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Wir thematisieren die wichtigen Fragestellungen rund um Internet, Gesellschaft und Politik und zeigen Wege auf, wie man sich auch selbst mit Hilfe des Netzes fĂŒr digitale Freiheiten und Offenheit engagieren kann. Mit netzpolitik.org beschreiben wir, wie die Politik das Internet durch Regulierung verĂ€ndert und wie das Netz Politik, Ăffentlichkeiten und alles andere verĂ€ndert.
Zuletzt aktualisiert: Thu, 21 Mar 2024 16:58:52 +0100
Thu, 21 Mar 2024 16:58:16 +0000
Markus Reuter
Das Bundesverwaltungsgericht hĂ€lt anonyme Informationsfreiheitsanfragen fĂŒr unzulĂ€ssig. Damit zerstört es auf Antrag des Bundesinnenministeriums den niedrigschwelligen Zugang, den FragDenStaat anbietet. Das Transparenz-Projekt kritisiert das âskandalöse Urteilâ.
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute anonyme Informationsfreiheitsanfragen |fĂŒr unzulĂ€ssig erklĂ€rt|. Das Urteil hat vor allem Auswirkungen auf die erfolgreiche zivilgesellschaftliche Plattform FragDenStaat.de, auf der Menschen einfach digital und ohne Angabe einer Meldeadresse bei Behörden nach Dokumenten fragen können.
Seit 13 Jahren funktioniert die Plattform so und das war dem fĂŒr die Informationsfreiheit zustĂ€ndigen Innenministerium (BMI) |immer schon ein Dorn im Auge|. Das Ministerium hatte frĂŒher moniert, dass durch FragDenStaat âimmer mehr Dinge an die Ăffentlichkeitâ gelangten. âDas ist eine Entwicklung, die fĂŒr die Verwaltung nicht wĂŒnschenswert istâ, so ein Vertreter des BMI damals.
In dem jetzt verhandelten Fall ging es um FragDenStaat, doch vor Gericht stritten sich das von der SPD gefĂŒhrte BMI und der Bundesbeauftragte fĂŒr Datenschutz und Informationsfreiheit. UrsprĂŒnglich sollte FragDenStaat fĂŒr das Verfahren beigeladen werden, wurde aber vom Gericht |nach eigener Aussage| auf âperfide Weiseâ ausgeladen: âErst wurden wir nur zu einem der beiden Verfahren zugelassen, zu dem anderen nicht, da es inhaltsgleich sei. Dann wurde nur das Verfahren zur Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen, zu dem wir nicht beigeladen waren. So wurden wir aus dem weiteren Verfahren als Beigeladene ausgeschlossen.â
âDas Ministerium bekĂ€mpft seit vielen Jahren unsere Plattform und weigert sich, darĂŒber zu antworten, wĂ€hrend der Bundesbeauftragte durchsetzen wollte, dass Behörden weniger Daten von Antragsteller*innen erhebenâ, |heiĂt es bei FragDenStaat|. In einem frĂŒheren Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht in MĂŒnster hatte das BMI noch |eine Niederlage kassiert|, dieses Gericht erlaubte das generelle Erheben der Postadresse nicht.
Auf FragdenStaat können Nutzer:innen eine Anfrage per E-Mail an die jeweilige Behörde schicken und diese kann per E-Mail antworteten. Das Prinzip erlaubt nicht nur eine schnelle Kommunikation, sondern kommt ganz digital auch ohne Post und teure Briefe aus. Doch das Innenministerium zieht die Kommunikation immer wieder auf den Postweg und nutzt die Plattform nicht fĂŒr Kommunikation.
Das Urteil bestĂ€tigt nun die restriktive Praxis des BMI. Das könnte nicht nur potentielle Anfragende abschrecken, sondern erlaubt Behörden auch eine Verzögerung, indem sie die Kommunikation von der Mail wieder auf den Postweg zurĂŒckbringen. âDas Urteil mutet an wie aus der Zeit gefallenâ, |schreibt FragDenStaat in einem Blogbeitrag|. WĂ€hrend ĂŒberall die Digitalisierung Einzug hĂ€lt, bringst das Bundesverwaltungsgericht Papier und Brief zurĂŒck.
FragDenStaat wird nun nach eigener Auskunft seine Plattform erweitern und wenn möglich weiter klagen. Gleichzeitig fordert das Transparenz-Projekt, dass die Ampel-Koalition das versprochene |Transparenzgesetz| auf den Weg bringt und damit pseudonyme Anfragen erlaubt.
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|immer schon ein Dorn im Auge|
|schreibt FragDenStaat in einem Blogbeitrag|
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Thu, 21 Mar 2024 12:53:02 +0000
Lea Binsfeld
Standortdaten von Menschen in Notsituationen werden automatisch an die zustĂ€ndigen Leitstellen ĂŒbermittelt. FĂŒr den Notruf 112 ist das bereits gĂ€ngige Praxis. In Deutschland soll nun auch die Polizei die Standortdaten bekommen, wenn jemand die 110 anruft und Hilfe braucht.
Um in Notsituationen schnell helfen zu können, mĂŒssen Feuerwehr oder Rettungsdienste wissen, wo sich Personen in Not befinden. Wo und was passiert ist, sind die ersten Fragen an der europaweiten Notruf-Hotline 112. Doch nicht immer kennen die Anrufenden ihren genauen Standort oder können ihn in einer Stresssituation verstĂ€ndlich durchgeben. Eine automatische Ortung der Anruf-GerĂ€te â und somit der Verletzten und GefĂ€hrdeten â kann in solchen Momenten lebensrettend sein.
Beim Rettungs-Notruf ist es daher in vielen europÀischen LÀndern möglich, die Anrufenden automatisiert schnell und effizient zu orten, das gibt eine |EU-weite Richtlinie| vor. Neben der 112 gibt es in Deutschland auch den Polizei-Notruf 110. Dort wurden bisher wegen Datenschutzbedenken keine genauen Ortungsdaten genutzt. Ein Pilotprojekt soll das nun Àndern.
Die Position von Anrufenden aus dem Festnetz wird durch die Installationsadresse des Telefonanschlusses oder die Postadresse der Anrufenden ermittelt. Es gibt jedoch mittlerweile wesentlich mehr Notruf-Anrufe von Mobiltelefonen. 78 Prozent der 112-Notrufe im Jahr 2021 wurden von Mobiltelefonen aus getĂ€tigt, wie aus einem |Bericht ĂŒber die Wirksamkeit der europĂ€ischen Notrufnummer| hervorgeht.
Mobile GerĂ€te können netzbasiert geortet werden, das heiĂt ĂŒber Funkzellen in der NĂ€he. Wie genau diese Ortung ist, hĂ€ngt von der Region ab. In dicht besiedelten RĂ€umen mit vielen Mobilfunk-Antennen kann ein Standort auf etwa 500 Meter genau geschĂ€tzt werden. Auf dem Land sinkt die Genauigkeit teils auf mehrere Kilometer. Eine prĂ€zisere Standortermittlung kann direkt ĂŒber das GerĂ€t erfolgen. Entweder passiert das ĂŒber eine zuvor installierte Anwendung oder ĂŒber Advanced Mobile Location (AML) â ein Protokoll, das auf fast allen Mobiltelefonen lĂ€uft.
Die via AML ĂŒbermittelbaren Daten aller Notrufe in Deutschland flieĂen an zwei zentrale Stellen. Das sind die |Berliner Feuerwehr| und die |Integrierte Leitstelle Freiburg im Breisgau Hochschwarzwald|. Beim Notruf an die 112 werden die Informationen von dort an die zustĂ€ndigen Leitstellen der Feuerwehr oder Rettungsstellen weitergegeben.
Auch bei Anrufen an die 110 bekommt die Leitstelle solche Ortungsdaten â bloĂ die Weiterleitung an die lokalen Polizei-Leitstellen war wegen unklarer Rechtslage bisher nicht erlaubt. Die Polizei nutzte also die ungenauere und aufwĂ€ndige Technik der netzbasierten Ortung.
Das soll sich nun Ă€ndern: Anrufende sollen auch fĂŒr die Polizei ĂŒber AML ortbar sein. Der Datenschutzbeauftragte des Landes Baden-WĂŒrttemberg Tobias Keber |stimmte einem bundesweiten Pilotbetrieb zu|.
âšKeber kritisierte, dass bislang die Rechtsgrundlage fĂŒr die automatische Ăbermittlung der Daten an die Polizei fehle. Der Standort hilfloser Menschen dĂŒrfe nur im Einzelfall ermittelt werden. Was genau mit den Daten gemacht werden dĂŒrfe, mĂŒsse genau geregelt werden. Dies gelte insbesondere bei der Polizei. Denn sie muss nicht nur in Notlagen helfen, sondern auch bei Anhaltspunkten fĂŒr Straftaten ermitteln, erklĂ€rte ein Sprecher des Landesdatenschutzbeauftragten.
ZunĂ€chst hatte Keber deswegen Bedenken. Daher stellt er die Bedingung: Datenschutzvorgaben mĂŒssten beachtet werden. Insbesondere mĂŒsse eine strenge Zweckbindung gegeben sein, die Standortdaten dĂŒrfen also nur zur Hilfe und nicht zur Strafverfolgung erfolgen â etwa um jemanden zu orten, der die 110 wĂ€hlt, weil gerade bei ihm eingebrochen wird. Keber warnte davor, dass Menschen sonst aus Angst vor der automatisierten StandortĂŒbermittlung davor zurĂŒckschrecken, den Notruf zu wĂ€hlen.
Um die nötigen Rechtsgrundlagen zu schaffen, prĂŒft das baden-wĂŒrttembergische Innenministerium nun, ob Ănderungen im Landespolizeigesetz oder sogar auf Bundesebene erforderlich sind.
Wenn jemand eine Notrufnummer wĂ€hlt und auf dem GerĂ€t AML funktioniert, werden auf dem benutzten Mobiltelefon WLAN und Satellitenortung wie GPS aktiviert. Das GerĂ€t ermittelt damit seine Position bis auf wenige Meter genau und ĂŒbertrĂ€gt sie an einen Endpunkt. FĂŒr Deutschland sind das die Leistellen in Berlin und Freiburg. Von dort werden die ĂŒbermittelten Informationen an eine lokale Leitstelle weitergeleitet. Bei den Endpunkten werden die Standortdaten nach einer Stunde gelöscht. Lediglich technische Daten wie Zeitstempel, Netzbetreiber und Genauigkeiten der Positionsdaten bleiben zu Evaluationszwecken gespeichert.
FĂŒr die Ăbermittlung der Daten mĂŒssen die Endnutzer:innen nichts tun. Hierzulande passiert das standardmĂ€Ăig ĂŒber eine nicht sichtbare SMS. Ăblich ist auch eine Ăbermittlung mit HTTPS, dafĂŒr ist jedoch eine Datenverbindung notwendig. Welcher Transportweg genau verwendet wird, hĂ€ngt vom Land ab, aus dem der Notruf stammt, sowie vom Betriebssystem des GerĂ€ts.
Android-Handys können mit dem |Emergency Location Service| (ELS) â das ist Googles Implementation von AML â die Standortdaten sowie die Sprache des mobilen GerĂ€ts per SMS und HTTPS-Nachricht ĂŒbermitteln. Weitere Zusatzinformationen wie hinterlegte medizinische Informationen oder die automatisierte Erkennungen von StĂŒrzen können nicht geteilt werden. Eine Ăbermittlung kann auch ĂŒber Roaming erfolgen, dann aber nur per HTTPS. Android-GerĂ€te, auf denen keine Google-Dienste laufen, unterstĂŒtzen AML nicht.
Apples iPhones können mit AML nur die Standortdaten per SMS ĂŒbermitteln. Die Bereitstellung von Zusatzinformationen oder die Ăbertragung via Roaming sind nicht verfĂŒgbar. Das geht aus einem |Bericht der European Emergency Number Association| (EENA) hervor, eine Nichtregierungsorganisation, die das Ziel hat, notrufbearbeitende Stellen in Europa besser zu vernetzen.
Die StandortĂŒbermittlung beim Notruf ist bei Android- und Apple-GerĂ€ten standardmĂ€Ăig aktiviert. Solange keine Notrufnummer angerufen wird, ist keine Ortung des GerĂ€ts durch die Leitstellen möglich. Eine Deaktivierung ist bei einigen Android-Versionen möglich, wird aber von den Leitstellen ausdrĂŒcklich nicht empfohlen.
