiligten Firmen, vor allem aus dem Bereich der Praxisverwaltungssysteme. Sie haben ihre UmsĂ€tze deutlich erhöhen können. In der medizinischen Behandlung sind die Vorteile bisher nicht angekommen.
netzpolitik.org: Kann die ePA denn keine der vielen Beschwerden im Gesundheitswesen lindern?
Silke LĂŒder: Seit zwei Jahrzehnten sehen wir, dass die Gesundheitsversorgung in Deutschland sich stetig verschlechtert. Im Jahr 2003 fĂŒhrte die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt das Fallpauschalen-System in den Kliniken ein. UnterstĂŒtzt wurde sie damals ĂŒbrigens vom heutigen Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Die Folgen waren dramatisch. Es kam zu sprichwörtlichen âblutigen Entlassungenâ. Patienten mussten vorzeitig die Kliniken verlassen. Und in den KrankenhĂ€usern fehlt schon seit langem Zeit fĂŒr individuelle Behandlung.
Ăhnliches spielt sich im ambulanten Sektor unter den Bedingungen der Pauschalierung ab. Auch hier ist Zeitmangel fĂŒr den einzelnen Patienten ein groĂes Problem. Das wird sich mit der geplanten âePA fĂŒr alleâ mit doppelter Datenverwaltung und zeitraubendem Suchen in einer unvollstĂ€ndigen PDF-Sammlung nicht verbessern, befĂŒrchte ich. Ganz im Gegenteil.
netzpolitik.org: Nach einem Testlauf in verschiedenen Modellregionen soll die ePA spĂ€testens Mitte Februar bundesweit ausgerollt werden. Sind die Praxen ausreichend fit dafĂŒr?
Silke LĂŒder: Die Praxen werden zum groĂen Teil âfitâ sein. Sie werden ja massiv mit finanziellen Strafen dazu genötigt, jede Art teurer Software fĂŒr den Start der ePA anzuschaffen.
Bisher ist die Industrie allerdings noch nicht in der Lage, die dafĂŒr notwendigen Tools zu liefern. Bisher hatten die Firmen noch keine Zulassung. Und ihre Programme konnten sie auch noch nicht in einer realen Testumgebung testen. Der bundesweite Rollout wird sich daher wohl auch noch verschieben, vermutlich bis in den April, wie man in den Testregionen hört.
netzpolitik.org: Wie bewerten Sie, dass Versicherte einer ePA widersprechen mĂŒssen, um sie nicht zu erhalten?
Silke LĂŒder: Bei der Entscheidung ĂŒber die Organspende hat der Bundestag jĂŒngst die Freiwilligkeitslösung beibehalten. Also das Opt-in. Die BegrĂŒndung ist interessant: Schweigen ist demnach keine Zustimmung.
Bei der ePA gelten andere Regeln, obwohl den meisten gesetzlich Versicherten vermutlich nicht einmal richtig klar ist, was die digitale Akte fĂŒr sie bedeutet. Daran konnte auch die völlig unzutreffende Werbekampagne des Bundesgesundheitsministeriums wenig Ă€ndern. Denn sie informiert nicht darĂŒber, dass die Daten der Versicherten kĂŒnftig zentral gespeichert werden. Und dass Pharma- und Tech-Konzerne grundsĂ€tzlich damit forschen dĂŒrfen. Informationelle Selbstbestimmung hat Grundrechtsstatus in Deutschland. Dieses Recht ist nicht gesichert mit der jetzigen Widerspruchslösung.
|Soll ichâs wirklich machen oder lass ichâs lieber sein?|
netzpolitik.org: Der Verbraucherzentrale Bundesverband kritisierte in der vergangenen Woche, dass die Krankenkassen den Versicherten eine informierte Entscheidung zur ePA |erschweren|. Was ist Ihr Eindruck?
Silke LĂŒder: Das ist eine völlig berechtigte Kritik. Viele unserer Patienten befĂŒrchten augenblicklich zwei Dinge, wenn sie der ePA widersprechen: Dass sie weniger Leistungen bekommen und dass ihre Behandlung schlechter wird, wenn sie die zentrale Datenspeicherung ablehnen. Das ist beides nicht der Fall, aber dieser Eindruck ist Folge der schlechten AufklĂ€rung.
netzpolitik.org: Insgesamt gibt es verschiedene Widerspruchsmöglichkeiten fĂŒr die Versicherten, unter anderem gegen die ePA selbst, aber auch gegen die Medikationsliste oder gegen die Nutzung der Daten zu Forschungszwecken. Behalten Sie da noch den Ăberblick?
Silke LĂŒder: Jedem auch noch so gut informierten Menschen fĂ€llt es schwer, die verschiedenen Widerspruchsmöglichkeiten zu ĂŒberblicken. Und ihre Daten können Versicherte ja nur dann verwalten, wenn sie ein recht aktuelles Handy besitzen mit einer NFC-Funktion. Dann mĂŒssen sie sich die ePA-App ihrer Krankenversicherung holen. Und sie brauchen die PIN-Nummer, die sie mit Hilfe von Postident oder ihrem elektronischen Personalausweis bekommen. Insgesamt wird das nur ein kleiner Teil der Versicherten machen. Und damit ist die informationelle Selbstbestimmung aus meiner Sicht ebenfalls eingeschrĂ€nkt.
netzpolitik.org: Versicherte können in der ePA bestimmte Dokumente ausblenden und einzelnen Ărzt:innen oder Institutionen den Zugriff komplett verwehren. Wie können Ărzt:innen da noch sicher sein, die richtigen Diagnosen zu treffen?
Silke LĂŒder: Die ePA in der geplanten Form hat fĂŒr Ărztinnen und Ărzte jede medizinische und juristische Verbindlichkeit verloren. Gleichzeitig muss klar sein, dass die jetzigen Kommunikationswege in der Medizin weiterlaufen wie bisher. Die werden durch die ePA nicht ersetzt. Auch in Zukunft bekommt jeder Hausarzt von den FachĂ€rzten oder der Klinik einen Bericht, wenn er einen Patienten dahin ĂŒberwiesen hat. Die Verpflichtung bleibt bestehen. Und auch wir haben unseren Patienten immer alle Berichte wieder mitgegeben, nachdem wir sie eingescannt haben. Die haben dann selbst den Ăberblick ĂŒber ihre Daten. Dezentral und buchstĂ€blich in ihrer Hand. Das finde ich deutlich sinnvoller.
netzpolitik.org: Praxen und KrankenhĂ€user sollen dabei helfen, dass Dokumente in die ePA gelangen. AuĂerdem sollen sie die Versicherten ausfĂŒhrlich ĂŒber die digitale Patientenakte aufklĂ€ren. Welcher Zusatzaufwand kommt auf die Behandelnden und ihre Mitarbeitenden zu?
Silke LĂŒder: Fehlende Behandlungszeit ist ein Hauptproblem im Gesundheitswesen. NatĂŒrlich wird es nicht möglich sein, dass Praxen und Kliniken die AufklĂ€rungspflicht der Krankenkassen ĂŒbernehmen.
netzpolitik.org: Apotheken sollen standardmĂ€Ăig drei Tage lang die ePA einsehen können, wenn Versicherte ein Rezept einlösen. VerstöĂt das nicht gegen die Ă€rztliche Schweigepflicht?
Silke LĂŒder: Die Ă€rztliche Schweigepflicht gibt es seit rund 2.500 Jahren. Bei den neuen Zugriffsregelungen fĂŒr die sensibelsten Arztbriefe besteht die in Zukunft nicht mehr. Alle Mitarbeiter im Gesundheitswesen können erstmal auf sĂ€mtliche Daten zugreifen, die bisher der Schweigepflicht unterlagen. DafĂŒr reicht es, wenn die Versicherten ihre Gesundheitskarte in das KartenlesegerĂ€t stecken.
Und nicht nur die Apotheken können dann die Daten einsehen, sondern auch alle anderen Einrichtungen. Masseure, Pflegemitarbeiter, medizinische FuĂpfleger und viele mehr. Als Betroffener kann man nicht erkennen, welche Mitarbeiter die Daten zu Gesicht bekommen. Und ĂŒberhaupt registriert man den Zugriff nur, wenn man sich eingehend mit der ePA-App vertraut macht. Wer rechnet aber schon damit, dass die Apothekenmitarbeiterin nach Einlösen eines e-Rezeptes drei Tage lang einsehen kann, was die FrauenĂ€rztin oder der Psychiater in der ePA hinterlegt hat?
netzpolitik.org: Die in der ePA abgelegten Daten werden auch der Forschung zur VerfĂŒgung gestellt. Karl Lauterbach sieht hier groĂe Chancen im Einsatz von KI.
Silke LĂŒder: Die EinschĂ€tzung des Gesundheitsministers zum KI-Training teilt er möglicherweise nur selbst. Und es ist schlichtweg skandalös, dass Lauterbach offenbar auch mit US-Konzernen wie Meta, Open AI und Google |spricht|, die ihre KI-Systeme mit den Gesundheitsdaten von zig Millionen Versicherten trainieren wollen.
netzpolitik.org: Ist die Losung âSo viele Daten wie möglich in einen Topfâ aus Ihrer Sicht der richtige Ansatz fĂŒr eine bessere Gesundheitsversorgung?
Silke LĂŒder: Daten heilen nicht, auch wenn der frĂŒhere Gesundheitsminister Jens Spahn und der derzeitige Minister Lauterbach sich da augenscheinlich einig sind. FĂŒhrende Forschungsexperten wie JĂŒrgen Windeler, der kĂŒrzlich auf dem Kongress der Freien Ărzteschaft in Berlin vorgetragen kann, bestreiten das. Gute medizinische Forschung ist auf sinnvolle Fragestellungen, gute Daten und vergleichende ForschungsansĂ€tze angewiesen. Bei Forschung mit den ePA-Daten entsteht eher ForschungsmĂŒll.
netzpolitik.org: Wie sollte die ePA aus Ihrer Sicht aussehen, damit sie sowohl den BedĂŒrfnissen der Behandelnden als auch denen der Versicherten gerecht wird?
Silke LĂŒder: Es gibt Methoden, Daten dezentral zu speichern und auszuwerten. Das wird sowohl den BedĂŒrfnissen der Behandelnden als auch der Patienten gerecht. Solche AnsĂ€tze werden aber nicht weiterverfolgt. Man will einfach den groĂen Datenpool haben. Die Krankheitsdaten von 84 Millionen BĂŒrgerinnen und BĂŒrgern können aber auf Dauer nicht geschĂŒtzt werden. Es ist daher wohl auch nur eine Frage der Zeit, bis es hier zu einem gröĂeren Sicherheitsvorfall kommt.
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|Soll ichâs wirklich machen oder lass ichâs lieber sein?|
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Wed, 11 Dec 2024 14:24:53 +0000
Leonhard Dobusch
Der Beitrag öffentlich-rechtlicher Medien zu demokratischer Ăffentlichkeit und Gesellschaft darf im Zeitalter digitaler Plattformen nicht alleine anhand ihrer Inhalte beurteilt werden. Vielmehr gilt es sie auch als Dienstleister eines grenzĂŒberschreitenden, gemeinwohlorientierten Ăkosystems zu verstehen. Eine Analyse fĂŒr die Eidgenössische Medienkommission EMEK.
Die Serie âNeues aus dem Fernsehratâ beleuchtet seit dem Jahr 2016 die digitale Transformation öffentlich-rechtlicher Medien. Hier entlang zu allen BeitrĂ€gen der |Reihe|.
Die |Eidgenössische Medienkommission EMEK| ist eine unabhĂ€ngige auĂerparlamentarische Expertenkommission des Schweizer Bundesrats mit der Aufgabe, die schweizerische Medienlandschaft zu beobachten, zu analysieren und Empfehlungen zu ausgewĂ€hlten Fragen abzugeben. Sie hatte mich damit beauftragt, digitale Potenziale fĂŒr die Weiterentwicklung von öffentlich-rechtlichen Medien â in der Schweiz auch bezeichnet als â|Service-public| Medienâ â zu skizzieren.
