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Wir thematisieren die wichtigen Fragestellungen rund um Internet, Gesellschaft und Politik und zeigen Wege auf, wie man sich auch selbst mit Hilfe des Netzes fĂŒr digitale Freiheiten und Offenheit engagieren kann. Mit netzpolitik.org beschreiben wir, wie die Politik das Internet durch Regulierung verĂ€ndert und wie das Netz Politik, Ăffentlichkeiten und alles andere verĂ€ndert.
Zuletzt aktualisiert: Sat, 28 Sep 2024 07:44:39 +0200
Sat, 28 Sep 2024 07:44:39 +0000
Martin Schwarzbeck
Die 39. Kalenderwoche geht zu Ende. Wir haben 25 neue Texte mit insgesamt 147.000 Zeichen veröffentlicht. Willkommen zum netzpolitischen WochenrĂŒckblick.
Liebe Leser*innen,
wir feuern gerade aus allen Rohren. Diese Woche haben wir 14 Artikel veröffentlicht, die sich mit dem sogenannten Sicherheitspaket der Bundesregierung beschĂ€ftigen. In den vier Monaten, die ich jetzt bei netzpolitik.org arbeite, ist hier kein Thema derart eingeschlagen. Die Aufregung ist groĂ.
Anfangs sah es so aus, als stĂŒnde die Zivilgesellschaft mit ihrer Empörung ziemlich allein da, doch inzwischen haben sich zahlreiche Stimmen aus der Politik und auch aus den Regierungsparteien gemeldet, die die GrundrechtseinschrĂ€nkungen aus dem Ăberwachungspaket ebenfalls fĂŒr inakzeptabel halten. Das heiĂt, es gibt noch Hoffnung, dass dem Paket zumindest die heftigsten Spitzen genommen werden: die biometrische Analyse aller im Internet abgebildeten Personen, die beinahe ĂŒberall möglichen anlasslosen Durchsuchungen, die Einstellung jeglicher UnterstĂŒtzung fĂŒr einen guten Teil der Asylbewerber*innen.
Aber selbst wenn das Gesetzespaket deutlich entschĂ€rft werden sollte, bleibt es im Kern menschenfeindlich. Es befördert den Rechtsruck. Dass einstige BĂŒrgerrechtsparteien wie die GrĂŒnen und die FDP und eigentlich ja auch die Sozialdemokraten eine derartige Dystopie ĂŒberhaupt anzudenken wagen, hat nicht nur mir einen fundamentalen Schock verpasst.
Umso mehr Hoffnung hat es mir gemacht, zu sehen, wie sich die Stimmen der VernĂŒnftigen mehren. Und das war nicht die einzige gute Nachricht dieser Woche. Sehr gefreut hat mich auch, dass der Freispruch des Journalisten Fabian Kienert endlich |rechtskrĂ€ftig| ist. Ein Sieg fĂŒr die Pressefreiheit! Schön ist auch, dass einzelne Menschen etwas bewegen können, wie die |neueste Wendung| in der Auseinandersetzung des SchĂŒlers Damian mit der Internetsperragentur CUII zeigt.
Schönes Wochenende!
Martin
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Der Protest gegen das Asyl- und Sicherheitspaket der Bundesregierung wird lauter. Nachdem in Berlin etwa 1000 Menschen demonstrierten, kritisieren jetzt namhafte Organisationen in einem offenen Brief die PlĂ€ne in scharfen Worten. Doch die Ampel prĂŒgelt das Gesetz weiter durch: Schon heute ist Anhörung im Innenausschuss. Von Markus Reuter â
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Ein SchĂŒler hat die geheime Liste der Websites veröffentlicht, die nach Absprache von Unternehmen und VerbĂ€nden in Deutschland gesperrt werden â viele davon offenbar zu Unrecht. Jetzt haben Internetprovider 39 der gesperrten Domains wieder freigegeben. Zwei Seiten sind weiterhin grundlos mit einem DNS-Block versehen. Von Martin Schwarzbeck â
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Die Regierung will mit ihrem Sicherheitspaket massiv in Grundrechte eingreifen. Der groĂe öffentliche Aufschrei bleibt aus, doch gerade jetzt sollten wir entschieden âStoppâ sagen. Ein Kommentar. Von Gastbeitrag, Matthias Spielkamp â
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Die StabilitĂ€t und FunktionsfĂ€higkeit des neuen Einreise-/Ausreisesystems der EU kann weiterhin nicht getestet werden. Die Bundesregierung verschiebt die Inbetriebnahme deshalb auf unbestimmte Zeit. Von Matthias Monroy â
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Im Innenausschuss des Bundestages ging es heute um das âSicherheitspaketâ. Kirchen, MenschenrechtsverbĂ€nde und die Beauftragte fĂŒr den Datenschutz kritisieren die MaĂnahmen als unverhĂ€ltnismĂ€Ăig und rechtswidrig. Die wichtigsten Kritikpunkte im Ăberblick. Von Chris Köver, Martin Schwarzbeck, Markus Reuter â
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Das âSicherheitspaketâ der Ampel bringt nicht nur VerschĂ€rfungen fĂŒr GeflĂŒchtete und eine Ausweitung der biometrischen Ăberwachung. Wenig bekannt ist bislang der Ausbau von polizeilichen Kontrollbefugnissen im öffentlichen Raum: Sie kann in Zukunft an sehr vielen Orten Menschen ohne Verdacht anhalten, befragen, kontrollieren und durchsuchen. Von Markus Reuter â
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WĂ€hrend gegen Pavel Durov in Frankreich Ermittlungen wegen mehrerer mutmaĂlicher Straftaten laufen, kĂŒndigt der Telegram-Chef Ănderungen an der Messaging-Plattform an. Dabei fĂ€llt auf, dass sich nur wenige davon auf Inhalte beziehen. Von Anna Biselli â
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In der SPD regt sich offener Widerstand gegen die PlĂ€ne der Bundesregierung in Sicherheits- und Asylpolitik. Die vorgeschlagenen MaĂnahmen der Ampel wĂŒrden Asylsuchende entmenschlichen und âverstĂ€rken auch einen migrationsfeindlichen, rassistischen Diskurs von Rechtsâ, schreiben mehrere hundert Parteimitglieder und Politiker:innen in einem offenen Brief. Von Chris Köver â
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Irgendwann geht alles einmal zu Ende. Mit einer Zustimmung zum Sicherheitspaket wĂŒrden sich GrĂŒne und FDP von ihrer Tradition als BĂŒrgerrechtsparteien verabschieden. Wir widmen ihnen deshalb einen FotorĂŒckblick ihrer stolzen Vergangenheit, in der Grundrechte noch etwas zĂ€hlten. Von Markus Reuter â
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Ein Europol-Bericht zur polizeilichen Nutzung sogenannter KI gibt Einsichten in Gegenwart und Zukunft der Ermittlungsarbeit. Er zeigt, was europĂ€ische Polizeien können und was sie können wollen. Von Martin Schwarzbeck â
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Fabian Kienert, Redakteur beim Sender Radio Dreyeckland, stand vor Gericht, weil er einen Link gesetzt hatte. Er wurde freigesprochen, doch die Staatsanwaltschaft hat sich bis zum letzten Moment die Möglichkeit offengehalten, in Revision zu gehen. Jetzt ist der Freispruch rechtskrĂ€ftig. Von Martin Schwarzbeck â
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Wir sind gleich doppelt fĂŒr den Grimme Online Award nominiert. Einmal mit unserem Doku-Podcast Systemeinstellungen und noch mal mit den Recherchen zu den Databroker Files. Wenn euch unsere Arbeit gefĂ€llt, könnt ihr beim Publikumspreis fĂŒr uns abstimmen. Von Serafin Dinges, Anna Biselli â
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Das Datenanalyse-Unternehmen Palantir und Microsoft arbeiten eng zusammen, um in den USA besser Technologie fĂŒr den Sicherheitsapparat anbieten zu können. Was an der Börse gefeiert wurde, wirft schwere Fragen bei digitalen BĂŒrgerrechten auf, kommentiert Dennis-Kenji Kipker. Von Gastbeitrag, Dennis-Kenji Kipker â
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Laut einem Medienbericht gibt es in der Ampel GesprĂ€chsbedarf zum Sicherheitspaket, das bislang in sehr hohem Tempo durch den Bundestag gebracht wurde. Gegen das Gesetzesvorhaben formiert sich derweil immer mehr Protest. Von Markus Reuter â
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Die Datenschutzkonferenz warnt vor Grundrechtsverletzungen durch automatisierte Gesichtserkennungssysteme und fordert zusĂ€tzliche Schutzmechanismen. Dem Einsatz der Systeme mĂŒssten juristisch enge Grenzen gesetzt werden. Von Lilly Pursch â
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Frei einsehbarer Code, datensparsamer Betrieb â diese Anwendungen sollte man nutzen, wenn man seine PrivatsphĂ€re schĂŒtzen und sich von den groĂen Techkonzernen unabhĂ€ngig machen will. Von Martin Schwarzbeck â
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Ein Beirat aus Zivilgesellschaft, Forschung und Wirtschaft soll in Deutschland die Durchsetzung des Digital Services Act begleiten. In dieser neuen Kolumne wird Svea Windwehr aus dem Beirat berichten. Und erklĂ€rt erst einmal, worum es dabei eigentlich geht. Von Svea Windwehr â
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WĂ€hrend die Parteien im Bundestag ĂŒber das sogenannte Sicherheitspaket diskutieren, hat die baden-wĂŒrttembergische Landesregierung ihre Vorstellung von MaĂnahmen vorgelegt. Auch dabei geht es um automatisierte Datenauswertung und eine restriktive Migrationspolitik. Von Anna Biselli â
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Der Chaos Computer Club lĂ€dt zum 38. Mal zu einem der gröĂten Kongresse von Hacker:innen aus der ganzen Welt. In diesem Jahr gibt sich der CCC kĂ€mpferisch und ruft zum technischen Widerstand gegen das Abgleiten Europas in Ăberwachungs- und Repressionsgesellschaften auf. Von Markus Reuter â
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Möglichst schnell wollte die Regierung VerschĂ€rfungen der Asyl- und Polizeigesetze durch den Bundestag bringen. Daraus wird nun nichts. Fachleute und auch Abgeordnete aus den Fraktionen selbst ĂŒben heftige Kritik. Von Chris Köver, Markus Reuter â
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Louisa Specht-Riemenschneider, Datenschutzbeauftragte des Bundes, hat im Digitalausschuss des Bundestages ihr Programm fĂŒr die nĂ€chsten Jahre prĂ€sentiert â und Fragen zum Ăberwachungspaket der Bundesregierung beantwortet. Die Sitzung lĂ€sst erahnen, welche Schwerpunkte ihre Behörde setzen wird. Von Martin Schwarzbeck â
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Ein neuer Anlauf fĂŒr die Vorratsdatenspeicherung, gestartet aus Hessen, war im Bundesrat erfolgreich. Nun geht der Gesetzentwurf in den Bundestag. Beim Thema Quick Freeze, der grundrechtsschonenden Alternative, bewegt sich derweil wenig. Von Anna Biselli â
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In der SPD brodelt es wegen des geplanten Sicherheitspaketes. Wir veröffentlichen ein Papier der AG Migration, welches das Gesetzesvorhaben der Ampel fĂŒr rechtswidrig und nicht mit den Werten der Sozialdemokratie vereinbar hĂ€lt. Von Markus Reuter â
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Im Vorschlag der LĂ€nder fĂŒr einen Staatsvertrag zur Reform öffentlich-rechtlicher Medienangebote finden sich viele gute Punkte wie mehr Publikumsinteraktion oder eine gemeinsame Plattforminfrastruktur auf Basis offener Standards. Allerdings bleibt die Finanzierungsfrage ungelöst und das Zombie-Konzept âPresseĂ€hnlichkeitâ wird nicht entsorgt, sondern sogar noch gestĂ€rkt. Von Leonhard Dobusch â
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Die ungarische RatsprĂ€sidentschaft nimmt neuen Anlauf fĂŒr die Chatkontrolle. Doch der ungarische âKompromissvorschlagâ ist fast genauso gefĂ€hrlich wie seine VorgĂ€nger sagen Wissenschaftler:innen aus der ganzen Welt. Sie warnen vor MassenĂŒberwachung, falschen VerdĂ€chtigungen und dem Ende der VerschlĂŒsselung. Von Markus Reuter â
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Fri, 27 Sep 2024 13:30:31 +0000
Markus Reuter
Die ungarische RatsprĂ€sidentschaft nimmt neuen Anlauf fĂŒr die Chatkontrolle. Doch der ungarische âKompromissvorschlagâ ist fast genauso gefĂ€hrlich wie seine VorgĂ€nger sagen Wissenschaftler:innen aus der ganzen Welt. Sie warnen vor MassenĂŒberwachung, falschen VerdĂ€chtigungen und dem Ende der VerschlĂŒsselung.
304 Wissenschaftler:innen aus 33 LĂ€ndern halten auch den aktuellen Entwurf der Chatkontrolle-Verordnung fĂŒr nicht akzeptabel. Zu den Initiator:innen des |offenen Briefes (PDF)| gehören IT-KoryphĂ€en wie |Carmela Troncoso|. Die Unterzeichnenden erklĂ€ren, dass der aktuelle Entwurf nur geringfĂŒgige Ănderungen gegenĂŒber frĂŒheren Versionen beinhalte und die Grundprobleme bestehen bleiben wĂŒrden. Sie warnen unter anderem vor anlassloser MassenĂŒberwachung, falschen VerdĂ€chtigungen, dem Ende von zuverlĂ€ssiger VerschlĂŒsselung und vor Problemen mit der IT-Sicherheit.
Die EU-Kommission will mit der so genannten CSAM-Verordnung gegen sexualisierte Gewalt gegen Kinder vorgehen. Sie möchte dafĂŒr |Internetdienste per Anordnung verpflichten|, die Inhalte ihrer Nutzer auf Straftaten zu durchsuchen und bei Verdacht an Behörden zu schicken. Das EU-Parlament bezeichnet das seit fast einem Jahr |als MassenĂŒberwachung und fordert|, nur |unverschlĂŒsselte Inhalte von VerdĂ€chtigen| zu scannen.
Die EU-Staaten können sich bisher nicht auf eine gemeinsame Position einigen. |Mehrere ||RatsprĂ€sidentschaften| sind daran gescheitert, eine Einigung zu erzielen. Jetzt versucht es Ungarn. Die ungarische RatsprĂ€sidentschaft |schlĂ€gt vor|, dass Dienste-Anbieter zunĂ€chst nur bekannte Straftaten suchen mĂŒssen. Neues Material und Grooming soll erst spĂ€ter verpflichtend werden, wenn die Technik gut genug ist.
Im August haben die StĂ€ndigen Vertreter ĂŒber diesen |neuen| |Vorschlag| |verhandelt|. Wir haben |ein weiteres Mal| das eingestufte |Protokoll der Verhandlungen im Volltext| veröffentlicht. In ersten Oktoberwoche könnte es nun im Rat zu einer Abstimmung kommen. Die bisherige SperrminoritĂ€t der Gegner-LĂ€nder, die das Ăberwachungsprojekt bislang verhindert, wackelt derzeit.
Die Wissenschaftler:innen sehen mit dem âKompromissvorschlagâ die elementaren Probleme der Chatkontrolle nicht ausgerĂ€umt. Eines der groĂen Probleme sei, dass die derzeitige Erkennungstechnologie fĂŒr Inhalte fehleranfĂ€llig sei. Die Forscher:innen gehen davon aus, dass die Technik âeine sehr groĂe Anzahl falsch-positiver Ergebnisse generierenâ wird. âJeder dieser Fehler fĂŒhrt dazu, dass unschuldige Benutzer wegen abscheulicher Verbrechen angezeigt werdenâ, so die Wissenschaftler weiter. Es gĂ€be auch nach 20 Jahren Forschung am Thema keine Methode, um das auszuschlieĂen. Es sei zweifelhaft, ob das ĂŒberhaupt je gelöst werden könne.
GrundsĂ€tzlich beinhalte auch der aktuelle Vorschlag, dass die Technik des Client-Side-Scannings eingesetzt werden mĂŒsse. âDas Scannen von Bildern vor der VerschlĂŒsselung macht den Zweck der Ende-zu-Ende-VerschlĂŒsselung völlig zunichteâ, so die Forscherinnen. Die Verordnung behaupte zwar, dass ein solches Scannen die Ende-zu-Ende-VerschlĂŒsselung respektiere, aber das sei offensichtlich nicht der Fall.
Sie versuchen das Problem mit einem Bild zu erklĂ€ren. Es sei so, als wĂŒrde die âRegierung behaupten, dass sie die Vertraulichkeit der Korrespondenz respektiert, indem sie niemals Briefe öffnet, wĂ€hrend sie gleichzeitig die Installation von Netzwerkkameras vorschreibt, um allen BĂŒrgern ĂŒber die Schulter zu schauen, bevor sie jeden Brief in einen Umschlag stecken.â
AuĂerdem sei die Anordnung, wessen Inhalte gescannt werden, âwahllosâ. Das vorgeschlagene Modell ziele auf alle BĂŒrger:innen ab anstatt die Nutzer:innen zu untersuchen, bei denen die Strafverfolgungsbehörden den begrĂŒndeten Verdacht haben, dass sie CSAM-Material austauschen. Aus rechtlicher Sicht bedeute dies, dass das Scannen auf Nutzerseite unverhĂ€ltnismĂ€Ăig sei und das Grundrecht auf PrivatsphĂ€re verletzt werde.
Die Forscherinnen warnen zudem vor einem so genannten âFunction Creepâ.  So sei eine Erweiterung der gesuchten Inhalte auf zum Beispiel Terrorismus zu erwarten, in autoritĂ€ren Regimes auch das Suchen nach regierungskritischen Inhalten. Einmal eingefĂŒhrt sei es âein Leichtes, das Scannen auf alle auf dem GerĂ€t gespeicherten Bilder auszudehnen und die Hash-Datenbank ohne offene demokratische Kontrolle um neue Inhalteâ zu erweitern.
Zu guter Letzt warnt die Wissenschaft auch vor einer GefĂ€hrdung der IT-Sicherheit durch die Verordnung. Sie erhöhe die technische KomplexitĂ€t. âJeder Fehler könnte es Hackern, Kriminellen oder feindlichen Regierungen ermöglichen, den Inhalt von GerĂ€ten gezielt oder in groĂem Umfang zu scannenâ, heiĂt es weiter im offenen Brief.
Statt der technischen Lösung, mit dem Scannen nach Inhalten das Ergebnis des Missbrauchs und der sexualisierten Gewalt gegen Kinder zu bekĂ€mpfen, sollte eher die sexualisierte Gewalt selbst in den Fokus gerĂŒckt werden. âZu den bewĂ€hrten AnsĂ€tzen, die von Organisationen wie der UNO zur Beseitigung von Missbrauch empfohlen werden, gehören AufklĂ€rung ĂŒber Einwilligung, ĂŒber Normen und Werte, ĂŒber digitale Kompetenz und Online-Sicherheit sowie umfassende Sexualerziehung, traumasensible Meldestellen und auf Stichwortsuche basierende Interventionenâ, so die Wissenschaftler:innen weiter.
Sie empfehlen deswegen âeine deutliche Erhöhung der Investitionen und Anstrengungen zur UnterstĂŒtzung bestehender bewĂ€hrter AnsĂ€tze zur Beseitigung von Missbrauch und damit auch von missbrĂ€uchlichem Material. Solche AnsĂ€tze stehen im Gegensatz zu dem aktuellen technologischen Lösungsvorschlag, der darauf abzielt, missbrĂ€uchliches Material aus dem Internet zu entfernen, und zwar auf Kosten der Kommunikationssicherheit, mit wenig Potenzial fĂŒr Auswirkungen auf den Missbrauch von Kindern.â
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Offener Brief
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Dear Members of the European Parliament,
Dear Member States of the Council of the European Union,
Joint statement of scientists and researchers on the Proposal for the Child Sexual Abuse Regulation (9 September 2024)
In September 2024, the EU Member States are considering an updated proposal of the regulation for client-side scanning, in which providers of applications with end-to-end encrypted communications would be forced to scan the content of all images for known Child Sexual Abuse
Material (CSAM).
Child sexual abuse and exploitation are serious crimes that can cause lifelong harm to survivors. We acknowledge that governments, service providers, and society at large take major responsibility in tackling these crimes. But this cannot be done at any cost. We explain in this open letter why we have strong objections against the proposed regulation.
In July 2023, more than 400 scientists and researchers signed an open letter to express their concerns about the proposed EU Child Sexual Abuse Regulation (|https://edri.org/wp-content/uploads/2023/07/Open-Letter-CSA-Scientific-community.pdf|). The letter pointed out numerous technical issues but also broader human rights and societal risks. The European Parliament rejected the proposal in November 2023.
In the Spring of 2024, the Belgian presidency presented another version of the proposal to the EU Member States. In May 2024 more than 300 scientists wrote a second letter explaining why this version was still unacceptable: |https://nce.mpi-sp.org/index.php/s/eqjiKaAw9yYQF87|. In the European council, no consensus was reached on this Spring 2024 proposal, and it was therefore never submitted to parliament.
Compared to earlier versions, the newest proposal from August 2024 is reduced in scope: the detection of new CSAM content and of grooming in chat and audio using AI are, for now, left as optional. This is only a minor concession, as the Commission can make this detection mandatory in the future. We refer to our open letter from July 2023, where we explained that both goals are technically infeasible and will remain infeasible in the next decade and thus, they should not appear in any form in a regulatory framework.
The latest proposal forces providers of end-to-end encrypted messaging services (iMessage, Matrix, Messenger, Signal, Threema, WhatsApp, Wire but also encrypted email) to check whether users send known CSAM material. The regulation leaves it open how this should be done. The only known approach to perform this verification on encrypted messaging with an acceptable efficiency is client-side scanning: before they are sent, images on a phone are compared with a hashed database of known CSAM content. If a match is detected, the user is reported to law enforcement.
There are several reasons why this proposal remains unacceptable.
First and foremost, the current detection technology is ineffective: it is very easy to modify an image such that it evades detection (false negatives), which means that only a small fraction of offenders will be reported. In addition, it is trivial to maliciously modify an innocent image such
that it is detected as CSAM (false positives). Given the volume of images to be analysed (all images sent in all messaging services), some of the current designs would generate a very large number of false positives, that would be further increased if we consider malicious modifications. Each of these errors result in innocent users being reported of heinous crimes. To reduce the number of both false negatives and false positives, the hashing algorithms have to be configured in a way that the hashed database will necessarily leak information on the original pictures, which is highly problematic as it could lead to reconstruction of the very CSAM material whose spreading scanning aims to prevent. After twenty years of research on this topic, there is no reliable method to address these problems and it is doubtful whether this problem can be solved at all.
Second, reducing the scope to leave the use of AI to detect new CSAM and grooming as optional does not solve one of the main problems of client-side scanning: scanning images before encryption completely defeats the purpose of end-to-end encryption. While the regulation claims that such scanning respects end-to-end encryption, it is obvious that it does not. An analogy would be that the government would claim that it respects the confidentiality of correspondence by never opening letters, while it would mandate installing networked cameras to look over the shoulders of all citizens before they place each letter in an envelope.