Laut der europĂ€ischen Richtlinie mĂŒssen Endnutzer:innen mit Behinderung gleichwertige Möglichkeiten zu Notrufen geboten werden. Dazu zĂ€hlt auch die Lokalisierung in einer Notsituation. Im Report ĂŒber die europĂ€ische Notrufnummer ist beschrieben, wie Menschen mit EinschrĂ€nkungen wie Sprach- oder HörschĂ€digungen Notrufe tĂ€tigen können.
In 22 EU-Staaten und Norwegen ist es möglich, ĂŒber eine SMS an die 112 den Notdienst zu erreichen. In Deutschland geht das nicht â hier sind Menschen, die in einer Notfallsituation nicht (mehr) hören oder sprechen können, auf zusĂ€tzliche Medien angewiesen. In dem recht unwahrscheinlichen Fall, dass ihnen ein FaxgerĂ€t zu VerfĂŒgung steht, können sie seit 2002 ein |Notruf-Fax| absenden. Dabei sind RĂŒckfragen kaum möglich.
Eine Alternative ist die 2021 ins Leben gerufene |Anwendung nora|. Mit ihr können Nutzende textbasiert kommunizieren und ihren |Standort sowie weitere Informationen ĂŒbermitteln|. Sie mĂŒssen dafĂŒr jedoch vorher die App herunterladen und sich registrieren.
Weiterhin können Menschen mit einer Hör- oder Sprachbehinderung den |Tess-Relay-Dienst| nutzen. Ăber ihn wird der Notruf an die jeweils zustĂ€ndige Leitstelle vermittelt und die Kommunikation durch einen GebĂ€rden- bzw. Schriftdolmetscherdienst unterstĂŒtzt. Auch hier ist eine Vorregistrierung erforderlich.
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|Bericht ĂŒber die Wirksamkeit der europĂ€ischen Notrufnummer|
|Integrierte Leitstelle Freiburg im Breisgau Hochschwarzwald|
|stimmte einem bundesweiten Pilotbetrieb zu|
|Bericht der European Emergency Number Association|
|Standort sowie weitere Informationen ĂŒbermitteln|
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Thu, 21 Mar 2024 11:58:51 +0000
Anna Biselli
Dass EU-BĂŒrger:innen fĂŒr ihren Personalausweis FingerabdrĂŒcke abgeben mĂŒssen, ist laut einem Urteil des EuropĂ€ischen Gerichtshofs rechtmĂ€Ăig. Aber die EU hat einen Fehler im Gesetzgebungsprozess gemacht. Deshalb muss sie nun dennoch nachbessern.
Der EuropĂ€ische Gerichtshof (EuGH) hat heute einen deutschen Fall |entschieden|, der die verpflichtende Abgabe zweier FingerabdrĂŒcke fĂŒr den Personalausweis betrifft. Diese Verpflichtung âist mit den Grundrechten auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten vereinbarâ, schreibt der EuGH in seiner Pressemitteilung.
Geklagt hatte der BĂŒrgerrechtler Detlev Sieber, ehemaliger GeschĂ€ftsfĂŒhrer bei digitalcourage. Die Fingerabdruckpflicht sei ungerechtfertigt, fand Sieber. Es sei nicht notwendig, die Biometriedaten in den Ausweis aufzunehmen. Es fĂŒhle sich an, als sei man nicht BĂŒrger, sondern âTatverdĂ€chtigerâ. Sieber verlangte daher auf dem Amt einen Ausweis ohne biometrische Vermessung. Das wurde ihm verwehrt, woraufhin er vor Gericht zog. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden wiederum legte den Fall dem EuGH vor.
Nach einer Anhörung, die vor einem Jahr stattfand, war die |GeneralanwÀltin beim EuGH der Argumentation von Sieber nicht gefolgt|: Sie hatte in ihrer Stellungnahme im Jahr 2023 den Zwang zum Fingerabdruck im Ausweis als zulÀssig angesehen. Das heutige Urteil bestÀtigt diese Sichtweise.
Das Urteil wirkt sich auf die gesamte EU aus. Seit einer Verordnung aus dem Jahr 2019 sollen in allen EU-Staaten FingerabdrĂŒcke und biometrische Gesichtsbilder auf einem Chip im Personalausweis gespeichert werden. Daher hat der EuGH auch die GĂŒltigkeit der Unionsverordnung geprĂŒft. Die Fingerabdruckpflicht schrĂ€nke zwar die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten ein, sei aber in diesem Fall dennoch gerechtfertigt und verhĂ€ltnismĂ€Ăig.
Die Pflicht sei durch die Ziele gerechtfertigt, âdie Herstellung gefĂ€lschter Personalausweise und den IdentitĂ€tsdiebstahl zu bekĂ€mpfen sowie die InteroperabilitĂ€t der ĂberprĂŒfungssysteme zu gewĂ€hrleistenâ, so das Gericht. Dennoch muss die EU nun nachbessern, denn sie hat die Verordnung auf eine falsche Rechtsgrundlage gestĂŒtzt. Es braucht eine neue Verordnung und dafĂŒr eine Einstimmigkeit im Rat, so der EuGH.
Damit ist die zugrundeliegende EU-Verordnung ungĂŒltig. Sie wird jedoch nicht sofort nichtig, denn das könnte âschwerwiegende negative Folgen fĂŒr eine erhebliche Zahl von UnionsbĂŒrgern und fĂŒr ihre Sicherheit im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts habenâ. Sie bleibt daher bis Ende 2026 wirksam, bis dahin muss nachgebessert werden.
Der Deutsche Bundestag beschloss die |Speicherpflicht fĂŒr FingerabdrĂŒcke in Ausweisen| im Jahr 2020. Seit August 2021 mĂŒssen alle Deutschen zwei FingerabdrĂŒcke hinterlassen, wenn sie einen Personalausweis beantragen, meist von beiden Zeigefingern.
Bei der zwangsweisen Abgabe der FingerabdrĂŒcke fĂŒr die ReisepĂ€sse hatte der EuGH |vor mehr als zehn Jahren| entschieden, dass die Verpflichtung zur Körperdatenspeicherung mit EU-Recht vereinbar sei. Mittlerweile ist eine Gewöhnung eingetreten, dass fĂŒr Ausweis und Pass eine biometrische Vermessung und Speicherung normal sei â |selbst bei Kindern|. Der deutsche Personalausweis als innerstaatliches Dokument verbindet die Fingerabdruckabgabe â anders als beim Pass â auch noch mit einer 90-tĂ€gigen Speicherung der Biometriedaten bei den zustĂ€ndigen Behörden.
Der Rechtsanwalt des KlĂ€gers, Wilhelm Achelpöhler, hatte argumentiert, dass die FingerabdrĂŒcke ihren angegebenen Zweck nicht erfĂŒllen wĂŒrden. Die angebliche sicherheitspolitische Notwendigkeit der biometrischen Datenpflicht sei nicht belegt. Die FingerabdrĂŒcke seien daher ein âuntaugliches Instrumentâ. Dass die Biometriedaten nach der Ausweiserstellung fĂŒr die Dauer von 90 Tagen gespeichert werden dĂŒrfen und fĂŒr andere Zwecke missbraucht werden könnten, sei nicht akzeptabel. Denn die FingerabdrĂŒcke können in dieser Zeit beispielsweise Behörden zur VerfĂŒgung gestellt werden.
Der EuGH widerspricht dieser Argumentation. Ein Gesichtsfoto allein wĂ€re weniger wirksam als die zwei FingerabdrĂŒcke. âAlterung, Lebensweise, Erkrankung oder ein chirurgischer Eingriff können nĂ€mlich die anatomischen Merkmale des Gesichts verĂ€ndernâ, so das Gericht.
Nach dem Urteil des EuGH geht der konkrete Fall aus Deutschland wieder zurĂŒck an das Verwaltungsgericht Wiesbaden.
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|GeneralanwÀltin beim EuGH der Argumentation von Sieber nicht gefolgt|
|Speicherpflicht fĂŒr FingerabdrĂŒcke in Ausweisen|
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Thu, 21 Mar 2024 10:52:53 +0000
Anna Biselli
Das Digitale-Dienste-Gesetz ist da. Damit kann die zentrale Koordinierungsstelle fĂŒr Online-Dienste in Deutschland ihre Arbeit offiziell beginnen. Auf die zustĂ€ndige Bundesnetzagentur kommt jetzt viel Arbeit zu.
Mit einem Monat VerspĂ€tung hat der deutsche Bundestag das Digitale-Dienste-Gesetz (DDG) beschlossen. Es regelt nationale Details zum Digital Services Act (DSA) der EU. Im Zentrum des Regelwerks: Welche Behörden sind in Deutschland wofĂŒr zustĂ€ndig?
Die Regeln des europĂ€ischen DSA gelten seit Mitte Februar |fĂŒr alle Online-Dienste| und sollen unter anderem dafĂŒr sorgen, dass illegale Inhalte schneller aus dem Netz verschwinden und Nutzer:innen mehr Transparenz und Widerspruchsrechte bei Moderationsentscheidungen bekommen. WĂ€hrend die EU-Kommission |die ganz groĂen Plattformen| dabei selbst beaufsichtigt, ist fĂŒr alle anderen das jeweilige Land zustĂ€ndig.
Nun ist beschlossen: Die zentrale Koordinierungsstelle wird in Deutschland bei der Bundesnetzagentur angesiedelt sein. Das war absehbar, die Bundesnetzagentur hat bereits begonnen, sich auf ihre neuen Aufgaben vorbereitet. So hat sie beispielsweise eine |Studie in Auftrag gegeben|, um sich einen Ăberblick ĂŒber die relevanten Dienste in Deutschland zu verschaffen.
Nutzer:innen sollen auĂerdem bald ein |Formular bei der Koordinierungsstelle| finden. Damit können sie sich beschweren, wenn sie glauben, dass ein Online-Dienst sich nicht an die Regeln des DSA hĂ€lt. AuĂerdem können sich bei der Stelle sogenannte âTrusted Flaggersâ bewerben. Das sind privilegierte Hinweisgeber. Wenn sie einen mutmaĂlich illegalen Inhalt melden, sollen die Plattformen den Hinweise priorisiert behandeln.
Im Lauf des Gesetzgebungsverfahren hat der Bundestag noch einige Regeln im DDG konkretisiert. Tabea RöĂner, grĂŒne Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Digitalausschusses, verweist auf eine ihr besonders wichtige Ănderung zum Aufbau der Koordinierungsstelle: âMinisterien und Bundestag sollen bei der Auswahl der Leitung nicht mitreden.â So soll die Stelle möglichst unabhĂ€ngig arbeiten können. âDafĂŒr wollen wir im Hinblick auf Qualifikation und UnabhĂ€ngigkeit höhere Anforderungen an die Leitungsposition stellenâ, so RöĂner in einer Pressemitteilung. âSie soll zudem in einem Ausschreibungsverfahren und allein durch den PrĂ€sidenten der Bundesnetzagentur ausgewĂ€hlt werden.â
Wie wirksam die Regeln des DSA und DDG werden und ob Nutzer:innen dadurch in Zukunft ein sichereres Online-Umfeld haben werden, wird neben den gesetzlichen Regelungen wesentlich von der Durchsetzung der neuen Regeln abhÀngen. Der Verbraucherzentrale Bundesverband |stellte bei einer Untersuchung| fest, dass einige Tech-Konzerne versuchen, sich teils um die Regulierung herumzuwinden. Auf die neue Koordinierungsstelle kommt also viel Arbeit zu.
Die Organisation |AlgorithmWatch bedauert|, dass das Gesetz wohl zu spĂ€t kommt, um Wirkung zur Europawahl zu entfalten. âDer Gesetzgeber hat argumentiert, dass der DSA nicht zuletzt das Ziel hat, die IntegritĂ€t demokratischer Wahlen zu schĂŒtzenâ, so GeschĂ€ftsfĂŒhrer Matthias Spielkamp. Aber ein Streit ĂŒber ZustĂ€ndigkeiten habe dazu gefĂŒhrt, âdass die Chancen enorm gesunken sind, die Plattformen schon im Vorfeld der Europawahl wirksam zu kontrollieren.â
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|die ganz groĂen Plattformen|
|Formular bei der Koordinierungsstelle|
|stellte bei einer Untersuchung|
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Wed, 20 Mar 2024 18:37:47 +0000
Tomas Rudl
Das Digitalministerium hat untersucht, wie gut der staatlich geförderte Breitbandausbau lĂ€uft. Rund ein Drittel aller Kommunen wollte finanzielle UnterstĂŒtzung, erhalten hat sie knapp ein Viertel. Erneut versiegende Fördertöpfe hat eine Priorisierung verhindert.