Das Ergebnis ist unter dem Titel âDigitalisierung als Demokratisierungâ seit heute auf der Webseite der EMEK frei |im Volltext zugĂ€nglich|. Im Folgenden die Zusammenfassung als Appetizer dafĂŒr, einen Blick in die Langfassung zu werfen:
Es dient der Vielfalt und QualitĂ€t demokratischer Ăffentlichkeit in einer offenen Gesellschaft, wenn nicht einzelne Medien(typen) mit ihren jeweils spezifischen AbhĂ€ngigkeiten dominieren, sondern sich unterschiedliche Medien(abhĂ€ngigkeiten) mit relevanter Reichweite wechselseitig kontrollieren. Neben privaten, primĂ€r profitorientierten Medien(plattformen) leisten öffentlich-rechtliche bzw. Service-public-Medien deshalb auch im Zeitalter digitaler Plattformöffentlichkeit einen Beitrag zu Medienvielfalt und demokratischer Ăffentlichkeit, sofern es ihnen (1) gelingt ihren demokratischen Auftrag in zeitgemĂ€Ăe mediale Alltagspraxis zu ĂŒbersetzen, sowie (2) mit ihren Angeboten relevante Reichweiten erzielen.
Die digitale Transformation von Service-public-Medien ist damit Herausforderung und Chance zugleich: öffnen sie sich und ihre Kommunikationsinfrastruktur dem Publikum und anderen gemeinnĂŒtzigen und, in bestimmten Bereichen, auch kommerziellen Medien gegenĂŒber, bieten sie nicht nur eine Ausweichroute zu groĂen kommerziellen Plattformen, sondern es eröffnen sich auch neue digitale Demokratisierungspotenziale. Voraussetzung dafĂŒr ist jedoch, etablierte kommerzielle Angebote nicht einfach zu kopieren, sondern Online-Angebote zu bauen, die den demokratischen Auftrag in digitale Plattformtechnik gieĂen, beispielsweise durch Etablierung alternativer, vielfaltsfördernder Algorithmen jenseits von profitgetriebener Engagement-Logik.
Einher mit der Ăffnung öffentlich-rechtlicher Portale fĂŒr Drittinhalte gehen neue Aufgaben und Rollen fĂŒr Service-public-Medien, wie die Kuratierung von Public-Value-Inhalten aus dem unĂŒberschaubar groĂen Angebot frei verfĂŒgbarer Online-Inhalte oder die Gestaltung und Moderation von digital-öffentlichen DiskursrĂ€umen in ErfĂŒllung des Auftrags, zu demokratischer Meinungsbildung beizutragen.
Diese neuen Aufgaben erfordern den Aufbau einer neuen digitalen Distributionsinfrastruktur. Insoweit diese auf Basis offener Standards, Protokolle und Software entwickelt und betrieben wird, birgt sie das Potenzial fĂŒr Digitalen Public Value jenseits programmlich-inhaltlicher Angebote: Offene Software ermöglicht Kooperation â auch im EuropĂ€ischen Rahmen â ohne aufwĂ€ndige (Vor-)Abstimmungsprozesse oder starke wechselseitige AbhĂ€ngigkeiten.
Im Ergebnis gilt es demnach AuftragserfĂŒllung von Service-public-Medien nicht nur anhand inhaltlich-programmlicher Angebote, sondern auch anhand ihres Beitrags zu einem (potenziell grenzĂŒberschreitenden), gemeinwohlorientierten Medienökosystem zu beurteilen; ein Medienökosystem in dem öffentlich-rechtliche Medien neue Aufgaben wie Infrastruktur-Provider oder Kurator ĂŒbernehmen und sich gleichzeitig als ermöglichender â aber nicht determinierend steuernder â Akteur in einem heterarchischen und offenen Netzwerk verstehen.
Zur Langfassung der Analyse auf der Webseite der EKEM |hier entlang|.
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|Eidgenössische Medienkommission EMEK|
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Wed, 11 Dec 2024 13:28:20 +0000
Daniel Leisegang
Zwei Jahre lang hat der Beirat Digitalstrategie die digitalpolitischen Vorhaben der Ampel-Regierung eng begleitet. Im Abschlussbericht empfehlen die Expert:innen der nÀchsten Regierung grundlegende Kurskorrekturen.
Einen âumfassenden digitalen Aufbruchâ â das |versprach| die Ampel-Regierung zu Beginn ihrer Amtszeit. Was sie am Ende ihrer Legislatur bekommt: eine Fundamentalkritik ihrer Digitalpolitik. Und zwar von jenem |Beirat Digitalstrategie Deutschland|, den sie selbst vor gut zwei Jahren |eingesetzt hat|.
Das 17-köpfige Gremium aus Vertreter:innen der Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft begleitet die Umsetzung der Digitalstrategie, die die Ampel im August 2022 vorlegte. In ihrem |Abschlussbericht|, den sie gemeinsam mit dem |DigitalService des Bundes| verfasst haben, beleuchten die Beiratsmitglieder aber nicht den aktuellen Stand der |19 Leuchtturmprojekte| der Ampel, sondern sie nehmen die zugrunde liegenden politischen Prozesse ins Visier.
Hier liege einiges im Argen, betonen Beiratsmitglieder auch in einem PressegesprĂ€ch am Dienstag. Die Ampel habe ihre digitalpolitischen Ziele weitestgehend verfehlt. Wenn die nĂ€chste Regierung es besser machen wolle, mĂŒsse diese ihre Strategie grundlegend anders angehen.
Drei zentrale Empfehlungen durchziehen den knapp 20-seitigen Beiratsbericht: Erstens brauche es einen klar ausgerichteten strategischen Kurs, zweitens eine zentrale Steuerung des Umsetzungsprozesses und drittens eine frĂŒhzeitige Einbindung von Nutzenden, Fachleuten und Stakeholdern. Statt zahlreicher LeuchttĂŒrme empfiehlt der Beirat zur Orientierung zudem die Konzentration auf eine ĂŒbergeordnete Vision.
Wichtiger Ausgangspunkt der Grundsatzkritik ist die Digitalstrategie selbst. Mit ihr habe die Ampel keine wirkliche Strategie vorgelegt, so die einhellige Meinung beim PressegesprĂ€ch, sondern âeine Ansammlung von ĂŒber 140 EinzelmaĂnahmenâ aus unterschiedlichen Ministerien.
Selbst den Beiratsmitgliedern sei bis zum Ende nicht ersichtlich gewesen, was ein Leuchtturmprojekt auszeichnet und nach welchen Kriterien die Ampel diese ausgewĂ€hlt hat, betont Stefan Heumann am Dienstag. Er sitzt fĂŒr die Denkfabrik |Agora Digitale Transformation| im Beirat. Zu den Leuchtturmprojekten zĂ€hlen unter anderem Vorhaben wie der Gigabitausbau, ein digitaler Familienassistent, ein âdigitales Gefechtsfeldâ fĂŒr die Bundeswehr und ein Ăkosystem fĂŒr MobilitĂ€tsdaten.
Um bei den nautischen Metaphern zu bleiben: Weil eine Gesamtstrategie fehle, gingen selbst zentrale Digitalisierungsvorhaben ĂŒber Bord. So etwa das Vorhaben der |digitalen IdentitĂ€ten|. Sie ermöglichen es BĂŒrger:innen, sich online auszuweisen und BehördengĂ€nge mit dem Smartphone zu erledigen. Das sei kein ânice to haveâ, sagt Heumann, sondern eine notwendige Voraussetzung fĂŒr die Verwaltungsdigitalisierung. Das Thema mĂŒsse die nĂ€chste Regierung klarer priorisieren, âdamit Digitalvorhaben nicht gegen Sicherheit verhandelt werdenâ.
Das Bundesinnenministerium hatte Ende vergangenen Jahres unter anderem den Online-Ausweis fĂŒrs Smartphone aus KostengrĂŒnden |gestoppt|, plant aber zugleich einen â|Sicherheitshaushalt|â mit einer zusĂ€tzlichen Milliarde Euro fĂŒr die Sicherheitsbehörden.
Immerhin sei es in den vergangenen Jahren gelungen, einige Digitalisierungsprojekte umzusetzen. Dies sogar in Absprache zwischen Ressorts und ĂŒber BundeslĂ€ndergrenzen hinweg, wie der Beirat betont. Als Beispiel nennen Mitglieder das |Leuchtturmprojekt âZivilgerichtliche Online-Verfahrenâ|. BĂŒrger:innen können hier Zahlungsklagen von niedrigem Streitwert digital einreichen.
Andere Projekte seien aber auf halbem Wege ins Stocken geraten. So etwa das |Auslandsportal| des AuswĂ€rtigen Amtes, wo FachkrĂ€fte im Ausland digitale Visa-AntrĂ€ge stellen können. Damit die digitalisierten Prozesse sich bis ins Bundesamt fĂŒr Migration und FlĂŒchtlinge und die einzelnen AuslĂ€nderbehörden fortsetzen, hĂ€tte das Bundesinnenministerium einbezogen werden mĂŒssen. Das sei aber nicht passiert.
An den zustĂ€ndigen FachkrĂ€ften in den Ministerien habe das nicht gelegen, betont der Beirat. âBeim Auslandsportal haben Leute ganze Wochenenden durchgearbeitetâ, sagt Alexander Rabe, GeschĂ€ftsfĂŒhrer bei |eco â Verband der Internetwirtschaft|. Allerdings habe eine koordinierte Steuerung gefehlt, also der KĂ€ptân auf der BrĂŒcke. âEs bedarf einer kompetenten Steuerung, das mag banal klingen, aber das haben wir derzeit mit dem Bundesdigitalministerium nichtâ, so Raabe.
Noch-Digitalminister Volker Wissing (parteilos) kann dies nur teilweise angelastet werden: SPD, GrĂŒne und FDP hatten sich erst nach sieben Monaten im Amt auf eine hochgradig komplexe und kleinteilige |Aufteilung der ZustĂ€ndigkeiten fĂŒr Digitalvorhaben| geeinigt. Bei vielen Themen lag die FederfĂŒhrung mindestens bei zwei Ministerien, neben dem Digitalministerium zum Beispiel noch beim Wirtschafts-, Finanz- oder Innenministerium sowie dem Kanzleramt.
Der nĂ€chsten Regierung empfiehlt der Beirat daher eine âsteuernde, zentrale Instanzâ, die mit einem eigenen Digitalbudget ausgestattet ist. Das mĂŒsse nicht unbedingt ein Digitalministerium sein â hier gehen die Meinungen im Beirat auseinander â, sondern könnte auch anders ausgestaltet sein.
Die Ministerien sollten sich derweil auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren: die politische Steuerung und Gesetzgebung. âWir brauchen hier nicht weniger als eine Prozessrevolution mit klaren Aufgabentrennungenâ, betont Raabe.
Gleichzeitig mĂŒssten die Silos der einzelnen Ministerien aufgebrochen werden, damit die Ressorts stĂ€rker miteinander ins GesprĂ€ch kommen. Derzeit gebe es nicht einmal eine kollaborative Austauschplattform zwischen den Ministerien. âEs ist nicht einmal möglich, gemeinsam ressortĂŒbergreifend an einem Textdokument zu arbeitenâ, so Ann Cathrin Riedel, GeschĂ€ftsfĂŒhrerin bei |NExT e.V.|, im PressegesprĂ€ch.
AuĂerdem empfiehlt der Beirat der kommenden Regierung, nur einen groĂen Leuchtturm aufzustellen. Das sollte kein bestimmtes Digitalisierungsprojekt sein, betont Riedel. Sinnvoller wĂ€re es, eine Vision zu entwickeln, die ein ĂŒbergreifendes Ziel vorgibt.
Dabei sollte die nĂ€chste Regierung Stakeholder, Expert:innen und Zielgruppen von Beginn an einbinden. Das habe die Ampel versĂ€umt: âViele Projekte definieren ihre Zielgruppen nicht klar und bleiben zu allgemein bei der Adressierung ihrer Vorhabenâ, kritisiert der Bericht.