Third, despite the reduction in scope, the imposed detection orders are still indiscriminate: the proposed mandatory scanning targets every citizen, rather than investigating users for which law enforcement has reasonable suspicion that they engage in the exchange of CSAM material. Our phones and the pictures on the phones document our complete lives; giving the government full access to this content is highly intrusive. From a legal perspective, this means that client-side scanning is disproportional and violates the fundamental right to privacy.
Fourth, there is the risk of mission creep. The proposal focuses on CSAM, but once client-side scanning would be deployed on the devices of the EU citizens, it is trivial to expand the scanning to all images stored on the device and to extend the hash database with new content (terrorism or organized crime) without open democratic oversight. As the database is hashed, there is no transparency on the nature of the content that is being detected. In addition, it is highly likely that less democratic regimes will use client-side scanning to detect at scale content critical of the government. This technology will deliver them instantaneously a list of journalists, human right activists, and opposition members, who spread such content. It is ironic that the EU wants to be seen as a beacon of democracy but would also be prepared to hand to dictators a ready-made tool for mass surveillance.
Finally, client-side scanning adds complexity to a system providing end-to-end security. Additional interfaces and code have to be added to download and update the database, to perform verifications and to send reports. These mechanisms are extremely sensitive and require very robust secure measures. Any error could enable hackers, criminals, or unfriendly governments to scan the content of devices in a targeted manner or at scale. There is also a substantial risk that the database of hashed images will leak, ultimately weakening protections that are relied on by service providers for detecting abuse in unencrypted environments (such as email, or public photo sharing). Overall, the increased complexity is likely to lead to new vulnerabilities making everyone less secure.
To conclude, we repeat the message from our earlier letter: technocentric solutions based on surveillance are a very poor option to combat the spread of CSAM.
It is important to remember that CSAM content is the output of child sexual abuse. Eradicating CSAM relies on eradicating abuse, not only abuse material and its distribution. Proven approaches recommended by organisations such as the UN for eradicating abuse include education on consent, on norms and values, on digital literacy and online safety, and comprehensive sex education, trauma-sensitive reporting hotlines, and keyword-search based interventions. With client-side scanning, victims who use these very same secure messenger services to communicate with trusted friends or help lines would be at risk of being criminalised through flagging their call for help, and therefore less likely to reach out in the first place.
Educational efforts can take place in partnership with platforms, which can prioritise low barrier reporting of CSAM, high quality educational results in search or collaborate with their content creators to develop engaging resources. Protecting children from (online) abuse while preserving their right to secure communications is critical. We recommend substantial increases in investment and effort to support existing proven approaches to eradicate abuse, and with it, abusive material. Such approaches stand in contrast to the current techno-solutionist proposal, which is focused on vacuuming up abusive material from the internet at the cost of communication security, with little potential for impact on abuse perpetrated against children.
|Liste der Unterzeichner:innen im Originaldokument|
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Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
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|Internetdienste per Anordnung verpflichten|
|als MassenĂŒberwachung und fordert|
|unverschlĂŒsselte Inhalte von VerdĂ€chtigen|
|Protokoll der Verhandlungen im Volltext|
|https://edri.org/wp-content/uploads/2023/07/Open-Letter-CSA-Scientific-community.pdf|
|https://nce.mpi-sp.org/index.php/s/eqjiKaAw9yYQF87|
|Liste der Unterzeichner:innen im Originaldokument|
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Fri, 27 Sep 2024 11:23:58 +0000
Leonhard Dobusch
Im Vorschlag der LĂ€nder fĂŒr einen Staatsvertrag zur Reform öffentlich-rechtlicher Medienangebote finden sich viele gute Punkte wie mehr Publikumsinteraktion oder eine gemeinsame Plattforminfrastruktur auf Basis offener Standards. Allerdings bleibt die Finanzierungsfrage ungelöst und das Zombie-Konzept âPresseĂ€hnlichkeitâ wird nicht entsorgt, sondern sogar noch gestĂ€rkt.
Die Serie âNeues aus dem Fernsehratâ beleuchtet seit dem Jahr 2016 die digitale Transformation öffentlich-rechtlicher Medien. Hier entlang zu allen BeitrĂ€gen der |Reihe|.
Ăber den rechtlichen Rahmen fĂŒr öffentlich-rechtliche Medien in Deutschland entscheidet nicht der Bundestag, sondern es entscheiden die MinisterprĂ€sident:innen in der Rundfunkkommission der LĂ€nder. Ănderungen an Auftrag, Struktur und Finanzierung von ARD, ZDF und Deutschlandfunk erfordern Einstimmigkeit aller 16 LĂ€nder in Form von innerdeutschen Rundfunk- und MedienstaatsvertrĂ€gen â zumindest, solange nicht |AfD-gefĂŒhrte LĂ€nder die StaatsvertrĂ€ge und damit den medienpolitischen Grundkonsens in Deutschland aufkĂŒndigen|.
Die LĂ€nder und nicht den Bund als Rundfunkgesetzgeber vorzusehen sowie die damit verbundene erforderliche Einstimmigkeit ĂŒber 16 LĂ€nder hinweg, ist eine doppelte Lektion aus der deutschen Geschichte. Einerseits zwingt so eine Struktur zu Kompromissen ĂŒber weltanschauliche und parteipolitische Lager hinweg, soll so gesellschaftlicher Polarisierung und Spaltung entgegenwirken. Andererseits ist dadurch die Gefahr eines propagandistischen Missbrauchs öffentlich finanzierter Medien durch die Bundesregierung gering. Der Rundfunkföderalismus dient auch der Staatsferne öffentlich-rechtlicher Medien.
Wenn die Rundfunkkommission der LĂ€nder jetzt den Entwurf fĂŒr einen |âReformstaatsvertragâ| vorlegt und |bis 11. Oktober um Stellungnahmen bittet|, dann handelt es sich eigentlich um Ănderungen an vier StaatsvertrĂ€gen: dem Medien-, dem ARD-, dem ZDF- und dem Deutschlandradio-Staatsvertrag.
Wie bei vergangenen StaatsvertragsĂ€nderungen auch finden sich eine Reihe von begrĂŒĂenswerten Anpassungen und Modernisierungen im Entwurf fĂŒr den Reformstaatsvertrag. Dazu zĂ€hlen unter anderem folgende Punkte:
Die im Auftrag vorgeschriebene âzielgruppengerechte interaktive Kommunikation mit den Nutzern [âŠ] sowie verstetigte Möglichkeiten der Partizipationâ wird zur lĂ€ngst ĂŒberfĂ€lligen Ăffnung von Mediatheken fĂŒr Publikumsinteraktion wie Kommentare oder Ă€hnlichem fĂŒhren.
Die von ARD und ZDF bereits angekĂŒndigte Zusammenlegung der Mediathek-Entwicklung auf Basis von Open-Source-Software (|âStreaming OSâ|) wird als âgemeinsames technisches Plattformsystemâ staatsvertraglich vorgeschrieben, das ganz explizit âmöglichst offene technische Standardsâ nutzen und von einer gemeinsamen Tochtergesellschaft entwickelt werden soll. Hinzu kommt die gesetzliche Aufforderung, Vernetzung und Kooperation mit anderen öffentlich-rechtlichen Medien in Europa in diesem Bereich zu forcieren.
In den StaatsvertrÀgen wird stÀrker zwischen Portalen (Mediatheken, Webseiten, Apps) und Plattforminfrastruktur (beispielsweise Software) unterschieden. Warum das wichtig ist, war |in Folge 97 dieser Reihe Thema.|
In diesem Zusammenhang wird eine âeinheitliche Auffindbarkeitâ ĂŒber verschiedene Portale hinweg vorgeschrieben. Das soll âeine weitere Vernetzung der Portale [âŠ] ermöglichen, ohne ein zentrales Portal vorzuschreibenâ und entspricht damit einem |dezentral-vernetzten Ăkosystem-Ansatz|.
Galt bis 2019 noch ein weitreichendes Verlinkungsverbot fĂŒr öffentlich-rechtliche Angebote, wird mit dem vorliegenden Entwurf endgĂŒltig und richtigerweise Verlinkung eingefordert â und zwar nicht nur zwischen ARD, ZDF und DLF auf der âerste[n] Auswahlebene der eigenen Portaleâ. Die Angebote sollen kĂŒnftig âauch auf Inhalte verlinken, die Einrichtungen der Wissenschaft, Kultur sowie der Bildung anbieten und die aus journalistisch-redaktionellen GrĂŒnden fĂŒr die Telemedienangebote geeignet sindâ. |Kuratierung externer Inhalte| fĂŒr eigene Portale wird damit erstmals Teil des öffentlich-rechtlichen Auftrags.
Der Entwurf sieht eine allgemeine Aufforderung zur Zusammenarbeit von ARD, ZDF und DLR bei administrativen und technologischen Aufgaben vor, solange es nicht der AuftragserfĂŒllung, dem publizistischen Wettbewerb oder der Wirtschaftlichkeit entgegensteht.
Die an mehreren Stellen eingeforderte, stĂ€rkere Kooperation zwischen den Anstalten wird auch verstĂ€rkten (Nutzungs-)Datenaustausch notwendig machen, fĂŒr den ebenfalls gesetzliche Voraussetzungen geschaffen werden. In diesem Zusammenhang wird ein unabhĂ€ngiger âGemeinsamer Rundfunkbeauftragter fĂŒr den Datenschutzâ mit einer Amtszeit von acht Jahren eingefĂŒhrt.
FĂŒr den KI-Einsatz sollen in einem gemeinsamen Kodex GrundsĂ€tze fĂŒr die Entwicklung und den Einsatz entsprechender Systeme festgelegt werden.
Online-Spiele bleiben prinzipiell verboten, aber es gibt eine Ausnahme fĂŒr solche, die in konkret adressierten Zielgruppen die AuftragserfĂŒllung unterstĂŒtzen und einem öffentlich-rechtlichen Profil entsprechen.
Hinzu kommen einige Ănderungen der Gremienstrukturen (vor allem in der ARD), die Betonung der âkollegialen Leitungâ von Anstalten durch ein âDirektoriumâ aus Intendant, Programmdirektion, Chefredaktion, Verwaltungsdirektion und Justiziariat sowie die Einrichtung eines neuen, weisungsfreien âMedienratesâ.
Der Medienrat soll regelmĂ€Ăig die AuftragserfĂŒllung der öffentlich-rechtlichen Medien âin ihrer Gesamtheitâ evaluieren. Dessen sechs Mitglieder (âSachverstĂ€ndigeâ) werden von der Gremienvertreterkonferenz der ARD (2), dem Fernsehrat des ZDF, dem Hörfunkrat des Deutschlandradios sowie durch die Regierungschefinnen und Regierungschefs der LĂ€nder berufen (2).
WĂ€hrend manche durch so einen Medienrat eine Beschneidung von Kompetenzen bestehender Rundfunk- und FernsehrĂ€te befĂŒrchten, kann ich der Idee durchaus etwas abgewinnen, zumindest ein Aufsichtsorgan einzurichten, das ĂŒber alle Anstaltsgrenzen hinweg das Gesamtsystem im Blick hat.
Jenseits dieser durchaus beachtlichen Liste an positiven Punkten gibt es drei Probleme des vorliegenden Entwurfs: Das gröĂte Problem ist sicher eine fehlende Lösung fĂŒr die nachhaltige und staatsferne Finanzierung öffentlich-rechtlicher Medienangebote in Deutschland. Das nach dem 2. Weltkrieg etablierte Verfahren von regelmĂ€Ăigen Anpassungen des Beitrags auf Basis von Empfehlungen der |Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF)| ist quasi tot.
Die in diesem Verfahren notwendige Zustimmung sĂ€mtlicher Landesparlamente ist auch ohne AfD-Regierungsbeteiligung oder -Mehrheit inzwischen völlig unrealistisch. Schon die letzte, von der KEF empfohlene Beitragserhöhung wurde erst durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts erzwungen. Man muss es so klar sagen: Die gröĂte Bedrohung der Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Medienangebots in Deutschland ist die parteipolitisch motivierte Verhinderung einer angemessenen, dem Auftrag entsprechenden Finanzierung.
Ideen fĂŒr eine Reform des KEF-Verfahrens, bei dem im Rahmen eines Korridors der Beitrag auch ohne Zustimmung der Landesparlamente angepasst werden kann, gibt es zwar. Eine 16-LĂ€nder-Einigung auf ein solches |Indexierungsmodell| war aber offensichtlich nicht möglich.
Das zweite Problem ist die Herangehensweise bei der Neuregelung sogenannter âSpartenprogrammeâ. Klar ist, dass eine Beauftragung einzelner Spartenprogramme direkt per Staatsvertrag unzeitgemÀà ist. Sinnvoll wĂ€re es, hier ARD und ZDF mehr FlexibilitĂ€t bei der Einstellung oder ĂberfĂŒhrung in digitale Angebote zu geben. Offenbar ist es aber politisch gewollt, durch die Einstellung von SpartenkanĂ€len ein klar sichtbares KĂŒrzungssymbol zu setzen.
Deshalb wurden die Spartenprogramme wie ARD Alpha oder ZDF Neo drei âKörbenâ zugeordnet und in jedem dieser Körbe soll es zur Reduzierung von KanĂ€len kommen. Diese Vorgehensweise berĂŒcksichtigt jedoch nicht, dass die SpartenkanĂ€le fĂŒr ARD und ZDF von unterschiedlich groĂer Bedeutung sind: wĂ€hrend die ARD alleine durch die zahlreichen dritten Programme ĂŒber eine groĂe Zahl an linearen Angeboten verfĂŒgt, sind ZDF Neo und ZDF Info fĂŒr das Angebot des ZDF von ungleich gröĂerer Relevanz.
Das dritte und fĂŒr mich ĂŒberraschendere Problem ist, dass man völlig aus der Zeit gefallene Konzepte wie |âPresseĂ€hnlichkeitâ| und âSendungsbezugâ nicht nur nicht entsorgt hat, sondern sogar noch einmal gestĂ€rkt hat. So heiĂt es in den ErlĂ€uterungen, dass die âBedeutung des Sendungsbezuges im Rahmen des Verbots der PresseĂ€hnlichkeitâ betont wird.
Ganz abgesehen davon, dass es |viele gute GrĂŒnde fĂŒr öffentlich-rechtliche Texte im Internet gibt|, ist es absurd, Texte auf öffentlich-rechtlichen Angeboten derart einzuschrĂ€nken, wĂ€hrend private Online-Angebote lĂ€ngst crossmedial und voll mit Video- und Audioinhalten sind. Es gilt heute völlig unverĂ€ndert, was ich vor sieben Jahren anlĂ€sslich meiner |Nominierung von PresseĂ€hnlichkeit als âUnwort des Jahresâ| geschrieben habe:
Presse im Internet ist ein multimedialer Mix aus Text, Bild, Video- und Audiomaterialien. PresseĂ€hnlichkeit als Kriterium hat sich damit ĂŒberlebt. Vielmehr geht es um die Grundsatzfrage, ob es beitragsfinanzierten Journalismus online geben soll oder nicht. [âŠ] Denn den Textanteil online zu reduzieren [âŠ] bedeutet letztlich vor allem eines: einen qualitativ schlechteren, öffentlich-rechtlichen Rundfunk im digitalen Zeitalter. [âŠ] Dieser Weg ist kurzfristig falsch und unterminiert langfristig die LegitimitĂ€t öffentlich-rechtlicher Angebote im Netz.
Das Konzept der âPresseĂ€hnlichkeitâ ist derart retro, es hat in einem âReformstaatsvertragâ nichts verloren. Ganz im Gegenteil, ein Reformstaatsvertrag wĂ€re die perfekte Gelegenheit, es endgĂŒltig zu beerdigen.
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|Rundfunkkommission der LĂ€nder|
|bis 11. Oktober um Stellungnahmen bittet|
|in Folge 97 dieser Reihe Thema.|
|dezentral-vernetzten Ăkosystem-Ansatz|
|Kuratierung externer Inhalte|
|Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF)|
|viele gute GrĂŒnde fĂŒr öffentlich-rechtliche Texte im Internet gibt|
|Nominierung von PresseĂ€hnlichkeit als âUnwort des Jahresâ|
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Fri, 27 Sep 2024 10:08:44 +0000
Markus Reuter
In der SPD brodelt es wegen des geplanten Sicherheitspaketes. Wir veröffentlichen ein Papier der AG Migration, welches das Gesetzesvorhaben der Ampel fĂŒr rechtswidrig und nicht mit den Werten der Sozialdemokratie vereinbar hĂ€lt.
Das sogenannte Sicherheitspaket der Ampel, das VerschĂ€rfungen des Asylrechts und einen Ausbau von biometrischer Ăberwachung und |anlasslosen Polizeikontrollen| vorsieht, wird nicht nur |von SachverstĂ€ndigen kritisiert|, sondern |auch aus den Reihen der Regierungsparteien selbst|. Nachdem zuletzt Abgeordnete und Mitglieder der SPD einen |offenen Brief gegen das Vorhaben lanciert| hatten, wird jetzt bekannt, dass das |âSicherheitspaketâ| auch auf der Ebene der Arbeitsgemeinschaften der Partei heftigen Widerspruch erfĂ€hrt.
In einem Factsheet der |Arbeitsgemeinschaft Migration & Vielfalt| der SPD heiĂt es, dass der vorliegende Gesetzentwurf âerhebliche verfassungs- und europarechtliche Bedenkenâ aufwerfe. Die vorgesehenen Regelungen seien ârechtlich fragwĂŒrdigâ und stĂŒnden âim Widerspruch zu den sozialdemokratischen Werten von Gerechtigkeit, SolidaritĂ€t und MenschenwĂŒrdeâ. Die AG fordert, dass der Entwurf âkritisch hinterfragt und in seiner aktuellen Form abgelehnt werdenâ solle.
Das Factsheet, das wir im |Original (PDF)| und als |Volltext| veröffentlichen, kritisiert unter anderem, dass biometrische Daten von Asylsuchenden in Zukunft mit Daten aus dem Internet abgeglichen werden dĂŒrften. âDies stellt einen massiven Eingriff in das Recht auf Datenschutz darâ und verstoĂe gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), schreibt die AG Migration. Ein solcher Abgleich könne als âverdachtsloses und willkĂŒrliches Auslesen personenbezogener Daten gewertet werdenâ.
|So will die Bundesregierung Asyl- und Polizeigesetze verschÀrfen|
Kritisiert werden auch neue Regelungen, die Reisen von GeflĂŒchteten in ihr Herkunftsland als freiwillige RĂŒckkehr werten. Dies stĂŒnde im Widerspruch zur Genfer FlĂŒchtlingskonvention. Auch kritisiert die AG, dass das Gesetz vorsieht, GeflĂŒchteten ihre Leistungen zu streichen, wenn das Asylverfahren in einem anderen Mitgliedsland der EU bearbeitet werde. Das widerspreche den europĂ€ischen Vorgaben zur Aufnahme von Asylsuchenden und könne dazu fĂŒhren, dass vulnerable Gruppen in die Obdachlosigkeit und in prekĂ€re LebensumstĂ€nde gedrĂ€ngt werden.
Insgesamt bewertet die AG Migration die geplanten GesetzesĂ€nderungen so, dass diese zu einer Stigmatisierung und Ausgrenzung von Asylsuchenden fĂŒhren und in die MenschenwĂŒrde der Betroffenen eingreifen wĂŒrden. Das Sicherheitspaket sei âaus rechtlicher und sozialer Perspektive bedenklichâ und solle deshalb in der aktuellen Form abgelehnt werden, heiĂt es weiter.
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Hier das Dokument
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Rechtswidrigkeit des Gesetzesentwurfs zur Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems
Der vorliegende Gesetzesentwurf, der eine umfassende Reform des Asyl- und Aufenthaltsrechts vorsieht, wirft erhebliche verfassungs- und europarechtliche Bedenken auf. Die vorgeschlagenen Regelungen sind nicht nur rechtlich fragwĂŒrdig, sie stehen auch im Widerspruch zu den sozialdemokratischen Werten von Gerechtigkeit, SolidaritĂ€t und MenschenwĂŒrde. Dieses Faktenpapier beleuchtet die wesentlichen Punkte, die die Rechtswidrigkeit des Entwurfs belegen, und argumentiert, warum diese Regelungen mit den sozialdemokratischen GrundsĂ€tzen unvereinbar sind.
1. Biometrischer Abgleich mit Internetdaten (§ 15b AsylG-E)
Geplant ist eine Befugnis, biometrische Daten von Asylsuchenden mit öffentlich zugĂ€nglichen Daten aus dem Internet abzugleichen. Dies stellt einen massiven Eingriff in das Recht auf Datenschutz dar. Die Regelung verstöĂt gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), die eine strenge Regelung fĂŒr die Verarbeitung solch sensibler Daten vorsieht. Die Verwendung von Gesichtsbildern fĂŒr einen derart umfassenden Abgleich ist nicht nur unverhĂ€ltnismĂ€Ăig, sondern auch rechtlich nicht zulĂ€ssig. Die Grenzen des Datenschutzes werden damit ĂŒberschritten. Ein solches Vorgehen könnte als verdachtsloses und willkĂŒrliches Auslesen personenbezogener Daten gewertet werden, was den europĂ€ischen Datenschutzstandards widerspricht.
2. Neue Regelvermutung im Widerrufsverfahren (§ 73 Abs. 1 S. 3 AsylG-E)
Die EinfĂŒhrung einer Vermutungsregel, die Reisen in das Herkunftsland als freiwillige RĂŒckkehr unterstellt, gefĂ€hrdet die Rechte von GeflĂŒchteten. Sie steht zudem im Widerspruch zur Genfer FlĂŒchtlingskonvention. Diese Regelung könnte dazu fĂŒhren, dass Asylsuchende in ihrer Rechtsstellung willkĂŒrlich eingeschrĂ€nkt werden, ohne dass individuelle UmstĂ€nde ausreichend berĂŒcksichtigt werden. Die Unschuldsvermutung und der Schutz von GeflĂŒchteten vor Verfolgung sind zentrale Elemente des Asylrechts â und unserer gesamten Rechtsordnung, die hier untergraben werden. DarĂŒber hinaus werden die ohnehin ĂŒberlasteten KapazitĂ€ten des BAMF und der AuslĂ€nderbehörden weiter strapaziert. Eine vertrauensvolle Kooperation zwischen Behörde und Hilfesuchenden wird durch Angst und Unsicherheit getrĂŒbt.
3. Erweiterung des Ausweisungsinteresses (§ 54 AufenthG-E)
Die Ausweitung der GrĂŒnde fĂŒr ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse, bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von nur sechs Monaten, ist unverhĂ€ltnismĂ€Ăig und gefĂ€hrdet den rechtlichen Schutz von Migrant*innen. Diese Regelung könnte dazu fĂŒhren, dass Menschen, die bereits ein straffreies Leben fĂŒhren, aus dem Land ausgewiesen werden â und das ohne angemessene BerĂŒcksichtigung ihrer individuellen UmstĂ€nde und ihrer Integration in die Gesellschaft
4. Ausschluss von Asylberechtigung (§ 60 Abs. 8a AufenthG-E)
Der geplante Ausschluss von Asylberechtigung bei bestimmten Straftaten, ohne BerĂŒcksichtigung der EinzelfallumstĂ€nde, verstöĂt gegen die Rechtsprechung des EuropĂ€ischen Gerichtshofs. Jeder Ausschluss sollte auf einer umfassenden EinzelfallprĂŒfung basieren. Die pauschale Absenkung der Anforderungen an den Ausschluss hĂ€lt diesem Grundsatz nicht stand. Vielmehr gefĂ€hrdet sie die Rechte von Asylsuchenden und widerspricht dem Prinzip der VerhĂ€ltnismĂ€Ăigkeit.