Inzwischen scheint sich herumgesprochen zu haben, dass zeitgemĂ€Ăe InternetanschlĂŒsse zur Grundversorgung gehören. Geradezu ĂŒberrannt wurde im letzten Jahr das Bundesministerium fĂŒr Digitales und Verkehr (BMDV), weil so viele Gemeinden um UnterstĂŒtzung beim Breitbandausbau angesucht haben.
Rund ein Drittel aller Kommunen in Deutschland (3.553) hat einen Förderantrag gestellt, bei einem beantragten Fördervolumen von 6,8 Milliarden Euro. Das geht aus der Evaluation der Gigabit-Richtlinie 2.0 hervor, die heute dem Bundestag prĂ€sentiert wurde. Noch ist sie nicht auf der Website des BMDV verfĂŒgbar, wir |veröffentlichen sie deshalb an dieser Stelle|.
Schon im Jahr 2022 war das Interesse am Förderprogramm des Bundes so hoch, dass das BMDV ĂŒber Nacht den Stecker gezogen und das |Programm vorĂŒbergehend auf Eis gelegt| hatte. Die danach |neu aufgelegte Richtlinie| sollte eine Wiederholung verhindern: MaĂnahmen wie ein Punktesystem und Landesobergrenzen sollen dafĂŒr sorgen, dass die Mittel vor allem in den Regionen ankommen, die sie am dringendsten benötigen.
Aus Sicht des BMDV ist dies gelungen: âDas neu konzipierte Förderprogramm erreicht die verfolgten Zieleâ, heiĂt es in dem Bericht des Ministeriums. TatsĂ€chlich ausgeschĂŒttet wurden vom Bund demnach 3,6 Milliarden Euro, rund 600 Millionen Euro mehr als ursprĂŒnglich im Budget vorgesehen â zu Lasten der fĂŒr Ănderungsbewilligungen vorgesehenen Mittel wurden nicht nur Projekte bewilligt, die gerade die jeweilige Landesobergrenze ĂŒberschritten hatten, sondern auch die jeweils punktgleichen AntrĂ€ge.
Insgesamt haben die Ausbauvorhaben ein Gesamtprojektvolumen von 6,6 Milliarden Euro erreicht, zusammengesetzt aus Bundes-, Landes- und privaten Mitteln. Konkret wurden damit 436 Projekte bewilligt und knapp 640.000 AnschlĂŒsse gefördert. Fast ein Viertel aller Kommunen, 23 Prozent, konnte sich im Vorjahr ĂŒber einen bewilligten Antrag freuen. Rund 40 Prozent der Fördermittel, rund 1,4 Milliarden Euro, wurden hierbei an sogenannte Fast-Lane-Projekte ausgeschĂŒttet. Das sind Ausbauprojekte in Kommunen mit besonders groĂem Nachholbedarf.
Zufrieden zeigte sich auch Daniela Kluckert, parlamentarische StaatssekretĂ€rin beim BMDV, bei einer heutigen |Anhörung im Digitalauschuss des Bundestages|. Das neue System habe sich âals sehr wirksam erwiesenâ und werde âin seinen GrundzĂŒgen beibehaltenâ, sagte die FDP-Politikerin. So habe etwa die Priorisierung der AntrĂ€ge das bisherige Windhundverfahren abgelöst. Die Landesobergrenzen hĂ€tten zu einer gerechteren Verteilung der Mittel gefĂŒhrt. âEs ist nicht mehr so, dass der, der am lautesten schreit, das Geld bekommtâ, sagte Kluckert.
Derzeit arbeite das BMDV an âOptimierungenâ, so Kluckert. Eine ĂŒberarbeitete Förderrichtlinie soll zeitgleich mit der nĂ€chsten Förderrunde im April startklar sein. So soll etwa ein neuer Punktekompass den LĂ€ndern kĂŒnftig Orientierung bieten, ob es sich fĂŒr sie ĂŒberhaupt auszahlt, einen Antrag zu stellen. Damit erreichen will das BMDV eine Reduzierung der AntrĂ€ge und vor allem der Markterkundungsverfahren.
Mit dem Verfahren mĂŒssen die Kommunen ausloten, ob es in den nĂ€chsten Jahren eine Aussicht auf eine privatwirtschaftliche ErschlieĂung des Gebietes gibt. Geld vom Bund flieĂt nur dann, wenn sich kein ausbauwilliger privater Betreiber findet. Der Evaluierung zufolge wurden im Vorjahr 902 solcher Verfahren in 4.297 Gemeinden durchgefĂŒhrt, also in rund 40 Prozent aller Gemeinden. FĂŒr viele Betreiber ist das ein sehr hoher Aufwand, sie können auch bei weitem nicht an allen Markterkundungsverfahren teilnehmen, weil ihnen die Ressourcen dazu fehlen.
FĂŒr Frust sorgen sie auch bei Kommunen, die den Prozess zwar durchlaufen, aber dennoch keine Förderung erhalten haben â beispielsweise, weil bereits die Landesobergrenze ĂŒberschritten wurde, die die Förderung pro Bundesland deckelt. Auch sogenannte Branchendialoge sollen schon im Vorfeld mehr Klarheit darĂŒber schaffen, ob ein privater Ausbau realistisch ist. Bislang freiwillig durchgefĂŒhrte Dialoge hĂ€tten im Vorjahr dazu gefĂŒhrt, dass in nahezu 20 Prozent der beteiligten Gemeinden kein solches Verfahren gestartet wurde, so die BMDV-Auswertung.
In die neue Förderrichtlinie soll zudem ein LĂŒckenschlussprogramm ab Sommer eingehen. Hierbei geht es um schwer zu realisierende AnschlĂŒsse, wohl in abgelegenen Lagen. Details dazu wĂŒrden derzeit noch erarbeitet, betreffen soll es aber nur kleine Projekte mit einem Gesamtvolumen von 500.000 Euro. Diese sollen sich dem Ranking des Punktesystems nicht unterwerfen mĂŒssen, auch die Landesobergrenzen sollen nicht fĂŒr sie gelten. Stattdessen sollen sie direkt bewilligt werden, hieĂ es in der Ausschussitzung seitens des BMDV.
Auf Kurs sieht Kluckert jedenfalls den Ausbau insgesamt: Das Ziel bleibe bestehen, bis zum Jahr |2030 eine flĂ€chendeckende Gigabit-Versorgung| herzustellen. Bis dahin soll in der gleichen GröĂenordnung weiter staatlich gefördert werden, also mit rund 3 Milliarden Euro pro Jahr. Kein Kurswechsel lasse sich auch in der Branche vernehmen, die laut Eigenaussage 50 Milliarden Euro bis zum Ende des Jahrzehnts in den Ausbau investieren will. âDie Aussage der Branche steht nochâ, sagte Kluckert.
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|Programm vorĂŒbergehend auf Eis gelegt|
|Anhörung im Digitalauschuss des Bundestages|
|2030 eine flÀchendeckende Gigabit-Versorgung|
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Wed, 20 Mar 2024 18:24:37 +0000
Anna Biselli
FĂŒr den eigenen Blog eine Privatadresse ins Internet schreiben? Die Impressumspflicht ist in ihrer heutigen Form eine Bedrohung fĂŒr die Meinungsfreiheit. Die Ampelparteien im Bundestag wollen eine Ăberarbeitung prĂŒfen, verpassen aber die Chance, das Problem schon im Digitale-Dienste-Gesetz anzugehen.
Morgen will der Bundestag das Digitale-Dienste-Gesetz beschlieĂen. Dann wĂ€ren die nationalen Regelungen zu dem europĂ€ischen Digital Services Act mit einem Monat VerspĂ€tung auch in Deutschland umgesetzt. Im Windschatten des Gesetzes setzt der federfĂŒhrende Digitalausschuss nun ein Thema auf die Agenda, das schon lange auf der Forderungsliste der digitalen Zivilgesellschaft steht: die Impressumspflicht.
Die meisten Websites in Deutschland mĂŒssen ein Impressum haben. Ausnahmen gibt es fĂŒr vollstĂ€ndig private Websites, aber schon Werbeeinblendungen oder |Affiliate-Provisionen| machen den privaten Blog impressumspflichtig. Darin soll zum einen der Name der verantwortlichen Person enthalten sein, zum anderen auch eine Postadresse.
Ein Postfach ist dafĂŒr nicht ausreichend. Und wer keine GeschĂ€ftsadresse hat, muss seine Privatadresse angeben. Damit soll sichergestellt werden, dass die Website-Anbieter erreichbar sind. Doch das wird fĂŒr Betroffene oft zum Problem: zum Beispiel fĂŒr die freie Journalistin, die zu Rechtsradikalismus recherchiert und nicht will, dass ihre Wohnadresse leicht im Internet zu finden ist. Oder fĂŒr den Buchrezensions-Blogger, der auf seiner Seite ab und an Affiliate-Links postet, aber privat Probleme mit Stalkern hat. Oder fĂŒr SoloselbststĂ€ndige ohne BĂŒro und Feministinnen, die regelmĂ€Ăig Hass ausgesetzt sind. Oder, oder, oder.
Kurzum: Die Impressumspflicht in ihrer jetzigen Form ist abschreckend und ein Problem fĂŒr die freie MeinungsĂ€uĂerung.
Vor allem die frĂŒhere Linksfraktion im Bundestag hatte |immer wieder gefordert|, die gesetzlichen Regelungen zu Ă€ndern. Sie machte auch VorschlĂ€ge, wie die Website-Betreiber stattdessen erreichbar sein könnten: Es könnte etwa eine neutrale Instanz als IntermediĂ€r geben, bei der sie eine Adresse angeben und die sie im Bedarfsfall zum Beispiel gegenĂŒber Behörden offenbart. Ihre AntrĂ€ge jedoch wurden â ebenso oft wie sie gestellt wurden â immer wieder abgelehnt.
Die Netzpolitikerin Anke Domscheit-Berg von den Linken im Bundestag kommentiert dazu gegenĂŒber netzpolitik.org: âSeit Jahren haben wir als Linke im Bundestag dafĂŒr gekĂ€mpft, dass es eine Reform zur Impressumspflicht gibt, im Digitalausschuss alte und neue Digitalminister dazu befragt, AntrĂ€ge bei GroĂer Koalition und Ampel gestellt und immer sind wir gegen eine Wand gerannt.â
Nun wollen die Ampelparteien das Problem offenbar selbst noch einmal angehen. In einem Antrag des Digitalausschusses heiĂt es: Die Impressumspflicht werde âinsbesondere von Journalistinnen und Journalisten, aber auch von vulnerablen Gruppen mit Blick auf digitale Gewalt dahingehend kritisiert, dass Betroffene ihre Privatadresse angeben mĂŒssen.â Man brauche nun eine Regel, die diese Personen schĂŒtze und âein ausreichendes MaĂ an Transparenz und die Erreichbarkeit sicherstelltâ.
Domscheit-Berg freut sich darĂŒber, âdass nun zumindest die Absicht erklĂ€rt wird, hier nach Lösungen zu suchen, die das SchutzbedĂŒrfnis vulnerabler Menschen angemessen berĂŒcksichtigen, aber auch bezahlbar sind.â Sie schlĂ€gt vor, dass Interessierte ihre Adresse und Kontaktdaten mit einer Chiffrenummer bei einer öffentlichen Stelle hinterlegen könnten. âGibt es dann berechtigte Anliegen, wie bei der Zustellung von Gerichtspost, kann sie ĂŒber ein Postweiterleitungsverfahren an die Wohnadresse weitergeleitet werden.â
Wichtig ist ihr, dass die Kosten fĂŒr diese Dienstleistung die Kosten fĂŒr die Briefzustellung nicht ĂŒberschreiten sollen: âDenn Sicherheit darf nicht vom Geldbeutel abhĂ€ngenâ, so Domscheit-Berg.