Etliche der Leuchtturmprojekte hĂ€tten sich nicht mit der Frage befasst, inwiefern sie Wirkung entfalten. Meist hĂ€tten nicht einmal Metriken vorgelegen, kritisiert Christina Lang, GeschĂ€ftsfĂŒhrerin des DigitalService des Bundes. Buzzwords wie âdigitale SouverĂ€nitĂ€tâ gĂ€ben keine Messlatte vor, ergĂ€nzt Stefan Heumann.
Auch aus diesem Grund habe der Beirat keine qualitative Bewertung darĂŒber erstellt, wo die Leuchtturmprojekte derzeit stehen und wo es jeweils noch hakt. âWir können in den Istzustand gar nicht hineinschauenâ, sagt Ann Cathrin Riedel.
âEs war ein mutiger Schritt der Ampel, einen unabhĂ€ngigen Beirat zu bestellen, der auch ein Stachel sein sollteâ, sagt Stefan Heumann. âAber auch wir kamen zu spĂ€t in den Prozess hinein.â Das sei frustrierend gewesen, weil der Beirat meist sehr grundsĂ€tzliche Fragen stellen musste.
Immerhin betonen die Beiratsmitglieder die gute Zusammenarbeit untereinander. âFĂŒr uns alle war die Zusammenarbeit von einem zielorientierten Output geprĂ€gtâ, sagt Alexander Rabe, âdas hat SpaĂ gemacht.â
Und etwas hinzugelernt haben sie nach eigenem Bekunden auch. Am Ende ihres Berichts zeigen sich die Mitglieder âdankbar fĂŒr die tiefen, ehrlichen und offenen Einblicke in das Innenleben der Verwaltung, die unsere kritische Begleitung der Digitalisierung Deutschlands kĂŒnftig prĂ€ziser und besser machen werden.â
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|Beirat Digitalstrategie Deutschland|
|Agora Digitale Transformation|
|Leuchtturmprojekt âZivilgerichtliche Online-Verfahrenâ|
|eco â Verband der Internetwirtschaft|
|Aufteilung der ZustĂ€ndigkeiten fĂŒr Digitalvorhaben|
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Wed, 11 Dec 2024 09:00:28 +0000
Tomas Rudl
KĂŒrzlich hatte eine EU-Arbeitsgruppe weitreichende Ăberwachungsbefugnisse fĂŒr Ermittlungsbehörden gefordert. Vor diesen VorschlĂ€gen warnen nun Dutzende zivilgesellschaftliche Organisationen. Eine derartige MassenĂŒberwachung sei nicht mit demokratischen GrundsĂ€tzen vereinbar.
EuropĂ€ische Ermittlungsbehörden dĂŒrften keine uneingeschrĂ€nkten Befugnisse erhalten, die zu MassenĂŒberwachung und Grundrechtsverletzungen fĂŒhren wĂŒrden. Das fordern ĂŒber drei Dutzend |zivilgesellschaftliche Organisationen in einem offenen Brief| an die EU-Justiz- und Innenminister:innen.
Die Sorgen der NGOs haben einen handfesten Grund. Im |Auftrag der EU hatte eine Hochrangige Gruppe| (High-Level Group, HLG) untersucht, wie sich dem sogenannten âGoing Darkâ-PhĂ€nomen begegnen lĂ€sst. Mit diesem Begriff bezeichnen Polizeien und Geheimdienste die Schwierigkeit, auf verschlĂŒsselte Daten zuzugreifen. Seit inzwischen Jahrzehnten drĂ€ngen sie darauf, diese HĂŒrde einzureiĂen.
In diesen Kanon stimmt auch die europĂ€ische HLG ein. Die weitgehend aus |Sicherheitsbehörden kommenden Expert:innen| hatten in ihren |Empfehlungen| sowie einem jĂŒngst veröffentlichten |Abschlussbericht| eine einschlĂ€gige Wunschliste erstellt. Neben umfangreichen Speicherpflichten fĂŒr beliebige Online-Dienste mĂŒsse letztlich ein ârechtmĂ€Ăiger Zugang durch Design (âlawful access by designâ)â garantieren, dass Ermittlungsbehörden selbst auf verschlĂŒsselte Inhalte zugreifen können, so ihre Kernforderungen.
Wie sich das technisch und ohne negative Nebenwirkungen umsetzen lieĂe, lĂ€sst die HLG offen. Aus gutem Grund: Sicherheitsexpert:innen sehen solche AnsĂ€tze als |Quadratur des Kreises|, denn VerschlĂŒsselung ist entweder sicher oder eben nicht. Insbesondere das Konzept eines standardisierten ârechtmĂ€Ăigen Zugangs durch Designâ bereitet den NGOs Sorgen. âIn der Praxis wĂŒrde dies die systematische SchwĂ€chung aller digitalen Sicherheitssysteme erfordern, einschlieĂlich, aber nicht beschrĂ€nkt auf die VerschlĂŒsselungâ, warnen die Unterzeichner:innen.
Generell wĂŒrden HintertĂŒren jeglicher Art âdie Sicherheit und Vertraulichkeit elektronischer Daten und Kommunikationen untergraben, die Sicherheit aller Menschen gefĂ€hrden und die Grundrechte der Menschen stark einschrĂ€nkenâ, heiĂt es in dem offenen Brief. UnterstĂŒtzt wird dieser von einem breiten BĂŒndnis, mit an Bord sind Digital-NGOs wie der Chaos Computer Club (CCC), epicenter.works oder European Digital Rights (EDRi), aber auch der Deutsche Anwaltverein (DAV), die EuropĂ€ische Rundfunkunion (EBU) oder der EuropĂ€ische Verband der Zeitungsverleger (ENPA).
Neben den technischen Problemen stĂŒnden solche AnsĂ€tze im Widerspruch zur Rechtsprechung des EuropĂ€ischen Gerichtshofs fĂŒr Menschenrechte (EGMR). Dieser hatte zuletzt die anlasslose |MassenĂŒberwachung in Russland fĂŒr illegal| erklĂ€rt. Vor allem in demokratischen Gesellschaften sei eine allgemeine Verpflichtung zur SchwĂ€chung von VerschlĂŒsselung unverhĂ€ltnismĂ€Ăig, so das Gericht. âWir empfehlen daher, alle MaĂnahmen zu verwerfen, die den Schutz der VerschlĂŒsselung umgehen oder abschwĂ€chen könnten, da sie die Sicherheit und den Schutz der PrivatsphĂ€re von Millionen von Menschen und öffentlichen Einrichtungen gefĂ€hrden und unweigerlich das gesamte Ăkosystem der digitalen Informationen schĂ€digen wĂŒrdenâ, schreiben die NGOs.
Auch die vorgeschlagenen, EU-weit harmonisierten Regeln zur Vorratsdatenspeicherung mĂŒssten einschlĂ€gigen Gerichtsurteilen genĂŒgen, sollte die EU |erwartungsgemÀà erneut einen Anlauf fĂŒr die anlasslose Massenspeicherung| unternehmen, mahnen die NGOs. Mit ihren VorschlĂ€gen wĂŒrde die HLG weit ĂŒbers Ziel hinausschieĂen: Eine Ausweitung der Speicherpflichten auf praktisch alle Online-Dienste, einschlieĂlich des Internets der Dinge und sonstiger internetbasierter Dienste, wĂ€re âbesonders besorgniserregend, da sie eine ungezielte und wahllose Vorratsdatenspeicherung personenbezogener Daten erfordern wĂŒrdeâ.
Diese umfassende und allgemeine Ăberwachung wĂŒrde in den Köpfen der Menschen das GefĂŒhl erzeugen, dass ihr Privatleben stĂ€ndig ĂŒberwacht werde und könne nicht als mit den rechtlichen Anforderungen vereinbar angesehen werden, heiĂt es in dem Brief. Jeder Eingriff in die Grundrechte mĂŒsse den GrundsĂ€tzen der RechtmĂ€Ăigkeit, der strikten Notwendigkeit und der VerhĂ€ltnismĂ€Ăigkeit entsprechen. Eine anlasslose Speicherung personenbezogener Daten auf Vorrat, mit denen sich etwa detaillierte Profile von Menschen erstellen lieĂen, entspreche diesen GrundsĂ€tzen nicht.
Erst recht gelte dies fĂŒr sogenannte BerufsgeheimnistrĂ€ger:innen, die besonderen Schutz genieĂen. âEs besteht die Gefahr, dass diese MaĂnahmen missbraucht werden, um Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, AnwĂ€lte, Aktivisten und politische Dissidenten zu verfolgenâ, warnen die NGOs. Angesichts des |Pegasus-Skandals|, bei dem in mehreren europĂ€ischen LĂ€ndern politisch unliebsame Menschen mutmaĂlich illegal mit der SpĂ€hsoftware ĂŒberwacht worden waren, scheint die Furcht nicht weit hergeholt zu sein.
Zugleich wĂŒrde sich die EU mit einer geschwĂ€chten VerschlĂŒsselung auch ins eigene Fleisch schneiden, fĂŒhrt der Brief aus. SchlieĂlich haben in den vergangenen Jahren GerĂ€tehersteller und Diensteanbieter erhebliche Ressourcen in die Verbesserung der Sicherheit ihrer GerĂ€te und der ZuverlĂ€ssigkeit ihrer Dienste investiert â auf Druck von Nutzer:innen, Aufsichtsbehörden und nicht zuletzt der Politik. Doch umfassende Ăberwachungsauflagen wĂŒrden AnsĂ€tze wie die Datenschutz-Grundverordnung oder den auf IT-Sicherheit abzielenden Cyber Resilience Act gehörig untergraben.
Dies hĂ€tte wohl Auswirkungen auf Nutzer:innen wie auf Anbieter:innen, so die NGOs. Auf der einen Seite wĂ€re es fĂŒr erstere kaum möglich, kĂŒnftig vertrauenswĂŒrdige digitale Werkzeuge zu wĂ€hlen. Auf der anderen Seite könnten sich zuverlĂ€ssige Anbieter sicherer Dienste entweder aus dem EU-Markt zurĂŒckziehen oder mĂŒssten ganz schlieĂen. âDies wĂ€re natĂŒrlich Ă€uĂerst schĂ€dlich fĂŒr die Initiativen und Ambitionen der EU im Bereich der Cybersicherheitâ, schreiben die NGOs.
Es stehe auĂer Frage, dass die den Strafverfolgungsbehörden zur VerfĂŒgung stehenden ErmittlungsmaĂnahmen dem digitalen Zeitalter angemessen sein mĂŒssten, heiĂt es in dem Brief. Effizienz sollte jedoch nicht auf Kosten von Grundrechten, des Rechtsschutzes und der europĂ€ischen Wirtschaft erreicht werden. âWir sind davon ĂŒberzeugt, dass diese Ziele von allgemeinem Interesse mit weniger einschneidenden MaĂnahmen erreicht werden können als mit einer MassenĂŒberwachung und einer systematischen SchwĂ€chung essenzieller Sicherheitsgarantien.â
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|zivilgesellschaftliche Organisationen in einem offenen Brief|
|Auftrag der EU hatte eine Hochrangige Gruppe|
|Sicherheitsbehörden kommenden Expert:innen|
|MassenĂŒberwachung in Russland fĂŒr illegal|
|erwartungsgemÀà erneut einen Anlauf fĂŒr die anlasslose Massenspeicherung|
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Wed, 11 Dec 2024 08:24:28 +0000
Ingo Dachwitz
EuropÀische Nichtregierungsorganisationen kritisieren ein erhebliches Ausmaà gezielter politischer Werbung bei der EU-Wahl. In einem neuen Bericht fordern sie, dass die EU geltende Regeln besser durchsetzt. Unter anderem schaffen Parteien und Plattformen noch immer nicht genug Transparenz.
2024 war ein Super-Wahljahr: Rund die HĂ€lfte der Weltbevölkerung war aufgefordert, eine neue Regierung zu wĂ€hlen. Viel wurde dabei ĂŒber die Rolle von Sozialen Medien diskutiert, zuletzt ĂŒber vermutete russische Einflussnahme via TikTok in RumĂ€nien. Auch das Europaparlament wurde in diesem Jahr neu gewĂ€hlt. Welche Rolle im EU-Wahlkampf Online-Werbung und politisches Targeting auf wichtigen Social-Media-Plattformen gespielt haben, hat in den vergangenen Monaten die BĂŒrgerrechtsorganisation Civil Liberties Union for Europe zusammen mit anderen NGOs untersucht.