5. Leistungsausschluss fĂŒr Asylsuchende (§ 1 Abs. 4 AsylbLG-E)
Die vorgesehenen LeistungseinschrĂ€nkungen fĂŒr Asylsuchende, deren Verfahren in einem anderen Mitgliedstaat bearbeitet werden, widersprechen den europĂ€ischen Vorgaben zur Aufnahme von Asylsuchenden. Der vollstĂ€ndige Ausschluss von Leistungen könnte dazu fĂŒhren, dass vulnerable Gruppen in die Obdachlosigkeit und in prekĂ€re LebensumstĂ€nde gedrĂ€ngt werden. Dass damit der staatlichen Pflicht zur Wahrung der MenschenwĂŒrde ausreichend Rechnung getragen wird, ist mindestens fraglich.
Die sozialdemokratische Grundphilosophie setzt sich fĂŒr Gerechtigkeit, Gleichheit und die Wahrung der MenschenwĂŒrde ein. Der vorliegende Gesetzesentwurf verletzt diese Grundwerte in mehrfacher Hinsicht:
MenschenwĂŒrde: Die vorgeschlagenen MaĂnahmen greifen in die MenschenwĂŒrde der Betroffenen ein, indem sie deren Rechte und Freiheiten ohne angemessene rechtliche Grundlage und ohne BerĂŒcksichtigung individueller UmstĂ€nde massiv und unverhĂ€ltnismĂ€Ăig einschrĂ€nken.
SolidaritĂ€t: Die angestrebten Regelungen fĂŒhren zu einer Stigmatisierung und Ausgrenzung von Migrant*innen und Asylsuchenden. Dies widerspricht dem Prinzip der SolidaritĂ€t, das in der sozialdemokratischen Bewegung verankert ist.
Gerechtigkeit: Der Entwurf schafft ein systematisches Ungleichgewicht, indem er die Rechte von Asylsuchenden und Migrant*innen unverhĂ€ltnismĂ€Ăig einschrĂ€nkt.
Der Gesetzentwurf zur sogenannten Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems ist aus rechtlicher und sozialer Perspektive bedenklich. Die vorgesehenen Regelungen verletzen sowohl nationale als auch europĂ€ische Rechtsstandards und stehen im Widerspruch zu den sozialdemokratischen Werten von Gerechtigkeit, SolidaritĂ€t und MenschenwĂŒrde. Daher sollte der Entwurf kritisch hinterfragt und in seiner aktuellen Form abgelehnt werden.
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|anlasslosen Polizeikontrollen|
|von SachverstÀndigen kritisiert|
|auch aus den Reihen der Regierungsparteien selbst|
|offenen Brief gegen das Vorhaben lanciert|
|Arbeitsgemeinschaft Migration & Vielfalt|
|So will die Bundesregierung Asyl- und Polizeigesetze verschÀrfen|
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Fri, 27 Sep 2024 09:32:03 +0000
Anna Biselli
Ein neuer Anlauf fĂŒr die Vorratsdatenspeicherung, gestartet aus Hessen, war im Bundesrat erfolgreich. Nun geht der Gesetzentwurf in den Bundestag. Beim Thema Quick Freeze, der grundrechtsschonenden Alternative, bewegt sich derweil wenig.
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung mit einer Mehrheit einen Gesetzentwurf gebilligt, der die Vorratsdatenspeicherung fĂŒr IP-Adressen einfĂŒhren soll. Das schwarz-rot regierte Bundesland Hessen brachte das |âGesetz zur EinfĂŒhrung einer Mindestspeicherung von IP-Adressen fĂŒr die BekĂ€mpfung schwerer KriminalitĂ€tâ| in die LĂ€nderkammer ein. Es geht dabei um eine anlasslose Speicherung von IP-Adressen ĂŒber den Zeitraum eines Monats. Nun muss sich der Bundestag mit dem Entwurf beschĂ€ftigen.
Auf Bundesebene gibt es seit Monaten Streit um das Thema. WĂ€hrend FDP-Justizminister Marco Buschmann im April verkĂŒndete, man habe sich |auf ein Quick-Freeze-Verfahren geeinigt|, erteilte das SPD-gefĂŒhrte Innenministerium unter Nancy Faeser dem Verzicht auf eine Vorratsdatenspeicherung |wenig spĂ€ter eine Absage|. Seitdem lĂ€sst sich im Bund wenig Bewegung erkennen.
Der Quick-Freeze-Ansatz sieht vor, dass Informationen zu IP-Adressen anlassbezogen bei den Anbietern âeingefrorenâ werden, wenn der Verdacht auf eine erhebliche Straftat besteht, fĂŒr die diese Daten relevant sein könnten. Dieser als grundrechtsschonender geltende Ansatz wird jedoch im Bundesratsentwurf ausdrĂŒcklich abgelehnt.
Auch in den Reden vor der Abstimmung der LĂ€nder behauptete etwa der hessische MinisterprĂ€sident Boris Rhein (CDU), Quick Freeze sei ânicht der kleinste gemeinsame Nennerâ, sondern âEtikettenschwindelâ und âAugenwischereiâ. Daten, die nicht da seien, könnten auch nicht eingefroren werden. Sein sĂ€chsischer Parteikollege Armin Schuster, der dort Innenminister ist, stimmte in Rheins Lied ein und bezeichnete Quick Freeze als âScheinlösungâ.
Dabei speichern Telekommunikationsanbieter derartige Daten oftmals durchaus fĂŒr mehrere Tage. Sie benötigen sie teils fĂŒr eigene Zwecke, etwa um Störungen zu erkennen und zu beheben.
WĂ€hrend Rhein den Gesetzentwurf vor allem mit Straftaten im Bereich sexualisierte Gewalt gegen MinderjĂ€hrige begrĂŒndete, verwies Schuster hauptsĂ€chlich auf TerrorismusbekĂ€mpfung. Es selbst kĂ€mpfe seit 15 Jahren fĂŒr die Vorratsdatenspeicherung. Offenbar hat er nun die Hoffnung, dass der hessische Vorratsdatenspeicherungsvorschlag noch Eingang in das sogenannte Sicherheitspaket finden kann, das derzeit im Bundestag kontrovers diskutiert wird. Ohne die Vorratsdaten, so Schuster, sei das Sicherheitspaket seiner Auffassung nach ânur ein Brief.â
Ob sich der Entwurf im Parlament durchsetzen kann, ist zweifelhaft. Bisher lehnten sowohl FDP als auch GrĂŒne im Bund die MaĂnahme ab und verwiesen auf die Quick-Freeze-Alternative. âEine Dauerdebatte ĂŒber die Vorratsdatenspeicherung ist seit der Einigung innerhalb der Bundesregierung zum Quick-Freeze-Verfahren hinfĂ€lligâ, sagte der innenpolitische Sprecher der Liberalen, Manuel Höferlin, |gegenĂŒber dem Handelsblatt|. Auch grĂŒne Innenpolitiker wie Konstantin von Notz hatten die Wahl von Quick Freeze immer wieder verteidigt.
Doch nicht in allen LĂ€ndern mit grĂŒner Regierungsbeteiligung scheint diese Haltung zu bestehen. So |Ă€uĂerte der grĂŒne NRW-Justizminister Benjamin Limbach|: âBei schweren Straftaten mĂŒssen wir die AnonymitĂ€t des Internets knacken.â
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|auf ein Quick-Freeze-Verfahren geeinigt|
|Ă€uĂerte der grĂŒne NRW-Justizminister Benjamin Limbach|
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Thu, 26 Sep 2024 13:12:06 +0000
Martin Schwarzbeck
Louisa Specht-Riemenschneider, Datenschutzbeauftragte des Bundes, hat im Digitalausschuss des Bundestages ihr Programm fĂŒr die nĂ€chsten Jahre prĂ€sentiert â und Fragen zum Ăberwachungspaket der Bundesregierung beantwortet. Die Sitzung lĂ€sst erahnen, welche Schwerpunkte ihre Behörde setzen wird.
Gesundheit, KI und Sicherheit, das sind die Themen, die Louisa Specht-Riemenschneider in ihrer Arbeit als |Bundesbeauftragte fĂŒr Datenschutz und Informationsfreiheit| in den Vordergrund stellen möchte. Am 3. September trat sie ihr Amt an, gestern hat sie sich und ihre Positionen im Digitalausschuss des Bundestages vorgestellt.
Specht-Riemenschneider sagt, der Datenschutz wĂŒrde aktuell eher als Belastung denn als Schutzinstrument wahrgenommen. Er habe ein âAkzeptanzproblemâ. Der Grund: âDie |Datenschutz-Grundverordnung| ist noch sehr jung und enthĂ€lt viele Rechtsbegriffe, die man auslegen muss.â Es gĂ€be zunehmend höchstrichterliche Rechtsprechung dazu, aber noch keine umfassende. âIch kann die unbestimmten Rechtsbegriffe nicht aus der DSGVO herauszaubernâ, sagt sie.
Zudem sei die nötige AbwĂ€gung aller EinzelfallumstĂ€nde untauglich fĂŒr massenhafte DatenverarbeitungsvorgĂ€nge wie KI-Trainings. âDer Gesetzgeber muss klar definieren, fĂŒr welche Zwecke Datenverarbeitungen zulĂ€ssig sein sollenâ, fordert Specht-Riemenschneider.
Specht-Riemenschneider sagt, sie stehe fĂŒr die Vereinbarkeit von Datenschutz und Digitalisierung. Dabei sieht sie aber rote Linien: Das informationelle Selbstbestimmungsrecht mĂŒsse auf jeden Fall eingehalten werden. Jede Verarbeitung personenbezogener Daten sei ein Grundrechtseingriff. Ob der zu rechtfertigen ist, hĂ€nge davon ab, wie tief der Eingriff sei.
Dabei bezieht sich Specht-Riemenschneider auch auf das von der Ampel-Regierung geplante |Ăberwachungspaket|. Das erlaube weitreichende Grundrechtseingriffe schon anlĂ€sslich von WohnungseinbrĂŒchen, greife auch die PrivatsphĂ€re von Zeugen an. âDas sind Bereiche in die wir nicht gehen können und niemals gehen solltenâ, sagt sie. âNiemand will den Polizeien und Sicherheitsbehörden dringend benötigte Befugnisse nehmen. Aber was ĂŒber die Verfassungsgrenze hinausgeht, geht einfach nicht.â
Zu einer möglichen Vorratsdatenspeicherung sagt Specht-Riemenschneider, dass das |EuGH-Urteil aus dem April| diese grundsĂ€tzlich erlaube, wenn sie verschiedene Kategorien persönlicher Daten ausreichend trenne und auf den absolut erforderlichen Zeitraum beschrĂ€nkt sei. Bei der Ausgestaltung dieses Spielraums bestĂŒnde allerdings die Gefahr, âdass man in die Verfassungsfeindlichkeit lĂ€uft.â Die Speicherung persönlicher Daten kann laut Specht-Riemenschneider zudem âein DauergefĂŒhl der Ăberwachung in der Bevölkerung schaffenâ. Sie bittet, diese Tatsache in den politischen Dialog einzubeziehen.
Zudem Ă€uĂert sie den Wunsch, dass ihre Behörde frĂŒher in Entscheidungsprozesse eingebunden wird. âDann machen Sie Gesetze, an denen wir am Ende nicht so viel rummeckern mĂŒssen.â Datenschutz sei kein Innovationsverhinderer, âwenn wir ihn von Anfang an ordentlich mitdenken.â
Ein |Transparenzgesetz| hielte Specht-Riemenschneider fĂŒr âein tolles Signalâ. Die Informationsfreiheit gehöre allerdings nicht zu ihren Schwerpunkten, sagt die Bundesbeauftragte fĂŒr Datenschutz und Informationsfreiheit.
Bei der |Chatkontrolle| hĂ€lt Specht-Riemenschneider es fĂŒr âhöchst fragwĂŒrdigâ, ob diese zur Zielerreichung â den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt im Netz â ĂŒberhaupt geeignet sei. Sie könne deshalb nicht ernsthaft in ErwĂ€gung gezogen werden.
Die |Ăbermittlung von Standortdaten von Telefonen anhand der Werbe-ID| hat Specht-Riemenschneider, so sagt sie, âin den letzten drei Monaten Tag und Nacht beschĂ€ftigt.â Sie fordert ein Gesetz, das Databroker adressiert, die solche Daten sammeln. Die seinen bislang nĂ€mlich datenschutzrechtlich noch nicht angreifbar.
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|Bundesbeauftragte fĂŒr Datenschutz und Informationsfreiheit|
|Ăbermittlung von Standortdaten von Telefonen anhand der Werbe-ID|
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Thu, 26 Sep 2024 11:33:52 +0000
Markus Reuter
Möglichst schnell wollte die Regierung VerschĂ€rfungen der Asyl- und Polizeigesetze durch den Bundestag bringen. Daraus wird nun nichts. Fachleute und auch Abgeordnete aus den Fraktionen selbst ĂŒben heftige Kritik.
Schnell sollte es eigentlich gehen mit dem sogenannten Sicherheitspaket der Bundesregierung. Das wĂŒnschte sich im Bundestag zuletzt jedoch offenbar vor allem |die CDU-/CSU-Fraktion| in der Opposition. Am Montag zeichnete sich ab, dass daraus wohl nichts wird. In einer |Anhörung im Innenausschuss| Ă€uĂerten die geladenen Expert:innen harsche Kritik an den Vorhaben. Und auch aus den Fraktionen regte sich darauf Widerstand.
âWas mich stört, ist die Wortwahl, die von der Bundesregierung, insbesondere unserer Innenministerin, genutzt wirdâ, sagt die SPD-Abgeordnete Nadja Shtamer. âSie fĂŒhrt die Debatte auf eine Art und Weise, die in meinen Augen nicht zielfĂŒhrend istâ, sagt die Abgeordnete aus Leipzig. âEs darf nicht sein, dass die Entscheidungen der aktuellen Bundesregierung von einem möglichen Kanzlerkandidaten der gröĂten Oppositionsfraktion beeinflusst werdenâ, sagt Shtamer. âWir mĂŒssen eigenstĂ€ndig und verantwortungsvoll handeln.â
Ein GroĂteil der MaĂnahmen aus dem âSicherheitspaketâ geht auf Forderungen aus dem von Nancy Faeser (SPD) gefĂŒhrten Innenministerium zurĂŒck. Sie und auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) haben nach dem Anschlag von Solingen immer wieder einen Zusammenhang zwischen TerrorbekĂ€mpfung und einer hĂ€rteren Asylpolitik hergestellt. Der mutmaĂliche AttentĂ€ter ist ein 26-jĂ€hriger Syrer, dessen Abschiebung nach Bulgarien im vergangenen Jahr gescheitert war.
Sthamer ist nicht allein. Bereits am Dienstag haben Sozialdemokrat:innen |einen offenen Brief veröffentlicht|, in dem sie die StoĂrichtung im âSicherheitspaketâ und die Rhetorik der Parteispitze hart angehen. Die Partei beteilige sich an einem âDiskurs der Stigmatisierung und Ausgrenzungâ und normalisiere die Sprache der Rechten. Sie mĂŒsse sich wieder auf ihre Grundwerte besinnen.
Unter den Initiator:innen waren neben Shtamer vier weitere Bundestagsabgeordnete, darunter Dirk-Ulrich Mende, der sich der Kritik anschlieĂt. âAktuell habe ich den Eindruck, dass das Dauerfeuer von Hass und Hetze gegen GeflĂŒchtete durch die AfD und â von dieser kaum unterscheidbar â von CDU Merz und CSU Söder auch bei der SPD-Spuren hinterlassen hat und wir unsere sozialdemokratische, wertebasierte Politik mit dem Sicherheitspaket mit einigen MaĂnahmen verlassen habenâ, sagt Mende.
âEin absolut zu verurteilender Terrorangriff wird nun auch von uns mit einer VerschĂ€rfung der Asylregeln und damit mit dem Generalverdacht gegen Menschen, die auf der Flucht sind, beantwortet. Dieser Schritt ist mit meinem VerstĂ€ndnis von Rechtsstaatlichkeit nicht vereinbarâ, so Mende weitere. Andere SPD-Bundestagsabgeordnete, mit denen netzpolitik.org gesprochen hat, sehen das Ă€hnlich.
Einzelne MaĂnahmen aus dem Paket hĂ€lt Mende schlicht fĂŒr nicht wirksam. Das fĂŒhre nur zu weiterem Frust mit der Regierung, was wiederum âauf das Konto der Rechten einzahlen wirdâ. Andere MaĂnahmen hĂ€lt er fĂŒr verfassungswidrig. âDie auch in der Anhörung deutlich gewordenen rechtlichen Bedenken hinsichtlich der VerfassungsmĂ€Ăigkeit und der VerhĂ€ltnismĂ€Ăigkeit der Regelungen, insbesondere zu den KI-gestĂŒtzten ĂberprĂŒfungen, mĂŒssen ausgerĂ€umt werden.â
LeistungskĂŒrzungen aus migrationspolitischen ErwĂ€gungen seien nicht nur rechtlich problematisch, sondern auch unvereinbar mit den sozialdemokratischen Grundwerten, sagt Mende. âEine humane Asylpolitik muss nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtes auch Asylbewerber:innen die notwendigen Mittel fĂŒr ein Existenzminimum zubilligen. Das soll fĂŒr bestimmte FĂ€lle aufgehoben werden. Ich halte das aus den unterschiedlichsten GrĂŒnden fĂŒr fatal und im Widerspruch zu unseren sozialdemokratischen Werten und meiner Vorstellung von MenschenwĂŒrde. Wir zwingen diese Menschen im Grunde dazu, âauf der StraĂeâ zu leben.â
Mende, der nicht im zustĂ€ndigen Innenausschuss sitzt, sagt, er habe schlicht keine Möglichkeit gesehen, seine Kritik innerhalb der Fraktion anzubringen. Es sei zu schnell gegangen. Nach der Veröffentlichung des Briefes am Dienstag, sagt Wiese, habe die Fraktion allerdings eine kritische Debatte gefĂŒhrt. Diese werde nun fortgesetzt.
Die Abgeordnete Annika Klose hat den Brief ebenfalls angestoĂen. âIch erlebe bei vielen Mitgliedern, aber auch bei Menschen aus meinem Wahlkreis, groĂes UnverstĂ€ndnis und Wut darĂŒber, dass die Bundesregierung mit den Grenzkontrollen und LeistungsausschlĂŒssen fĂŒr Asylbewerber:innen Forderungen umsetzt, von denen wir uns bisher immer klar abgegrenzt habenâ, sagt sie. Die Grundwerte der SPD seien Freiheit, Gleichheit und SolidaritĂ€t. âDas macht auch an den Landesgrenzen nicht Halt und unterscheidet nicht nach PĂ€ssen.â
âDas gröĂte Problem ist die grundsĂ€tzliche Richtung, die wir einschlagen: es passiert ein furchtbares, islamistisches Attentat. Aber statt alles zur BekĂ€mpfung des Islamismus zu tun, diskutieren wir ĂŒber Migration und Flucht. Das finde ich den falschen Ansatz.â Radikalisierung beginne nicht an den Grenzen, sondern in den Köpfen. âWir brauchen endlich das Demokratie-Fördergesetz, eine gute Finanzierung von Jugendarbeit und von politischer Bildung, Möglichkeiten der sozialen Teilhabe ĂŒber Bildung und gute Arbeit. PrĂ€vention schafft Sicherheit, auch wenn sie nicht so sehr glĂ€nzt.â
|So will die Bundesregierung Asyl- und Polizeigesetze verschÀrfen|
âDie Gesetze aus dem Sicherheitspaket sind aus digitalpolitischer Sicht gelinde gesagt verbesserungsbedĂŒrftigâ, sagt auch ihre SPD-Mitabgeordnete Anna Kassautzki. Mit Blick auf die PlĂ€ne, dem Bundeskriminalamt auch die biometrische Fahndung im Internet und Big-Data-Analysen zu erlauben, sagt sie: âEs gibt Stand jetzt keine Verfahren am Markt, die Grundrechts- und Datenschutzkonform, geschweige denn konform mit dem AI Act oder dem Koalitionsvertrag die beschriebenen Aufgaben lösen wĂŒrden. Trotzdem sollen hier Befugnisse geschaffen werden, ohne zu spezifizieren, wie genau.â
Die Ampel hatte in ihrem Koalitionsvertrag geschrieben: âFlĂ€chendeckende VideoĂŒberwachung und den Einsatz von biometrischer Erfassung zu Ăberwachungszwecken lehnen wir ab.â Der frisch verabschiedete AI Act der EuropĂ€ischen Union| verbietet es auĂerdem|, Gesichtsbilder aus dem Internet zu sammeln, um damit biometrische Suchmaschinen zu fĂŒttern â genau diese biometrische Suche im Netz soll dem BKA und dem Bundesamt fĂŒr Migration und FlĂŒchtlinge laut âSicherheitspaketâ erlaubt werden.
âAls sozialdemokratische Digitalpolitikerin Ă€rgert es mich schon lange, dass stĂ€ndig so getan wird, als ob Technik und âkĂŒnstliche Intelligenzâ plötzlich alle unsere gesellschaftlichen Probleme lösen wĂŒrdenâ, sagt Kassautzki. In den Kommunen und Behörden fehle es an digitaler Basis-Infrastruktur, an Integrationshilfen und prĂ€ventiver ExtremismusbekĂ€mpfung. âWas wir eigentlich brauchen, ist die bessere UnterstĂŒtzung der Kommunen bei diesen Aufgaben, bezahlbarer Wohnraum oder gute Schulen und Kitas, und das werden nicht durch das Hochziehen von Grenzen oder eine KI-Datenbank erreichen.â
Trotz dieser Kritik hĂ€lt die Fraktionsspitze der SPD weiter daran fest, die EntwĂŒrfe zĂŒgig durchzubringen. Nach der Expertenanhörung am Montag sagte Fraktionsvize Dirk Wiese, seine Fraktion werde die Kritik nun mit den Koalitionspartnern auswerten. âHier geht GrĂŒndlichkeit vor Schnelligkeit.â Ziel sei aber weiterhin, âdass wir das Paket so schnell wie möglich beschlieĂen werdenâ.
|In der Anhörung im Innenausschuss| am Montag hatten Fachleute die geplanten MaĂnahmen aus den GesetzentwĂŒrfen teils sehr scharf kritisiert. Die geplante Ausweitung der Befugnisse fĂŒr Ermittlungsbehörden nannte der Jurist Dennis-Kenji Kipker einen âsicherheitsbehördlichen Daten-Supergauâ. Die VorschlĂ€ge ĂŒbertrĂ€fen alles, was es bisher im Bereich der digitalen Ăberwachung gegeben habe.