Sofort wird es aber nichts mit der Ănderung, zumindest nicht im Zuge des Digitale-Dienste-Gesetzes. Es soll zunĂ€chst geprĂŒft werden, was möglich ist. Denn die Impressumspflicht setzt auch EU-Vorgaben um. Die Bundestagsfraktionen wollen daher, dass die Bundesregierung das im Zuge des Gesetzes gegen digitale Gewalt untersucht.
Bis es also konkret wird, dĂŒrfte es noch dauern. Eckpunkte fĂŒr ein Gesetz gegen digitale Gewalt hatte das Bundesjustizministerium zwar bereits im April 2023 vorgelegt, doch danach wurde es still. |Kritik an den ersten Punkten| gab es von vielen Seiten: Die |Definition von digitaler Gewalt| darin ist unklar, an manchen Stellen regulieren die Eckpunkte viel mehr als das genannte PhĂ€nomen, an anderen wiederum |lassen sie Probleme unangetastet|.
Die Chance, gleich im Digitale-Dienste-Gesetz einen Aufschlag zur Ănderung der Impressumspflicht zu machen, haben die Parteien verpasst. Im Paragrafen zu âAllgemeinen Informationspflichtenâ werden die Regelungen aus dem Telemediengesetz auf Online-Diensteanbieter ĂŒbertragen. Sie sollen weiterhin âNamen und die Anschrift, unter der sie niedergelassen sindâ, angeben mĂŒssen.
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|Kritik an den ersten Punkten|
|Definition von digitaler Gewalt|
|lassen sie Probleme unangetastet|
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Wed, 20 Mar 2024 16:09:12 +0000
Chris Köver
Der Europarat hat sich auf einen internationalen Vertrag geeinigt, der die Menschenrechte schĂŒtzen soll, wenn âKĂŒnstliche Intelligenzâ zum Einsatz kommt. Doch der jetzt geleakte Text ist windelweich und lĂ€sst riesige LĂŒcken fĂŒr Staaten und Unternehmen. Eine Analyse.
WĂ€hrend die EU in den letzten Jahren |an strengeren Regeln fĂŒr den Einsatz âKĂŒnstlicher Intelligenzâ feilte|, kam zu diesem Thema auch ein anderes, sehr Ă€hnlich klingendes Organ zusammen: Der Europarat wollte ebenfalls Rahmenbedingungen fĂŒr die sich rasant entwickelnden Technologien schaffen, die unter dem Sammelbegriff KI gefasst werden â in Form eines internationalen Abkommens.
Der Europarat gehört nicht zur EU, sondern will als internationale Organisation Menschenrechte und Demokratie schĂŒtzen. Abkommen des Europarates sind fĂŒr die Staaten völkerrechtlich bindend. Das heiĂt: Staaten steht zwar frei, sie zu unterzeichnen â aber wenn sie es tun, mĂŒssen sie sich daran halten. Sie mĂŒssen dann eigene nationale Gesetze schaffen und umsetzen, was in den VertrĂ€gen festgehalten wird.
Ein internationales Abkommen zu KI hĂ€tte also durchaus eine Chance sein können. Denn nicht nur die |46 Mitgliedstaaten| des Europarates können den Vertrag unterschreiben, er steht allen geneigten Staaten offen. Deswegen waren in die Verhandlungen auch Staaten wie die USA, Kanada, GroĂbritannien oder Israel mit eingebunden.
In der Summe hĂ€tten so im besten Fall fĂŒr sehr viele Menschen weltweit eine bessere Rechtslage wachsen können, ein stĂ€rkerer Schutz vor potentiell gefĂ€hrlichen Technologien wie Gesichtserkennung, LĂŒgendetektoren, vor Prognose-Werkzeugen der Polizei oder vor Deepfakes. Das Ergebnis der zweijĂ€hrigen Verhandlungen löst bei Fachleuten jedoch vor allem Kritik und ErnĂŒchterung aus.
Zwei groĂe LĂŒcken fallen besonders ins Auge: Die Ausnahmen fĂŒr Unternehmen und die Ausnahmen fĂŒr die nationale Sicherheit. Vor allem die USA |haben sich in den Verhandlungen dafĂŒr eingesetzt|, dass Unternehmen von den Regeln ausgenommen werden. Staaten sollte es selbst ĂŒberlassen sein, ob und wie sie die Regeln auch auf den privaten Sektor anwenden, eine Opt-in-Lösung. Die aktuelle Fassung des Vertrages, die nun öffentlich wurde, zeigt: Sie konnten sich weitgehend durchsetzen.
Zwar sind Unternehmen nicht komplett ausgenommen. Aber die unterzeichnenden Staaten werden selbst entscheiden können, wie streng oder auch nachlĂ€ssig sie mit ihren Unternehmen umgehen wollen. Im Text heiĂt es dazu: âJede Vertragspartei befasst sich mit den Risiken und Auswirkungen, die sich aus TĂ€tigkeiten innerhalb des Lebenszyklus von Systemen der KĂŒnstlichen Intelligenz durch private Akteure ergeben, in einer Weise, die mit Ziel und Zweck des Ăbereinkommens ĂŒbereinstimmtâ. Lediglich fĂŒr Unternehmen, die im Auftrag von staatlichen Behörden handeln, gelten die Pflichten in jedem Fall.
FĂŒr alle Anwendungen, die in den Bereich ânationale Sicherheitâ fallen, also etwa Sicherheitsbehörden oder Verteidigung, ist die Lage hingegen klar: Sie sind ausgenommen von den Verpflichtungen im Vertrag. FĂŒr sie mĂŒssen laut Vereinbarung lediglich geeignete MaĂnahmen zum Schutz des Völkerrechts und der demokratischen Normen ergriffen werden.
Das wirft die Frage auf: Welchen Mehrwert bringt ein internationales Abkommen zu KĂŒnstlicher Intelligenz, wenn die darin vorgesehenen Pflichten nicht dort gelten, wo Menschenrechte besonders gefĂ€hrdet sind, weil es um Staatsgewalt geht? Und wenn die Pflichten nicht zwingend fĂŒr die Tech-Konzerne gelten, deren Technologien oft den gröĂten Schaden fĂŒr die Demokratie anrichten, allein schon aufgrund der Reichweite?
Diese Frage stellte schon Anfang MĂ€rz etwa die EuropĂ€ische Datenschutzaufsicht EDPS. In einem regelrecht |vernichtenden Statement| an das zustĂ€ndige Komitee im Europarat schrieb die Aufsicht, der âsehr hohe Grad an Allgemeinheitâ der Vorschriften zusammen mit einem âweitgehend deklarativen Charakterâ werde unweigerlich zu sehr unterschiedlichen Auslegungen des Ăbereinkommens fĂŒhren. Anders gesagt: So lax wie ihr das formuliert habt, macht eh jeder, was er will.
Beim Lesen der Einigung fĂ€llt es tatsĂ€chlich schwer, sich konkret vorzustellen, was gemeint ist. Von âTransparenzâ ist da die Rede. Auch davon, dass Staaten MaĂnahmen ergreifen sollten, um Diskriminierung zu verhindern, um die Demokratie zu schĂŒtzen und auch die MenschenwĂŒrde. Teils sind die Artikel nur einen Satz lang. Dort steht dann etwa, jede Vertragspartei treffe âMaĂnahmen zur Achtung der MenschenwĂŒrde und der individuellen Autonomie im Zusammenhang mit TĂ€tigkeiten innerhalb des Lebenszyklus von Systemen der kĂŒnstlichen Intelligenz.â Das hier ein âsehr hoher Grad von Allgemeinheitâ vorliegt, ist wohl noch freundlich formuliert â es sind vorwiegend WorthĂŒlsen.
Auch mehr als 100 Organisationen aus der Zivilgesellschaft |hatten die verhandelnden Staaten vor den letzten Verhandlungen noch aufgefordert|, doch bitte keinen Freifahrtschein fĂŒr Konzerne und Sicherheitsbehörden zu gewĂ€hren â weitgehend vergeblich. Ohnehin konnten die Organisationen zu diesem Zeitpunkt nur noch von der Seitenlinie reinrufen. Das Komitee fĂŒr KĂŒnstliche Intelligenz, in dem ĂŒber den Vertrag verhandelt wurde, hatte sie vergangenen Sommer |kurzerhand vor die TĂŒr gesetzt|. Die weiteren Verhandlungen sollten ohne kritische Beobachter:innen stattfinden.
Das Urteil von AlgorithmWatch fĂ€llt jetzt entsprechend klar aus: Selbst Verbote von KI-Systemen, die mit Menschenrechten unvereinbar scheinen, seien nicht mehr explizit vorgesehen, kritisiert die Menschenrechtsorganisation. TatsĂ€chlich sieht der Entwurf in seiner jetzigen Form keinerlei rote Linien vor. Aus Sicht des Europarates gibt es demnach keine Technologie, die so riskant wĂ€re, dass sie in einem internationalen Abkommen zu KI pauschal verboten werden sollte. Selbst fĂŒr |biometrische Identifikation| oder |Emotionserkennung| gilt: Unterzeichnende Staaten können weiterhin selbst entscheiden, ob und wie sie deren Einsatz regulieren wollen.
Schon die KI-Verordnung der EU hat biometrische Identifikation im öffentlichen Raum und Emotionserkennung nicht generell verboten. Sie hat die Technologien jedoch als hoch-riskant eingestuft und mit entsprechenden Auflagen versehen.
Den aktuellen Entwurf hat nicht der Europarat öffentlich gemacht, sondern |der Journalist Luca Bertuzzi|. |Er schreibt,| er sehe nicht, warum ein internationales Abkommen zum Schutz der Menschenrechte geheim bleiben sollte. Der Europarat hat bislang nur bekannt gegeben, dass |am 15. MÀrz eine Einigung zum Text erzielt wurde|. Dieser wird jetzt erst an das Ministerkomitee des Europarats weitergeleitet, danach kann es losgehen mit dem Unterschreiben.
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|an strengeren Regeln fĂŒr den Einsatz âKĂŒnstlicher Intelligenzâ feilte|
|haben sich in den Verhandlungen dafĂŒr eingesetzt|
|hatten die verhandelnden Staaten vor den letzten Verhandlungen noch aufgefordert|
|kurzerhand vor die TĂŒr gesetzt|
|der Journalist Luca Bertuzzi|
|am 15. MĂ€rz eine Einigung zum Text erzielt wurde|
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Wed, 20 Mar 2024 11:07:28 +0000
Markus Reuter
Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber Ă€uĂert in zahlreichen âEmpfehlungenâ an Bundestag und Bundesregierung klare Kritik am Umgang mit dem Datenschutz. Der jĂ€hrliche TĂ€tigkeitsbericht gibt Einblicke, wo es besonders klemmt.
Der Bundesdatenschutzbeauftragte (BfDI) Ulrich Kelber hat heute seinen |jĂ€hrlichen TĂ€tigkeitsbericht| veröffentlicht. In diesem befasst sich die Behörde mit allen möglichen Belangen des Datenschutzes: von der Digitalisierung des Gesundheitswesen bis hin zur Frage, welche Daten die Polizei und Geheimdienste wie nutzen dĂŒrfen. Dabei verweist die Behörde an vielen Stellen sehr klar darauf, dass die Ampel beim Datenschutz vieles besser machen mĂŒsste. Er geht dabei nicht nur auf konkrete DatenschutzvorfĂ€lle ein, sondern Ă€uĂert sich auch grundsĂ€tzlich zu bestehenden und geplanten Gesetzen.
Im knapp |180 Seiten starken Bericht (PDF)| empfiehlt er unter anderem dem Deutschen Bundestag, in Sachen Chatkontrolle gegenĂŒber der Bundesregierung und dem EU-Gesetzgeber auf eine âerhebliche, grundrechtskonforme Ăberarbeitungâ des Verordnungsentwurfs zu drĂ€ngen und sich am Beispiel der |Position des Europaparlamentes| zu orientieren.
Hierbei sei eine durchgehende Ende-zu-Ende-VerschlĂŒsselung zu gewĂ€hrleisten, die deutsche und europĂ€ische Grundrechte zu wahren und ein flĂ€chendeckendes und anlassloses Auslesen privater Kommunikation zu verbieten. Sollte dies nicht möglich sein, sollte der Verordnungsentwurf insgesamt abgelehnt werden, so der Bundesdatenschutzbeauftragte.