Grundlage fĂŒr den |heute veröffentlichten Bericht| sind detaillierte |Untersuchungen des Social-Media-Wahlkampfs in sechs EU-LĂ€ndern|, die von Nichtregierungsorganisationen in Bulgarien, Deutschland, Frankreich, Spanien, Polen und Ungarn durchgefĂŒhrt wurden. Als technischer Partner unterstĂŒtzte die britische NGO Who Targets Me die Forschung. Sie stellt ein Browser-Tool bereit, mit dem Menschen automatisiert Werbeanzeigen aus ihrem Facebook-Feed erfassen lassen und den Forscher:innen als Datenspende zur VerfĂŒgung stellen können.
Im Fokus der Untersuchung stehen YouTube und Facebook. Letzteres ist aufgrund seiner riesigen Nutzer:innenschaft und der umfangreichen Optionen, Personen zielgerichtet Anzeigen auszuspielen, laut dem Bericht noch immer die wichtigste Plattform fĂŒr den digitalen Wahlkampf. Andere Plattformen konnten aufgrund der mangelnden VerfĂŒgbarkeit von Daten bei der Analyse nicht einbezogen werden. X (ehemals Twitter) beispielsweise sieht sich gerade mit einem |Aufsichtsverfahren der EU-Kommission| konfrontiert, weil es Anforderungen an die Werbetransparenz nicht erfĂŒllt. TikTok wiederum erlaubt gar keine Wahlwerbung â zumindest offiziell, denn der chinesische Plattformkonzern Bytedance hat Probleme, |diese Regel konsequent durchzusetzen|.
Insgesamt warnt die Civil Liberties Union davor, dass intransparentes Targeting bei politischer Werbung die IntegritÀt des demokratischen Diskurses gefÀhrdet. Die Nichtregierungsorganisation empfiehlt daher eine drastische BeschrÀnkung der Targeting-Möglichkeiten, mehr Transparenz von Parteien und Plattformen sowie eine stÀrkere Durchsetzung und Harmonisierung von EU-Regeln.
Etwa 350 Millionen Menschen waren im Juni 2024 zur Wahl eines neuen Europaparlaments aufgerufen. Die EU hat dabei einen drastischen Rechtsruck erlebt, im neuen EU-Parlament sind konservative, nationalistische und antidemokratische KrÀfte so stark wie nie.
Die ErklĂ€rung hierfĂŒr allein in Sozialen Medien zu suchen, wĂ€re verkĂŒrzt. Doch politisches Targeting steht aufgrund des hohen Manipulationspotenzials und Datenschutzbedenken |seit langem in der Kritik|. Die Berliner Datenschutzbeauftragte Meike Kamp hatte vor der EU-Wahl deshalb die deutschen Parteien aufgefordert, |auf Targeted Advertising zu verzichten| â ohne Erfolg. Den Untersuchungen der NGOs zufolge setzten bei der EU-Wahl Parteien des gesamten politischen Spektrums in erheblichem MaĂe auf zielgerichtete Werbung in Sozialen Medien.
Insbesondere zwei Targeting-Werkzeuge von Facebook gehören inzwischen zum Standard-Repertoire der politischen Werbung: sogenannte Custom Audiences und Lookalike Audiences. Bei der erstgenannten Werbeform stellen die Werbetreibenden benutzerdefinierte Zielgruppen zusammen, zum Beispiel anhand von Likes fĂŒr die Facebook-Seite einer Partei oder von Interaktionen mit bestimmten Posts. Werbetriebende können zudem Listen mit eigenen Mailadressen oder Telefonnummern nutzen, um zum Beispiel UnterstĂŒtzer:innen auf der Plattform gezielt ansprechen zu können.
Lookalike Audiences wiederum erlauben es beispielsweise, Zielgruppen zusammenstellen, die ihrem Datenprofil nach genau denjenigen Gruppen entsprechen, die bereits Fans der Partei sind. Ein Werbetreibender kann bis zu 500 verschiedene Custom Audiences bespielen. Die Civil Liberties Union warnt, dass beide Targeting-Instrumente dafĂŒr genutzt werden können, jeweils unterschiedlichen Zielgruppen mit unterschiedlichen Versprechen zu umwerben. Im Bundestagswahlkampf 2021 hatte beispielsweise die FDP |unterschiedliche Aussagen zum Thema Klimaschutz ausgespielt|, je nach vermuteter AffinitĂ€t der Zielgruppe.
Auch das Targeting anhand von Alter und Interessen habe bei der EU-Wahl eine groĂe Rolle gespielt, so der Bericht. Facebook hatte auf politischen Druck hin 2022 zumindest die Möglichkeit eingeschrĂ€nkt, detailliertes Targeting mit sensiblen Daten vorzunehmen. Google war noch weiter gegangen und hatte bei der EU-Wahl die Targeting-Möglichkeiten deutlich eingeschrĂ€nkt. Auf Google-Diensten wurde die Zielgruppen-Auswahl nur noch anhand von Geografie, Alter, Geschlecht sowie Kontext-Targeting angeboten, also zum Beispiel Werbung bei bestimmten Suchbegriffen oder Videoformaten. Die Civil Liberties Union begrĂŒĂt diese EinschrĂ€nkung sehr, kritisiert aber, dass das Targeting nach Geschlecht weiter möglich sei.
Die bulgarische Nichtregierungsorganisation BHC hatte |mehrere FĂ€lle gefunden|, in denen politische Werbetreibende nach Geschlecht unterschieden und bestimmte Inhalte zum Thema Kindergesundheit nur an Frauen ausgespielt hatten. âMĂ€nner und Frauen sollten gleichermaĂen ĂŒber die Haltung einer bestimmten Partei zur Gesundheit von Kindern informiert seinâ, fordert deshalb die Civil Liberties Union. AuĂerdem sollten alle Menschen die gleichen Versprechen erhalten, egal ob ihre UnterstĂŒtzung fĂŒr eine Partei als gesichert, möglich oder unwahrscheinlich angesehen wird.
Die gute Nachricht, zumindest in Relation: Im Vergleich zur US-Wahl im Herbst scheint das AusmaĂ der manipulativen Wahlwerbung in Europa deutlich geringer ausgefallen zu sein. In den USA hatten insbesondere die republikanische Partei und Pro-Trump-Organisationen mit |gezielten Desinformations- und Demobilisierungskampagnen| gegen die demokratische Bewerberin Kamala Harris Stimmung gemacht. Die Plattformen haben diese Strategien mit ihren umfangreichen Targeting-Möglichkeiten verstĂ€rkt und dabei wenig gegen LĂŒgen und Hass unternommen.
So schaltete beispielsweise eine von Elon Musk mitfinanzierte Organisation |unterschiedliche Werbeanzeigen zum Nahostkonflikt| bei arabischen und jĂŒdischen Communitys im Land. Die Anzeigen gaben sich dabei als Werbung von Harris-UnterstĂŒtzer:innen aus und stellten die Politikerin mal als glĂŒhende PalĂ€stina-Verfechterin und mal als beinharte Israel-UnterstĂŒzerin dar, deren Nahost-Politik ĂŒberwiegend von ihrem jĂŒdischen Ehemann bestimmt werde. Andere Werbeanzeigen verbreiteten falsche Wahlversprechen der Politikerin.
Derart undemokratische Wahlwerbung ist den Nichtregierungsorganisationen bei der EU-Wahl nicht untergekommen. Das sei allerdings kein Grund zur Entwarnung, meint Orsolya Reich von der Civil Liberties Union. Die Exzesse unfairer Wahlkampftaktiken in den USA lieĂen sich zum einen mit landesspezifischen Faktoren wie dem polarisierten Wahlsystem erklĂ€ren. Zum anderen fehle aufgrund der Intransparenz von Plattformen und Parteien die Datengrundlage, um mit Sicherheit sagen zu können, wie der EU-Wahlkampf auf den Plattformen eigentlich gelaufen sei.
âWir wissen schlicht nicht, wie ausgefeilt, unfair oder manipulativ das Targeting in Europa istâ, kritisiert Reich die Intransparenz der beteiligten Akteur:innen. Politische Parteien seien grundsĂ€tzlich nicht bereit, ihre Kampagnenmethoden öffentlich zu machen. Social-Media-Plattformen wĂŒrden nicht erklĂ€ren, nach welchen Kriterien Werbetreibende ihre Zielgruppen zusammenstellen und wie die Algorithmen funktionieren, die darĂŒber entscheiden, wer auf ihrer Plattform was zu sehen bekommt.
Zwar stellen Alphabet und Meta wie von der EU vorgeschrieben Datenbanken bereit, in denen Werbeanzeigen auf ihren Plattformen dokumentiert werden. AuĂerdem halten sie getrennte Verzeichnisse fĂŒr politische Werbung vor. Allerdings lasse die Informationstiefe und Benutzerfreundlichkeit der Werbebibliotheken stark zu wĂŒnschen ĂŒbrig, so die Kritik der Nichtregierungsorganisationen.
Bei |Googles Werbedatenbank| fehle beispielsweise eine Stichwortsuche. Nutzer:innen mĂŒssen stattdessen den genauen Namen der Werbetreibenden angeben, um illegitime AktivitĂ€t aufdecken zu können. âDiese EinschrĂ€nkung behindert massiv die FĂ€higkeit, ein breites Spektrum an politischer Werbung wirksam zu ĂŒberwachen und zu analysieren.â
|Metas Werbebibliothek| biete mit einer Stichwortsuche und unterschiedlichen Filtermöglichkeiten eine deutlich bessere FunktionalitÀt. Allerdings biete die Datenbank zu wenig Informationen zu den Targeting-Kriterien, nach denen Werbetreibende die Zielgruppen zusammengestellt haben. So werde zwar angegeben, dass eine Anzeige in mehreren Versionen unter Verwendung von Custom-Audience-Listen geschaltet wurde, nicht jedoch, welcher Art diese Listen sind. Also: Ob sie zum Beispiel mit eigenen Daten der Werbetreibenden oder aus Nutzerinteraktionen wie dem Liken einer Fanpage erstellt wurden.
AuĂerdem kritisiert Liberties, dass Meta aggregierte Targeting-Daten fĂŒr einen bestimmten Werbetreibenden nur 90 Tage lang verfĂŒgbar macht, was die Nachforschungsmöglichkeiten einschrĂ€nke. Auch die von Facebook angebotene Funktion âWarum sehe ich diese Anzeige?â sei irrefĂŒhrend. Anstatt Einblicke in aussagekrĂ€ftigere Targeting-Kriterien zu bieten, liste die Funktion in der Regel oberflĂ€chliche Informationen wie Stadt und Alter auf. âDiese Auslassung verschleiert die wichtigeren Faktoren, die Einfluss darauf haben, wie Anzeigen ausgeliefert werden, und schrĂ€nkt die Transparenz fĂŒr Nutzer und Forscher gleichermaĂen einâ, kritisiert der Bericht. Nutzer:innen werde unterdessen suggeriert, die Infos seien vollstĂ€ndig.
Insgesamt sehen die Nichtregierungsorganisationen den demokratischen Diskurs und somit auch die IntegritÀt von Wahlen durch das intransparente Targeting weiterhin gefÀhrdet. Sie appellieren deshalb an die EuropÀische Union, bestehende Regeln effektiv durchzusetzen und, wo nötig, nachzubessern.
Mit Blick auf die Wirksamkeit der bestehenden Vorgaben kommt der Bericht zu einem durchwachsenen Urteil. Demzufolge gehen die Civil Liberties Union und ihre Partnerorganisationen davon aus, dass beispielsweise beim Einsatz von Metas Custom-Audience-Funktion regelmĂ€Ăig gegen Datenschutzrecht verstoĂen wird. BĂŒrger:innen mĂŒssten schlieĂlich |explizit eingewilligt| haben, damit Parteien ihre Daten mit Meta teilen dĂŒrfen. Das Erstellen von Custom Audiences auf Basis von Likes fĂŒr politische Inhalte wiederum verstöĂt nach Ansicht der NGOs gegen den Schutz der DSGVO fĂŒr besonders sensible Daten.
