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Mittwoch, 15. Oktober 2003 von riot
Sehr geehrte Abgeordnete des Europäischen Parlamentes,
ich schreibe Ihnen im Auftrag eines Computer-Clubs, dessen Mitglieder im gesamten Freistaat Sachsen verteilt wohnen. Wir treffen uns alle 14 Tage in Dresden, um Themen rund um Informationstechik zu besprechen. Dabei beschäftigen uns rein technische Dinge genau so, wie die Interaktion der IT mit der Gesellschaft.
Am 1. September 2003 wird im Europäischen Parlament über die Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen abgestimmt. Die europäischen Experten und die IT-Experten aller Parteien des EP sind sich im Grunde einig darüber, dass der derzeitige Richtlinienentwurf dem europäischen Markt und der Softwareindustrie Europas schadet.Softwarepatente veranlassen Firmen dazu jegliche Banalität für sich zu schützen, die ihnen evtl. irgendwann mal nütze sein könnte. Vielleicht auch nur, um damit zu handeln. Klar, dass sich dies nur finanzkräftige Unternehmen leisten können. Auf faktisch alles, was auf einem Computer an Software und Ideen verwirklicht werden kann, können nach der Verabschiedung dieser Richtlinie Patente erhoben werden. Wenn ich eine der bereits patentierten Ideen selbst in Software implementiere kann ich zivilrechtlich dafür belangt werden.
Der neuste Entwurf verbietet sogar die alleinige Veröffentlichung des Quelltextes. Dem Verstoß folgen im Allgemeinen hohe finanzielle Forderungen der Rechteinhaber.
Wie ich dem ursprünglichem Richtlinienentwurf entnehmen kann, geht es Ihnen eigentlich um die Stärkung des klein- und mittelständischen Unternehmenssektor.
Dieses Engagement ist löblich, nur bewirkt der zur Verabschiedung ausstehende Entwurf genau das Gegenteil. Ein KMU, dass Software entwickelt, verfügt nicht über die finanziellen Mittel überhaupt ein Patent zu beantragen. Denn selbst, wenn man die Patentanmeldungskosten aussen vor lässt entstehen weitere Kosten: Zum Beispiel benötigt man Patentanwälte, welche den gesamten Ablauf überwachen. Weiterhin bedarf es Mannkraft und finanzieller Mittel überhaupt zu überprüfen, in wie weit ein Patent möglich ist, bereits an eine andere Firma erteilt wurde oder ob das eigene Patent ein anderes bestehendes verletzen würde. Allein diese Überprüfungskosten sind unter Umständen höher als die Erstellungskosten für die Software selbst. Die meisten Kosten allerdings entstehen durch die Rechtsstreite, die Folge der Richtlinie sein werden. Das kann sich als recht kein KMU mehr leisten.
Ein mittel- oder kleinständisches Unternehmen kann es sich daher überhaupt nicht leisten, in den Patentmarkt einzusteigen. Somit wird es zum Spielball für die großen Unternehmen, die den Markt mit hohen finanziellen Forderungen überhäufen werden. Es entsteht ein ?Patent-Oligopol? durch die, die sich Patente leisten können. Ein freier Wettbewerb kann deshalb nicht stattfinden.
Der Schaden, der für den europäischen Softwaremarkt entsteht, wäre nicht mehr wiedergutzumachen.
Zur Zeit bietet Europa IT Experten gute Möglichkeiten Geld zu verdienen.
Es gibt keine stark einschränkenden Gesetze wie in den USA. Sollte die Richtlinie allerdings in dieser Form durchgesetzt werden, so werden es sich viele Firmen und Programmierer aus dem KMU-Sektor zweimal überlegen, ob der europäische Markt das richtige Gebiet für ihre Tätigkeiten darstellt. Dies kann nicht in Ihrem Interesse liegen.
Weiterhin befindet sich gerade in Europa ein großer Markt an Entwicklern freier Software. Freie Software als solche ist nicht nur durch Softwarepatente dahingehend gefährdet, als dass sie nicht die Gelder hat, sich im Voraus über mögliche Patentverletzungen zu informieren, sondern dass sie auch im Nachhinein nicht in der Lage ist, mit Firmen, die hohe Geldstrafen androhen faire Kompromisse zu schließen. Sie wird durch die Geldstrafen erdrückt werden. Um zu wissen in welchen finanziellen Dimensionen sich diese Strafen bewegen, lohnt sich ein Blick auf einen Prozess gegen Microsoft wegen einer Patentverletzung: Eine triviale Methode um Programme (Applets) in Webseiten einzubetten wurde patentiert, und nun fordert man von Microsoft 1,2 Mrd $US. In erster Instanz wurde Microsoft zur Zahlung von 521 Mio $ verurteilt.
(http://www.heise.de/newsticker/data/tol-12.08.03-000/)
http://www.heise.de/newsticker/data/tol-12.08.03-000/
Auch wenn Microsoft sich diese Summe durchaus leisten kann, würde bereits ein Bruchteil von ihr ein KMU in den Ruin stürzen.