Bei den digitalen IdentitĂ€ten plĂ€diert Kelber darauf, dass bei der eIDAS-Verordnung FreirĂ€ume zur Ausgestaltung der nationalen, europĂ€ischen Brieftasche (EUDI-Wallet) genutzt werden. Deutschland solle hierbei âVorreiter in Europaâ werden und eine Wallet-Infrastruktur etablieren, âdie auch vor Ăberidentifizierung schĂŒtzt und Vorteile der Digitalisierung fĂŒr die Datenminimierung nutztâ.
Bereichspezifische Vorschriften sollten dabei âklare BeschrĂ€nkungen insbesondere hinsichtlich Zweck und Dauer einer elektronischen Weiterverarbeitung von Daten, die durch Polizei- und Verwaltungsbehörden aus dem Chip eines Passes oder Personalausweises ausgelesen wurdenâ festlegen, fordert die Datenschutzbehörde. Das neue Pass- und Personalausweisgesetz eröffnet hier Möglichkeiten fĂŒr Behörden. Kelber befĂŒrchtet, dass âSchattendatenbankenâ entstehen könnten, die ohne Zweckbindung fĂŒr ânicht absehbare kĂŒnftige Verwendungenâ genutzt werden können.
Zudem sollte der Gesetzgeber âöffentlichen Stellen nur dann den Zugriff auf das biometrische Lichtbild im Chip eines Passes, Personalausweises oder elektronischen Aufenthaltstitels gestatten, wenn es fĂŒr die ErfĂŒllung besonders gewichtiger, im öffentlichen Interesse liegender Aufgaben zwingend notwendig ist und alternative, eingriffsmildere Verfahren nicht zur VerfĂŒgung stehenâ.
Kritik hat die Datenschutzbehörde auch am Einsatz âkomplexer Datenanalysemethodenâ, gemeint sind Big-Data- und KI-Anwendungen wie die von Palantir. Hier empfiehlt Kelbers Behörde zumindest klare Rechtsgrundlagen und geeignete Rahmenbedingungen. Ebenso empfiehlt der BfDI beim geplanten zweiten Teil der Reform des Nachrichtendienstrechts fĂŒr die Datenerhebung aus dem Internet und deren Weiterverarbeitung durch die Dienste genaue Vorgaben zu machen. Kelber verweist hier auf die |Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtes|, das dem Einsatz solcher Technologien Grenzen gesetzt hat.
Bei der Verwaltungsdigitalisierung und der Registermodernisierung drĂ€ngt der BfDI zu mehr Transparenz. Hierbei hat die Ampel die Steuer-ID |entgegen aller Warnungen von DatenschĂŒtzer:innen| zur Identifikationsnummer gemacht, anhand derer Verwaltungsleistungen erbracht werden. Dies hĂ€lt Kelber wegen der Gefahr der Profilbildung fĂŒr verfassungswidrig, er hĂ€tte sich grundsĂ€tzlich eine andere Lösung gewĂŒnscht. Die Bundesregierung fordert er nun auf, zumindest die Transparenz gegenĂŒber den BĂŒrger:innen mit einem âDatenschutzcockpitâ so zu gestalten, dass diese sehen, welche Behörde wann auf die Daten zugegriffen hat. Kelber ermahnt hier, dass diese Transparenz unterlaufen wĂŒrde, wenn einfach Stellen, die keine Finanzbehörde seien, zu einer solchen erklĂ€rt wĂŒrden.
Auch zum Dauerbrenner Vorratsdatenspeicherung findet Kelber deutliche Worte. Die Bundesregierung solle sich bei der Diskussion fĂŒr eine grundrechtsschonende Balance aus Freiheit und Sicherheit einsetzen. Konkret verweist Kelber hier auf das alternative Quick-Freeze-Verfahren, das aber wegen Uneinigkeit in der Ampel auf Eis liegt.
Handlungsbedarf sieht Kelber auch beim Fluggastdatengesetz. Hier hat der EuropÀische Gerichtshof engere Grenzen zum Beispiel bei Speicherfristen gesetzt, die Ampel hat das Gesetz allerdings noch nicht nachgebessert.
Ein Thema enthĂ€lt der Jahresbericht allerdings nicht: den |umstrittenen Umgang mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber| selbst. Dessen Amtszeit hat die Koalition nicht verlĂ€ngert und bislang schweigen sich die Beteiligten aus, warum das so ist. Kelber, der sich selbst fĂŒr eine weitere Amtszeit beworben hat, ist nur noch âkommissarischâ im Amt.
Namhafte Digital- und Datenschutzorganisationen sowie Einzelpersonen wie der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar beklagen diesen Umgang mit Kelber. In einem |offenen Brief| heiĂt es:
Die VorgĂ€nge in Bezug auf die Neu- oder Weiterbesetzung des Bundesbeauftragten fĂŒr Datenschutz und Informationsfreiheit (BfDI) schaden dem Amt jedoch in noch nie dagewesener Weise. Eine Unklarheit ĂŒber die FortfĂŒhrung der AmtsgeschĂ€fte schwĂ€cht den gesamten Datenschutz in Bund und LĂ€ndern. Nichts fĂŒgt dem Datenschutz in Deutschland jedoch einen gröĂeren und nachhaltigeren Schaden zu, als das verheerende Zeichen, dass der BfDI bei seinen unabhĂ€ngigen AmtsgeschĂ€ften nicht sicher vor politischer Sanktion und damit vor politischer Einflussnahme sein kann. Es entsteht der Eindruck, der bisherige Amtsinhaber könnte sich eine mögliche zweite Amtszeit nicht durch den Einsatz fĂŒr die Sache erarbeiten, sondern insbesondere durch politische GefĂŒgigkeit.
Die Unterzeichnenden fordern die Bundesregierung und den Bundestag auf, schnellstmöglich Klarheit ĂŒber die FortfĂŒhrung zu schaffen. Zudem mĂŒssten Weichen fĂŒr die StĂ€rkung der UnabhĂ€ngigkeit des Bundesbeauftragten durch ein transparentes Benennungsverfahren gestellt werden.
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|jÀhrlichen TÀtigkeitsbericht|
|180 Seiten starken Bericht (PDF)|
|Position des Europaparlamentes|
|Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtes|
|entgegen aller Warnungen von DatenschĂŒtzer:innen|
|umstrittenen Umgang mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber|
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Mon, 18 Mar 2024 16:54:40 +0000
Tomas Rudl
Seit bald einem Jahr ist das Hinweisgeberschutzgesetz in Kraft. Es soll das vertrauliche Melden von MissstĂ€nden garantieren. Doch die meisten Polizist:innen wissen nichts davon â und haben laut einer Studie immer noch Hemmungen dabei, gegen Verfehlungen ihrer Kolleg:innen vorzugehen.
Fast ein Drittel aller Polizeibediensteten haben schon einmal direkt oder indirekt Fehlverhalten von Kolleg:innen oder Vorgesetzten bemerkt, etwa Straftaten oder verfassungsfeindliche ĂuĂerungen. Jedoch haben viele Angst davor, solche MissstĂ€nde zu melden, wie aus einer aktuellen |Studie der Gesellschaft fĂŒr Freiheitsrechte (GFF)| hervorgeht. Glatte 74 Prozent der Befragten wurden zudem nicht darĂŒber informiert, dass ihnen seit vergangenem Sommer ein rechtlicher Schutz zusteht und sie, zumindest auf dem Papier, keine Repressalien zu befĂŒrchten haben.
âPolizist:innen haben Angst, wenn sie MissstĂ€nde melden â vor ihren Kolleg:innen, ihren Vorgesetzten und damit um ihre Karriereâ, sagt die Juristin und Projektkoordinatorin |Franziska Görlitz in einer Pressemitteilung| und fordert dringende Nachbesserung. âNur so kann Fehlverhalten in der Polizei aufgedeckt und in Zukunft vermieden werdenâ, sagt Görlitz.
Die Studie ist Teil des von der Alfred Landecker Foundation geförderten |GFF-Projekts âMach Meldungâ|. Dieses will Polizeibedienstete dabei unterstĂŒtzen, MissstĂ€nde im Dienst zu melden â ob |rechtsextreme Chats|, |Datenmissbrauch| oder |Sexismus am Arbeitsplatz|. Eine zentrale Rolle spielt dabei das im |vergangenen Jahr beschlossene Hinweisgeberschutzgesetz|. Es soll die vertrauliche Meldung solcher VerstöĂe sicherstellen, auĂerdem verbietet es Repressalien jeglicher Art, ob Mobbing seitens Kolleg:innen oder versperrte Karriereleitern.
Doch gerade in eng gestrickten Zirkeln schrecken viele vor diesem Schritt zurĂŒck. âDie Angst vor negativen Konsequenzen stellt in einer geschlossenen Polizeikultur ein enormes Hindernis fĂŒr Hinweisgeber*innen darâ, fĂŒhrt die |Website des Projekts aus|.
Eigentlich soll das Hinweisgeberschutzgesetz hierbei gegensteuern â nicht nur mit der Garantie von Vertraulichkeit oder der Möglichkeit, sich an eine externe Meldestelle zu wenden, wenn man der internen nicht vertraut. Vom Gesetz erfasste Arbeitgeber:innen, wozu die Polizei zĂ€hlt, mĂŒssen dem Gesetz nach ihre Mitarbeiter:innen ĂŒber ihre neuen Rechte informieren, was aber offenkundig fast flĂ€chendeckend unterblieben ist.
So steht denn auch die Angst vor negativen Reaktionen der Kolleg:innen mit 55 Prozent an erster Stelle, wenn es um Hemmungen beim Melden von VerstöĂen geht. Knapp die HĂ€lfte der Befragten fĂŒhren die Angst vor Konfrontationen mit den Kolleg:innen, die den VerstoĂ begangen haben, als Grund fĂŒr eine Nichtmeldung an. Fast genauso viele (47 Prozent) begrĂŒnden dies mit âLoyalitĂ€t gegenĂŒber Kolleginnen und Kollegen beziehungsweise der Institution Polizeiâ. Und 42 Prozent haben Angst vor negativen Konsequenzen fĂŒr die weitere Laufbahn.
Zuletzt hatte die Ampelkoalition mit |Uli Grötsch (SPD) erstmals einen Polizeibeauftragten| ernannt, um das angeschlagene Vertrauen in die deutsche Polizei zu stĂ€rken. Parallel zum Hinweisgeberschutzgesetz, das auf |eine EU-Richtlinie zurĂŒckgeht|, soll er unter anderem als Anlaufstelle fĂŒr Polizist:innen dienen, die Probleme am Arbeitsplatz beobachten. Allerdings ist er nur fĂŒr Bundeseinrichtungen zustĂ€ndig, etwa die Bundespolizei oder das Bundeskriminalamt.
Dabei dĂŒrfte einiges an Ăberzeugungsarbeit auf Grötsch zukommen. So stimmten laut der GFF-Studie zwar 72 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei damit steht und fĂ€llt, dass Beamt:innen Verfehlungen ihrer Kolleg:innen melden. Zugleich meinen aber 76 Prozent, dass es im Polizeidienst auf Sekunden ankomme und gelegentliches Fehlverhalten âviel zu oft aufgebauschtâ werde. Und 49 Prozent sagen, dass man im Team zusammenhalten mĂŒsse und sich MissstĂ€nde besser intern regeln lieĂen.
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|Studie der Gesellschaft fĂŒr Freiheitsrechte (GFF)|
|Franziska Görlitz in einer Pressemitteilung|
|GFF-Projekts âMach Meldungâ|
|vergangenen Jahr beschlossene Hinweisgeberschutzgesetz|
|Uli Grötsch (SPD) erstmals einen Polizeibeauftragten|
|eine EU-Richtlinie zurĂŒckgeht|
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Mon, 18 Mar 2024 16:01:52 +0000
Markus Reuter
In den USA zieht sich die Erotik-Plattform Pornhub wegen Gesetzen, die Ausweiskontrollen fordern, aus immer mehr Bundesstaaten zurĂŒck. Die Nutzer:innen weichen technisch einfach aus. BĂŒrgerrechtsorganisationen warnen davor, dass solche Alterskontrollen Grundrechte bedrohen.