Mehrere Fachleute wiesen darauf hin, dass die PlĂ€ne nicht mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts oder mit Europarecht vereinbar seien, so etwa die Streichung der Sozialleistungen fĂŒr bestimmte GeflĂŒchtete. Die neue Bundesdatenschutzbeauftragte Louisa Specht-Riemenschneider kritisierte, ihr Haus sei bei der Erstellung der Vorlagen nicht mal einbezogen worden. Sie warnte davor, ĂŒbereilt Befugnisse fĂŒr âgrundrechtsintensive MaĂnahmenâ wie biometrische Erkennung zu schaffen.
Bei den GrĂŒnen hat man auch deswegen wenig Interesse daran, die MaĂnahmen schnell durchzubringen. Fraktions-Vize Konstantin von Notz sagt: âAls grĂŒne Bundestagsfraktion haben wir von vornherein gesagt, dass es mit Blick auf die zahlreichen, tiefgehenden europa- und verfassungsrechtlichen Fragen, die sich mit Blick auf die Vorlage der Bundesregierung stellen, Aufgabe des Parlaments ist, sich die notwendige Zeit zu nehmen, die es braucht, um all diese offenen Fragen im weiteren Gesetzgebungsprozess intensiv zu beleuchten.â
Die Anhörung am Montag habe gezeigt, âwie groĂ die Fragezeichen mit Blick auf die Vorlage sindâ. Die vielen noch zu klĂ€renden Fragen wĂŒrden nun im Rahmen der GesprĂ€che zwischen den Fraktionen und den Ministerien erörtert.
An das Ministerium von Nancy Faeser gerichtet sagt von Notz: âDas Bundesinnenministerium ist in der Pflicht, die Vorlage an zahlreichen Stellen nachzubessern. Hierbei mĂŒssen nicht nur europarechtliche Vorgaben, sondern auch die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zwingend Beachtung finden.â Anfang Oktober wird ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum unter der GroĂen Koalition reformierten BKA-Gesetz erwartet.
Auch die GrĂŒnen-Innenpolitikerin Irene Mihalic betont, dass es darum geht, das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum BKA-Gesetz nĂ€chste Woche abzuwarten. âEs wĂ€re nicht gut, wenn wir im Bundestag ein Gesetz beschlieĂen, dass kurz danach wieder verĂ€ndert oder gar in Teilen zurĂŒckgezogen werden muss.â
âFast alle SachverstĂ€ndigen haben mit unterschiedlichen Schwerpunkten vermittelt, dass das Sicherheitspaket so noch nicht verabschiedet werden sollteâ, sagt Mihalic. âSie haben uns als Koalitionsfraktionen noch einmal Hausaufgaben mitgegeben, die wir akribisch erledigen sollten.â
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|einen offenen Brief veröffentlicht|
|So will die Bundesregierung Asyl- und Polizeigesetze verschÀrfen|
|In der Anhörung im Innenausschuss|
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Thu, 26 Sep 2024 11:08:34 +0000
Markus Reuter
Der Chaos Computer Club lĂ€dt zum 38. Mal zu einem der gröĂten Kongresse von Hacker:innen aus der ganzen Welt. In diesem Jahr gibt sich der CCC kĂ€mpferisch und ruft zum technischen Widerstand gegen das Abgleiten Europas in Ăberwachungs- und Repressionsgesellschaften auf.
Ende Dezember lĂ€dt der Chaos Computer Club unter dem Motto âIllegal Instructionsâ zum 38. Chaos Communication Congress nach Hamburg. Die Kongresse des CCC locken jedes Jahr tausende Menschen aus der ganzen Welt in der Zeit zwischen Weihnachten und Silvester in das Hamburger Kongresszentrum. In der |AnkĂŒndigung| nimmt der Hacker:innenverein in scharfen Worten Stellung zur aktuellen politischen Lage:
Die Zeichen stehen auf Sturm. Die politischen und rechtlichen BemĂŒhungen, das Abgleiten Europas in fragmentierte, unfreundliche Ăberwachungs- und Repressionsgesellschaften zu verhindern, werden immer weniger wirksam und nachhaltig.
Es sei an der Zeit, sich wieder auf gute Traditionen zu besinnen, so der Club: âTechnischer Widerstand gegen Ăberwachung, Vermessung, Datenschnorcheln und Infiltration ist dabei eine der notwendigen Komponenten. In diesem Sinne wird der 38. Chaos Communication Congress unter dem Motto âIllegal Instructionsâ einen verstĂ€rkten Fokus darauf legen, wie wir menschenfeindliche Technologien durch Illegal Instructions ĂŒberlisten können.â
Eingeladen sind laut dem CCC âalle demokratisch gesinnten Lebensformenâ. Neben VortrĂ€gen, Workshops und Lightning Talks erwartet die GĂ€ste ein umfangreiches Kunst- und Kulturprogramm. DarĂŒber hinaus soll es viel Platz fĂŒr die Community in Assemblies geben. Hierbei solle ausgelotet werden, âwie wir mittels Illegal Instructions Sand ins Getriebe der digitalkapitalistischen Ăberwachungsmaschinerie streuen können.â Der Kongress versteht sich als âriesiger selbstgestalteter Freiraumâ, dessen Kern die von ĂŒber einhundert komplett selbstorganisierten Gruppen auf die Beine gestellten Assemblies sind, in den KĂŒnstler:innen und Kulturorganisator:innen zusammen mit Hacker:innen und Aktivist:innen die Köpfe zusammenstecken.
Ab Anfang Oktober können Interessierte in einem Call for Participation ihre BeitrĂ€ge zum Kongress einreichen und so das Programm mitgestalten. Das Vortragsprogramm wird rund 120 kuratierte VortrĂ€ge beinhalten, von denen ein GroĂteil gestreamt und spĂ€ter im |Videoarchiv| bereitgestellt wird. Informationen zur Anreise, zu Tickets und zur Veranstaltung und alle weiteren organisatorischen Details sind im |Veranstaltungsblog| des CCC zu finden.
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Thu, 26 Sep 2024 10:07:41 +0000
Anna Biselli
WĂ€hrend die Parteien im Bundestag ĂŒber das sogenannte Sicherheitspaket diskutieren, hat die baden-wĂŒrttembergische Landesregierung ihre Vorstellung von MaĂnahmen vorgelegt. Auch dabei geht es um automatisierte Datenauswertung und eine restriktive Migrationspolitik.
In den vergangenen Tagen riss die Kritk am âSicherheitspaketâ der Bundesregierung nicht ab. Nach einer |SachverstĂ€ndigenanhörung im Bundestag| meldeten die Ampelparteien |Ănderungsbedarf an|. Das Konglomerat aus AsylrechtsverschĂ€rfungen, ĂberwachungsmaĂnahmen und FreiheitseinschrĂ€nkungen erzĂŒrnt viele. WĂ€hrenddessen hat die baden-wĂŒrttembergische Landesregierung jetzt |ihr eigenes Paket geschnĂŒrt|, das am Dienstag der Ministerrat verabschiedet hat.
Der Plan aus dem grĂŒn-schwarz regierten Bundesland |besteht aus 31 MaĂnahmen|. Einige davon beziehen sich auf Bundesgesetze, zu denen die Landesregierung Bundesratsinitiativen einbringen will. Andere werden erst den Landtag passieren mĂŒssen.
So soll etwa der Landesverfassungsschutz im Haushaltsentwurf fĂŒr die kommenden zwei Jahre mehr Stellen bekommen und auĂerdem mit sogenannter KĂŒnstlicher Intelligenz das Internet beobachten. KI soll es auch fĂŒr die Polizei geben, in Form der Recherche- und Analyseplattform VeRA. Dieses Palantir-Produkt wird seit Kurzem |in Bayern eingesetzt|, begleitet von deutlichem Protest von Datenschutzfachleuten und Opposition.
Mehr Automatisierung wĂŒnscht sich die Landesregierung auch bei der Auswertung von Videomaterial. Die Polizei soll Lizenzen fĂŒr Software kaufen, um in Aufnahmen Gesichter und GegenstĂ€nde wie Waffen und Fahrzeuge zu erkennen. Auch Kennzeichenlesesysteme sollen ausgerollt werden. Bei der Live-VideoĂŒberwachung heiĂt es jedoch: âDie rechtlichen Voraussetzungen zur Detektion von GegenstĂ€nden sind zu gegebenem Zeitpunkt gesondert zu prĂŒfen.â Wie im Bundespaket auch will das Land Waffen- und Messerverbotszonen sowie damit verbundene Kontrollen und schnellere Abschiebungen.
Der letzte Teil des baden-wĂŒrttembergischen Regierungsvorschlags beschĂ€ftigt sich mit PrĂ€ventionsmöglichkeiten. DafĂŒr sollen etwa mobile Beratungsteams in GeflĂŒchtetenunterkĂŒnften prĂ€sent sein, an den Schulen sollen ExtremismusprĂ€ventionsangebote sowie Demokratiebildung ausgebaut werden und Integrationsmanager in den Kommunen sollen GeflĂŒchtete begleiteten.
Die grĂŒne Landtagsfraktion begrĂŒĂte offiziell die VorschlĂ€ge der Minister:innen. Der Fraktionsvorsitzende Andreas Schwarz bezeichnete sie als ârobuste Antwort auf die Gefahren unserer Zeitâ. Laut Medienberichten hatte es jedoch |in der Fraktionssitzung Kritik gegeben|.
Der CDU-Fraktionschef Manuel Hagel sagte: âWir Christdemokraten sind Pragmatiker. Wenn sich die Sicherheitslage verĂ€ndert, muss sich auch die Sicherheitsarchitektur verĂ€ndern. Mit unserem Sicherheitspaket nehmen wir uns dieser Sorgen an und handeln.â Die oppositionelle SPD im Landtag kritisierte hingegen, das Papier enthalte kaum neue MaĂnahmen. Das bezieht sich |beispielsweise auf die Integrationsmanager|, die es bereits seit einiger Zeit gibt.
Inhaltliche Kritik kam vom Landesverband der GrĂŒnen Jugend in Baden-WĂŒrttemberg. Die Sprecher:innen Anne Mann und Elly Reich kritisierten die Vermischung von Migration und Sicherheitspolitik und |sagten dem SWR|: âUm Terror zu bekĂ€mpfen, sollte sich auf effektive MaĂnahmen in diesem Bereich fokussiert werden, statt zu implizieren, dass Migration per se ein Sicherheitsproblem wĂ€re.â
Auf Bundesebene hat unterdessen der Vorstand der GrĂŒnen Jugend geschlossen den |RĂŒcktritt und Austritt aus der Partei |bekanntgegeben. Er kritisierte dabei auch die Migrationspolitik, die die Bundespartei mitmache. Nun wollen die ZurĂŒcktretenden einen |neuen, âdezidiert linken Jugendverbandâ| mit Perspektive auf eine neue Partei grĂŒnden.
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|SachverstÀndigenanhörung im Bundestag|
|ihr eigenes Paket geschnĂŒrt|
|in der Fraktionssitzung Kritik gegeben|
|beispielsweise auf die Integrationsmanager|
|RĂŒcktritt und Austritt aus der Partei |
|neuen, âdezidiert linken Jugendverbandâ|
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Thu, 26 Sep 2024 09:49:28 +0000
Svea Windwehr
Ein Beirat aus Zivilgesellschaft, Forschung und Wirtschaft soll in Deutschland die Durchsetzung des Digital Services Act begleiten. In dieser neuen Kolumne wird Svea Windwehr aus dem Beirat berichten. Und erklÀrt erst einmal, worum es dabei eigentlich geht.
Was haben |sĂŒchtigmachende TikTok-Algorithmen|, |mangelnder Datenzugang fĂŒr Forschende| und ein |Deepfake mit einem slowenischen Politiker| gemeinsam? Sie alle sind Probleme, die der Digital Services Act in den Griff bekommen soll. Der Digital Services Act, kurz DSA, ist eine Verordnung der EuropĂ€ischen Union, die seit etwas mehr als einem Jahr in Kraft ist, und Nutzer*innen von Online-Plattformen zu mehr Rechten im Netz verhelfen soll. Diese gilt es jetzt umzusetzen.
Daran sind mehrere Behörden beteiligt. In Deutschland ist die Bundesnetzagentur dafĂŒr verantwortlich, sie alle zu koordinieren. Sie agiert als Digital Services Coordinator (DSC), auf Deutsch: âKoordinierungsstelle fĂŒr Digitale Diensteâ. Um Perspektiven aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Wirtschaft miteinzubeziehen, wurde der BNetzA in ihrer Rolle als Koordinierungsstelle |ein neuer Beirat| gegeben â der DSC-Beirat.
In diesen Beirat wurde ich im August 2024 als eine von sieben Vertreter*innen der Zivilgesellschaft berufen. Sieben Personen können die DiversitÀt der Zivilgesellschaft nicht abdecken, geschweige denn sie reprÀsentieren. Um etwas Abhilfe zu leisten, Transparenz zu schaffen und so hoffentlich Partizipation zu ermöglichen, werde ich in dieser Kolumne aus der Arbeit des Beirats berichten.
Bevor es aber mit der ersten Sitzung des Beirats losgeht, wagen wir einen kurzen RĂŒckblick darauf, was der DSA ist, was er können soll, und warum das alles relevant ist.
Wie schon erwĂ€hnt, rĂ€umt der DSA Nutzer*innen neue Rechte gegenĂŒber Online-Plattformen ein. Dahinter steckt die Hoffnung, die Machtasymmetrie zwischen Plattformen und Nutzer*innen etwas zu korrigieren. Die Plattformen machen die Regeln, die Nutzer*innen, die sich online bewegen, ausdrĂŒcken und informieren wollen, mĂŒssen sich ihnen unterordnen.
Viele der neuen Rechte haben mit der Moderation von Inhalten zu tun, also MaĂnahmen wie der Entfernung, EinschrĂ€nkung oder Demonetarisierung von Nutzer*innen-Inhalten durch Plattformen. Dazu zĂ€hlt das Recht, ĂŒber solche MaĂnahmen informiert zu werden, sich dagegen zur Wehr zu setzen und Entscheidungen ĂŒberprĂŒfen zu lassen â durch die Plattform, auĂergerichtliche Streitbeilegungsstellen oder vor Gericht. Nutzer*innen mĂŒssen aber auch ĂŒber Ănderungen in den Richtlinien der Plattformen informiert werden, die wiederum europĂ€ische Grundrechte wie die Meinungsfreiheit oder die PrivatsphĂ€re achten und schĂŒtzen mĂŒssen.
DarĂŒber hinaus decken die 93 Artikel des DSA aber noch eine ganze Menge mehr ab: Der DSA regelt, wann Plattformen wie Facebook, X oder YouTube fĂŒr die Inhalte ihrer Nutzer*innen zur Verantwortung gezogen werden können, wie transparent sie darĂŒber sein mĂŒssen, wie sie Inhalte moderieren oder wie ihre Algorithmen funktionieren, wie Kinder und Jugendliche online geschĂŒtzt werden mĂŒssen, und auf Grundlage welcher Daten Werbung personalisiert werden darf.
Nicht fĂŒr alle Plattformen gelten die gleichen Regeln: FĂŒr kleine Plattformen gilt ein Minimum an Pflichten. FĂŒr die gröĂten Plattformen wie Google, Amazon, Meta, TikTok und X gelten die detailliertesten Vorschriften, um ihrer gesellschaftlichen Macht gerecht zu werden.
Der DSA ist also ein kompliziertes Gesetz. Das, man ahnt es schon, macht seine Durchsetzung ebenfalls kompliziert: Alle 27 EU-Mitgliedstaaten mĂŒssen einen sogenannten âDigital Services Coordinatorâ ernennen, um die Umsetzung des DSA zu beaufsichtigen. Allerdings haben die allermeisten der groĂen Plattformen ihren EU-Sitz in Irland â unter ihnen Meta, Google, X, TikTok, Pinterest und LinkedIn.
Um eine Situation wie im Datenschutzrecht zu vermeiden, wo die irische Datenschutzbehörde durch InaktivitĂ€t glĂ€nzt, hat der DSA deswegen eine Besonderheit eingefĂŒhrt: FĂŒr die Durchsetzung der strengsten Regeln fĂŒr die gröĂten Plattformen (genannt Very Large Online Platforms, kurz VLOPs), ist die EuropĂ€ische Kommission selbst zustĂ€ndig. Schon auf der europĂ€ischen Ebene ergibt sich so eine komplexe Gemengelage aus der EuropĂ€ischen Kommission als Super-Aufsicht, Irland als Mitgliedstaat, der fĂŒr die meisten Plattformen zustĂ€ndig ist, und 26 weiteren Mitgliedstaaten. Sie möchten ihre eigenen Vorstellungen, was gute Plattformregulierung betrifft, ebenfalls durchsetzen.
In Deutschland wird es, wie könnte es anders sein, dann noch mal ein wenig umstĂ€ndlicher. Dank des föderalen Systems und der Vielzahl der thematischen Felder, die der DSA berĂŒhrt â von illegalen Inhalten ĂŒber Kinder- und Jugendmedienschutz, Produktsicherheit bis zum Datenschutz â ist eine Vielzahl von Behörden an der Durchsetzung beteiligt. So sollen die Landesmedienanstalten, die Bundesbeauftragte fĂŒr den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI), die Bundeszentrale fĂŒr Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ) sowie Behörden, die aktuell schon aufgrund anderer Regelungen Plattformen beaufsichtigten, in die Durchsetzung des DSA eingebunden werden. Und bei dieser Aufgabe soll ein neu geschaffener Beirat die Koordinierungsstelle unterstĂŒtzen. Kommen wir also zum Beirat â was hat es damit auf sich, und was sind seine Aufgaben?
Die Idee, der Aufsichtsbehörde einen Beirat an die Seite zu stellen, ist keine Vorgabe aus dem Digital Services Act, sondern gewissermaĂen eine deutsche Innovation. Ziel ist es, Perspektiven aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft zu Wort kommen und in die Durchsetzungsarbeit einflieĂen zu lassen. DafĂŒr sind sieben Vertreter*innen aus der Zivilgesellschaft, vier aus der Forschung und weitere drei aus der Wirtschaft |benannt worden|. So weit so gut â was genau sind aber die Befugnisse dieses Beirats? Und was kann er ausrichten?
WÀhrend der ersten Sitzung des Beirats am 18. September im beschaulichen Bonn wurde schnell klar, dass die Arbeit und der Einfluss des Beirats stark von den vorhandenen Ressourcen abhÀngen werden.
Ein massives Problem sind dabei die Stellen, die die Bundesnetzagentur fĂŒr die Durchsetzung des DSA bis jetzt bekommen hat und laut dem Haushaltsplan bis Ende 2025 bekommen soll. Mit 48 eingeplanten Stellen bleiben diese weit hinter den gesetzlich festgeschriebenen 70,6 zurĂŒck. Schon die waren aber, angesichts der vielen Aufgaben der Koordinierungsstelle, niedrig angesetzt. Und mit Blick auf die Bundestagswahl 2025 und die damit verbundenen Herausforderungen von Informationssicherheit bis Desinformation ist klar, dass die Behörde eher vor mehr als weniger Herausforderungen stehen wird. Ein Gesetz ist nur so gut wie seine Durchsetzung, gerade da scheint die Bundesregierung aber sparen zu wollen.
Was der Beirat konkret tun wird, wird also vom Beirat selbst abhÀngen. Das hat positive Seiten und bringt Gestaltungsspielraum mit sich. Gleichzeitig helfen konkrete Aufgaben und Befugnisse aber auch, wichtige Prozesse mitzugestalten, hartnÀckig zu sein und den Finger dorthin zu legen, wo es weh tut. Eine essenzielle Rolle kommt darum der GeschÀftsordnung zu. Die wird sich der Beirat in der nÀchsten Sitzung Ende November geben.
Was auf den ersten Blick nicht trockener klingen könnte, legt die Krux vieler Fragen offen: Was ist die Rolle des Vorsitz, und wie sehr wird der Beirat auf die UnterstĂŒtzung des Sekretariats zurĂŒckgreifen können? Soll der Beirat Arbeitsgruppen haben? MĂŒssten diese so besetzt sein, dass alle drei Interessengruppen â Zivilgesellschaft, Forschung und Wirtschaft â vertreten sind? Auf wie viel Transparenz kann sich der Beirat einigen? Will der Beirat Entscheidungen im Konsens treffen?
Die allerwichtigste Frage wird sich aber nicht in einer GeschÀftsordnung klÀren lassen: Was ist das SelbstverstÀndnis dieses Beirats?
Wer bei der Beschreibung des Durchsetzungs-Labyrinths aufgepasst hat, wird bemerkt haben: Die Aufsicht ĂŒber die Plattformen, die uns alle am meisten betreffen, liegt nicht in den HĂ€nden deutscher Behörden. Bis jetzt ist Deutschland das einzige Mitgliedsland, dass sich einen Beirat gegeben hat, um die Durchsetzung des DSA zu begleiten. Damit ist dieser Beirat eine der wenigen Möglichkeiten, strukturell unterreprĂ€sentierte Perspektiven der Zivilgesellschaft und von Forschenden in Verfahren einflieĂen zu lassen, die die Rechte von Millionen von EU-BĂŒrger*innen betreffen werden. Sich dieser Aufgabe anzunehmen, wĂŒrde aber auch bedeuten, gröĂtmögliche Transparenz ĂŒber die Arbeit des Beirats zu schaffen und auch ĂŒber die deutschen Grenzen hinaus Menschen eine Stimme zu geben, die von der Durchsetzung des DSA betroffen sein werden.
Das sind meine Hoffnungen fĂŒr die Arbeit und die Wirksamkeit des Beirats: Dass wir es schaffen, Perspektiven zu priorisieren, die sonst zu kurz kommen. Und dass wir diese nicht nur einbringen, sondern ihnen auch zu Wirkung verhelfen. Und die Möglichkeit nutzen, weiter als in den deutschen Behörden-Dschungel zu blicken. Wir mĂŒssen uns dort einbringen, wo Entscheidungen getroffen werden, die die Zukunft von Nutzer*innenrechten in Europa bestimmen werden.
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Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstĂŒtze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus |jetzt mit einer Spende|.
|Bundesnetzagentur/Digital Services Coordinator|
|sĂŒchtigmachende TikTok-Algorithmen|
|mangelnder Datenzugang fĂŒr Forschende|
|Deepfake mit einem slowenischen Politiker|
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Thu, 26 Sep 2024 07:45:24 +0000
Martin Schwarzbeck
Frei einsehbarer Code, datensparsamer Betrieb â diese Anwendungen sollte man nutzen, wenn man seine PrivatsphĂ€re schĂŒtzen und sich von den groĂen Techkonzernen unabhĂ€ngig machen will.
Datenhungrige Digitalkonzerne leben davon, dass sie unsere Informationen erheben, verarbeiten und weiterverkaufen. Es ist aber möglich, Google, Apple, Meta und so weiter zu umgehen und trotzdem viele digitale Werkzeuge zu nutzen. Dieser Text zeigt, was es fĂŒr Alternativen gibt. Dabei konzentriert er sich auf |Open-Source-Software|, denn nur bei dieser kann mensch sicher sagen, was sie eigentlich tut â weil jede/r ihr unter die Haube gucken darf.