Angesichts der MĂ€ngel bei der Transparenz ĂŒber das politische Targeting sehen die NGOs auch Handlungsbedarf beim |Digital Services Act|. Die EU mĂŒsse hier bei Tech-Konzernen fĂŒr eine strikte Durchsetzung der Vorgaben sorgen. Der Bericht empfiehlt der EU auĂerdem, insbesondere groĂe Plattformen und Suchmaschinen zu mehr Transparenz ĂŒber die Algorithmen zu zwingen, die fĂŒr die Auslieferung der Werbung zustĂ€ndig sind.
Eine 2023 verabschiedete EU-Verordnung, die das |Targeting und die Transparenz politischer Werbung| regelt, wird gröĂtenteils erst im Oktober 2025 wirksam. Die Civil Liberties Union kritisiert, dass bislang nur wenige Mitgliedstaaten Gesetze zur nationalen Umsetzung der Regeln auf den Weg gebracht hĂ€tten. Auch Deutschland hat dies vor dem Ende der Ampel-Koalition nicht mehr geschafft. Dass eine neue Regierung dies bis Oktober 2025 aufholt, |gilt als ausgeschlossen|.
FĂŒr die in Deutschland anstehende Bundestagswahl kommen die neuen Regeln aber ohnehin zu spĂ€t. FĂŒr die gröĂte VerĂ€nderung bei der politischen Werbung sorgt deshalb gerade kein neues Gesetz, sondern Google: Vor wenigen Wochen kĂŒndigte der Plattformkonzern an, bis zum Wirksamwerden der neuen EU-Regeln im Oktober 2025 |gar keine politische Werbung mehr| zuzulassen. Neben Parteien und Politiker:innen wird es also noch mehr als ohnehin schon von Meta abhĂ€ngen, ob wir einen transparenten und fairen Online-Wahlkampf erleben werden.
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|auf Targeted Advertising zu verzichten|
|unterschiedliche Aussagen zum Thema Klimaschutz ausgespielt|
|gezielten Desinformations- und Demobilisierungskampagnen|
|unterschiedliche Werbeanzeigen zum Nahostkonflikt|
|Targeting und die Transparenz politischer Werbung|
|gar keine politische Werbung mehr|
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Tue, 10 Dec 2024 12:35:16 +0000
Martin Schwarzbeck
Die schwarz-grĂŒne Landesregierung von Schleswig-Holstein wird die automatisierte Analyse biometrischer Merkmale ausbauen. Das besagt das gestern vorgestellte âSicherheits- und Migrationspaketâ.
Die schwarz-grĂŒne Landesregierung von Schleswig-Holstein hat gestern ein |âSicherheits- und Migrationspaketâ| vorgestellt, das unter anderem verschiedene Arten der biometrischen Gesichtserkennung erlaubt. Nach dem zugrundeliegenden |âMaĂnahmenkonzeptâ| soll die Polizei von Schleswig-Holstein kĂŒnftig âDaten aus öffentlich zugĂ€nglichen Quellen des Internets mit den polizeilichen Fahndungsdatenâ abgleichen dĂŒrfen.
Das Ansinnen war auch Teil des |Ăberwachungspakets| der damals noch existierenden Ampel-Regierung im Bund. Dieser Teil war zunĂ€chst im Bundesrat gescheitert, doch nun haben sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und die Innenminister*innen der LĂ€nder darauf geeinigt, ihn |doch vor der Wahl noch durchzuwinken|.
Im Prinzip besagt die Idee, dass die Polizei ein eigenes |Clearview| oder |PimEyes| bekommen soll. Diese Suchmaschinen durchforsten das frei zugĂ€ngliche Internet und nehmen die biometrischen Merkmale aller gefundenen Gesichter in eine Datenbank auf. LĂ€dt man ein Bild einer Person hoch, bekommt man daraufhin alle Bilder angezeigt, auf denen die mutmaĂlich gleiche Person im Netz zu sehen ist.
Was die Gesichtersuchmaschinen tun, ist allerdings |illegal| â eine nicht erlaubte Verarbeitung von persönlichen Daten und somit ein klarer VerstoĂ gegen EU-Datenschutzregeln. Damit die Polizei, wie von Schleswig-Holstein und auch den ĂŒbrigen LĂ€ndern gewĂŒnscht, Fotos aus dem Internet mit Fahndungsbildern abgleichen kann, mĂŒsste sie selbst eine |derart fragwĂŒrdige Datenbank| aufbauen. Die EU-KI-Verordnung verbietet aber âdie Verwendung von KI-Systemen, die Datenbanken zur Gesichtserkennung durch das ungezielte Auslesen von Gesichtsbildern aus dem Internet oder von Ăberwachungsmaterial erstellen oder erweiternâ.
Des Weiteren sollen Aufzeichnungen, die mittels Ăberwachungstechnik bei GroĂveranstaltungen oder KriminalitĂ€tsschwerpunkten gewonnen wurden, nahezu in Echtzeit mit polizeilichen Fahndungsdaten abgeglichen werden können, so das MaĂnahmenkonzept. Die Landesregierung von Hessen verabschiedet vermutlich noch diese Woche ein Gesetz, das ebenfalls |Echtzeit-Gesichtserkennung erlaubt|.
Schleswig-Holstein wird neben dem Abgleich von Fahndungs- mit Internetfotos und der Echtzeit-Gesichtserkennung in anfallenden Ăberwachungsbildern noch ein drittes System zur Gesichtserkennung einfĂŒhren: Die Landesregierung will vier Fahrzeuge anschaffen, die mit Kameras und integriertem Gesichtserkennungssystem ausgestattet sind. Diese sollen bei GroĂveranstaltungen oder an KriminalitĂ€tsschwerpunkten aufgestellt werden und den Strom der Passant*innen nach gesuchten Personen durchforsten.
AuĂerdem erlaubt Schleswig-Holstein mit dem âSicherheits- und Migrationspaketâ dem Landesamt fĂŒr Verfassungsschutz den Einsatz von Staatstrojanern in Form der sog. âQuellen-TKĂâ, mit denen dieses in EndgerĂ€te eindringen kann, um die Ende-zu-Ende-VerschlĂŒsselung von Nachrichten auszuhebeln. Zudem sollen technische Systeme mit sogenannter KĂŒnstlicher Intelligenz eingesetzt werden, um groĂe Datenmengen zu bearbeiten, wie es |in Bayern bereits im Testbetrieb praktiziert| wird.
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|âSicherheits- und Migrationspaketâ|
|doch vor der Wahl noch durchzuwinken|
|derart fragwĂŒrdige Datenbank|
|Echtzeit-Gesichtserkennung erlaubt|
|in Bayern bereits im Testbetrieb praktiziert|
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Tue, 10 Dec 2024 11:34:03 +0000
Markus Reuter
Die AfD hat sich beim Ăltestenrat beschwert: Eine SachverstĂ€ndige habe der Partei in einer Anhörung im Bundestag nicht geantwortet. Der Ăltestenrat reagierte mit einem Antwortzwang. Dagegen wehren sich nun zahlreiche SachverstĂ€ndige.
Zahlreiche Menschen, die in der Vergangenheit als SachverstĂ€ndige im Bundestag gesprochen haben, wehren sich dagegen, in Zukunft der rechtsradikalen AfD in Anhörungen antworten zu mĂŒssen. Im Einladungsschreiben des Bundestages an SachverstĂ€ndige ist neuerdings ein Passus enthalten, der dies einfordert.
Hintergrund des |offenen Briefes (PDF)| ist das Verhalten von AfD-Abgeordneten im Digitalausschuss. Dort hatte der AfD-Mann Eugen Schmidt versucht, |die SachverstĂ€ndige Aline Blankertz in einer Anhörung Mitte November als âlinksradikalâ zu delegitimieren.| Er wollte wissen, ob sie auch dann fĂŒr Transparenz sei, wenn es um Daten zu Herkunft von Menschen gehe, die in Deutschland eingebĂŒrgert wurden, und hatte diese Frage völkisch aufgeladen, indem EinbĂŒrgerungen als Belastung dargestellt wurden. Blankertz antwortete daraufhin: âMeine Antwort richtet sich an alle demokratischen Parteien und lautet: Nein.â
Blankertz hatte schon im Juni einer Abgeordneten der rechtsradikalen Partei die Antwort verweigert. In einem Gastbeitrag, |den Blankertz bei netzpolitik.org veröffentlichte|, forderte sie zudem, dass Digitalpolitik Teil der Brandmauer gehen Rechtsextreme sein mĂŒsse.
|Laut der Vorsitzenden des Digitalausschusses|, Tabea RöĂner (GrĂŒne), hatte die AfD den Fall zuletzt in den Ăltestenrat des Bundestages eskaliert. Der Angriff auf Blankertz durch den AfD-Abgeordneten Schmidt |blieb jedoch ohne Folgen|.
Im heute veröffentlichten offenen Brief wehren sich die 28 SachverstĂ€ndigen dagegen, dass mit dem Einladungstext âeine Gleichbehandlung aller Parteien und aller Abgeordneten eingefordert wird, die nicht mit der individuellen Gewissens- und Entscheidungsfreiheit der SachverstĂ€ndigen zu vereinbarenâ sei. Die Expertise stĂŒnde auĂerdem allen Abgeordneten schriftlich in den Stellungnahmen zur VerfĂŒgung. âDiese Fachkompetenz in den politischen Prozess einzubringen, ist aber nicht gleichbedeutend damit, jede einzelne Frage aller Abgeordneten beantworten zu mĂŒssenâ, so die SachverstĂ€ndigen.
Im offenen Brief heiĂt es weiter:
Gleichzeitig vereint uns die Sorge, dass nicht jeder Abgeordnete, der durch Wahlen einen Sitz im Deutschen Bundestag erlangt, gleichermaĂen fĂŒr die zentralen und unverbrĂŒchlichen Werte unseres Grundgesetzes eintritt: den Schutz der MenschenwĂŒrde, des Rechtsstaats und der Demokratie. Es gibt politische Positionen, deren Gleichbehandlung SachverstĂ€ndigen nicht vorgeschrieben werden sollte â insbesondere Positionen, die demokratische Prozesse instrumentalisieren, um eine völkisch-nationalistische Politik zu betreiben, gegen Minderheiten hetzen und Rassismus verbreiten.
Die Forderung im Einladungsschreiben normalisiere die politischen KrĂ€fte im Parlament, die nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen wĂŒrden. âDarauf mĂŒssen auch SachverstĂ€ndige im Bundestag nach ihrem Gewissen und ihren persönlichen ethischen GrundsĂ€tzen angemessen reagieren und dabei auf den Schutz der Sitzungsleitung vertrauen dĂŒrfenâ, heiĂt es in dem Schreiben.
Zu den Unterzeichnenden des offenen Briefes gehören neben Aline Blankertz viele weitere namhafte Expert:innen aus der digitalen Zivilgesellschaft sowie von Datenschutz- und Menschenrechtsorganisationen. Sie fordern den Bundestag auf, eine neue Formulierung zu finden, welche die individuelle Antwortfreiheit anerkenne.
Offenlegung: Unter den Unterzeichner:innen ist auch ein Mitglied unserer Redaktion sowie eine freie Autorin, die regelmĂ€Ăig auf netzpolitik.org veröffentlicht.
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Dokument
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An
die PrÀsidentin des 20. Deutschen Bundestags,
den Ausschuss fĂŒr Digitales des Deutschen Bundestags und seine Vorsitzenden,
alle weiteren AusschĂŒsse des Deutschen Bundestags und ihre Vorsitzenden
Sehr geehrte Frau Bas,
sehr geehrte Frau RöĂner,
sehr geehrte Vorsitzende der weiteren AusschĂŒsse des Bundestags,
wir, die Unterzeichnenden dieses Brief, haben in der Vergangenheit im Ausschuss fĂŒr Digitales oder in anderen AusschĂŒssen des Bundestags als SachverstĂ€ndige Stellung genommen zu Sachfragen, politischen Prozessen und Gesetzgebungsverfahren.