In der Auseinandersetzung um ein neues |Gesetz zur Altersverifikation| hat sich die Pornoplattform Pornhub aus dem US-Bundesstaat Texas zurĂŒckgezogen. Nutzer:innen mit texanischen IP-Adressen, die die Website besuchen, zeigt die Plattform nun eine Nachricht, in der sie das texanische Gesetz als das am âwenigsten wirksame und gleichzeitig restriktivste Mittel zur Erreichung des erklĂ€rten Ziels des Jugendschutzesâ darstellt.
Als Reaktion auf diesen Schritt von Pornhub steigen nun offenbar die Suchanfragen nach VPN-Anbietern bei der Suchmaschine Google. Mit einem Virtual Private Network (VPN) lĂ€sst sich nicht nur die Verbindung im Netz verschlĂŒsseln, sondern der Standort verschleiern oder ein anderer Standort angeben. VPNs sind deswegen ein beliebtes Instrument, um Websperren zu umgehen.
Seit sich Pornhub am 14. MĂ€rz aus Texas zurĂŒckgezogen hat, hĂ€tten sich die Suchanfragen nach VPNs im Bundesstaat vervierfacht, |berichtet Variety|. Texas ist mit knapp 30 Millionen Einwohner:innen einer der bevölkerungsreichsten Staaten der USA.
Das texanische Gesetz ist nicht nur wegen der Altersverifikation umstritten, sondern auch, weil es von Porno-Anbietern verlangt, dass diese |wissenschaftlich unbelegte Warnungen auf ihren Seiten zeigen| mĂŒssen, unter anderem dass Porno-Konsum die Entwicklung des Gehirns beeintrĂ€chtigen wĂŒrde.
Die Electronic Frontier Foundation (EFF) |sagt gegenĂŒber CNN|, dass Texas nicht der einzige Staat sei, in dem derartige Suchanfragen als Reaktion auf Gesetze zur AltersĂŒberprĂŒfung zunehmen wĂŒrden. âĂhnliche Suchspitzen wurden gemeldet, nachdem andere Staaten Gesetze zur AltersĂŒberprĂŒfung verabschiedet hatten, die die EFF ablehntâ, so Hudson Hongo, ein EFF-Sprecher gegenĂŒber CNN. Pornhub hatte sich in der Vergangenheit unter anderem aus den Bundesstaaten |Arkansas|, |Utah|, |Mississippi und Virginia| zurĂŒckgezogen. Die EFF lehnt diese Form der Altersverifikation ab: âNiemand sollte seinen FĂŒhrerschein abgeben mĂŒssen, nur um auf kostenlose Websites zuzugreifen.â
Die Porno-Plattform hingegen fordert eine andere Form der Altersverifikation und möchte dafĂŒr Gesichtserkennung oder eine |andere Technologie| auf dem GerĂ€t selbst nutzen, |berichtet The Verge|. AltersĂŒberprĂŒfungen |bergen generell groĂe Risiken fĂŒr Grundrechte| und können dazu fĂŒhren, dass die AnonymitĂ€t im Internet immer weiter schwindet.
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|Gesetz zur Altersverifikation|
|wissenschaftlich unbelegte Warnungen auf ihren Seiten zeigen|
|bergen generell groĂe Risiken fĂŒr Grundrechte|
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Mon, 18 Mar 2024 10:00:54 +0000
Markus Reuter
In seinem neuen Buch beschreibt Friedemann Karig, wie Protest erfolgreich sein kann â und was wir dafĂŒr tun mĂŒssen. Das liest sich gut und macht Hoffnung. Eine Rezension.
Was wĂ€re eigentlich, wenn sich nicht diejenigen rechtfertigen mĂŒssten, die protestieren, sondern diejenigen, die gleichgĂŒltig zu Hause sitzen? Diese und viele andere Fragen stellt der |Autor, Journalist und Podcaster Friedemann Karig| in seinem neuem Buch âWas ihr wolltâ, in dem er das Thema Protest und dessen Wirkung beschreibt. Und wieder mal zeigt sich: Egal, was man von Karig liest, immer fĂŒhlt man sich auf diese unaufgeregt freundliche Weise klug informiert.
Karigs Buch gibt viele DenkanstöĂe und Quellen, wie die Hinweise auf |Gene Sharp| und seine |198 Taktiken des gewaltfreien Protests|, auf die BĂŒcher |von Robert Helvey| (PDF) oder âThis is an Uprisingâ von Mark und Paul Engler. Mit theoretischer Untermauerung von Arendt, Thoreau, Foucault und Marcuse rahmt Karig sein VerstĂ€ndnis von Protest und vor allem auch von zivilem Ungehorsam.
Karig zeigt mit diesen unterschiedlichen Quellen und mit zahlreichen Beispielen aus der Protestgeschichte â vor allem |Serbiens âOtpor!â|, |Indiens UnabhĂ€ngigkeitsbewegung| und der |US-BĂŒrgerrechtsbewegung| â dass Protest wirksam sein kann und wo er ansetzen muss, um an den verschiedenen SĂ€ulen der Gesellschaft zu wirken.
Im Zentrum steht dabei das, was Karig âTriggerpunkteâ nennt, also ein Thema, ein Ort und eine passende Protestform, die zusammen wie im Brennglas das Anliegen bĂŒndeln, den wunden Punkt des Gegners offenlegen und diesen in ein Dilemma bringen.
FĂŒr Protest-AfiÂciÂoÂnaÂd@s mögen diese Taktiken und Quellen nicht neu sein, denn auch moderne Protestbewegungen wie Extinction Rebellion und die Letzte Generation berufen sich auf diese Theorien und haben gezeigt, dass dieser theoriegestĂŒtzte Zugang zum Aktivismus, der eher auf bestimmte Taktiken und Methoden setzt als einfach aktivistisch draufloszuprotestieren, mindestens zu Aufmerksamkeit fĂŒhren kann.
Dabei ist das Buch eine informierte LiebeserklĂ€rung an Politisierung und zivilen Ungehorsam, an kreative Proteste und groĂe soziale Bewegungen, die etwas ins Rollen bringen und die Welt verĂ€ndern wollen.
Im Zentrum von Karigs politischem Kosmos steht die Klimakrise, hier sieht er weder die Bundesregierung noch internationale Organisationen als Akteure, die derzeit etwas verĂ€ndern wĂŒrden um die nahende Katastrophe noch stoppen. Die UntĂ€tigkeit der MĂ€chtigen wird dabei befeuert durch unsere hoffnungslose UntĂ€tigkeit und GleichgĂŒltigkeit, in der wir nicht das Potential und die Möglichkeiten des Protests erkennen, die da auf der StraĂe liegen.
Es liegt also an uns die Faust zu ballen und zusammen mehr zu protestieren, um die MĂ€chtigen zu VerĂ€nderung zu zwingen. Und zwar mit der ganzen Bandbreite des Protests â von Kommunikationsguerilla bis zivilem Ungehorsam. Lediglich gewaltvollem Protest erteilt Karig eine strategische Absage, weil er die Protestakteure selbst zu Antagonist:innen und es dem Adressaten des Protests zu einfach macht aus dem Dilemma zu entkommen.
Auf Seite 162 verdichtet Karig sein VerstÀndnis von effektivem Protest:
Effektive Bewegungen schaffen ein hoffnungsvolles Gruppenbewusstsein, ein Wir, das sich ĂŒber verletzte Werte und Normen, also einen gemeinsamen Affekt des Unrechts definiert. Dazu bedarf der Protest einer narrativen Verdichtung in Form einer ErzĂ€hlung der Ungerechtigkeit, die symbolkrĂ€ftig in die Ăffentlichkeit getragen wird. Wenn er dabei eindeutige Antagonisierungen schafft, also die Struktur des Konflikts in GegensĂ€tze wie Wir-Die, richtig-falsch, konstruktiv-destruktiv herunterbricht, erreicht er eine moralische und kommunikative Klarheit, die wie eine heilende Essenz in alle Bereiche der Gesellschaft wirken kann. Das mittels seiner eindrĂŒcklichen ErzĂ€hlung konstituierte Kollektiv muss dann hartnĂ€ckig und in allen SĂ€ulen der Gesellschaft nach VerbĂŒndeten suchen und seine Gegenspieler immer wieder in Dilemma-Situationen bringen, in denen selbst heftige Repressionen und RĂŒckschlĂ€ge letztlich nur die Standpunkte der Bewegung bestĂ€tigen.
Man merkt dem Buch an, dass es in der Zeit der Protest-Resignation des Jahres 2023 entstanden ist als eine Art Weckruf und Hoffnungsgeber â und dann bricht kurz vor Veröffentlichung des Buches plötzlich die Protestwelle gegen Rechts ĂŒber das Land herein, bei der im Januar und Februar mehrere Millionen Menschen auf die StraĂe gegangen sind. Die bringt Karig etwas hastig in einem hoffnungsvollen Epilog unter, in dem er die wohlige WĂ€rme beschreibt, die dieser groĂe Protest bei ihm und vielen anderen ausgelöst hat. In allem Pessimismus ĂŒber die drohende Klimakatastrophe verweist er mit dem ganzen Buch auf die Hoffnung, die Proteste mit sich bringen und dass sie und die Suche nach Antworten eine Aufgabe von ĂŒberwĂ€ltigender Schönheit seien. Recht hat er.
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|Autor, Journalist und Podcaster Friedemann Karig|
|198 Taktiken des gewaltfreien Protests|
|Indiens UnabhÀngigkeitsbewegung|
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Mon, 18 Mar 2024 07:20:09 +0000
Anna Biselli
Was haben Tassen mit Kaninchen, Feminismus und Urheberrecht gemeinsam? Sie kommen in der dritten Hackbibel vor, die frisch erschienen ist. Der Versuch einer Rezension, die keine ist.
Fast 40 Jahre nach der ersten Hackerbibel ist jetzt die |âHackbibel 3â| erschienen. Fortsetzungen von bekannten Werken sind immer ein Risiko, das war wohl auch der Redaktion bewusst. Dennoch hat sie gemeinsam mit dem Katapult-Verlag einen Neuaufschlag gewagt und auf 224 Seiten eine mal mehr, mal weniger wilde Mischung an neuen und alten Texten, Bastelanleitungen, Rezepten, Grafiken und RĂ€tseln zusammengetragen und liebevoll gestaltet.
Die dritte Hackbibel ist kein Buch, das man von vorn bis hinten durchliest. Es ist eines, das man immer wieder aufschlÀgt, um etwas Neues zu entdecken und einen kleinen Eindruck vom vielfÀltigen Chaos im Chaos Computer Club zu bekommen.
Wenn das Chaos eskaliert, entsteht aus einer Auftakt-Aktion mit Waffeleisen irgendwann eine Infrastruktur fĂŒr das karierte SĂŒĂgebĂ€ck inklusive Postkarten: das Waffel Operation Center, auf CCC-Verantaltungen wohlbekannt. Aber auch, wie Wolfgang SchĂ€ubles FingerabdrĂŒcke auf einem Glas mittlerweile im Museum gelandet sind, wird in kurzweiligem Format erklĂ€rt. Oder was das mit den groĂen Datensammlern oder einem DDR-Computerklub auf sich hat, was man beim Erforschen der Telematik-Infrastruktur entdecken kann und wie man verantwortungsbewusst Schwachstellen meldet.
Das gemischte Hack aus der Hackbibel ist â im besten, nicht im despektierlichen Sinne â die perfekte LektĂŒre fĂŒrs Stille Ărtchen. Sie auf dem klassischen Weg zu rezensieren, fĂ€llt mir schwer. Das hat vor allem zwei GrĂŒnde.
Zum einen: Die verschiedenen Inhalte passen nicht so richtig zusammen und wahrscheinlich wollen und mĂŒssen sie das auch gar nicht. Hier bleibt die dritte Bibelgeneration den beiden ersten treu. Denn auch da fanden sich nebeneinander Kennlinienfelder von Transistoren, Berichte vom BTX-Hack, BASIC-Code, Gesellschaftsutopien und Dinge, die man schwer beschreiben kann.
Zum anderen: Es lĂ€sst sich schwer sagen, an wen sich die Hackbibel richtet. Eine Ahnung, an wen sie sich richten soll, bekommen die Lesenden in der abgedruckten kritischen Reflexion zwischen den Hacker:innen erdgeist, vollkorn und indeks zur Frage, ob man ĂŒberhaupt eine neue Hackbibel machen sollte.