Die Suche nach Software-Alternativen âist wie einen Weg durch den Dschungel findenâ, sagt Beatrijs Dikker. Sie ist eine von zwei VorstĂ€nd*innen von |Topio|. Der Verein betreibt einen Marktstand fĂŒr faire Programme in der Markthalle Moabit, neben einem Asia-Imbiss. Wer will, kann sich hier alternative Betriebssysteme auf seine GerĂ€te spielen lassen und aus vielen quelloffenen und kollektiv erarbeiteten Anwendungen wĂ€hlen. Nonprofit-Software, extra datensparsam.
Topio gibt Datenschutz einen physischen Raum. Eine Anlaufstelle fĂŒr Menschen, die sich aus der AbhĂ€ngigkeit von den groĂen IT-Konzernen befreien wollen. Wer hier herkommt, kann fĂŒr Google und Konsorten weitgehend unsichtbar werden. Der Marktstand ist ein kostenloses, niedrigschwelliges Angebot fĂŒr den (schrittweisen) Ausstieg aus dem Ăberwachungskapitalismus. Eine Gesellschafts- und Demokratie-erhaltende MaĂnahme, findet Dikker. Sie sagt: âMenschen brauchen PrivatsphĂ€re. Wenn ich aus schlechterem Hause komme oder arm bin oder mal Probleme hatte, dann ist es ja ein Schutzmechanismus, dass ich teilhaben kann, ohne dass mich negative DatensĂ€tze verfolgen.â
Aktuell gĂ€be es fĂŒr eine Handvoll Tech-Konzerne immer mehr Nutzungszeit, Aufmerksamkeit und Daten. âDas ist die die Ausgangslage. Und dann haben wir natĂŒrlich Situationen, wo Nachrichtendienste oder Strafverfolgungsbehörden Daten einkaufen. Deine Datenspuren können jederzeit gegen dich verwendet werden. Wenn dann mal extremere politische Parteien an die Macht kommen, ist nicht abzusehen, wo das hinfĂŒhrtâ, sagt Dikker.
Toni, Aktivist*in in der |CryptoParty|-Bewegung, sagt: âAls Polizei brauche ich keinen Staatstrojaner installieren, wenn ich Zugriff auf das Google-Konto der Person habe. Ich sehe, welche Bilder hochgeladen werden, welche Anrufe getĂ€tigt, welche Sachen gesucht.â
Dikkers Einstieg in den Datenschutz war der Wunsch, sich mit Menschen aus China und der TĂŒrkei politisch zu engagieren. âDa war dann plötzlich die Frage: Wie kann ich mit denen sicher kommunizieren?â
Dikker leitet den Verein Topio gemeinsam mit MitgrĂŒnder Michael Wirths. Wirths sagt: âWir haben es erlebt mit algorithmengetriebener Desinformation. Die groĂen Datenserver ziehen KrĂ€fte aus allen dunklen Winkeln der Welt an, die versuchen, eine Plattform fĂŒr ihre Sinne zu nutzen. Wir sind auf vielen, vielen Feldern in Schwierigkeiten. Brexit, ErstĂŒrmung des Kapitols, der Bundestag sollte auch schon gestĂŒrmt werden. Das sind so Bewegungen, wo man sieht, wie eine algorithmengetriebene Gesellschaft in Bewegung geraten und unkontrollierbar werden kann.â
Die Betriebssysteme und Anwendungen, die in Dikkers und Wirths antikapitalistischem Softwarestore erhĂ€ltlich sind, haben die beiden bei ihrem âWeg durch den Dschungelâ gefunden. Und jetzt bieten sie die FrĂŒchte ihrer Jagd der Welt an. Nicht nur in der Markthalle, sondern auch auf einem mobilen Marktstand auf einem FahrradanhĂ€nger. Gelegentlich fahren Dikker und Wirths damit zu Bibliotheken oder Stadtteilfesten. In der Auslage liegen zweidimensionale Papp-FrĂŒchte, auf denen die Namen von fairen Softwareprojekten stehen. |Signal|, |Jitsi|, |Wikipedia|, |WordPress|, |Audacity| zum Beispiel. Es ist ein bunter und spielerischer Ansatz, mit der permanenten Bedrohung unserer PrivatsphĂ€re umzugehen.
Wenn es nach Dikker geht, ist der erste Schritt auf dem Weg durch den Dschungel ein neues privatsphĂ€refreundliches Betriebssystem. Auf dem Tisch, an dem sie sitzt, liegt ein Telefon. Sie guckt es an, als wolle sie es hypnotisieren oder zum Schweben bringen. âEin S10. Das kann man sooo gut flashenâ, schwĂ€rmt sie.
Mit âFlashenâ meint Dikker das Aufspielen eines neuen Betriebssystems. âDas klassische Android ist eine Datenschleuder. Standort, mit wem du wie lange telefonierst, da gehen ganz viele Metadaten im Hintergrund weg. Dann kommt noch der GerĂ€tehersteller und packt seine Software drauf, dann sind schonmal 200 sichtbare und unsichtbare Apps vorinstalliert, die alle verschiedene Berechtigungen haben.â Was fĂŒr eine Datenschleuder allein die Hintergrund-App âGoogle Play Diensteâ ist, hat |mobilsicher.de| aufgeschrieben.
Statt mit einem herstellerabhÀngigen Android, das meist proprietÀre Komponenten enthÀlt, kann man sein GerÀt mit den alternativen Androids |GrapheneOS| oder |CalyxOS| betreiben, oder die Datenschleuderei mit |microG| einschrÀnken. Wem das zu aufwÀndig ist, der kann auch gebrauchte Smartphones mit fertig aufgespieltem alternativem System |bei Topio kaufen|.
Egal ob mit freiem oder proprietĂ€rem Betriebssystem sei es auĂerdem wichtig, die konzerneigenen Softwarestores zu umgehen. Statt des Play Stores könne man sehr gut den |F-Droid-Store| nutzen, der nur quelloffene Software anbietet, sagt Dikker. |PRISM Break| bietet ebenfalls eine Auswahl freier Software fĂŒr verschiedene BedĂŒrfnisse.
|Mobilsicher.de| und |systemli.org| empfehlen auch eine Auswahl freier und datenschutzfreundlicher Software. Apps aus dem Google-Play-Store gibt es ĂŒber |Aurora Store| ohne Angabe persönlicher Zugangsdaten. Auf |appcheck.mobilsicher.de| steht, wie viele Tracker die jeweils so beinhalten.
Simple Apps wie Taschenlampe, QR-Scanner oder Notizzettel, und auch Spiele wie SolitĂ€r, Minesweeper oder Schiffe versenken in einer datenschutzfreundlichen Version haben Mitarbeiter*innen der Forschungsgruppe Secuso des Karlsruher Instituts fĂŒr Technologie |programmiert|.
Ein interessanter Openstreetmap-basierter Kartendienst ist |Organic Maps|. Die App sammelt keine Daten und ist auch offline nutzbar.
FĂŒr Menschen, die kollaborativ an Texten arbeiten möchten, bietet das Ende-zu-Ende verschlĂŒsselte |Proton Drive| seit kurzem eine derartige Funktion. |CryptPad| lĂ€sst sich auch dazu nutzen.
Datensparsame Suchmaschinen sind |DuckDuckGo|, |Searx| und |Startpage.com|.
Es könne vorkommen, sagt Dikker, dass die freundlichen Softwarevarianten nicht immer so gut funktionieren wie das GroĂkonzernprodukt. FĂŒr sie sei das wie bei Bio-Lebensmitteln: âDa gibt es auch mal eine krumme Möhre mit Macke, aber die ist mir trotzdem lieber als eine aus der GroĂindustrie.â
Mehr Tipps zur digitalen Selbstverteidigung gibt es |hier| und unter |netzpolitik.org/digitale-selbstverteidigung|.
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Wed, 25 Sep 2024 13:54:37 +0000
Lilly Pursch
Die Datenschutzkonferenz warnt vor Grundrechtsverletzungen durch automatisierte Gesichtserkennungssysteme und fordert zusĂ€tzliche Schutzmechanismen. Dem Einsatz der Systeme mĂŒssten juristisch enge Grenzen gesetzt werden.
Deutsche Behörden nutzen ohne konkrete Rechtsgrundlage vielfach automatisierte Gesichtserkennung. Nun will die Ampel-Regierung biometrische Fahndung |erlauben|. Die Datenschutzkonferenz (DSK) |warnt| vor den tiefen Grundrechtseingriffen.
Die DSK sieht den Einsatz von Gesichtserkennungssystemen, insbesondere im öffentlichen Raum, als Gefahr fĂŒr die Grundrechte an, auch weil zahlreiche Personen erfasst werden, âdie dafĂŒr keinerlei Anlass gegeben habenâ.
Alexander RoĂnagel, Vorsitzender der DSK, sagt: âMaĂnahmen, die so tief in Grundrechte vieler Menschen eingreifen, setzen eine spezifische gesetzliche Grundlage voraus.â Der Ausgestaltung einer solchen Rechtsgrundlage seien durch europĂ€isches und deutsches Recht enge Grenzen gesetzt. RoĂnagel nennt die |EU-KI-Verordnung| und EU-Grundrechtecharta, sowie das deutsche Grundgesetz und die Landesverfassungen als juristische Leitplanken.
Der Einsatz von automatisierter Gesichtserkennung mĂŒsse, sofern er ĂŒberhaupt zulĂ€ssig sei, âzum Schutz hochrangiger RechtsgĂŒter zwingend erforderlich und je nach Einsatzszenario und EingriffsintensitĂ€t an angemessene Voraussetzungen gebunden sein.â Die Rechtsgrundlage fĂŒr den Einsatz mĂŒsse ausreichende Anforderungen an den Grundrechtsschutz und zusĂ€tzliche Schutzmechanismen vorsehen.
In der |DSK| tagen die Datenschutzbehörden der LĂ€nder und des Bundes. Ihre Mission: die Datenschutzgrundrechte wahren und das Datenschutzrecht weiterentwickeln. In halbjĂ€hrlichen EntschlieĂungen veröffentlichen sie datenschutzrechtliche Empfehlungen und Stellungnahmen, die nicht rechtlich bindend sind.
Diese EntschlieĂung, die einstimmig verabschiedet wurde, ist besonders aktuell, denn gerade wird das sogenannte âSicherheitspaketâ der Bundesregierung |heiĂ verhandelt|. Um die Identifizierung von TatverdĂ€chtigen oder gesuchten Personen zu vereinfachen, soll die Polizei in Zukunft Fotos und Stimmdaten mit öffentlich zugĂ€nglichen Internetdaten abgleichen können. Und das Bundesamt fĂŒr Migration und FlĂŒchtlinge (BAMF) soll durch einen biometrischen Abgleich von Internetdaten IdentitĂ€ten von Asylsuchenden ermitteln.
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Wed, 25 Sep 2024 12:11:38 +0000
Markus Reuter
Laut einem Medienbericht gibt es in der Ampel GesprÀchsbedarf zum Sicherheitspaket, das bislang in sehr hohem Tempo durch den Bundestag gebracht wurde. Gegen das Gesetzesvorhaben formiert sich derweil immer mehr Protest.
Die Ampel-Koalition hat beim sogenannten |Sicherheitspaket| noch Abstimmungs- und Ănderungsbedarf. Das |berichtet die Rheinische Post| unter Berufung auf Abgeordnete der Regierungsfraktionen.
Bislang war das Gesetz in extrem hohem Tempo vorangeschritten. Nicht einmal zwei Wochen nach der |ersten Lesung am 12. September| gab es am vergangenen Montag die |SachverstĂ€ndigenanhörung|. Bei dieser musste die Koalition |einiges an Kritik an ihrem Vorhaben einstecken| â von verschiedener zivilgesellschaftlicher Seite und |von der Bundesdatenschutzbeauftragten Louisa Specht-Riemenschneider|. Sie bewertete das Gesetzesvorhaben als unverhĂ€ltnismĂ€Ăig und rechtswidrig.
Die Expertenanhörung am Montag habe wichtige Hinweise gebracht, die seine Fraktion nun mit den Koalitionspartnern auswerte, sagte SPD-Fraktionsvize und Innenpolitiker Dirk Wiese. âHier geht GrĂŒndlichkeit vor Schnelligkeit, schlieĂlich geht es um eingriffsintensive Regelungen. Es bleibt dabei, dass wir das Paket so schnell wie möglich beschlieĂen werdenâ, so Wiese gegenĂŒber der Rheinischen Post. Auch die grĂŒne Innenpolitikerin Irene Mihalic sagte gegenĂŒber der Zeitung: âAlle Ampel-Fraktionen sehen Ănderungsbedarf.â Unter Berufung auf Ministeriumskreise schreibt die Rheinische Post, dass man im SPD-gefĂŒhrten Innenministerium weiterhin auf einen âsehr zĂŒgigenâ Beschluss des Gesetzespaket setze.
Das Gesetzespaket richtet sich unter anderem gegen Asylsuchende, die ĂŒber ein anderes EU-Land eingereist sind. Diesen möchte die Ampel-Regierung in einigen FĂ€llen staatliche Leistungen streichen. Zudem möchte sie den Katalog der AbschiebegrĂŒnde nochmals ausweiten. Fast ĂŒberall sollen auĂerdem Menschen in Zukunft |ohne Anlass angehalten und durchsucht werden| können. Wer kontrolliert wird, entscheidet dabei einzig die Polizei.
Polizeibehörden sollen |per biometrischer Gesichtserkennung nach Personen im Netz fahnden| dĂŒrfen. Zudem möchte die Ampel die Ăberwachung mittels Big-Data-Anwendungen im Stile von Palantir ausweiten.
Das auch âĂberwachungspaketâ genannte Gesetzesvorhaben der Ampel steht stark in der Kritik. Mehr als 20 zivilgesellschaftliche Organisationen, unter ihnen Amnesty International, Seawatch und Wikimedia, haben einen |offenen Brief gegen das Paket| veröffentlicht. Vor der SPD-Zentrale |demonstrierten zuletzt etwa 1.000 Menschen| vor allem gegen die VerschĂ€rfungen im Asylbereich.
Gegen diese VerschĂ€rfungen richtet sich auch ein |offener Brief aus der SPD|, den |auch Bundestags- und Europa-Abgeordnete der Partei unterschrieben| haben. Der Brief hat schon mehr als 7.000 UnterstĂŒtzer:innen und kann öffentlich gezeichnet werden. Das BĂŒndnis âGesichtserkennung stoppenâ hingegen ruft dazu auf, |Bundestagsabgeordnete der Ampel zu kontaktieren|.
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|berichtet die Rheinische Post|
|ersten Lesung am 12. September|
|einiges an Kritik an ihrem Vorhaben einstecken|
|von der Bundesdatenschutzbeauftragten Louisa Specht-Riemenschneider|
|ohne Anlass angehalten und durchsucht werden|
|per biometrischer Gesichtserkennung nach Personen im Netz fahnden|
|offenen Brief gegen das Paket|
|demonstrierten zuletzt etwa 1.000 Menschen|
|auch Bundestags- und Europa-Abgeordnete der Partei unterschrieben|
|Bundestagsabgeordnete der Ampel zu kontaktieren|
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Wed, 25 Sep 2024 10:46:00 +0000
Dennis-Kenji Kipker
Das Datenanalyse-Unternehmen Palantir und Microsoft arbeiten eng zusammen, um in den USA besser Technologie fĂŒr den Sicherheitsapparat anbieten zu können. Was an der Börse gefeiert wurde, wirft schwere Fragen bei digitalen BĂŒrgerrechten auf, kommentiert Dennis-Kenji Kipker.
In der EuropĂ€ischen Union wirft man bereits seit LĂ€ngerem einen kritischen Blick auf Microsoft: Einerseits aufgrund der zunehmenden TechnologieabhĂ€ngigkeit, andererseits aber auch wegen der Bedenken in Sachen Cybersicherheit und Datenschutz nach immer wiederkehrenden VorfĂ€llen. Letztes Jahr etwa flossen durch eine |Kompromittierung der Microsoft Cloud in den USA| sicherheitsrelevante Daten aus dem US-AuĂenministerium nach China ab.
Die europÀische Sicht auf die nach wie vor durch die Vereinigten Staaten getriebene internationale Entwicklung im Technologiesektor ist speziell: Viele der Tendenzen, die sich zuerst in den USA abzeichnen, kommen in der EU erst mit einigen Monaten VerspÀtung an und entwickeln sich erst dann zum Gegenstand politischer Diskussionen.
So auch der jĂŒngste |Deal zwischen Microsoft und dem amerikanischen Datenanalyseunternehmen Palantir Technologies|, der nicht nur von den beiden Konzernen, sondern auch von den AktionĂ€ren gefeiert wird.
FĂŒr kritische nationale US-Sicherheitsoperationen soll es dadurch möglich sein, Microsofts groĂe Sprachmodelle ĂŒber die Azure Cloud innerhalb der KI-Plattformen von Palantir in Microsofts Regierungs- und klassifizierten Cloud-Umgebungen zu nutzen.
Was in den USA aufgrund der dortigen sicherheitspolitischen Agenda wie ein gewöhnliches Vorgehen erscheint, dĂŒrfte in der EuropĂ€ischen Union deutlich kritischer betrachtet werden, denn insbesondere Palantir hat hier aufgrund auch von Amnesty International |angeprangerter Menschenrechtsverletzungen| einen schweren Stand.
Doch nicht nur das: Der behördliche Einsatz von Analysetools ist aufgrund der strengen datenschutzrechtlichen Bestimmungen in der EU hoch umstritten, so beispielsweise in Deutschland, wo Datenanalysesoftware von Palantir zwar seit diesem Sommer in Bayern eingesetzt wird, von Experten und Juristen jedoch im Vorfeld |erhebliche Kritik| geĂ€uĂert wurde.
Die aktuellen Entwicklungen in der Zusammenarbeit von Microsoft und Palantir dĂŒrften deshalb perspektivisch in der EuropĂ€ischen Union dazu fĂŒhren, dass die Rolle nicht nur von Palantir, sondern auch von Microsoft Cloud Services noch strenger als bislang hinterfragt wird, denn europĂ€ische Regierungseinrichtungen können politisch keinen Einsatz von Cloud-Produkten und Software eines Anbieters verantworten, der sich an internationalen Menschenrechtsverletzungen beteiligt.
Doch auch in den Vereinigten Staaten sollte diese politische Dimension weitaus stĂ€rker als bislang berĂŒcksichtigt werden, wenn es um AktivitĂ€ten privater Konzerne in Bereichen geht, die fĂŒr die nationale Sicherheit relevant sind.
So wurde |in einer ausfĂŒhrlichen Studie| jĂŒngst festgestellt, dass Microsoft nicht nur ein groĂer Zulieferer der US-Regierung ist, sondern nach wie vor intensive Wirtschaftsbeziehungen auch mit China unterhĂ€lt. So ist China weiterhin der weltweit zweitgröĂte Markt fĂŒr Microsofts Informations- und Kommunikationstechnologie, und durch die Cloud Plattform Azure PRC erhalten ĂŒber 900 Millionen chinesische Abonnenten den gleichen Zugriff auf KI-Tools wie Nutzer in den Vereinigten Staaten. Derlei strategische Entscheidungen eines Unternehmens sind letztlich eine Schnittstelle fĂŒr den Import von US-amerikanischer Technologie in die Volksrepublik China.
Doch damit nicht genug: Mit der Nutzbarmachung von US-Technologie in China stellen sich ebenso menschenrechtliche Fragen: So beschreibt die Studie den Einsatz von Microsoft Cloud Services nicht nur fĂŒr chinesische militĂ€rische Zwecke, sondern ebenso zur UnterdrĂŒckung und Diskriminierung von Minderheiten wie den Uiguren und fĂŒr Ăberwachung und Zensur.
Mit Blick auf all diese Erkenntnisse hinter den Vorhang der vertieften Kooperation zwischen Microsoft und Palantir wird deutlich, dass es um die Dinge nicht so positiv steht, wie es nach auĂen hin medial vermarktet wird und erscheint. Wenn sich zwei globale Tech-Unternehmen zusammentun, um die nationale Sicherheit zu verteidigen, ist das eine Sache. Aber wenn dafĂŒr gleichzeitig an anderer Stelle gravierende MenschenrechtsverstöĂe in Kauf genommen werden, steht dies auf einem gĂ€nzlich anderen Blatt.
Die AktionĂ€re mögen vielleicht ĂŒber den kurzfristigen wirtschaftlichen Zugewinn jubeln, fĂŒr die digitalen BĂŒrgerrechte nicht nur in der EuropĂ€ischen Union ist die neu proklamierte Zusammenarbeit zwischen Microsoft und Palantir jedoch ein herber Verlust.
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|Kompromittierung der Microsoft Cloud in den USA|
|Deal zwischen Microsoft und dem amerikanischen Datenanalyseunternehmen Palantir Technologies|
|angeprangerter Menschenrechtsverletzungen|
|in einer ausfĂŒhrlichen Studie|
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Wed, 25 Sep 2024 09:44:07 +0000
Anna Biselli
Wir sind gleich doppelt fĂŒr den Grimme Online Award nominiert. Einmal mit unserem Doku-Podcast Systemeinstellungen und noch mal mit den Recherchen zu den Databroker Files. Wenn euch unsere Arbeit gefĂ€llt, könnt ihr beim Publikumspreis fĂŒr uns abstimmen.
|https://netzpolitik.org/wp-upload/2024/09/SE_Grimme_Update.mp3|
Wir melden uns mit einem kleinen Update zurĂŒck, denn es gibt gute Nachrichten: Nach der Veröffentlichung von Systemeinstellungen haben uns viele tolle und hilfreiche RĂŒckmeldungen erreicht. Und vor Kurzem haben wir erfahren, dass wir sogar fĂŒr den Grimme Online Award in der Kategorie Information nominiert sind. ZusĂ€tzlich ist auch eine weitere groĂe Recherche aus unserem Team nominiert: |die Databroker-Files| in der Kategorie Spezial. Gleich zwei Mal vertreten, das freut uns enorm.
Ăber den Preis entscheidet eine Jury. ZusĂ€tzlich gibt es aber auch einen Publikumspreis und da kommt ihr ins Spiel. Bis zum 3. Oktober 2024 könnt ihr |fĂŒr eure Lieblingsnominierten abstimmen|. Wir freuen uns ĂŒber eure UnterstĂŒtzung, wenn euch unsere Arbeit gefĂ€llt.
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Host und Produktion: Serafin Dinges.
Redaktion: Anna Biselli, Chris Köver, Ingo Dachwitz, Sebastian Meineck.
Cover-Design: Lea Binsfeld.
Titelmusik: Daniel Laufer.
Weitere Musik von Blue Dot Sessions.
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Bekanntgabe |aller Nominierungen|
Die Recherche zu den |Databroker Files|
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Wed, 25 Sep 2024 08:21:42 +0000
Martin Schwarzbeck
Fabian Kienert, Redakteur beim Sender Radio Dreyeckland, stand vor Gericht, weil er einen Link gesetzt hatte. Er wurde freigesprochen, doch die Staatsanwaltschaft hat sich bis zum letzten Moment die Möglichkeit offengehalten, in Revision zu gehen. Jetzt ist der Freispruch rechtskrÀftig.