Gemeinsam wenden wir uns heute an Sie als Reaktion auf die Ănderungen in den Einladungsschreiben an SachverstĂ€ndige, wie sie spĂ€testens seit der öffentlichen Anhörung zum Thema âDaten-Governance-Gesetzâ am 13. November 2024 versandt werden. Nach unserem VerstĂ€ndnis ist die Ănderung eine Reaktion auf eine Eskalation zum Ăltestenrat durch die AfD, nachdem SachverstĂ€ndige Antworten auf Fragen von AfD-Abgeordneten verweigerten. In dem Anschreiben heiĂt es:
âWeiterhin möchte ich Sie vorsorglich darauf hinweisen, dass es der seit Jahrzehnten etablierten parlamentarischen Praxis entspricht, dass die eingeladenen SachverstĂ€ndigen die Fragen aller im Ausschuss vertretenden Fraktionen, Gruppen und fraktionslosen Abgeordneten beantworten. Denn die Expertise der SachverstĂ€ndigen soll dem gesamten Ausschuss zur VerfĂŒgung stehen.â
Die Expertise der SachverstĂ€ndigen steht schriftlich und mĂŒndlich selbstverstĂ€ndlich allen Abgeordneten und auch allen weiteren an der Ausschussarbeit Interessierten zur VerfĂŒgung. Diese Fachkompetenz in den politischen Prozess einzubringen, ist aber nicht gleichbedeutend damit, jede einzelne Frage aller Abgeordneten beantworten zu mĂŒssen.
Wir teilen die Motivation, die Anhörungen im Bundestag als Ort der sachlichen Auseinandersetzung zu bewahren. Zugleich möchten wir unserer Sorge Ausdruck verleihen, dass mit dieser Formulierung eine Gleichbehandlung aller Parteien und aller Abgeordneten eingefordert wird, die nicht mit der individuellen Gewissens- und Entscheidungsfreiheit der SachverstÀndigen zu vereinbaren ist.
Uns vereint ein tiefer Respekt vor der Arbeit der AusschĂŒsse und den parlamentarischen Prozessen unserer Demokratie. Diese sind geprĂ€gt vom parlamentarischen Recht auf Selbstorganisation, dem wir in keiner Weise vorgreifen möchten. Wir waren und sind bestrebt, die Arbeit des Deutschen Bundestags durch ernsthaftes und gewissenhaftes Einbringen unserer Expertise zu unterstĂŒtzen. Gleichzeitig vereint uns die Sorge, dass nicht jeder Abgeordnete, der durch Wahlen einen Sitz im Deutschen Bundestag erlangt, gleichermaĂen fĂŒr die zentralen und unverbrĂŒchlichen Werte unseres Grundgesetzes eintritt: den Schutz der MenschenwĂŒrde, des Rechtsstaats und der Demokratie. Es gibt politische Positionen, deren Gleichbehandlung SachverstĂ€ndigen nicht vorgeschrieben werden sollte â insbesondere Positionen, die demokratische Prozesse instrumentalisieren, um eine völkisch-nationalistische Politik zu betreiben, gegen Minderheiten hetzen und Rassismus verbreiten.
Wir haben in der Vergangenheit einen individuellen Umgang mit Fragen aus politischen Lagern mit solchen Positionen gefunden. Dieser Umgang umfasst ein weites Spektrum â einschlieĂlich der Weigerung, unseren Sachverstand fĂŒr bestimmte Abgeordnete zur VerfĂŒgung zu stellen, sowie die kritische Einordnung der politischen Motive einer Frage. Ăhnliches gilt fĂŒr schriftliche Fragen, in denen ebenfalls tendenziöse Formulierungen enthalten waren.
Die neue Formulierung im Einladungsschreiben drĂŒckt jedoch die Erwartung einer ausnahmslosen Gleichbehandlung aller im Ausschuss vertretenden Fraktionen, Gruppen und fraktionslosen Abgeordneten aus. Damit normalisiert sie die politischen KrĂ€fte im Parlament, denen nicht die gleiche Annahme entgegengebracht werden kann, nĂ€mlich auf dem Boden unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu stehen. Darauf mĂŒssen auch SachverstĂ€ndige im Bundestag nach ihrem Gewissen und ihren persönlichen ethischen GrundsĂ€tzen angemessen reagieren und dabei auf den Schutz der Sitzungsleitung vertrauen dĂŒrfen.
Wir wenden uns daher mit der Bitte an Sie, die neu aufgenommenen Ănderungen in den Einladungsschreiben zu ĂŒberdenken und zu streichen oder durch eine Formulierung zu ersetzen, die die individuelle Antwortfreiheit von SachverstĂ€ndigen anerkennt.
Mit freundlichen GrĂŒĂen
Die Unterzeichnenden
Aline Blankertz, Structural Integrity
Kirsten Bock
Dr. Stefan Brink, wida/Berlin
Geraldine de Bastion
Kai Dittmann
Elina EickstÀdt
Dr. Malte Engeler, Structural Integrity
JĂŒrgen Geuter, Otherwise Network e.V.
Dr. Sven Herpig
Dr. Stefan Heumann
Dr. Julian Jaursch
Bianca Kastl
Dr. Vivian Kube, RechtsanwÀltin und FragDenStaat
Dr. Kim Manuel KĂŒnstner
Dr. Constanze Kurz, Chaos Computer Club
Sarah Lincoln
Elisa Lindinger, SUPERRR
Dr. Bijan Moini
Dr. Marc Petit
Dr. Julia Pohle
Dr. Simon Pschorr
Dr. Sarah Rachut
Frederick Richter, LL.M.
Dr. Simone Ruf
Arne Semsrott, FragDenStaat
Teresa Widlok
Svea Windwehr, D64 â Zentrum fĂŒr digitalen Fortschritt
Lilith Wittmann
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Tue, 10 Dec 2024 10:45:05 +0000
Arne Cypionka
Die Herausgeber fragen sich: Braucht es inmitten der digitalen Transformation, in Zeiten von autonomen Algorithmen und wirklichkeitsverĂ€nderndem Code noch menschengemachten Text ĂŒber Text, ein Buch ĂŒber DigitalitĂ€t? Wenn es auf diese Art gemacht ist: Ja! Eine Buchempfehlung.
Davon, dass âdie digitale Transformation alle Bereiche der Gesellschaft betrifft und von Grund auf neu formiertâ, muss man Leser:innen dieses Mediums wahrscheinlich nicht erst ĂŒberzeugen. Davon, dass es darĂŒber eine EnzyklopĂ€die braucht, noch dazu gedruckt auf Papier, vielleicht schon eher. Dabei ist es gerade bei dem Band âDigitalitĂ€t von A bis Zâ auch der Charakter des gedruckten Buches, der zum BlĂ€ttern und Nachschlagen einlĂ€dt und so wunderbar zu dessen Anspruch passt: Kurze Essays, zu jedem Schlagwort gerade einmal zehn Seiten, die als âEinladung zum kritischen Mit- und Weiterdenkenâ angelegt sind und einen schnell in ihren Bann ziehen.
So etwa der Beitrag von Roland Meyer, Bild- und Medienwissenschaftler, der unter dem Schlagwort Bilder ĂŒber technische Verfahren und menschliche Erwartungen schreibt: Wir alle haben eine Vorstellung darĂŒber, wie der Mond auszusehen hat, wenn wir ihn fotografieren. Und da Smartphone-Kameras bei Weltraum-Fotografie an ihre Grenzen stoĂen, hilft âKIâ, indem sie die unzĂ€hligen, bereits existierenden Mond-Fotografien nimmt und wenige Pixel in den uns vertrauten Erdtrabanten verwandelt. Davon ausgehend denkt Meyer ĂŒber eine verĂ€nderte Funktion von Bildern insgesamt nach, auch durch unsere zusĂ€tzliche digitale Vernetzung.
Oder das Kapitel Yolo von Eva Gredel, Juniorprofessorin fĂŒr Germanistische Linguistik, die den digitalen Sprachwandel anhand der Sprach- und Diskussionskultur in der Wikipedia analysiert: Das Internet-ĂŒbliche Duzen, die nachrangige Bedeutung von Rechtschreibung und Grammatik sowie ein Englisch-Deutsch-Sprachmix gelten manchen als Verfall in einen reduzierten âNetzjargonâ. Gredel beschreibt dies jedoch nicht als Verlustgeschichte, sondern zeigt, wie Nutzer:innen problemlos zwischen verschiedenen Stilen wechseln und digitaler Sprachwandel somit eher bereichert.
So behandelt der Band digitale PhĂ€nomene wie Hacken, Maschinelles Lernen, Hypertext. Mit Information, Politik, Raum, Wissen oder Vertrauen werden aber auch noch grundlegendere GegenstĂ€nde auf ihre VerĂ€nderung durch die Digitalisierung untersucht. Und schlieĂlich finden sich zwischendurch auch spannende Themen, die im öffentlichen Bewusstsein zu Digitalisierung kaum vorkommen: Etwa die prĂ€-digitale Geschichte der Algorithmen von Christian Schröter, Stefan Höltgens Beitrag zum Feld der ComputerarchĂ€ologie, der âErforschung historischer Computersystemeâ oder das Affective Computing, das Eva Weber-Guskar im Beitrag Emotionen behandelt. Bei diesem werden GefĂŒhle analysiert oder simuliert, wodurch man sich in kritischer Erweiterung des RationalitĂ€t-Begriffs auch im Forschungsfeld der kĂŒnstlichen Intelligenz befindet.
Etwas an seine Grenzen stöĂt der Band in seinem Format als Buch dann, wenn es um Hochaktuelles geht: etwa EU-Regulierungen oder die gerade allgegenwĂ€rtige KĂŒnstliche Intelligenz. Letztere erfĂ€hrt bei Sebastian RosengrĂŒn eine kundige, kritische Betrachtung und doch wirkt der dort verhandelte Stand schon kurz nach Erscheinen im September 2024 etwas veraltet.
Dennoch bieten die insgesamt 42 Kapitel â Mitherausgeber Christian Schröter verrĂ€t auf Nachfrage des Rezensenten, dass âdem Zufall hier vielleicht etwas nachgeholfen wurdeâ â einen gleichermaĂen zugĂ€nglichen wie fundierten Einstieg in die Geschichte und Theorie der Digitalisierung. Neben interessierten Laien profitieren aber auch Kenner:innen von der LektĂŒre, der weiterfĂŒhrenden Literatur, den Querverweisen und den dargestellten Diskussionslinien von Fachdebatten. AbschlieĂend sei so ergĂ€nzend zur grundsĂ€tzlichen Empfehlung der LektĂŒre von DigitalitĂ€t von A bis Z gesagt: Lest die gedruckte Variante!
Florian Arnold / Johannes C. Bernhardt / Daniel Martin Feige / Christian Schröter (Hg.), DigitalitÀt von A bis Z, |Transcript Verlag|, 448 Seiten, 29 Euro, ISBN: 978-3-8376-6765-3
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Mon, 09 Dec 2024 14:09:05 +0000
Martin Schwarzbeck
Die Bilder hessischer Ăberwachungskameras sollen kĂŒnftig automatisch live nach bestimmten Personen durchsucht werden. Und die Bundes-CDU fordert eine derartige biometrische Fernidentifizierung an deutschen Bahnhöfen.
Das |âGesetz zur StĂ€rkung der Inneren Sicherheitâ| steht im hessischen Landtag kurz vor der Verabschiedung. Morgen findet die |zweite Lesung| dazu statt, am Donnerstag soll die finale folgen. Das Gesetz erlaubt unter anderem VideoĂŒberwachung rund um FlughĂ€fen und an sogenannten, polizeilich definierten â|AngstrĂ€umen|â, DrohneneinsĂ€tze zur TelekommunikationsĂŒberwachung und zum Filmen von Wohnungen, elektronische FuĂfesseln fĂŒr GefĂ€hrder.