Eine Hackbibel könne âeine gemeinsame Basis fĂŒr eine ganze Gruppe schaffenâ, sagt vollkorn da. âSie ist etwas fĂŒr uns, ĂŒber uns und von uns.â Indeks meint, man könne damit auf Themen aufmerksam machen, âdie nicht nur fĂŒr Hacker*innen wichtig sind, sondern auch fĂŒr Leute, die sich vielleicht das erste Mal wirklich tiefere Gedanken ĂŒber IT machen.â
In dem lesenswerten Trilog geht es um Werte, SpaĂ am GerĂ€t, mĂŒndliche Wissensweitergabe, die eigene Musealisierung, die Wahrnehmung der Community von auĂen und den inhĂ€renten Konflikt zwischen einer âBibelâ und dem Leitsatz aus der Hacker*innenethik, man solle AutoritĂ€ten misstrauen. Ist der Konflikt gut gelöst? Ich finde, ein bisschen mehr Subversion hĂ€tte die Hackbibel an manchen Stellen noch vertragen.
Als ich in der ersten Hackerbibel gelesen habe, die Ă€lter ist als ich es bin, war ich gerade im Teenager-Alter. Die Hackerbibeln tauschten wir auf CD auf dem Schulhof aus. In diesen wilden Sammlungen befanden sich auch Werke wie das Anarchist Cookbook, seltsame UFO-BĂŒcher und das Kamasutra. Eine illustre Zusammenstellung frĂŒhjugendlicher Interessen, könnte man sagen.
Ich war von der Hackerbibel fasziniert, obwohl oder eher weil ich fast nichts verstand. WÀhrend ich versuchte, |mit dem MarienkÀfer Kara| programmieren zu lernen, begeisterten mich die Geschichten derjenigen, die mit ihren FÀhigkeiten nicht nur ein 2D-Insekt auf dem Bildschirm herumschubsten, sondern so richtig Rabatz machten. Ich war weit weg von dieser Welt, aber sie hat mich nie wieder losgelassen.
In der neuen Hackbibel kommt netzpolitik.org schon im Vorwort vor â als âTeil des Orbitsâ. An viele der beschriebenen Ereignisse und Diskussionen kann ich mich gut erinnern, auf vielen der beschriebenen âDemonstrationen rund um Netzpolitik und Chaosthemenâ war ich selbst. Klar, dass ich die Hackbibel 3 anders wahrnehme als ihre VorgĂ€ngerinnen. Aber dass sie vielleicht auch mal auf einem analogen oder digitalen Schulhof herumgereicht wird und Nachwuchshacker:innen in den Bann zieht: Das wĂ€re doch schön.
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Sat, 16 Mar 2024 08:05:54 +0000
netzpolitik.org
Der November hat uns in ein neues BĂŒro gefĂŒhrt. Wir saĂen also inmitten vieler Kisten und in weiĂen RĂ€umen. Doch die sind schnell vertraut geworden.
Mittlerweile ist es MĂ€rz und beim morgendlichen AufschlieĂen der BĂŒrotĂŒr fĂŒhlt es sich fast so an, als wĂ€ren wir nie woanders gewesen. Im vergangenen November war das noch neu: Wir waren gerade |frisch umgezogen|! Frisch umgezogen heiĂt auch: Man sitzt erstmal vor einem weiĂen Blatt Papier. Oder in dem Fall eher in vielen weiĂen RĂ€umen. Ein kleiner Neuanfang.
NatĂŒrlich haben wir uns vorher ĂŒberlegt, wo was hinkommt, wer wo sitzen mag und wessen Telefonierfrequenzen und WohlfĂŒhltemperaturvorlieben am besten zusammenpassen. Aber wie dann ganz praktisch der Inhalt der Umzugskisten seinen Weg in die dreidimensionale FlĂ€che findet, lĂ€sst sich nicht vollstĂ€ndig planen.
Da ist der Wasseranschluss, der irgendwie anders liegt als vorher und die Inbetriebnahme der Kaffeemaschine zur Herausforderung werden lĂ€sst. Ein groĂer Dank an die Kolleg:innen, die sich beherzt um diese kritische Infrastruktur gekĂŒmmert haben. Oder der störrische Aktenschrank, dessen Aufbau erst frustriert verschoben und dann mit Hilfe von Video-Tutorials doch gemeistert wurde.
Eingeweiht haben wir die RĂ€ume mit einem gemeinsamen FrĂŒhstĂŒck, noch zwischen ziemlich vielen Kisten. Mittlerweile sind die Kisten viel weniger geworden, die RĂ€ume haben eine Weihnachtsfeier ĂŒberstanden, es sind Pflanzen eingezogen und auf dem Klo entsteht eine kleine Bildergalerie, die regelmĂ€Ăig Besucher:innen amĂŒsiert. Wir sind angekommen und freuen uns zu bleiben.
Wir haben im November 87.329 Euro eingenommen. An Spenden kamen Dank der Mitte November angelaufenen Jahresendkampagne |Bullshit-Busters| 86.600 Euro zusammen. Aus dem Merch-Store erhielten wir in diesem Monat knapp 240 Euro.
Die Personalkosten liegen mit 69.200 Euro im Rahmen des Stellenplans. Im Vergleich zum Vormonat sind die Personalkosten wie erwartet gestiegen. GrĂŒnde dafĂŒr sind die Nachbesetzung der Finanzbuchhaltung, eine Stundenaufstockung im Fundraising (Jahresendkampagne) und die Einstellung einer Reinigungskraft.
Die Raumkosten bilden mit 10.700 Euro eine doppelte Miete ab, da wir im November letztmalig den alten Mietvertrag in der Schönhauser Allee bedienen mussten. FĂŒr das neue BĂŒro in der BoyenstraĂe zahlen wir zum Monatsende die Miete fĂŒr den Folgemonat â entsprechend Ende November die Dezembermiete.
Die Fremdleistungen belaufen sich auf knapp 7.500 Euro und liegen aufgrund der externen Einarbeitung der neuen Kollegin in der Finanzbuchhaltung (3.300 Euro) noch ĂŒber dem Jahresdurchschnitt. In den Ausgaben fĂŒr Betriebsbedarf mit knapp unter 2.000 Euro sind die Rechnungen des PĂ€dagogischen Begleitprogramms fĂŒr die ersten drei Monate unserer Bundesfreiwilligen (ca. 900 Euro) enthalten, ansonsten ist die Höhe unauffĂ€llig. Im Zuge unseres BĂŒroumzugs haben wir alle Versicherungen aktualisiert, deren Jahresrechnungen im November mit knapp unter 1.050 Euro fĂ€llig wurden. Die Kosten der technischen Infrastruktur des BĂŒros liegen mit etwas ĂŒber 2.250 Euro trotz letzter Umzugskosten fast noch im ĂŒblichen Bereich.
Zahlungsverkehrskosten haben wir in Höhe von knapp 80 Euro verbucht. Hier gibt es Verschiebungen in den Dezember. Unterm Strich beendeten wir diesen Monat mit einem Defizit von rund 5.600 Euro. UnterjĂ€hrig schlieĂen wir in der Regel die Monate Februar bis November mit einem Minus ab, da wir unseren Haushalt vor allem mit den Spendeneinnahmen aus der Jahresendkampagne finanzieren. Aufgrund des deutlichen Anstiegs der Spendeneinnahmen im November durch die beginnende Jahresendkampagne erlauben wir uns eine verhaltene Vorfreude auf die Dezemberzahlen.
Wenn ihr uns unterstĂŒtzen wollt, findet ihr |hier| alle Möglichkeiten. Am besten ist ein Dauerauftrag. Er ermöglicht uns, langfristig zu planen:
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Wir sind glĂŒcklich, die besten UnterstĂŒtzerinnen und UnterstĂŒtzer zu haben.
Unseren Transparenzbericht aus dem Oktober |findet ihr hier|.
Vielen Dank an euch alle!
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Fri, 15 Mar 2024 17:09:59 +0000
Markus Reuter
Die 11. Kalenderwoche geht zu Ende. Wir haben 16 neue Texte mit insgesamt 126.631 Zeichen veröffentlicht. Willkommen zum netzpolitischen WochenrĂŒckblick.
Liebe Leser:innen,
diese Woche wurden wir vom Berliner Bezirksamt Mitte gefragt, ob wir unsere RedaktionsrĂ€ume in der 3. Etage als Wahllokal fĂŒr die Europawahl zur VerfĂŒgung stellen wĂŒrden. Wir hielten die E-Mail fĂŒr einen verfrĂŒhten Aprilscherz, doch ein Anruf unter der angegebenen Nummer machte klar: Die meinen das ernst. Wegen eines Neuzuschnitts des Wahlkreises werden derzeit Wahllokale gesucht.
Dabei schreiben die Mitarbeitenden offenbar ganz viele verschiedene Organisationen an, die in der Gegend sitzen und bei denen man denken könnte, dass dort ab und an âPublikumsverkehrâ ist. Auch wenn wir die Idee eines Wahllokals bei uns ja irgendwie charmant finden, haben wir dann doch mal lieber abgesagt.
Ganz unabhĂ€ngig von den Europawahlen geht diese Woche eine Ăra bei uns zu Ende: der GrĂŒnder Markus Beckedahl geht bei netzpolitik.org von Bord. Markus hat netzpolitik.org ins Leben gerufen, das Themenfeld jahrelang geprĂ€gt und das einstige Ein-Mann-Blog zu einer veritablen Redaktion ausgebaut. Dabei hat er auch viele Impulse im Journalismus gesetzt â einerseits in Form und Inhalt, andererseits auch, was Finanzierungsmodelle angeht. Ab jetzt widmet sich Markus anderen Projekten. âIch bin nicht weg. Ich bin nur woandersâ, |schreibt er selbst in seinem Abschiedstext|.
Als Redaktion erinnern wir uns an |aufregende gemeinsame Jahre und so manche Anekdote|. Lieber Markus, an dieser Stelle ein riesiges Dankeschön fĂŒr alles und viel SpaĂ und Erfolg bei zukĂŒnftigen Projekten!