Fabian Kienert hat eine bewegte Zeit hinter sich. Der Redakteur beim Sender |Radio Dreyeckland| hatte in einer kurzen |Meldung| auf der Website des Senders darĂŒber berichtet, dass die Ermittlungen gegen die linke bis linksradikale Open-Posting-Plattform |linksunten.indymedia.org| eingestellt wurden. Zum Abschluss des Textes verwies er darauf, dass die Seite weiterhin als Archiv zugĂ€nglich ist und setzte einen Link, der dorthin fĂŒhrt.
Die Antwort des Staates war einigermaĂen radikal. Weil Kienert mit dem Link angeblich eine verbotene Vereinigung unterstĂŒtzt habe, |drangen Polizist*innen in seine Wohnung und in die GeschĂ€ftsrĂ€ume des Senders ein|. Kienerts Mobiltelefone, sein Laptop, eine SD-Karte sowie fĂŒnf USB-Sticks wurden beschlagnahmt.
Das Landgericht Karlsruhe |entschied| jedoch, dass Kienert unschuldig ist. Unter anderem, weil fraglich sei, ob die verbotene Vereinigung, die Kienert mit dem Link laut Staatsanwaltschaft unterstĂŒtzt haben soll, ĂŒberhaupt noch existiert. Und was nicht existiert, kann man auch nicht unterstĂŒtzen.
Die Staatsanwaltschaft legte Revision ein. Doch auch einen Monat nach Zustellung des schriftlichen Urteils ging beim Landgericht keine BegrĂŒndung fĂŒr die Revision ein. Mit Beschluss vom 23. September habe das Landgericht die Revision deshalb als unzulĂ€ssig verworfen, so eine |Pressemitteilung des Senders|.
Das ist ungewöhnlich, normalerweise wird die Revision entweder begrĂŒndet oder zurĂŒckgezogen. So blieb Kienert lange in Unsicherheit. Seine Verteidigerin Angela Furmaniak sagt: âDass die Revision der Staatsanwalt verworfen wurde, weil die Frist zur BegrĂŒndung der Revision nicht eingehalten wurde, setzt ein letztes Ausrufezeichen hinter eine insgesamt irritierende VerfahrensfĂŒhrung der Staatsanwaltschaft.â
Nun ist Kienert rechtskrĂ€ftig freigesprochen. âIch bin erleichtert, dass dieses Verfahren nun endlich beendet ist, auch wenn die Verunsicherung, die durch die Hausdurchsuchung verursacht wurde, bleibtâ, sagt er. David Werdermann von der Gesellschaft fĂŒr Freiheitsrechte (GFF), die Kienert juristisch unterstĂŒtzt, sagt: âBesser spĂ€t als nie: Bei der Staatsanwaltschaft ist offenbar endlich Vernunft eingekehrt. Eigentlich hĂ€tte dieses Verfahren nie eröffnet werden dĂŒrfen.â
Kienert hat gemeinsam mit der GFF eine Verfassungsbeschwerde gegen die Durchsuchung seiner Wohnung eingelegt. Diese ist noch anhĂ€ngig. âDamit wollen wir klĂ€ren lassen, dass die Hausdurchsuchung die Presse- und Rundfunkfreiheit verletzt hatâ, sagt David Werdermann.
Radio Dreyeckland fordert nun eine schnelle und transparente Löschung aller in diesem Fall erhobenen |Daten|, die Vernichtung sĂ€mtlicher âObjektordnerâ der Polizei ĂŒber Radio Dreyeckland und âpolitische Konsequenzen aus dem Kampf der Staatsanwaltschaft gegen die Grundrechteâ.
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|drangen Polizist*innen in seine Wohnung und in die GeschÀftsrÀume des Senders ein|
|Pressemitteilung des Senders|
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Wed, 25 Sep 2024 06:21:35 +0000
Martin Schwarzbeck
Ein Europol-Bericht zur polizeilichen Nutzung sogenannter KI gibt Einsichten in Gegenwart und Zukunft der Ermittlungsarbeit. Er zeigt, was europÀische Polizeien können und was sie können wollen.
Die europĂ€ische Polizeibehörde Europol, die die nationalen Polizeien koordiniert, hat einen |Bericht| zum Einsatz von sogenannter KĂŒnstlicher Intelligenz veröffentlicht. Europol sieht in der Technologie groĂes Potenzial. Im Bericht, im Original auf Englisch, heiĂt es: âKI hat die FĂ€higkeit, die Polizeiarbeit erheblich zu verĂ€ndern; von fortschrittlicher Kriminalanalytik, die Trends in riesigen Datenmengen aufdeckt, bis hin zu biometrischen Daten, die eine schnelle und eindeutige Identifizierung von Kriminellen ermöglichen.â
Im Vordergrund der Beurteilung der polizeilichen Anwendung von KI steht fĂŒr Europol die Effizienz der Systeme. âMithilfe von KI-gesteuerten Analysetools können Ermittler beispielsweise Millionen von Finanztransaktionen analysieren und Anomalien wie verdĂ€chtige Geldbewegungen erkennen, um Betrug zu erkennen. FĂŒr Strafverfolgungsbehörden bedeutet dies eine verbesserte FĂ€higkeit, KriminalitĂ€tsmuster zu analysieren und zu verstehen [âŠ]â, heiĂt es im Bericht. Mit KI könnten auch polizeiliche Ressourcen effizienter verteilt werden.
Allerdings sind fĂŒr die angegebenen Beispiele seit vielen Jahren klar, dass derart groĂe Datenmengen nur mit Software zu analysieren ist. Jetzt nennt Europol solche Mustererkennungssoftware eben KI.
Ohne KI-Systeme stĂŒnden Ermittler*innen vor âerheblichen Herausforderungenâ, was zu âlangwierigen Ermittlungen und verpassten Gelegenheiten zur Festnahme von Kriminellen fĂŒhren kannâ. Beispielsweise sei es ohne technische Hilfe nicht möglich, die Datenmengen, die ein einziges Smartphone erzeugt, zu durchsuchen.
Mit Hilfe von KI sei es hingegen möglich, Muster in kriminellen AktivitĂ€ten zu finden. Als Beispiel nennt Europol, dass es wĂ€hrend warmer Monate mehr EinbrĂŒche gĂ€be.
Werden mit solchen Methoden nicht nur Daten analysiert, sondern auch Szenarien prognostiziert, nennt sich das âPredictive Policingâ. DafĂŒr sammeln Polizeibehörden zum Beispiel historische KriminalitĂ€tsdaten, aber auch sozioökonomische Daten und Daten von Sozialdiensten. Das KI-Modell verknĂŒpft dann âIndikatoren mit der Wahrscheinlichkeit eines Verbrechens und generiert Risikobewertungenâ.
Eine solche EinschĂ€tzung ist fĂŒr bestimmte Areale möglich, aber auch fĂŒr einzelne Menschen. Dann berechnet die KI, wie wahrscheinlich es ist, dass sich eine bestimmte Person in einer kriminellen AktivitĂ€t engagiert. Das stelle allerdings das rechtsstaatliche Grundprinzip der Unschuldsvermutung in Frage, so der Bericht und sei auch |nach der KI-Verordnung der EU| verboten, auĂer damit wĂŒrde nach möglichen TĂ€ter*innen bereits begangener Straftaten gesucht. Predictive Policing habe in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, an Bedeutung gewonnen.
Die KI-Verordnung könne fĂŒr die Strafverfolgungsbehörden zum Problem werden, so der Bericht. Behörden, die bereits KI-gestĂŒtzte Systeme anwenden, mĂŒssten diese evaluieren und die Nutzung im Zweifelsfall beenden, was zu Problemen in der âoperativen KontinuitĂ€tâ fĂŒhren könne.
Dabei könnten Tools, die maschinelles Lernen nutzen, mittels Analyse von öffentlich zugĂ€nglichen Daten wie zum Beispiel Social-Media-Profilen auch Echtzeit-Einsichten generieren. âEntscheidend ist, dass dies alles mit einer Geschwindigkeit geschehen muss, die ĂŒber der Geschwindigkeit liegt, mit der Kriminelle ihre digitalen Spuren löschen könnenâ, schreibt Europol.
Internetprovider könnten KI-Systeme nutzen, um terroristische Propaganda, Desinformation und illegale Inhalte zu erkennen. Dabei könne man die Systeme mit bekanntem Propagandamaterial darauf trainieren, auch neue Inhalte zu erkennen und diese an Strafverfolgungsbehörden zu melden. Dass es beim Training und bei der Nutzung solcher Systeme zu Problemen mit hohen Fehlerraten kommen kann, diskutiert der Europol-Bericht nicht.
Sprachmodelle, wie zum Beispiel ChatGPT eines ist, werden von Polizeibehörden bereits vielfach eingesetzt, so Europol. So zum Beispiel fĂŒr Verwaltungsaufgaben, forensische Untersuchungen, die Analyse von KriminalitĂ€tsdaten, die Umwandlung von Sprache in Text zur Berichterstattung und die Dokumentation krimineller AktivitĂ€ten. Damit lieĂen sich Interviewprotokolle, Zeugenaussagen, Online-Kommunikation und Social-Media-BeitrĂ€ge effizient zusammenfassen, analysieren oder ĂŒbersetzen. Letzteres sei vor allem fĂŒr die Kommunikation der Behörden untereinander relevant. Europols Secure Information Exchange Network Application (SIENA), das Strafverfolgungsbehörden aus 51 LĂ€ndern vernetzt, biete beispielsweise die Möglichkeit, Texte automatisiert ins Englische zu ĂŒbersetzen.
In Cybercrime-Einheiten wĂŒrden Sprachmodelle zusĂ€tzlich dafĂŒr genutzt, verborgene Bedeutungen zu entschlĂŒsseln oder potenziell schĂ€dliche Inhalte zu kennzeichnen.
Ebenfalls relevant, so Europol, sind die KI-Systeme bei der digitalen Forensik, also beispielsweise bei der Auswertung beschlagnahmter Smartphones. WĂ€hrend menschliche Experten viel Zeit benötigten, um tausende Dateien zu sortieren, sei die KI sehr schnell darin. Dementsprechend gĂ€be es inzwischen eine Reihe von KI-gestĂŒtzten Tools zur Datenwiederherstellung und -analyse, die auch Zugang zu gelöschten Dateien und beschĂ€digten EndgerĂ€ten ermöglichen.
Vielversprechend sei auch die Möglichkeit, mit KI VerschlĂŒsselung leichter zu brechen. âFortgeschrittene VerschlĂŒsselungstechniken können fĂŒr Ermittler eine ernsthafte HĂŒrde darstellenâ, heiĂt es im Bericht. Traditionell wĂŒrde fĂŒr die EntschlĂŒsselung Brute Force genutzt, mit KI lieĂe sich die Zahl der zu testenden Passwörter auf Basis von Mustererkennung einengen.
Mit KI lieĂe sich auch Internetverkehr dahingehend monitoren, ob sich im Datenstrom Hacking- oder Phishing-Versuche verbergen. Der digitale FuĂabdruck einzelner Personen könne ĂŒber deren Interaktionen mit verschiedenen GerĂ€ten, von Smartphones und Laptops bis hin zu Smart-Home-GerĂ€ten, zu einem umfassenden digitalen Profil verdichtet werden.
Besondere Beachtung findet im Europol-Bericht die VideoĂŒberwachung. Dass diese computergestĂŒtzt erfolgen kann, sei ein âGame-Changerâ fĂŒr die Strafverfolgung. âDa StĂ€dte und Gemeinden mit einem Anstieg digitaler Bilder von Quellen wie CCTV-Kameras bis hin zu persönlichen GerĂ€ten konfrontiert sind, ist es wichtig, diese riesigen visuellen Daten effektiv zu nutzenâ, heiĂt es im Bericht.
Bilddatenströme lieĂen sich in Echtzeit auf bestimmte Muster und Anomalien scannen. Bei öffentlichen Veranstaltungen könne KI-gestĂŒtzte Videoanalyse Situationen identifizieren, âdie Aufmerksamkeit erfordern, um sicherzustellen, dass jeder die Veranstaltung in Ruhe genieĂen kannâ.
Wenn vordefinierte Bedingungen oder Szenarien erkannt wĂŒrden, âwie etwa öffentliche Unruhen oder potenzielle Sicherheitsrisiken, kann das KI-System automatisch detaillierte Vorfallberichte erstellen und/oder Warnungen an die Beamten sendenâ. Die Echtzeitanalyse sei allerdings nach der KI-Verordnung der EU verboten. Ausnahmen gelten fĂŒr die Suche nach Opfern von Verbrechen, die Verhinderung von TerroranschlĂ€gen und die Suche nach TĂ€ter*innen schwerer und Organisierter KriminalitĂ€t. Polizeieinheiten im Vereinigten Königreich und in EU-Staaten hĂ€tten die Echtzeitanalyse von Videoströmen mit unterschiedlichem Erfolg getestet.
Biometrische Fernidentifizierung habe sich als âSchlĂŒsselinstrumentâ der Strafverfolgungsbehörden erwiesen. Beispielsweise könnten damit VerdĂ€chtige gefunden werden, oder andere âPersonen von Interesseâ.
NĂŒtzlich sei die KI auch bei der Analyse von FingerabdrĂŒcken. âSie könnte diesen Bereich revolutionierenâ, heiĂt es im Bericht. Denn sie funktioniere sehr schnell und könne auch verschmierte oder nur teilweise vorhandene AbdrĂŒcke identifizieren.
Stimmerkennung könne zudem genutzt werden, um beispielsweise Teilnehmer*innen von TelefongesprĂ€chen zu identifizieren. AuĂerdem sei der Iris-Scan eine Methode, die zunehmend hĂ€ufiger in der Strafverfolgung eingesetzt wĂŒrde. Auch Ganganalyse sei ein aufstrebendes Feld, das insbesondere dort nĂŒtzlich sei, wo andere Identifizierungsmethoden nicht möglich sind.
Besonders heikel ist die biometrische Kategorisierung. WÀhrend es per KI-Verordnung der EU verboten ist, diese zur Identifizierung von sexuellen oder politischen Orientierungen, religiösen Vorstellungen oder Behinderungen zu nutzen, sofern dies nicht zur Ermittlung von Opfern unternommen wird, kann die biometrische Kategorisierung recht frei eingesetzt werden, um Geschlecht und Alter betroffener Personen zu schÀtzen. Dies sei beispielsweise bei der EinschÀtzung des Alters von Opfern von Missbrauchsdarstellungen oder digitaler bildbasierter Gewalt relevant.
Der Europol-Bericht benennt auch Probleme der KI-EinsĂ€tze. Jede Verzerrung der zugrundeliegenden Daten könne âunbeabsichtigt zu unfairen oder voreingenommenen Ergebnissen fĂŒhrenâ. Daten, die zum Trainieren von KI-Systemen verwendet werden, könnten Vorurteile und diskriminierende Praktiken widerspiegeln. Die KI könne zu âunverhĂ€ltnismĂ€Ăiger Ăberwachung unschuldiger Personenâ fĂŒhren oder auch gegen bestimmte Gruppen missbraucht werden.
âWenn beispielsweise ein bestimmtes Viertel in der Vergangenheit aufgrund rassistischer oder sozioökonomischer Vorurteile ĂŒbermĂ€Ăig ĂŒberwacht wurde, könnte ein auf diesen Daten trainiertes KI-System darauf hinweisen, dass das Gebiet anfĂ€lliger fĂŒr kriminelle AktivitĂ€ten ist. Solche Ergebnisse könnten zu einer RĂŒckkopplungsschleife fĂŒhren, die dazu fĂŒhren könnte, dass die Strafverfolgungsbehörden diesen Bereich weiterhin ĂŒbermĂ€Ăig ĂŒberwachen, wodurch unverhĂ€ltnismĂ€Ăig viele Straftaten festgestellt werden und die in den Daten vorhandenen Verzerrungen verstĂ€rkt werdenâ, heiĂt es im Bericht.
Es sei wichtig, dass Vollzugsbeamte und auch Betroffene die Logik hinter den KI-Entscheidungen nachvollziehen könnten. Ansonsten steige die Gefahr von Misstrauen, Missbrauch und Ungerechtigkeit. Allerdings arbeite KI mit einer KomplexitĂ€t, die ĂŒber das menschliche VerstĂ€ndnis hinausgeht. Zu klĂ€ren sei auch, wer letztlich fĂŒr die Entscheidungen der KI-Systeme verantwortlich sei.
FĂŒr die Zukunft benennt Europol noch weitere technische Tools, die bei der Polizeiarbeit nĂŒtzlich werden könnten. Quantencomputer beispielsweise, die die Performance von KI-Systemen auf ein âbeispielloses Niveauâ heben könnten, oder auch die verbreitete Nutzung von KI-gestĂŒtzten Drohnen oder Robotern.
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|nach der KI-Verordnung der EU|
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Tue, 24 Sep 2024 16:21:02 +0000
Markus Reuter
Irgendwann geht alles einmal zu Ende. Mit einer Zustimmung zum Sicherheitspaket wĂŒrden sich GrĂŒne und FDP von ihrer Tradition als BĂŒrgerrechtsparteien verabschieden. Wir widmen ihnen deshalb einen FotorĂŒckblick ihrer stolzen Vergangenheit, in der Grundrechte noch etwas zĂ€hlten.
GrĂŒne und FDP verabschieden sich mit dem Ăberwachungspaket der Bundesregierung von ihrem Image als BĂŒrgerrechtsparteien. Das als âSicherheitspaketâ deklarierte Gesetzesvorhaben der Ampel wird |von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und der Humanistischen Union scharf kritisiert|, die |Bundesdatenschutzbeauftragte hĂ€lt es fĂŒr unverhĂ€ltnismĂ€Ăig und rechtswidrig|. Und sogar |in der SPD regt sich Widerstand|.
Die Fraktionen von GrĂŒnen und FDP tragen das Paket bislang mit. Es richtet sich unter anderem gegen Asylsuchende, die ĂŒber ein anderes EU-Land eingereist sind. Diesen möchte die Ampel-Regierung staatliche Leistungen streichen. Zudem möchte sie den Katalog der AbschiebegrĂŒnde nochmals ausweiten.
Fast ĂŒberall sollen Menschen in Zukunft |ohne Anlass angehalten und durchsucht werden| können. Polizeibehörden sollen |per biometrischer Gesichtserkennung nach Personen im Netz fahnden| dĂŒrfen. Ein Szenario, wie man es von Gesichtersuchmaschinen wie Clearview kennt â inklusive zweifelhafter DatenschutzkonformitĂ€t. Zudem möchte die Ampel die Ăberwachung mittels Big-Data-Anwendungen im Stile von Palantir ausweiten.
FĂŒr beide Parteien wĂ€re die Zustimmung zum Vorhaben ein Abschied von mindestens einem Markenkern â und einer langen Parteitradition. Bei den GrĂŒnen sind mit den Themen Migration und BĂŒrgerrechte sogar gleich zwei KernidentitĂ€ten der Partei betroffen. WĂ€hrend sie frĂŒher noch auf Demonstrationen fĂŒr Grundrechte eintraten, stehen Politiker wie der GrĂŒne Konstantin von Notz und der FDP-Justizminister Marco Buschmann (Buchautor: âDie sterbliche Seele der Freiheitâ) nun fĂŒr einen anderen Kurs.
Und sogar die Jugendorganisationen der beiden Parteien haben sich auch auf mehrfache Nachfrage von netzpolitik.org bislang nicht zur Ausweitung der biometrischen Ăberwachung und der polizeilichen Kontrollbefugnisse geĂ€uĂert.
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Die GrĂŒnen hatten als Bewegungspartei eine starke bĂŒrgerrechtliche Strömung, die mit der Wende durch das Hinzukommen von DDR-BĂŒrgerrechtler:innen gestĂ€rkt wurde. Erste Kratzer erhielt das Bild der BĂŒrgerrechtspartei |nach dem 11. September 2001, als die GrĂŒnen Otto Schilys Sicherheitspakete mittrugen|. Doch immer wieder traten die GrĂŒnen in der Folge als Verteidiger von Grundrechten auf. Einer der prominentesten Vertreter gegen Ăberwachung und fĂŒr Freiheitsrechte war der Berliner Abgeordnete Hans-Christian Ströbele.
Die FDP hingegen galt lange aufgrund des Grundrechte-FlĂŒgels rund um den ehemaligen Innenminister Gerhart Baum und Burkhard Hirsch sowie wegen des |RĂŒcktritts von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger beim GroĂen Lauschangriff| als Partei der BĂŒrgerrechte. In der Partei und rund um die Partei gab und gibt es zahlreiche Menschen, die sich fĂŒr Grundrechte starkmachen. Auch beim Kampf gegen die Chatkontrolle hatte die Partei zuletzt noch Profil gezeigt.
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|Bundesdatenschutzbeauftragte hĂ€lt es fĂŒr unverhĂ€ltnismĂ€Ăig und rechtswidrig|
|in der SPD regt sich Widerstand|
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|nach dem 11. September 2001, als die GrĂŒnen Otto Schilys Sicherheitspakete mittrugen|
|RĂŒcktritts von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger beim GroĂen Lauschangriff|
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Tue, 24 Sep 2024 12:25:09 +0000
Chris Köver
In der SPD regt sich offener Widerstand gegen die PlĂ€ne der Bundesregierung in Sicherheits- und Asylpolitik. Die vorgeschlagenen MaĂnahmen der Ampel wĂŒrden Asylsuchende entmenschlichen und âverstĂ€rken auch einen migrationsfeindlichen, rassistischen Diskurs von Rechtsâ, schreiben mehrere hundert Parteimitglieder und Politiker:innen in einem offenen Brief.
In der SPD formiert sich Widerstand gegen den Kurs, den die Ampelregierung in der Asyl- und Migrationspolitik einschlĂ€gt. Mehrere hundert Parteimitglieder und SPD-Politiker:innen â unter ihnen auch Abgeordnete aus Bundestag und Europaparlament â haben einen |offenen Brief aufgesetzt,| der fĂŒhrende Sozialdemokraten auffordert, rechten Forderungen nicht nachzugeben, sich auf Grundwerte der Partei zu besinnen und das Recht auf Asyl zu wahren.