Bitte beachten Sie, dass es sich dabei nicht um eine Erfindung sondern um eine Selbstverständlichkeit für Programmierer handelt. Andernfalls wäre Microsoft diese Patentverletzung nicht passiert.
Der derzeitige Vorschlag sieht vor, dass auf einfachste Algorithmen, auf einfachste Ideen und Umsetzungen Patente angemeldet und erteilt werden können. Somit ist jeder, der in irgendeiner Form zum Beispiel interaktive Programme entwickelt oder anbietet der Gefahr ausgesetzt, Opfer eines Monopolisten zu werden.
Jeder, der eine Website betreibt, auf der ein Algorithmus die Kommunikation mit dem Besucher regelt oder die irgendwie auf Benutzerverhalten reagiert wird zwangsläufig gegen Patentrecht verstoßen. Denn gerade im Onlinebereich werden gern solche Patente angemeldet, wie zum Beispiel das Amazon-1-Click-Patent zeigt. Dies ist eine triviale Kommunikationsform bei Bestellsystemen, sie konnte problemlos patentiert werden, und genau diese Art von Patenten soll nun zukünftig in Europa auch erlaubt sein? Wie sieht es mit dem Patent EP0689133 (Nr.) auf ein System aus Paletten mit Reitern aus? Die Website des EP (http://www.europarl.de)) würde gegen dieses Patent vermutlich verstoßen. Ein weiteres Beispiel ist das Patent auf Anzeige eines Fortschrittsbalkens. (http://www.elug.de/projekte/patent-party/patente/EP0394160.de.html)
http://www.elug.de/projekte/patent-party/patente/EP0394160.de.html
Diese mehr als triviale, aber in nahezu jeder Software implementierte Technik ist in Europa patentiert. Die Richtlinie würde dem Patentinhaber alle Tore öffnen, sich sein Recht einzuklagen. Eine klein- oder mittelständische Firma oder ein Entwickler freier Software kann es sich nicht leisten, so einen Gerichtsprozess zu riskieren. Aber im Zweifelsfall rechnet er bei dieser Trivialität auch gar nicht damit, dass dieser Algorithmus oder die Theorie bereits patentiert ist. Ich denke Sie können sich selbst ausrechnen, was das für Auswirkungen auf die europäische Softwarebranche hat.
Zum Leidwesen *aller* Computerbesitzer sind aber nicht nur die betroffen, die selbst aktiv Software herstellen oder Software vertreiben, sondern auch die, die Software ausschließlich einsetzen. So wäre es durchaus möglich, dass große Firmen nachdem sie in anderen Produkten Patentverletzungen feststellten, auch an die Anwender dieser herantreten. Würden Sie gern für das Spielen von Minesweeper bezahlen, da das Suchen und Finden von Minen oder ähnlichen Kriegsgütern durch Nutzung der Maus auf Computern von irgendeiner Firma patentrechtlich geschützt wurde? Zum großen Teil sind es nicht irgendwelche komplizierte Verfahren oder Algorithmen die patentiert werden, sondern triviale, die jeder Programmieranfänger problemlos allein entdecken und umsetzen könnte.
Durch das neue Softwarepatentgesetz werden wir von denen abhängig, die aufgrund ihrer Monopolstellung eine Menge verschiedener Patente besitzen. Normale Benutzer bishin zu Mittelständlern werden zur Jagd freigegeben und können sich selbst nicht wehren. Es ist Ihre Aufgabe, als Vertreter dieser Menschen dies zu verhindern.
Bitte lassen Sie sich nicht zum verlängerten Arm von Monopolisten machen.
Ich bin mir sicher, dass Sie nicht bereit sind die Vorzüge und Chancen des europäischen Marktes zu unser aller Nachteil in der Form aufs Spiel zu setzen.
Daher bitte ich Sie, unter Berücksichtigung der genannten Fakten, auf jeden Fall in Ihrer Fraktion das Thema noch einmal anzusprechen und kritisch zu beleuchten. Stimmen Sie mit "Nein" gegen das Gesetz für die Einführung von Softwarepatenten, allein aus dem Grund, weil die Diskussion darüber noch längst nicht abgeschlossen ist. Die Diskussion muss weitergehen.
Es liegt mir sehr am Herzen, dass Sie meine Argumente verstehen und berücksichtigen, daher stehe ich Ihnen für weitere Fragen selbstverständlich zur Verfügung. Entweder unter dieser E-Mail-Adresse (dumb [ at ] tcpa-info.org).
Sofern Sie noch weitere Informationen benötigen, seien Ihnen auch die Seiten des FFII empfohlen. Unter http://swpat.ffii.org/index.de.html und http://patinfo.ffii.org/ bietet dieser Informationen aus Sicht der KMUs und Entwickler bzw. Benutzer freier Software.
http://swpat.ffii.org/index.de.html
Mit vielen freundlichen Grüßen,
Chaostreff Dresden