Ein aktueller |Ănderungsantrag| der Regierungsfraktionen CDU und SPD, der vermutlich morgen angenommen wird, macht den Gesetzentwurf noch einmal deutlich brisanter. Demnach sollen die Bilder von Kameras, die den öffentlichen Raum in Hessen ĂŒberwachen, zum Beispiel im Frankfurter Bahnhofsviertel, mit sogenannter KI in Echtzeit nach den Gesichtern bestimmter Personen durchsucht werden dĂŒrfen.
Die Software soll prĂŒfen, wer sich verdĂ€chtig bewegt oder mutmaĂlich gefĂ€hrliche GegenstĂ€nde bei sich trĂ€gt und nach Auftrag einer Beamt*in die Person dann ĂŒber alle einlaufenden Streams hinweg verfolgen. Zur Gefahrenabwehr dĂŒrfen die aufgenommenen Bilder auch automatisiert mit polizeilichen Datenbanken abgeglichen werden.
Aktuell sind in den polizeilichen Datenbanken hauptsĂ€chlich die biometrischen Merkmale von Menschen gespeichert, die zuvor Gegenstand einer erkennungsdienstlichen Behandlung waren. KĂŒnftig sollen, |geht es nach Bundesinnenministerin Nancy Faeser und den Innenminister*innen der LĂ€nder|, in einer weiteren polizeilich zugĂ€nglichen Datenbank alle Gesichter erfasst werden, von denen öffentlich einsehbare Fotos im Internet existieren.
Zur Terroristenjagd, zum Auffinden von Vermissten und mutmaĂlich bedrohten Personen sollen die hessischen Polizist*innen das VideoĂŒberwachungssystem auch mit Fahndungsfotos fĂŒttern können, nach denen das anfallende Material gescannt wird. Carsten Linnemann, GeneralsekretĂ€r der Bundes-CDU, denkt in eine ganz Ă€hnliche Richtung. Er sieht als einen der ersten Schritte einer potenziell CDU-gefĂŒhrten nĂ€chsten Bundesregierung den Aufbau von biometrischer Echtzeitidentifikation an Bahnhöfen. âWir sorgen durch Gesichtserkennung mittels KI fĂŒr sichere Bahnhöfeâ, |sagte er dem Handelsblatt|.
Der automatische Abgleich wĂ€re ein schwerer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte Unschuldiger. Ein Test am Berliner SĂŒdkreuz erbrachte 2017/2018 eine Falsch-Positiv-Rate von etwa 0,1 Prozent. Das heiĂt, |von 1.000 Passant*innen löst eine aus Versehen Alarm aus|. Allein auf den 5.400 Bahnhöfen der deutschen Bahn bewegen sich allerdings tĂ€glich |etwa 21 Millionen Menschen| â das heiĂt durchschnittlich alle vier Sekunden wĂŒrde jemand Opfer einer unbegrĂŒndeten Ausweiskontrolle oder sogar Leibesvisitation.
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|âGesetz zur StĂ€rkung der Inneren Sicherheitâ|
|geht es nach Bundesinnenministerin Nancy Faeser und den Innenminister*innen der LĂ€nder|
|von 1.000 Passant*innen löst eine aus Versehen Alarm aus|
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Mon, 09 Dec 2024 10:01:42 +0000
Thilo Weichert
Die etablierten Parteien haben eine Brandmauer zur AfD hochgezogen. Wann aber kommt die Brandmauer zu TikTok? Die Plattform geht kaum gegen Falschinformationen und Hetze vor. Integre Nutzende werden daher stets im Hintertreffen bleiben, schreibt unser Gastautor.
Mit ihrem alternativen VerhÀltnis zu Wahrheit, Toleranz und HumanitÀt fÀhrt die AfD Wahlerfolge ein. Ihr Klientel nutzt kaum noch klassische Medien zur Information, sondern Social Media. Dank deren Algorithmen verbreiten sich Falschinformationen und Hetze in Filterblasen und setzen sich fest. Facebook, X oder Telegram machen es vor. TikTok aber ist der Meister der Skrupellosigkeit. In der EuropÀischen Union |nutzen 142 Millionen Menschen TikTok|, also fast jeder Dritte.
Die russische und die chinesische Regierung nehmen mit Desinformationstruppen Einfluss auf das, was auf TikTok ausgesendet und konsumiert wird. TikTok wird von Extremisten zur Verbreitung ihres Gedankenguts verwendet und trĂ€gt so zur Radikalisierung der politischen Debatte bei. Diese Form der Kommunikation ist ein groĂes Risiko fĂŒr unsere Demokratie.
|In RumĂ€nien erreichte CÄlin Georgescu| als bis dahin im öffentlichen Diskurs völlig unbekannter Kandidat bei PrĂ€sidentschaftswahlen Ende November 23 Prozent der abgegebenen Stimmen in der ersten Runde. Dies schaffte er mit einer fast ausschlieĂlich ĂŒber TikTok betriebenen Kampagne, in der rumĂ€nische Faschisten aus der NS-Zeit und der russische PrĂ€sident Putin gehuldigt wurden.
Die AfD kam bei der vergangenen Europawahl bei 16- bis 24-JĂ€hrigen auf 16 Prozent. In dieser Altersklasse ist TikTok die meistgenutzte App. Die AfD-Fraktion im Bundestag hat aktuell bei TikTok |mehr als 400.000 Follower|; alle fĂŒnf anderen im Bundestag vertretenen Fraktionen kommen zusammen gerade mal auf rund 220.000. Von MĂ€rz 2023 bis MĂ€rz 2024 wurden die Clips der AfD-Fraktion rund 458.000 Mal aufgerufen, die der anderen fĂŒnf Fraktionen zusammen 223.000 Mal.
Um TikTok nicht den Rechten zu ĂŒberlassen, meinen Politiker, mit ihrer dortigen PrĂ€senz der AfD und deren Propaganda etwas entgegensetzen zu können. Gesundheitsminister Karl Lauterbach |machte den Anfang|. Bundeskanzler Olaf Scholz |und seine Aktentasche folgten| (@TeamBundeskanzler).| Selbst Robert Habeck| und seine GrĂŒnen wollen ĂŒber TikTok einen Meinungswandel herbeifĂŒhren.
Habeck auf TikTok verblĂŒfft besonders, |hatte er doch 2019| Twitter und Facebook vorlĂ€ufig wegen Hass, Falschinformationen und unsicherer Datenverarbeitung verlassen. Inzwischen ist es auch dorthin zurĂŒckgekehrt.
Deutsche Sicherheitsbehörden, insbesondere die VerfassungsschutzĂ€mter, sehen diese AktivitĂ€ten kritisch, ebenso die Datenschutzbehörden. |BuĂgelder auf europĂ€ischer Ebene gegen TikTok| haben offenbar keinen Einfluss auf die Nutzung in Deutschland. TikTok behauptet fĂ€lschlich, sich an die europĂ€ische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) zu halten. Die Regeln zum Kinderschutz werden nicht beachtet. Valide Rechtsgrundlagen fĂŒr die Verarbeitung bestehen nicht. Weder die uninformierten Einwilligungen noch Vertragskonstrukte, geschweige denn ein âberechtigtes Interesseâ können die Verarbeitung durch TikTok legitimieren. Schon gar nicht die Verarbeitung sensitiver Daten, etwa in Bezug auf politische Meinungen.
Das Verbot politischer Werbung, zu dem sich TikTok selbst bekennt, wird regelmĂ€Ăig missachtet. Von âPrivacy by Designâ und âPrivacy by Defaultâ kann keine Rede sein. Bei Sicherheitsfeatures wie etwa der Kennzeichnung von Videos mit drastischen Bildern, gefĂ€hrlichen Stunts und KI-generiertem Inhalt bestehen Defizite. Filteroptionen fĂŒr unerwĂŒnschte oder schĂ€dliche Inhalte fehlen.
2023 |verhĂ€ngte die französische Datenschutzaufsichtsbehörde CNIL| gegen TikTok ein BuĂgeld in Höhe von 210 Millionen Euro wegen der Cookie-Banner bei seiner Browserversion. Gravierend ist die fehlende Transparenz: Aufsichtsbehörden, Politik oder Nutzende â niemand hat auch nur ansatzweise Kenntnis darĂŒber, welche Datenverarbeitung fĂŒr welche Zwecke erfolgt. GemÀà Analysen werden bei jedem Videoaufruf rund 60 Datenpunkte gesammelt; knapp 600 Datenpunkte werden ĂŒber jedes Video gespeichert.
Die auf kĂŒnstlicher Intelligenz basierenden Algorithmen der Plattform sind nicht nachvollziehbar. Bei Werbeanzeigen werden chinesische Marken wie Shein oder Temu bevorzugt. Die Datentransfers nach China und die dort völlig ungewissen Auswertungen und Nutzungen sind ein weiterer DatenschutzverstoĂ. |Da mögen die TikTok-FunktionĂ€re noch so treuherzig beteuern|, solche Transfers gĂ€be es nicht. RechtmĂ€Ăigkeitsvoraussetzung ist, dass sie dies nachvollziehbar belegen können.
|Nach chinesischem Recht kann TikTok verpflichtet werden|, der dortigen Regierung auf Verlangen Daten jeder Art herauszugeben. Im Dunkeln bleibt, wie die Regierung Chinas heute auf TikTok inhaltlich Einfluss nimmt.
Der EuropĂ€ische Gerichtshof (EuGH) hat klargestellt, dass das Betreiben von Social-Media-Accounts auf einer datenschutzwidrigen Plattform selbst rechtswidrig ist. Das heiĂt, alle diejenigen, die sich ĂŒber TikTok vermarkten, sind fĂŒr die dadurch verursachten Datenschutzverletzungen mit verantwortlich. Seit weit mehr als zehn Jahren weisen die Datenschutzbehörden darauf hin, dass sich der Staat bei der personenbezogenen Datenverarbeitung keiner illegal verarbeitender Medien bedienen darf. Ist Politikern und allen anderen TikTokern illegal âŠegal?
Meinungsfreiheit ist kein Gegenargument. ĂuĂerungen auf einer platten Plattform wie TikTok sind zweifellos grundrechtlich geschĂŒtzt. Das entbindet aber Medium und Autoren nicht davon, die allgemeinen Gesetze zu beachten. Was fĂŒr Lokalzeitungen, Spiegel, ARD oder RTL gilt, gilt auch fĂŒr Social Media generell und TikTok speziell. Es gibt keine Regel, wonach die Reichweite eines Mediums dessen ZulĂ€ssigkeit bestimmt.
Die Annahme mancher Demokraten, der menschenverachtenden Kommunikation der AfD durch eigene PrĂ€senz auf TikTok etwas entgegensetzen zu können, trĂŒgt: Die Meinungsmache bestimmt der Algorithmus von ByteDance. Wer mitmacht, bleibt Objekt. Solange das Unternehmen keine Neigung zeigt, gegen die Fake-Konten der AfD und anderen menschenverachtenden Netzwerken, gegen Falschinformationen und Hetze wirksam vorzugehen, bleiben integre Nutzende im Hintertreffen.
Nötig ist, das gesamte jugendschutz-, wettbewerbs- und datenschutzrechtliche Instrumentarium anzuwenden. Es ist also richtig, dass die EU-Kommission im Februar ein Verfahren |wegen des VerstoĂes gegen den neuen Digital Services Act (DSA) eingeleitet hat|. Dabei geht es auch um die Frage, ob die Plattform Kinder sĂŒchtig macht.
Hohe BuĂgelder kann ein Unternehmen wie TikTok einpreisen. Aufsichtsrechtlich möglich sind aber letzten Endes auch Verbote und Betriebsuntersagungen. Trifft die Diagnose der GefĂ€hrdung des demokratischen Rechtsstaats zu, dann mĂŒssen die demokratischen Instanzen auch bereit sein, das Risiko von Shitstorms einzugehen. Die Aufsichtsbehörden genieĂen aus guten GrĂŒnden UnabhĂ€ngigkeit und sollten sie gerade hier unter Beweis stellen.