âDie vorgeschlagenen MaĂnahmen der KĂŒrzung der Sozialleistungen unter das Existenzminimum und Hinderung der Einreise entmenschlichen Asylsuchende und sind dabei weder mit dem europĂ€ischen Gedanken, dem europĂ€ischen Recht, noch mit dem deutschen Grundgesetz vereinbarâ, heiĂt es in dem Brief. âDiese MaĂnahmen sind nicht nur ineffektive Scheinlösungen gegen islamistischen Terrorismus, sondern sie legitimieren rechtspopulistische und rechtsextreme Narrative gegen GeflĂŒchtete und verstĂ€rken auch einen migrationsfeindlichen, rassistischen Diskurs von Rechts, der insbesondere von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in diesem Land mit groĂer Sorge aufgenommen wird.â
Die SPD dĂŒrfe nie die menschenfeindlichen Narrative und Positionen rechter Parteien aufgreifen und damit normalisieren, kritisieren die Unterzeichner:innen. âDas Nachgeben der demokratischen Parteien vor rechten Forderungen gefĂ€hrdet die Demokratie und unsere Gesellschaft nachhaltiger, als es Faschisten alleine jemals könnten.â
Nach dem mutmaĂlichen Terroranschlag von Solingen, bei dem ein abgelehnter AsylanwĂ€rter drei Menschen tötete, hatte die Ampel-Koalition aus SPD, GrĂŒnen und FDP mit einem neuen Kurs der HĂ€rte reagiert. |Ihr sogenanntes âSicherheitspaketâ|, bestehend aus zwei GesetzentwĂŒrfen, baut |biometrische Ăberwachung| und |Polizeikontrollen| aus, richtet sich aber vor allem gegen Asylsuchende. Es sieht vor, Sozialleistungen fĂŒr bestimmte ausreisepflichtige Schutzsuchende zu streichen und Abschiebungen aus nach Syrien und Afghanistan zu erleichtern. Ermittlungsbehörden sollen mit neuen Befugnissen zur Fahndung im Internet ausgestattet werden.
Die Unterzeichner:innen des Briefes bezweifeln, dass diese MaĂnahmen mit europĂ€ischem Recht und dem Grundgesetz vereinbar seien. Sie fordern SPD-Vertreter:innen in der Bundesregierung und im Bundestag dazu auf, âsich wieder fĂŒr eine humane Asylpolitik einzusetzen, die keine rechten Fantasien von geschlossenen Grenzen reproduziert und stattdessen europĂ€isches Recht sowie internationale SolidaritĂ€t achtetâ. Handlungsweisend fĂŒr politische Entscheidungen und Debatten mĂŒssten die Grundwerte der Partei sein und nicht vermeintliche Umfragen oder Stimmungen.
Die beiden GesetzesentwĂŒrfe werden derzeit im Rekordtempo im Bundestag debattiert. Nach einer ersten Lesung vor zwölf Tagen fand |gestern eine Anhörung im Innenausschuss| statt. Nicht die Bundesregierung, sondern die Regierungsfraktionen von SPD, GrĂŒnen und FDP |haben die EntwĂŒrfe eingebracht| â damit der Bundesrat nicht gesondert zustimmen muss.
Die Formulierungshilfe lieferte allerdings die Bundesregierung. Sie hatte sich in den Tagen nach Solingen auf das MaĂnahmenpaket geeinigt. Vor den Wahlen in ThĂŒringen, Sachsen und Brandenburg wollte sie damit HĂ€rte und Entschlossenheit demonstrieren. Die Unterzeichner:innen kritisieren, fĂŒhrende Sozialdemokrat:innen hĂ€tten damit âeinen Diskurs der Ausgrenzung und Stigmatisierung mitbefeuertâ. Eine ganze Menschengruppe sei mit dieser Politik pauschal unter Terrorismusverdacht gestellt worden.
Initiiert haben den Brief zahlreiche Sozialdemokraten aus Berlin und weiteren BundeslÀndern. Darunter sind die Berliner Integrationssenatorin Cansel Kiziltepe, die Vorsitzende der Grundwertekommission Gesine Schwan und mehrere Mitglieder des Bundestags und des EuropÀischen Parlaments.
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|Ihr sogenanntes âSicherheitspaketâ|
|gestern eine Anhörung im Innenausschuss|
|haben die EntwĂŒrfe eingebracht|
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Tue, 24 Sep 2024 09:37:45 +0000
Anna Biselli
WĂ€hrend gegen Pavel Durov in Frankreich Ermittlungen wegen mehrerer mutmaĂlicher Straftaten laufen, kĂŒndigt der Telegram-Chef Ănderungen an der Messaging-Plattform an. Dabei fĂ€llt auf, dass sich nur wenige davon auf Inhalte beziehen.
Vor rund einem Monat wurde Telegram-Chef Pavel Durov |in Frankreich festgenommen|. Zwar ist er gegen Zahlung einer millionenschweren Kaution wieder auf freiem FuĂ, gegen ihn wird jedoch wegen zahlreicher mutmaĂlicher Straftaten ermittelt. Viele der VorwĂŒrfe beziehen sich auf Beihilfe zu Straftaten und darauf, dass Telegram nicht ausreichend mit Behörden kooperieren wĂŒrde.
Nun hat sich Durov in seinem eigenen Telegram-Kanal gemeldet und Ănderungen an der Messenger-Plattform angekĂŒndigt. âDie Suche auf Telegram ist mĂ€chtiger als bei anderen Messaging-Appsâ, schreibt er. Das sei bedauerlicherweise von Menschen ausgenutzt worden, die gegen |die GeschĂ€ftsbedingungen| verstoĂen und illegale GĂŒter verkauft hĂ€tten.
Moderator:innen hĂ€tten mit KI-Hilfe die Telegram-Suche sicherer gemacht und problematische Inhalte aus dem Suchergebnissen entfernt. AuĂerdem gibt es nun einen âSearch Report Botâ bei dem man Suchbegriffe melden kann, mit denen man auf illegale Inhalte stöĂt. Bei mutmaĂlich illegalen Inhalten verweist der Bot auf die alten Mechanismen, bei denen man in der Meldung etwa zwischen âGewaltâ, âSpamâ und anderem auswĂ€hlen kann.
Durov schreibt auĂerdem: âWir haben klargestellt, dass IP-Adressen und Telefonnummern von Nutzenden, die gegen unsere Regeln verstoĂen haben, aufgrund gĂŒltiger rechtlicher Anfragen an entsprechende Behörden weitergegeben werden könnten.â Das spiegelt sich auch in den aktuellen GeschĂ€ftsbedingungen wieder. Ein Telegram-Bot soll Nutzende kĂŒnftig ĂŒber die Anzahl beantworteter Anfragen informieren. Bei Nutzung der Funktion gibt dieser bisher nur die Auskunft, er werde aktualisiert und man solle in einigen Tagen wiederkommen.
AuffĂ€llig ist, dass sich die ĂnderungsankĂŒndigungen abgesehen von der Datenweitergabe vor allem auf die Suchfunktion beziehen. Zu einer etwaigen strengeren Moderation Ă€uĂert sich Durov nicht.
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Mon, 23 Sep 2024 14:24:41 +0000
Markus Reuter
Das âSicherheitspaketâ der Ampel bringt nicht nur VerschĂ€rfungen fĂŒr GeflĂŒchtete und eine Ausweitung der biometrischen Ăberwachung. Wenig bekannt ist bislang der Ausbau von polizeilichen Kontrollbefugnissen im öffentlichen Raum: Sie kann in Zukunft an sehr vielen Orten Menschen ohne Verdacht anhalten, befragen, kontrollieren und durchsuchen.
In Demokratien können Menschen ohne Verdacht nicht einfach so von der Polizei kontrolliert und durchsucht werden. Die Polizei braucht bisher dafĂŒr einen Anlass, sie muss also begrĂŒnden, warum sie einen Menschen kontrolliert. Die Idee dahinter: Unbescholtene Menschen sollen nicht Ziel von Kontrollen werden, denn den Staat geht es nichts an, wer sich auf der StraĂe bewegt und was unbescholtene Menschen in ihren Taschen dabei haben.
Ausnahmen waren bisher nur Grenzgebiete des Landes, Teile der Verkehrsinfrastruktur wie Bahnhöfe oder besonders kriminalitĂ€tsbelastete Orte und Waffenverbotszonen. Dieses Prinzip will die Ampel-Regierung jetzt aufgeben und anlasslose Kontrollen fast ĂŒberall erlauben. Vehikel fĂŒr den Ausbau dieser âSchleierfahndungâ soll ein weitgehendes Messerverbot werden.
Im |Ăberwachungspaket der Ampel| werden die möglichen Kontrollorte quasi schrankenlos erweitert, |wie die Gesellschaft fĂŒr Freiheitsrechte (GFF) feststellt|:
Erfasst sind zunĂ€chst sĂ€mtliche öffentliche VergnĂŒgungen, Volksfeste, Sportveranstaltungen, Messen, Ausstellungen, MĂ€rkte und Ă€hnliche öffentliche Veranstaltungen (§ 42 Abs. 1 WaffG) sowie sĂ€mtliche Verkehrsmittel des öffentlichen Personennahverkehrs (§ 42b WaffG-E), dazu â unter den Voraussetzungen des § 42 Abs. 5 und 6 WaffG-E â kriminalitĂ€tsbelastete StraĂen, Wege und PlĂ€tze sowie â unabhĂ€ngig von einer KriminalitĂ€tsbelastung â bestimmte hochfrequentierte StraĂen, Wege, PlĂ€tze, GebĂ€ude, FlĂ€chen, Einkaufszentren sowie Jugend- und Bildungseinrichtungen.
Die Auswirkungen auf das Leben der Menschen sind massiv, sagt die GFF: âEs ist dadurch faktisch unmöglich, sich dem rĂ€umlichen Anwendungsbereich der Kontrollbefugnisse auf Dauer zu entziehen, ohne sich aus weiten Teilen des öffentlichen Lebens zurĂŒckzuziehen.â Oder einfacher: Wer nicht kontrolliert werden will, kann eben nur noch zuhause bleiben.
Klar ist auch, dass eine solche Kontrollbefugnis nicht nur âMesserâ zu Tage fördern wird. Jede harmlose Kleinkonsumentin von Partydrogen auf dem Weg nach Hause vom Techno-Rave muss sich in Zukunft Sorgen machen als Messer-Beifang in den Fokus der Polizei zu geraten. Jeder Heimwerker mit einer SprĂŒhdose in der Tasche wird zum möglichen Sprayer und muss sich unangenehme Fragen gefallen lassen. Und wer auf dem Weg auf eine Demonstration oder ein FuĂballstadion ist, kann in Zukunft davon ausgehen, dass die Taschen durchsucht werden.
Aber es sind nicht nur Handwerker mit eventuell strafbaren Messern, denen Kontrollen zusetzen könnten. Es sind wir alle. Wer möchte schon seine privaten Handtascheninhalte durchforsten lassen, um sich Weinflaschen, Tampons, Sextoys, BĂŒcher oder UnterwĂ€sche von Polizist:innen befingern zu lassen. Niemand sollte sowas ohne Anlass erdulden mĂŒssen.
Es entsteht eine Welt, in der wir permanent Gefahr laufen, kontrolliert zu werden. Oder wie es die GFF sagt: Die Menschen âmĂŒssen stets davon ausgehen, jederzeit und ĂŒberall innerhalb der oben genannten Orte anlasslos angehalten, befragt und durchsucht zu werdenâ.
Wer kontrolliert wird, entscheidet einzig und allein die Polizei. Und die hat |erwiesenermaĂen rassistische Muster bei solchen Kontrollen (Racial Profiling)| oder âkenntâ auf Basis Ă€uĂerlicher Vorurteile âihre Pappenheimerâ, weswegen bestimmte Gruppierungen der Gesellschaft hĂ€ufiger als andere in Kontrollen geraten werden. Insgesamt geht die GFF hier von einem EinschĂŒchterungseffekt fĂŒr alle aus, aber auch insbesondere fĂŒr Personen, die schon einmal negative Erfahrungen mit der Polizei gemacht haben. Zudem gebe es eine âhohe Gefahr des gezielten Missbrauchs sowie des diskriminierenden Einsatzes der Kontrollbefugnisseâ.
Eine Kontrolle in der Ăffentlichkeit ist nicht nur Ă€rgerlich, sondern stellt auch Passant:innen vor anderen bloĂ. Die GFF spricht hier von einem âhohen Stigmatisierungspotentialâ. Denn bereits durch die Auswahl einer Person bringe die Polizei zumindest nach auĂen zum Ausdruck, dass dieser Person in gesteigertem MaĂe zugetraut wird, gefĂ€hrlich zu sein.
Die Gesellschaft fĂŒr Freiheitsrechte hĂ€lt die PlĂ€ne der Ampel-Regierung daher fĂŒr âunverhĂ€ltnismĂ€Ăigâ, sie spricht von einem âGeneralverdachtâ und âerheblichen Grundrechtseingriffenâ.
Dass derartig absurde Polizeibefugnisse ausgerechnet von einer Regierungskoalition kommen, in der mit FDP und GrĂŒnen zwei selbsternannte BĂŒrgerrechtsparteien vertreten sind und die sich| einst als âFortschrittskoalitionâ| feierte, verwundert dann doch: So einen Abbau demokratischer und freiheitlicher Errungenschaften hĂ€tte sich die Union vermutlich nicht getraut â und erst recht nicht in diesem Schweinsgalopp, mit der das Gesetzespaket durch den Bundestag getrieben wird.
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|Ăberwachungspaket der Ampel|
|wie die Gesellschaft fĂŒr Freiheitsrechte (GFF) feststellt|
|erwiesenermaĂen rassistische Muster bei solchen Kontrollen (Racial Profiling)|
| einst als âFortschrittskoalitionâ|
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Mon, 23 Sep 2024 13:26:57 +0000
Markus Reuter
Im Innenausschuss des Bundestages ging es heute um das âSicherheitspaketâ. Kirchen, MenschenrechtsverbĂ€nde und die Beauftragte fĂŒr den Datenschutz kritisieren die MaĂnahmen als unverhĂ€ltnismĂ€Ăig und rechtswidrig. Die wichtigsten Kritikpunkte im Ăberblick.
Die Bundesregierung macht Tempo, der Bundestag macht mit. Mit bemerkenswerter Geschwindigkeit geht derzeit ein BĂŒndel von MaĂnahmen durch das Parlament, das vor allem die Lage von GeflĂŒchteten verschĂ€rft. Zwischen der ersten Lesung der Gesetze am 12. September und der |Anhörung im Innenausschuss| (|Mitschnitt|) heute liegen gerade mal elf Tage.
Trotzdem ist die Liste der Fachleute und VerbĂ€nde, die sich zu Wort melden, lang. |Mehr als 20 Stellungnahmen| sind eingegangen zu den beiden Gesetzespaketen, eines |âzur Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystemsâ| und ein weiteres |âzur Verbesserung der TerrorismusbekĂ€mpfungâ| (PDF). Pro Asyl und die SozialverbĂ€nde, die Polizeigewerkschaften und die Kirchen â sie haben trotz dieser Hau-Ruck-Aktion und der kurzen Bearbeitungszeit die Vorhaben kommentiert.
âJede dieser Neuerungen hĂ€tte eine eigene Anhörung verdientâ, sagte die Juristin Sarah Lincoln von der Gesellschaft fĂŒr Freiheitsrechte (GFF), die als eine der ersten in der Anhörung zu Wort kam. Und es stimmt: Im so genannten Sicherheitspaket, mit dem die Bundesregierung auf den Terrroranschlag von Solingen reagiert, sind derart viele neue Befugnisse fĂŒr Asyl- und Sicherheitsbehörden vorgesehen, dass sie alle zusammen in diesem Tempo kaum abzuhandeln sind.
Die Bundesregierung will staatliche Leistungen fĂŒr bestimmte Asylsuchende streichen, die ĂŒber ein anderes EU-Land eingereist sind. Sie weitet den Katalog der AbschiebegrĂŒnde nochmals aus. An vielen Orten sollen |Menschen in Zukunft ohne Anlass angehalten und durchsucht werden| können. Polizeibehörden sollen per biometrischer Gesichtserkennung nach Personen im Netz fahnden dĂŒrfen. Ein Szenario, wie man es von Gesichtersuchmaschinen wie Clearview kennt â inklusive zweifelhafter DatenschutzkonformitĂ€t.
Den VerbĂ€nden und Fachleuten blieb bei diesem Tempo schlicht nichts anderes ĂŒbrig, als sich auf einzelne, besonders gravierende Punkte zu beschrĂ€nken. FĂŒr Pro Asyl ist das der Plan, die Sozialleistungen fĂŒr manche âDublin-FĂ€lleâ zu streichen. Das sind Asylsuchende, die bereits in einem anderen EU-Staat registriert sind. Hat der entsprechende Staat zugestimmt, dass die Person dahin ĂŒberstellt wird, soll sie kĂŒnftig nur noch zwei Wochen lang Grundleistungen wie Nahrung und Unterkunft in Deutschland bekommen.
âWĂŒrde der Gesetzeswortlaut tatsĂ€chlich in die Praxis umgesetzt werden, dann wĂŒrde dies zu einer bis heute in Deutschland unbekannten Obdachlosigkeit von schutzsuchenden Menschen fĂŒhrenâ, warnt Pro Asyl. Der Verband verweist auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Das Existenzminimum gilt demnach fĂŒr alle Menschen, âauch fĂŒr geflĂŒchteteâ.
Auch Sarah Lincoln stellt den PlĂ€nen ein vernichtendes Zeugnis aus: Der Entwurf grĂŒnde auf einer Fehlannahme, kritisiert sie. Er geht davon aus, dass es fĂŒr Dublin-GeflĂŒchtete einfach möglich sei, das Land zu verlassen. Diese dĂŒrften laut der geltenden Regeln aber gar nicht freiwillig ausreisen. Sie mĂŒssten von Behörden abgeschoben werden â was allerdings lĂ€nger dauert. In der Wartezeit auf ihre Abschiebung bedeute das fĂŒr tausende Menschen Obdachlosigkeit und Verelendung. âOhne Geld, Nahrung oder medizinische Hilfe bleibt den Betroffenen nichts anderes ĂŒbrig, als in GrĂŒnanlagen oder unter BrĂŒcken zu campieren und zu betteln.â
Auch der ParitĂ€tische Gesamtverband formuliert scharf: âDer Ausschluss von sogenannten âDublin-FĂ€llenâ von jeglichen Leistungen nimmt die Obdachlosigkeit und Verelendung potentiell Tausender Menschen zur Erreichung migrationspolitischer Ziele in Kauf.â
|So will die Bundesregierung Asyl- und Polizeigesetze verschÀrfen|
Geplant ist ebenfalls, dass das Bundeskriminalamt Befugnisse zur biometrischen Ăberwachung im Internet bekommt. Mit Stimmproben und Fotos aus den eigenen Datenbanken soll sie kĂŒnftig auch auf Social Media rĂŒckwirkend nach Personen suchen und diese identifizieren dĂŒrfen. So sollen etwa TerrorverdĂ€chtige in IS-Videos ausfindig gemacht werden, hieĂ es dazu von der Ampel.
Diese Begehrlichkeiten aus dem Bundesinnenministerium von Nancy Faeser (SPD) sind nicht neu. Bis zum Anschlag von Solingen sind sie aber noch am Widerstand von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) gescheitert. Unter dem Druck, der nach Solingen auf der Ampel lastete, hat auch Buschmann schlieĂlich zugestimmt.
Das ist ein Bruch der Versprechen aus dem Koalitionsvertrag, erinnert die Organisation AlgorithmWatch in ihrer Stellungnahme. Damals sagte die Ampel noch, âdas Recht auf AnonymitĂ€t sowohl im öffentlichen Raum als auch im Internetâ sei zu gewĂ€hrleisten.
Die vorgeschlagenen MaĂnahmen seien aber nicht nur ein Bruch selbst gemachter Versprechen, sondern auch des EU-Rechts. Die erst vor kurzem Verabschiedete KI-Verordnung verbiete es, Gesichtsbilder aus dem Internet zu scrapen, um daraus eine Datenbank fĂŒr Gesichtserkennung zu erstellen. Ab Februar 2025 sei das in Deutschland geltendes Recht â auch fĂŒr Strafverfolgungsbehörden und Migrationsbehörden wie das BAMF, das ebenfalls per biometrischem Abgleich die IdentitĂ€t von Asylsuchenden feststellen soll.
âDie in den GesetzentwĂŒrfen vorgesehene Befugnis zum nachtrĂ€glichen biometrischen Ăberwachen sĂ€mtlicher öffentlich zugĂ€nglicher Daten aus dem Internet kann ohne den Einsatz dieser EU-weit verbotenen KI-Systeme nicht umgesetzt werdenâ, schreibt AlgorithmWatch. Die geplanten Einsatzzwecke â Gefahrenabwehr, Strafverfolgung, IdentitĂ€tsfeststellung im Zuge von Asylverfahren â seien alle eindeutig von der Verordnung erfasst.
Die Bundesdatenschutzbeauftragte Louisa Specht-Riemenschneider kritisiert, dass ihr Haus âbei einer derart gewichtigen GesetzesĂ€nderungâ nicht einmal gefragt wurde. Die Bundesregierung hatte ihre Formulierungshilfe in den Tagen nach dem Anschlag im Eiltempo erstellt, ohne Specht-Riemenschneider zu beteiligen. Diese kritisiert jetzt: Sowohl fĂŒr eine effektive Polizeiarbeit als auch fĂŒr die Wahrung der Grundrechte betroffener Personen sei es wichtig, dass fĂŒr neue Gesetze eine grĂŒndliche Vorarbeit geleistet wird.
FĂŒr besonders problematisch hĂ€lt Specht-Riemenschneider das ZusammenfĂŒhren von Daten in Super-Datenbanken bei Bundeskriminalamt und Bundespolizei, den Einsatz von Gesichtserkennungstechnologie zulasten Dritter und die unzureichende Begrenzung auf schwere Straftaten. Der biometrische Abgleich mit Daten aus dem Internet, der mit den GesetzesentwĂŒrfen eingefĂŒhrt werden soll, ermögliche âerhebliche Eingriffe in die Rechte unbeteiligter Personenâ. Auch mutmaĂliche Zeug*innen, Erziehungsberechtigte oder Betreuer*innen mutmaĂlicher GefĂ€hrder*innen könnten von der biometrischen Erkennung erfasst werden.
âEs bestĂŒnde in der jetzigen Ausgestaltung der Norm bei einer videografierten Tatbegehung auf einem Volksfest die Möglichkeit, die biometrischen Daten einer Vielzahl möglicher unbeteiligter Besucher des Festes als Zeugen mit im Internet öffentlichen Daten automatisch abzugleichen, nur um diese als Zeugen zu identifizieren, ohne dass dies fĂŒr die Ermittlungen von ausschlaggebender Bedeutung sein mussâ, schreibt Specht-Riemenschneider in einer ihrer Stellungnahmen zum Gesetzespaket.
Auch sie kritisiert, der biometrische Abgleich sei nicht mit der KI-Verordnung zu vereinbaren. âDiese verbietet unter anderem die Verwendung von KI-Systemen, die Datenbanken zur Gesichtserkennung durch das ungezielte Auslesen von Gesichtsbildern aus dem Internet oder von Ăberwachungsmaterial erstellen oder erweitern.â Da die Polizeibehörden nach der KI-Verordnung keine eigene umfassende Datenbank zur Gesichtserkennung anlegen dĂŒrften, aber nach allgemeiner Ansicht auch nicht Kunden etablierter kommerzieller Anbieter wie PimEyes oder Clearview AI werden sollten, mĂŒssten sie fĂŒr jeden Abgleich von Gesichtsbildern den aktuellen Lichtbildbestand des Internets erheben. âDies ist unter den heutigen technischen Gegebenheiten unrealistischâ, schreibt Specht-Riemenschneider.