Dass die Neigung zum behördlichen TÀtigwerden angesichts der breiten Akzeptanz TikToks bis hinein in die Bundesregierung nicht besonders entwickelt ist, mag erklÀrbar sein. Akzeptabel ist es nicht. Es ist richtig, dass die etablierte Politik eine Brandmauer zur AfD errichtet hat. Wann kommt die Brandmauer zu TikTok?
|Thilo Weichert|, Jurist und Politologe, Vorstandsmitglied der Deutschen Vereinigung fĂŒr Datenschutz e. V. (DVD) und Mitglied des Netzwerks Datenschutzexpertise, von 2004 bis Juli 2015 Datenschutzbeauftragter von Schleswig-Holstein und damit Leiter des UnabhĂ€ngigen Landeszentrums fĂŒr Datenschutz (ULD) in Kiel.
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Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstĂŒtze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus |jetzt mit einer Spende|.
|nutzen 142 Millionen Menschen TikTok|
|In RumĂ€nien erreichte CÄlin Georgescu|
|und seine Aktentasche folgten|
|BuĂgelder auf europĂ€ischer Ebene gegen TikTok|
|verhÀngte die französische Datenschutzaufsichtsbehörde CNIL|
|Da mögen die TikTok-FunktionÀre noch so treuherzig beteuern|
|Nach chinesischem Recht kann TikTok verpflichtet werden|
|wegen des VerstoĂes gegen den neuen Digital Services Act (DSA) eingeleitet hat|
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Sun, 08 Dec 2024 07:53:52 +0000
Bianca Kastl
Die Umsetzung des Kartoffelbefehls von Friedrich II. aus dem Jahr 1756 war alles andere als ein SelbstlĂ€ufer. Was uns zu Kartoffelbefehlen der heutigen Zeit bringt. Etwa die EinfĂŒhrung der elektronischen Patientenakte. Und zu modernem StandesdĂŒnkel.
In der heutigen Episode von Degitalisierung soll es um Kartoffeln gehen. Um es genauer zu sagen, um die EinfĂŒhrung davon. Die EinfĂŒhrung der Kartoffel kann uns nĂ€mlich viel lehren ĂŒber das Schmackhaft-Machen von allzu neuen Dingen, wie etwa auch der Digitalisierung.
Wir begeben uns dafĂŒr in die Zeit Friedrichs II., genannt Friedrich der GroĂe. Der erlieĂ per Schreiben vom 24. MĂ€rz 1756 eine Art |Kartoffelbefehl|, um den Anbau von Kartoffeln von oben zu forcieren:
Es ist von uns in höchster Person in unseren anderen Provinzen die Anpflanzung der sog. Tartoffeln, als ein sehr nĂŒtzliches und sowohl fĂŒr Menschen als Vieh auf sehr vielfache Weise dienliches Erd-GewĂ€chse, ernstlich anbefohlen.
Wie bei jeder groĂ angelegten EinfĂŒhrung von irgendetwas Weltbewegenden wie Kartoffeln oder DigitalgroĂprojekten wie der elektronischen Patientenakte klappte das mit der Benutzung des neuen Wunderwerks schon damals nicht allein per Befehl von oben.
Kartoffeln anbauen war das eine, die korrekte und breitflÀchige Nutzung aber das ganz andere. So |schrieb| der Zeitgenosse Joachim Nettelback in seinen Erinnerungen zur damaligen Rezeption von Kartoffeln bei der Bevölkerung:
Dagegen nahmen die guten Leute die hochgepriesenen Knollen verwundert in die HĂ€nde, rochen, schmeckten und leckten daran. KopfschĂŒttelnd bot sie ein Nachbar dem andern. Man brach sie auseinander und warf sie den anwesenden Hunden vor, die daran schnupperten und sie dann liegen lieĂen.
Nun ist es aber so, dass Kartoffeln eigentlich an sich ja etwas Gutes sind. Heutzutage schĂ€tze ich sie im Besonderen in lĂ€nglichen, dĂŒnnen Streifen frittiert oder in feinen Scheiben mit heiĂer Luft gebacken. Speziell im 18. Jahrhundert boten Kartoffeln auch einen Ausweg heraus aus einem nicht abwechslungsreichen Speiseplan, der normalerweise aus Getreide und Alkohol bestand. Einfacher im Anbau waren sie obendrein.
Die Umsetzung des Kartoffelbefehls von 1756 war alles andere als ein SelbstlĂ€ufer. Was uns zu Kartoffelbefehlen der heutigen Zeit bringt. Etwa die EinfĂŒhrung der elektronischen Patientenakte.
Der Bevölkerung sollen durch Befehl von oben jetzt endlich die Vorteile der Digitalisierung des Gesundheitswesens zuteilwerden. Generell ist ein möglicher Vorteil durch die Digitalisierung zu erwarten.
Nicht wenige Politiker*innen stellen sich in letzter Zeit sogar auf den Standpunkt, dass ohne Digitalisierung das Gesundheitswesen absehbar bald quasi vollstĂ€ndig wegen FachkrĂ€ftemangel, Ăberalterung der Gesellschaft und so weiter zusammenbrechen werde. Eine Digitalisierung von oben sei also unausweichlich. Untermauert wird das mit Zahlen von â15 Millionen Babyboomern, [die] aus dem Erwerbsleben ausscheidenâ und zunehmend nicht mehr Behandelnde, sondern Patienten sein werden. Solche Zahlen nannte Karl Lauterbach etwa auf der Keynote der |Digital Health Conference| Ende November.
Digitalisierung sei damit in all ihren Spielarten notwendig, besonders die sogenannte KĂŒnstliche Intelligenz. DafĂŒr mĂŒsse man jetzt unbedingt groĂe DatenvorrĂ€te aufbauen, mit dem Ziel, den âgröĂtenâ, âreprĂ€sentativstenâ und âinteressantestenâ Gesundheitsdatensatz weltweit aufzubauen. OpenAI, Meta und Google wĂŒrden sich auch schon sehr fĂŒr diesen Datensatz interessieren.
Digitalisierung wird hier von Karl, dem Lauterbach, Ă€hnlich heilbringend fĂŒr die Bevölkerung zur Abwendung von Gesundheits- und Pflegenöten dargestellt wie die Kartoffel zur Abwendung von Hungersnöten im 18. Jahrhundert. Allerdings ist das mit dem Durchsetzen von solchen Befehlen ja inzwischen ein wesentlich demokratischerer Prozess geworden. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens, insbesondere die elektronische Patientenakte im Opt-out-Verfahren, wurde vom Bundestag in einem demokratischen Prozess |beschlossen|. Nicht nur in Deutschland, sondern auch durch europĂ€ische Gremien im Kontext des EuropĂ€ischen Gesundheitsdatenraums (EHDS). Ganz ohne |WidersprĂŒchlichkeit| sind beide Vorhaben keineswegs.
Auch heute gibt es an einigen Stellen noch immer Nuancen von StandesdĂŒnkel zwischen dem gemeinen Volk und den Herrschenden.
In dieser Woche hat die Verbraucherzentrale Bundesverband zum Beispiel eine Analyse der Informationsschreiben zum Opt-out aus der elektronischen Patientenakte publiziert. Ein Widerspruch scheint eher |ungewollt|.
Teils sind die Formulierungen sogar eher manipulativ. Die |Knappschaft| etwa versieht die Formulierung zum Widerspruch mit der impliziten Frage, ob Versicherte auch tatsÀchlich nicht von den Vorteilen der elektronischen Patientenakte profitieren wollen. Wirklich keine Kartoffeln?
Neu ist der unterschiedliche Umgang mit dem, was das Volk zu wollen hat und den Herrschenden ohnehin nicht. Friedrich, der Kartoffelkönig, aĂ selbst gar keine der von ihm so angepriesenen Kartoffeln, da sind sich Historiker*innen nach Analyse der SpeiseplĂ€ne relativ sicher. Kartoffeln landeten erst auf dem Speiseplan seines Nachfolgers, und auch da nur fĂŒr die |Bediensteten|.
Zu den Errungenschaften der Neuzeit gehört sicherlich die allgemeine Krankenversicherung. Ein Hauch von Klassengesellschaft ist aber mit dem deutschen Zwei-Klassen-Krankenkassensystem geblieben. Gesetzlich Versicherte mĂŒssen meist lange auf Facharzttermine |warten|, fĂŒr privat Versicherte sieht die Situation wesentlich besser aus.
FĂŒr Promis wie Karl Lauterbach selbst scheint es auch noch weitere Bevorzugungen zu geben. FĂŒr Politiker und andere Promis sei es âpraktisch egalâ, ob sie privat oder gesetzlich versichert sind. So zumindest die Aussage von |vor ein paar Jahren|, die sich aber nicht wesentlich verĂ€ndert haben dĂŒrfte.
Oftmals sind fĂŒhrende Gesundheitspolitiker*innen wie Gesundheitsminister Karl Lauterbach oder sein VorgĂ€nger Jens Spahn |privat versichert|. Von den politisch verordneten Segnungen fĂŒr die gesetzlich Versicherten, wie das E-Rezept oder die elektronische Patientenakte, profitieren sie nur selten. Private Krankenkassen haben hier meist mehr Spielraum, ob und wann sie entsprechende digitalen Leistungen |anbieten|.
Vollste Ăberzeugung fĂŒr das eigene Digitalprodukt, das nach Lauterbach âgröĂte Digitalprojektâ in Deutschland, sieht da doch irgendwie anders aus. Dabei solle dieses groĂe Projekt doch Krebs, die âGeiĂel der Menschheitâ, |besiegen| helfen.
Den Datenschatz, den gröĂten und reprĂ€sentativsten Gesundheitsdatensatz, werden wir dann wohl aus anderen digitalen Feldern ernten mĂŒssen.
Friedrich dem GroĂen wurde zumindest zu seinen Zeiten diese clevere â neudeutsch: virale â Marketingstrategie zur Bewerbung der Kartoffel angedichtet: Der König habe auf seinen GĂŒtern Kartoffeln anbauen und diese von Soldaten bewachen lassen. Das hĂ€tte die Bauern der Gegend neugierig gemacht und damit hĂ€tten sie auch den Wert der Knolle erkannt.
Es ist eine schöne Geschichte, historisch gesehen aber |Desinformation|. Diese Marketingstrategie stammte nÀmlich aus Frankreich von |Antoine Parmentier|.
Zu Ende dieser Kolumne, in der es schon sehr viel um Kartoffeln ging, sei auch erwĂ€hnt, dass die Kartoffel auch eine Giftpflanze sein kann. Deshalb wurde die Kartoffel 2022 zur Giftpflanze des Jahres |gewĂ€hlt|. Kartoffeln enthalten Solanin und Chaconin in den grĂŒnen Pflanzenbestandteilen, was je nach Dosis hochgiftig sein kann.
Seit dem 18. Jahrhundert haben wir den sicheren Umgang mit Kartoffeln gelernt. Wir versuchen aus Unwissen nicht mehr, die LaubblÀtter oder Beeren von KartoffelstrÀuchern zu essen. Vergiftungserscheinungen durch die Kartoffel sind daher selten geworden.
In Hinblick auf die Digitalisierung des Gesundheitswesens befinden wir uns gerade in einem Zeitabschnitt, bei dem die genauen Risiken des âgröĂten Digitalprojektsâ mit geplantem Start ab Anfang 2025 noch nicht vollstĂ€ndig klar sind. Krankenkassen wie die |AOK Nordwest| bezeichnen die elektronische Patientenakte vollmundig zwar bereits als âabsolut sicherâ â informieren aber vielleicht nicht ganz umfassend, worauf sich diese Gewissheit der Aussage bezieht.
Am Ende werden politische Befehle und vollmundige Versprechungen nicht dabei helfen, die Digitalisierung des Gesundheitswesens sicher und auf die Patient*innen zentriert umzusetzen. Angesichts der politisch beabsichtigten Geschwindigkeit, die |laut| dem ehemaligen Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber âzu langsam und ĂŒberhastet zugleichâ, ist noch nicht so ganz abzusehen, was da digital ab dem nĂ€chsten Jahr so passieren wird.
Etwas Zeit werden wir dem zu Beginn wohl geben mĂŒssen, um zu sehen, was uns da aus der Digitalisierung des Gesundheitswesens erwĂ€chst. Guten Appetit!
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|Der König ĂŒberall, Robert WarthmĂŒller (1886)|
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Skriptlauf: 2024-12-17T15:32:11