Zudem seien die strafrechtlichen Voraussetzungen des biometrischen Abgleichs zu weit gefasst. Der jetzige Entwurf wĂŒrde bedeuten, dass auch lĂ€ngerfristiger Sozialhilfebetrug oder regelmĂ€Ăige Kleindealerei schon ausreichen wĂŒrden, um eine biometrische Fahndung einzuleiten.
Specht-Riemenschneider vermisst auch eine klare Regelung, âdass die Daten, sofern sie nicht als Beweismittel in einem Strafverfahren dienen können, sofort zu löschen sind.â Auch die Vorschriften zur automatisierten Datenanalyse seien viel zu weit gefasst. âEs besteht das Risiko, dass auf Grundlage dieser Norm eine umfassende Datensammlung im Sinne einer Super-Datenbank beim BKA aufgebaut wird.â Jeder, der einen Wohnungseinbruch anzeigt, wĂŒrde in dieser Datenbank erfasst.
Zudem handele es sich um Daten sehr unterschiedlicher SensibilitĂ€t, von bloĂen Adressen ĂŒber medizinische Gutachten bis hin zu Namen von Vergewaltigungsopfern und Angaben ĂŒber Details solcher Taten. âDie EingriffsintensitĂ€t der mit dem vorliegenden Entwurf beabsichtigten Praktiken ist also maximal hoch und bedarf dringend der EinschrĂ€nkungâ, schreibt Specht-Riemenschneider.
Kritik am Gesetz kam in den Stellungnahmen nicht nur von MenschenrechtsverbĂ€nden. So kritisiert der Deutsche Jagdverband die im Paket vorgesehenen Messerverbotszonen, welche die TĂŒr fĂŒr anlasslose Kontrollen auf der StraĂe öffnen. Es sei zu befĂŒrchten, dass âpotentiell eine gewaltige Zahl an unbescholtenen BuÌrgern unter die neuen Verbote faÌllt, die gar nicht das Ziel der Regelungen sindâ. Als Beispiel nennt der Verband ein Obstmesser im Kinderwagen oder ein Multitool als Fahrradwerkzeug.
Dass âMesserâ nicht genauer definiert ist, kritisiert auch die GFF. Doch schwerwiegender sieht die Menschenrechtsorganisation, dass die Messerverbote anlasslose Kontrollen ausweiten und der Polizei das Recht geben, Personaldokumente zu verlangen und Menschen zu durchsuchen â und das an sehr vielen möglichen Orten und nicht mehr nur in definierten Waffenverbotszonen. Die Kontrollen böten ein âhohes Stigmatisierungspotentialâ so die GFF. Die Menschenrechtsorganisation fĂŒrchtet auch Kontrollen gegen âmissliebigeâ Versammlungen und ein Einfallstor fĂŒr rassistische Kontrollen mittels so genanntem Racial Profiling.
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Mon, 23 Sep 2024 11:15:20 +0000
Matthias Monroy
Die StabilitÀt und FunktionsfÀhigkeit des neuen Einreise-/Ausreisesystems der EU kann weiterhin nicht getestet werden. Die Bundesregierung verschiebt die Inbetriebnahme deshalb auf unbestimmte Zeit.
Die vollstĂ€ndige EinfĂŒhrung des neuen EU-Einreise-/Ausreisesystems (EES), bei dem von allen Reisenden an AuĂengrenzen FingerabdrĂŒcke und Gesichtsbilder verlangt werden, verschiebt sich voraussichtlich erneut. Vergangene Woche |hatte der britische âGuardianâ gemeldet|, dass Frankreich, Deutschland und die Niederlande fĂŒr den vorgesehenen Start am 10. November nicht bereit sind. |Auf Anfrage der Zeitung ândâ| stellt das Bundesinnenministerium dies nun drastischer dar: Demnach hĂ€tten die drei Regierungen es abgelehnt, zum möglichen EinfĂŒhrungstermin âĂŒberhaupt eine ErklĂ€rung abzugebenâ.
Die notwendige StabilitĂ€t und FunktionsfĂ€higkeit des EES-Zentralsystems sei âbis heute nicht vorhandenâ, heiĂt es zur BegrĂŒndung. Dadurch es sei weiterhin unmöglich, die in jedem Mitgliedstaat erforderlichen finalen Tests des EES-Gesamtsystems durchzufĂŒhren. Auch die von der noch amtierenden EU-Innenkommissarin anvisierte Verschiebung um eine Woche auf den 17. November steht damit infrage.
Das EES sieht vor, dass Nicht-EU-BĂŒrger:innen bei ihrer ersten Einreise in den Schengen-Raum vier FingerabdrĂŒcke abgeben und ein Foto von ihrem Gesicht gemacht wird. KĂŒnftige Ein- und Ausreisen sollen dann biometrisch verifiziert werden. Reisende fĂŒr den Schengen-Raum mit Visa mĂŒssen diese Daten bereits bei der Antragstellung in einem Konsulat hinterlegen. Das EES zielt deshalb auf Drittstaatsangehörige, mit deren HerkunftslĂ€ndern die EU Abkommen fĂŒr visafreie Reisen fĂŒr einen Zeitraum bis zu drei Monaten abgeschlossen hat. FĂŒr diese Gruppe von EU-AuslĂ€nder:innen war die Abgabe biometrischer Daten bislang nicht erforderlich.
ZustĂ€ndig fĂŒr die Bereitstellung des EES-Zentralssystems ist die EU-Agentur fĂŒr das Betriebsmanagement von IT-GroĂsystemen (eu-LISA). Dort macht man die Lieferanten fĂŒr den schleppenden Start verantwortlich. |Die Ausschreibung| ĂŒber 142 Millionen Euro gewann 2019 die Firma Atos mit einem Konsortium aus IBM und Leonardo. Die Verzögerung fĂŒhrt zu einer deutliche Kostensteigerung, die letztes Jahr bereits 30 Millionen Euro betragen haben soll.
FĂŒr KopfschĂŒtteln sorgt, dass eu-LISA von den sĂ€umigen Auftragnehmern keine finanzielle EntschĂ€digung fordert. |Möglicherweise ein Interessenkonflikt|: Anfang 2023 wurde AgnĂšs Diallo, die laut eu-LISA zuvor bei Atos âeine Reihe von FĂŒhrungspositionenâ inne hatte, zur neuen Direktorin der Agentur ernannt. Nach etwas mehr als einem Jahr im Amt trat Diallo zurĂŒck, im August hat der Verwaltungsrat von eu-LISA bis zur Neuwahl |eine Ăbergangschefin ernannt|.
Die EinfĂŒhrung des EES war bereits letzten Sommer geplant, wurde jedoch wegen Bedenken Frankreichs in Bezug auf die Rugby-Weltmeisterschaft und die Olympischen Spiele verschoben. Der Termin wurde dann auf den 6. Oktober dieses Jahres festgelegt, spĂ€ter jedoch auf November verlegt, um Störungen wĂ€hrend der Schulferien in den EU-Staaten zu vermeiden.
Deutschland reprĂ€sentiert zusammen mit Frankreich und den Niederlanden 40 Prozent des vom Einreise-/Ausreisesystem betroffenen Passagierverkehrs. Die LĂ€nder unterstĂŒtzen zwar grundsĂ€tzlich die EinfĂŒhrung des Systems, da es aus ihrer Sicht die Sicherheit erhöhen soll. Frankreich sorgt sich aber auch um Staus in Dover, wo britische und französische Grenzkontrollen stattfinden. Dort gibt es BefĂŒrchtungen, dass Wartezeiten von bis zu 14 Stunden den Verkehr von Lastwagen, Autos und Bussen beeintrĂ€chtigen könnten.
Auch an internationalen FlughĂ€fen werden deutlich lĂ€ngere Grenzkontrollen erwartet. Zusammen mit der EU-Grenzagentur Frontex hat deshalb die Bundespolizei |eine App entwickelt|, um diese Wartezeiten zu verkĂŒrzen. Reisende können freiwillig ihre geplante Aufenthaltsdauer, den Grund der Reise und anvisierte Reiseziele vorab mitteilen. AuĂerdem sollen sie Angaben zur Bargeldmenge, Kreditkarte und einer Reisekrankenversicherung machen. Aus den Informationen erstellt die App einen QR-Code, den die Reisenden am Flughafen vorzeigen können.
In ihrer Mitteilung zur Verzögerung des EES verweist das deutsche Innenministerium auch auf Probleme an kleineren FlughĂ€fen. Im Sommer hatte |die Privatjet-Lobby Alarm geschlagen|, da mit EinfĂŒhrung des EES alle GeschĂ€ftsreisenden aus dem Schengen-Ausland bald zwingend kontrolliert werden mĂŒssen. Das wĂŒrde erfordern, dass auch an privat betriebenen FlugplĂ€tzen die Bundespolizei stationiert werden mĂŒsste. Die Kosten hierfĂŒr wĂŒrden den Betreibern auferlegt.
Die Bundesregierung kann zum Start des EES nach eigenen Angaben âderzeitig keine Aussagen zum weiteren Zeitplan treffenâ, da hierfĂŒr die EU-Kommission verantwortlich ist. In Deutschland gebe es zu dem Thema aber eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit der zustĂ€ndigen Behörden und der Luftfahrtindustrie. Mit einer âabgestimmten Informationsstrategieâ sei man dort auf die bevorstehende EinfĂŒhrung des Systems vorbereitet, sagte das Innenministerium dem ândâ. Davon ist jedoch bislang nichts zu sehen.
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|hatte der britische âGuardianâ gemeldet|
|Auf Anfrage der Zeitung ândâ|
|Möglicherweise ein Interessenkonflikt|
|eine Ăbergangschefin ernannt|
|die Privatjet-Lobby Alarm geschlagen|
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Mon, 23 Sep 2024 10:04:29 +0000
Matthias Spielkamp
Die Regierung will mit ihrem Sicherheitspaket massiv in Grundrechte eingreifen. Der groĂe öffentliche Aufschrei bleibt aus, doch gerade jetzt sollten wir entschieden âStoppâ sagen. Ein Kommentar.
Die PlĂ€ne der Regierung zu kommentieren, digitale Ăberwachung |mit dem sogenannten Sicherheitspaket| massiv auszuweiten, kann man sich leicht oder schwer machen. Es ist leicht, der Gemeinde der ohnehin bekehrten netzpolitik.org-Leser*innen und der digitalen Zivilgesellschaft zu erklĂ€ren, dass die PlĂ€ne âder Politikâ mal wieder Grundrechte abbauen.
Sicherheitsbehörden bekommen neue Befugnisse, Menschen fĂŒhlen sich beobachtet, die Falschen werden verhaftet, die Technologien befördern Diskriminierung und so weiter und so fort. Die Argumente sind bekannt und am Ende fĂŒhlen sich alle in dem bestĂ€tigt, was sie ohnehin schon wussten. Das Parlament beschlieĂt die Gesetze trotzdem.
Warum?
Das ist schwieriger. Es geht um die Frage, warum das Thema nicht genug Menschen zum Protestieren bringt. Oder, schlimmer noch: Warum Menschen die Argumentation sogar ĂŒberzeugend finden, dass es |biometrische Gesichtserkennung und KI-gestĂŒtzte Datenanalyse| braucht, um sicher zu leben.
Einer der entscheidenden GrĂŒnde liegt wohl darin, dass diese technologiegestĂŒtzten Methoden sehr abstrakt sind. Viele Menschen spĂŒren die Folgen ihres Einsatzes nicht direkt. Und empfinden sie daher nicht als Kosten, die sie selbst tragen mĂŒssen.
Es ist beispielsweise völlig klar, dass eine Ausgangssperre zwischen 21 und 4 Uhr die Zahl der Gewaltverbrechen an öffentlichen Orten massiv verringern wĂŒrden. WĂ€re sie durchsetzbar? Kaum. Weil Menschen sie als direkte und konkrete EinschrĂ€nkung ihrer Freiheit im eigenen Alltag empfinden wĂŒrden. Und sie daher sagen wĂŒrden: Dieser Preis ist zu hoch.
Warum empfinden sie den Preis digitaler Ăberwachung als so niedrig, dass sie ihn zahlen wĂŒrden, obwohl zugleich völlig unklar ist, wie Verbrechen dadurch verhindert werden können? Sicherlich deshalb, weil die meisten unter den Folgen nicht zu leiden hĂ€tten.
âIch habe nichts zu verbergenâ kann eine pragmatische Haltung sein â fĂŒr diejenigen, die nicht selbst von staatlicher Repression betroffen sind und sich nicht fĂŒr den Erhalt von Freiheitsrechten einsetzen. Oft ist es ein âdie versus wirâ, die der Haltung zugrunde liegt.
Da sind Menschen, die von der Polizei mit stĂ€ndigen Kontrollen drangsaliert werden, weil sie eine dunkle Hautfarbe haben. Zu denen gehören âwirâ nicht â die Mehrheit, der das nicht passiert.
Da sind die, gegen die Polizei und andere staatliche Stellen ihren ganzen Machtapparat auspacken und auch zu oft missbrauchen â etwa âKlimakleber*innenâ, die als kriminelle Vereinigung verfolgt werden. Auch zu denen gehören âwirâ nicht â die Mehrheit, die keinen zivilen Ungehorsam praktiziert (oder auch nur an genehmigten Demonstrationen teilnimmt).
Wer dann Martin Niemöller zitiert, wird schnell als Ăbertreiber hingestellt. âAls die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunistâ, hatte der Pfarrer in VortrĂ€gen im Nachkriegsdeutschland gesagt. Und weiter: âAls sie die Gewerkschaftler holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschaftler. Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Jude. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.â
Wir leben in einem gefestigten Rechtsstaat, nicht unter einer Nazi-Regierung. Das kann uns also nicht passieren, ist oft eine Entgegnung. Ich halte es fĂŒr falsch und sogar gefĂ€hrlich, darauf lediglich zu entgegnen, dass in ThĂŒringen eine rechtsradikale Partei bereits eine Mehrheit der Parlamentssitze hat und wir deshalb immer damit rechnen mĂŒssen, dass wir uns nicht mehr auf den Rechtsstaat verlassen können, weil die AfD alles dafĂŒr tun wird, ihn abzuschaffen
Das stimmt zwar. Aber es birgt die Gefahr zu denken: Solange wir die AfD aus der Regierung halten können, ist alles gut. Das wĂ€re es nicht. Wie wir gerade sehen, gibt es bei SPD, CDU/CSU, FDP und GrĂŒnen so viele Scharfmacher*innen und rĂŒckgratlose Opportunist*innen, dass wir uns nicht in Sicherheit wiegen können. Sie sind bereit, Ăberwachung auszuweiten, um damit Stimmen bei denen zu sammeln, die nicht verstehen, dass sie selbst davon betroffen wĂ€ren, und â derzeit â nicht fĂŒrchten, daraus Nachteile zu erleiden.
Es muss uns daher gelingen zu vermitteln, dass unser aller Freiheit beschnitten wird, wenn wir zulassen, dass zum einen Angehörige von Minderheiten schikaniert werden, zum anderen Menschen, die sich bei Demonstrationen und anderen Gelegenheiten fĂŒr politische VerĂ€nderungen einsetzen.
Das mĂŒssen wir bei jeder Gelegenheit tun, die sich bietet: indem wir Briefe und Emails an die politischen Parteien schreiben, Petitionen unterzeichnen und auf Demos gehen. Aber vor allem: Indem wir das Thema auch mit den Freund*innen und Familienmitgliedern diskutieren, von denen wir wissen oder befĂŒrchten, dass sie es nicht fĂŒr notwendig halten, aktiv zu werden. Auch sie mĂŒssen wir davon zu ĂŒberzeugen versuchen, dass wir alle hier und jetzt âStopp!â sagen mĂŒssen.
Die Voraussetzungen dafĂŒr sind so schlecht wie lange nicht mehr. Menschen, die vor Gewalt und Hunger fliehen, werden von Politik und Medien als potenzielle AttentĂ€ter*innen dĂ€monisiert. Menschen, die den StraĂenverkehr behindern, werden als Schwerverbrecher*innen verfolgt.
Aber wir können uns daran erinnern, dass viele Menschen in vielen Gesellschaften gegen enorme WiderstĂ€nde gekĂ€mpft und am Ende gewonnen haben. Und wir mĂŒssen die Chance nutzen, dass unsere Bedingungen wesentlich besser sind als die unter der Herrschaft der Nazis, in der DDR und anderswo: Wir leben nicht in einem Unrechtsstaat. Presse- und ĂuĂerungsfreiheit sind garantiert und werden von den Gerichten grundsĂ€tzlich sehr hochgehalten, die Versammlungsfreiheit ebenso. Wir mĂŒssen diese Freiheit nutzen, um die Freiheit zu verteidigen.
Denn es wird oft vergessen, dass Niemöller nicht dafĂŒr gekĂ€mpft hatte, die Nazis von der Macht abzuhalten. Im Gegenteil: Er hatte mit ihnen sympathisiert und eben selbst geschwiegen, als sie andere verfolgten, darunter Mitglieder linker politischer Bewegungen, die der konservative Niemöller entschieden ablehnte.
Seine Einsicht kam daher zu spĂ€t, um die Katastrophe zu verhindern. Aber sie kam, und als er im Nachkriegsdeutschland seine Reden hielt, tat er es nicht vom hohen moralischen Ross herab, sondern in Sack und Asche. Mit dem Ziel zu verhindern, dass etwas Ă€hnliches wieder passiert. Wir mĂŒssen uns also zugleich ein Vorbild an ihm nehmen und besser sein als er: Wir dĂŒrfen nicht warten, bis es zu spĂ€t ist.
Matthias Spielkamp ist MitgrĂŒnder und GeschĂ€ftsfĂŒhrer von AlgorithmWatch. Er ist Mitglied im Beirat des deutschen Koordinators fĂŒr Digitale Dienste und Vorstandsmitglied bei Reporter ohne Grenzen, im Verwaltunsgrat der Stiftung Warentest, den BeirĂ€ten der Freudenberg-Stiftung und des Whistleblower-Netzwerks und im Fachausschuss Kommunikation/Information der Deutschen UNESCO-Kommission.
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Mon, 23 Sep 2024 09:39:02 +0000
Martin Schwarzbeck
Ein SchĂŒler hat die geheime Liste der Websites veröffentlicht, die nach Absprache von Unternehmen und VerbĂ€nden in Deutschland gesperrt werden â viele davon offenbar zu Unrecht. Jetzt haben Internetprovider 39 der gesperrten Domains wieder freigegeben. Zwei Seiten sind weiterhin grundlos mit einem DNS-Block versehen.
|Damian|, nach eigenen Angaben ein 17-jĂ€hriger SchĂŒler, hat sich mit der Unterhaltungsindustrie angelegt. Und gerade einen Teilsieg eingefahren. Sein Kampf begann, als er eine Liste aller Domains zugespielt bekam, die in Deutschland gesperrt sind, weil sie Filme, Musik, Spiele und andere KulturgĂŒter gratis zugĂ€nglich machen. Damian |hat die Liste veröffentlicht|, wir |haben darĂŒber berichtet|.
Kurz darauf, am 28. August, hat Damian die Domains geprĂŒft und festgestellt, dass ein Drittel zu Unrecht gesperrt ist, weil dort keine Urheberrechte verletzt werden. Auch darĂŒber |haben wir berichtet|. Der Text erschien am Morgen des 12. September. Als ein Beispiel fĂŒr die unrechtmĂ€Ăige Sperrung ist darin die Domain burningseries.tw genannt. Am Mittag des 12. September schrieb Damian: âDrei von den vier Internetanbietern, die wir beobachten, haben heute morgen burningseries.tw entsperrt. Ob es da wohl ein bisschen Druck von der CUII gab?â
Die Clearingstelle Urheberrecht im Internet, kurz CUII, ist die Institution, die in Deutschland Webinhalte wegen Urheberrechtsverletzungen sperren lÀsst. |Mitglieder sind| Internetanbieter und Rechteinhaber. Die Rechteinhaber beantragen die Sperren, die CUII stellt fest, ob eine systematische Urheberrechtsverletzung vorliegt. Ist dem so und gibt die Bundesnetzagentur (BNetzA) ihr okay, empfiehlt die CUII den Providern, die Seite zu sperren. Richter*innen sind in diese schwerwiegenden Eingriffe in die Informationsfreiheit nicht eingebunden.
Am Mittag des 13. September schrieb Damian: âDie betreiben einige Aufarbeitung gerade, es wird eine Domain nach der anderen entsperrt.â
Rechnet man Sub-Domains zusammen, waren laut Recherchen von Damian zuletzt 122 Seiten auf Empfehlung der CUII in Deutschland gesperrt. Auf 41 der Seiten hatte Damian keine urheberrechtswidrigen Inhalte gefunden. Sie standen zum Verkauf, verlinkten auf andere Seiten oder fĂŒhrten ins Nichts. Von den 41 Seiten sind bei den meisten Providern inzwischen nur noch zwei gesperrt. Lediglich o2 hinkt noch hinterher und sperrt, Stand 22. September, noch sieben Seiten unrechtmĂ€Ăig.
Die inzwischen freigegebenen Seiten waren teils ĂŒber ein Jahr lang grundlos gesperrt. Dabei sind die CUII-Mitglieder eigentlich dazu verpflichtet zu prĂŒfen, ob die blockierten Seiten weiterhin âstrukturell urheberrechtswidrigeâ Inhalte anbieten. Und zwar regelmĂ€Ăig, so der |CUII-Verhaltenskodex| und die |Verabredung mit der Bundesnetzagentur|.
Das Monitoring ist wichtig, weil die Internetsperre ein weitreichender Eingriff in die |grundgesetzlich geschĂŒtzte Informationsfreiheit| ist und gut begrĂŒndet sein muss. Dass die CUII die gesperrten Seiten jetzt weitgehend freigegeben hat, zeigt, dass die Seiten tatsĂ€chlich unrechtmĂ€Ăig gesperrt waren â und das Monitoring unzureichend war. Jetzt muss sich zeigen, ob nach der groĂen Aufarbeitung die Netzsperren regelmĂ€Ăig ĂŒberprĂŒft werden.
Jan Bernd Nordemann, Vorsitzender des Steuerungskreises der CUII, schreibt auf netzpolitik.org-Anfrage, dass auch AuĂenstehende melden können, wenn die Voraussetzung fĂŒr die DNS-Sperre einer Website nicht mehr vorliegt. Das sei bislang zweimal passiert, einmal aufgrund eines Hinweises von netzpolitik.org. Wir hatten die CUII vor Veröffentlichung des Textes mit dem Vorwurf der unrechtmĂ€Ăigen Sperrungen konfrontiert und als Beispiel burningseries.tw genannt. Das zweite Hinweis kam vermutlich von Damian, der die unrechtmĂ€Ăige Sperrung von serien.sx bemĂ€ngelte.
Die Zahl der Hinweise ist vermutlich auch deshalb so gering, weil Nutzer*innen der gröĂten deutschen Internetanbieter die Seiten ja nicht ohne weiteres ansteuern können, um ihren Inhalt zu ĂŒberprĂŒfen. Damian hat auch deshalb auf seiner Seite Anleitungen veröffentlicht, die zeigen, |wie man die DNS-Sperren umgeht|.
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|wie man die DNS-Sperren umgeht|
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Skriptlauf: 2024-09-29T05:32:02