Mit einer TrĂ€ne im Knopfloch grĂŒĂt
Markus Reuter
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Was wĂ€re, wenn wir statt LokfĂŒhrer*innen einfach KIs die ZĂŒge fahren lassen? Die wĂŒrden niemals streiken und aufmucken, oder? Toll? Eine Idee, bei der das Problem schon an der ĂŒberalteten Infrastruktur losgeht. Von Bianca Kastl â
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Die Verhandlungen bei der UN-Konvention zur BekĂ€mpfung von CyberkriminalitĂ€t sind ins Stocken geraten. Tanja Fachathaler war dabei. Wir fragen sie im Interview, was die wichtigsten Streitpunkte sind, welche Gefahren bei den Menschenrechten durch den geplanten Vertrag drohen und wie es nach dem Abbruch der Verhandlungen nun weitergeht. Von Constanze â
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Teams, Word, Outlook â Microsofts Office-Suite ist weitverbreitet. Auch die EU-Kommission nutzt sie und hat dafĂŒr heute Probleme bekommen: Die Benutzung verstöĂt gegen Datenschutzrecht, verkĂŒndete der EuropĂ€ische Datenschutzbeauftragte. Er hat die Kommission zu Ănderungen verdonnert. Von Maximilian Henning â
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Das Zentrum fĂŒr Digitale SouverĂ€nitĂ€t soll die öffentliche Verwaltung unabhĂ€ngiger von Big Tech und einzelnen Herstellern machen, will die Ampel-Koalition. Die stellt der Gesellschaft des Bundes jedoch nur knappe Mittel zur VerfĂŒgung und verpasst damit die Chance, IT-Sicherheit zu stĂ€rken. Von Esther Menhard â
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Die EU-Mitgliedstaaten haben gestern eine abgeschwĂ€chte Richtlinie zu Plattformarbeit durchgewunken. Eine erste, ambitioniertere Fassung hatten sie im Dezember blockiert. Die Verhandlungen finden so ein getrĂŒbtes Ende, das Gesetz wird trotzdem viele neue Arbeiter:innenrechte bringen. Von Maximilian Henning â
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Die neuen europaweiten Regeln fĂŒr KĂŒnstliche Intelligenz lassen biometrische Ăberwachungstechniken wie Gesichtserkennung teilweise zu. Zivilgesellschaftliche Organisationen fordern nun, dass dem zumindest in Deutschland ein Riegel vorgeschoben wird. Von Markus Reuter â
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Die KI-Verordnung macht den Weg frei fĂŒr biometrische Gesichtserkennung in der EU. Auch an vielen anderen Stellen bietet sie groĂe Schlupflöcher fĂŒr Behörden und Unternehmen. Das EU-Parlament wollte Grundrechte besser schĂŒtzen â und hat dem Kompromiss nun doch zugestimmt. Von Chris Köver â
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Viktor OrbĂĄn betont gern, sich nicht in Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen, und wirbt doch unverhohlen fĂŒr die Wahl politischer VerbĂŒndeter. Jetzt kommt raus, wie massiv er kurz vor der Wahl in Polen und der Slowakei mit Online-Anzeigen Stimmung gemacht hat. Auch in Deutschland lief die Kampagne. Von Chris Köver â
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Kenianische Arbeitnehmer sĂ€ubern fĂŒr weniger als zwei US-Dollar pro Stunde Trainingsdaten fĂŒr Unternehmen wie OpenAI. Das hat sich nicht verbessert, seit es vor einem Jahr publik wurde. Mophat Okinyi, Menschenrechtsaktivist und Gewerkschafter, beklagt im Interview katastrophale Arbeitsbedingungen trotz MilliardenumsĂ€tzen der westlichen Unternehmen. Von Constanze â
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Markus Beckedahl verlĂ€sst netzpolitik.org, zwei Jahre nach der Ăbergabe an das neue Chefredaktionsteam. Er wird sich in Zukunft anderen Aufgaben widmen. Zeit fĂŒr einen RĂŒckblick auf bewegte Jahre. Von netzpolitik.org â
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Was ich in den letzten 20 Jahren lernen durfte und nun auf neue Wege mitnehme. Der vorerst letzte Text von Markus Beckedahl auf netzpolitik.org. Von Markus Beckedahl â
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Zuerst flog er unter dem Radar, dann sorgte er fĂŒr Aufregung: ein Vorschlag der EU-Kommission fĂŒr ein Gesetz, das digitale Produkte sicher machen soll. Die Open Source-Community fĂŒrchtete ĂŒbermĂ€Ăige BĂŒrokratie. Die EU besserte nach, die finale Fassung enthĂ€lt umfangreiche Ausnahmen. Von Maximilian Henning â
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EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton will die europĂ€ischen MĂ€rkte fĂŒr Telekommunikation dramatisch umbauen. Die Richtung gibt ein neues WeiĂbuch vor. Es schlĂ€gt unter anderem eine weitflĂ€chige Deregulierung und einmal mehr die Datenmaut vor. Wir haben uns die brisantesten VorschlĂ€ge im Detail angesehen. Von Tomas Rudl â
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Falsche Hinweise, irrefĂŒhrendes Design, untergejubelte Kredite: Wie können Konsument:innen beim Online-Einkauf vor unsicheren Praktiken geschĂŒtzt werden? AnlĂ€sslich des Weltverbrauchertags klĂ€ren Verbraucherzentralen ĂŒber Risiken auf und fordern mehr Bewegung von der Regierung. Von Lea Binsfeld â
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Gerade Menschen auf der Flucht brauchen Smartphones. So können sie kommunizieren und navigieren. Zwei Organisationen helfen dabei, indem sie alte Handys sammeln, aufbereiten und an die EU-AuĂengrenzen senden. Von Lennart MĂŒhlenmeier â
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EU-Parlament und Rat haben sich gestern Nacht auf einen Verordnungsentwurf fĂŒr einen âEuropĂ€ischen Gesundheitsdatenraumâ geeinigt. Versicherte sollen demnach der Weitergabe ihrer Daten widersprechen können. Die EinschrĂ€nkungen sind mitunter aber so groĂ, dass die Patient:innenrechte zur Makulatur zu geraten drohen. Von Daniel Leisegang â
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|schreibt er selbst in seinem Abschiedstext|
|aufregende gemeinsame Jahre und so manche Anekdote|
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Fri, 15 Mar 2024 13:46:00 +0000
Daniel Leisegang
EU-Parlament und Rat haben sich gestern Nacht auf einen Verordnungsentwurf fĂŒr einen âEuropĂ€ischen Gesundheitsdatenraumâ geeinigt. Versicherte sollen demnach der Weitergabe ihrer Daten widersprechen können. Die EinschrĂ€nkungen sind mitunter aber so groĂ, dass die Patient:innenrechte zur Makulatur zu geraten drohen.
Die Erleichterung unter den Vertreter:innen des EU-Parlaments und des Rats |ist offenkundig groĂ|. Gestern Nacht haben sie sich auf eine gemeinsame Position zum sogenannten |EuropĂ€ischen Gesundheitsdatenraum| geeinigt. Die Zeit drĂ€ngte, denn die |entsprechende Verordnung| soll noch vor den Europawahlen im Juni verabschiedet werden.
Im â|Datenraum|â sollen ab dem Jahr 2025 die Gesundheitsdaten aller rund 450 Millionen EU-BĂŒrger:innen gespeichert werden. Er soll den grenzĂŒberschreitenden Austausch von Gesundheitsdaten erleichtern: zum einen bei der PrimĂ€rnutzung, wo es um die Behandlung und Versorgung von Patient:innen geht; zum anderen bei der SekundĂ€rnutzung, bei der die Gesundheitsdaten der Forschung zugutekommen sollen.
|Bis zur buchstĂ€blich letzten Minute| wurde in den Trilog-Verhandlungen um die Frage gerungen, ob und inwieweit BĂŒrger:innen der Weitergabe und Verwendung ihrer persönlichen Gesundheitsdaten widersprechen dĂŒrfen. Aus Gesundheitsdaten lassen sich ĂŒberaus sensible Informationen zu jeder einzelnen Person ableiten. Deshalb sind sie |besonders schĂŒtzenswert|.
|Die nun erzielte Einigung| sieht vor, dass die Patient:innen der Datennutzung in allen EU-Mitgliedstaaten grundsÀtzlich widersprechen können. Gerade aber bei der SekundÀrnutzung fasst die erzielte Einigung die Ausnahmen jedoch so weit, dass die Widerspruchsmöglichkeiten zur Makulatur zu geraten drohen.
Dessen ungeachtet begrĂŒĂt der fĂŒhrende Berichterstatter Tomislav Sokol von der christdemokratischen EVP-Fraktion die Einigung: âDer EuropĂ€ische Gesundheitsdatenraum wird den BĂŒrgerinnen und BĂŒrgern die Kontrolle ĂŒber ihre Gesundheitsdaten gebenâ, |so Sokol|, âindem er einen sicheren Rahmen fĂŒr die Speicherung und den Zugriff auf ihre persönlichen Gesundheitsdaten bietet, der ĂŒberall in der EU zugĂ€nglich sein wirdâ.
Auch Stella Kyriakides, EU-Kommissarin fĂŒr Gesundheit, |zeigt sich nach der Trilog-Einigung zufrieden|. Der EuropĂ€ische Gesundheitsdatenraum werde die Entwicklung lebensrettender Behandlungen sowie bessere gesundheitspolitische Entscheidungen ermöglichen, so die Kommissarin, âund das alles bei strengen Datenschutz- und Sicherheitsvorkehrungenâ.
Im Detail |sieht die Trilog-Einigung vor|, dass Patient:innen hinsichtlich der PrimĂ€rnutzung widersprechen können, dass Behandelnde auf ihre Daten zugreifen können â âes sei denn, dies ist zum Schutz der lebenswichtigen Interessen der betroffenen Person oder einer anderen Person erforderlichâ. Unter keinen UmstĂ€nden dĂŒrfen die Daten zu Werbezwecken und zur Beurteilung von VersicherungsantrĂ€gen genutzt werden. DarĂŒber hinaus mĂŒssen Patient:innen darĂŒber informiert werden, wenn Dritte auf ihre Daten zugreifen.
Bei der SekundĂ€rnutzung gehen die Ausnahmen erheblich weiter und sie sind obendrein unscharf formuliert. Demnach dĂŒrfen sich Patient:innen gegen die Weitergabe und Nutzung ihrer Daten zu Forschungszwecken aussprechen. Allerdings gilt dies nicht âfĂŒr Zwecke des öffentlichen Interesses, der Politikgestaltung oder der Statistik sowie zum Schutz von geistigem Eigentum und GeschĂ€ftsgeheimnissenâ.
|Bianca Kastl| vom |Innovationsverbund Ăffentliche Gesundheit| kritisiert die Einigung. âDie Ausnahmen des Opt-Outs von der SekundĂ€rdatenutzung bieten leider den Interpretationsspielraum von der GröĂe eines Scheunentorsâ, sagte Kastl gegenĂŒber netzpolitik.org. âĂffentliches Interesse? Politische Entscheidungen? Es gibt nun sehr viele Ausnahmen, die am Ende alles sein können.â
Noch bemerkenswerter aber sei es, dass explizit der Schutz von geistigem Eigentum und GeschĂ€ftsgeheimnissen aufgenommen wurde, so Kastl. âHier zeigt sich der eigentliche Kern: Der EuropĂ€ische Gesundheitsdatenraum ist fĂŒr die Wirtschaft gemacht, nicht fĂŒr Patient:innen.â
Auch Ralf Bendrath, der als Fraktionsreferent der GrĂŒnen an den Trilog-Verhandlungen teilgenommen hat, wertet die Einigung dahingehend |als unzureichend|. Die Patientendaten wĂŒrden fĂŒr sekundĂ€re Zwecke verkauft, ohne dass es ein echtes Opt-out gebe, sagt Bendrath.
Damit untergrabe die EuropĂ€ische Union dringend benötigtes Vertrauen, |kritisiert Patrick Breyer|, EU-Abgeordneter der Piratenpartei. âDie EU lĂ€sst sensibelste Patientenakten anhĂ€ufen, vernetzen und weitergeben, ohne aber die Kontrolle und Selbstbestimmung der Patienten ĂŒber ihre Daten sicherzustellenâ, |so Breyer|. ââAlles geht, nichts mussâ ist kein Ansatz, dem Patienten vertrauen können. Ohne Vertrauen kann ein EuropĂ€ischer Gesundheitsdatenraum nicht funktionieren.â
Vor einem Monat hatten 13 europĂ€ische Organisationen und Gewerkschaften in |einem offenen Brief ebenfalls angemahnt|, dass ein unzureichendes Widerspruchsrecht die Vertraulichkeit zwischen Behandelnden und Patient:innen sowie zentrale GrundsĂ€tze des Datenschutzes beschĂ€digen wĂŒrde. Erst wenn Patient:innen eine umfassende Kontrolle ĂŒber ihre Gesundheitsdaten erhalten, so das Fazit des Briefes, verdiene der EuropĂ€ische Gesundheitsdatenraum auch deren Vertrauen.
Die Hoffnung der Kritiker:innen ruht nun auf der finalen Abstimmung im EU-Parlament. Ende April wird das Plenum final ĂŒber den Kompromissentwurf abstimmen. âMit viel LĂ€rmâ könne der Entwurf dort noch scheitern, |so Ralf Bendrath|. âAber das erfordert koordinierte Kampagnenarbeit bis dahin.â
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|EuropÀischen Gesundheitsdatenraum|
|Bis zur buchstÀblich letzten Minute|
|zeigt sich nach der Trilog-Einigung zufrieden|
|sieht die Trilog-Einigung vor|
|Innovationsverbund Ăffentliche Gesundheit|
|einem offenen Brief ebenfalls angemahnt|
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Fri, 15 Mar 2024 07:48:04 +0000
Lennart MĂŒhlenmeier
Gerade Menschen auf der Flucht brauchen Smartphones. So können sie kommunizieren und navigieren. Zwei Organisationen helfen dabei, indem sie alte Handys sammeln, aufbereiten und an die EU-AuĂengrenzen senden.
âMit immer mehr repressiven MaĂnahmen versucht die EU, Migration nach Europa so unattraktiv wie möglich zu machenâ, sagt Maxi. Er trifft sich regelmĂ€Ăig sonntags mit Alex und Connor von |resist.berlin| in einem Kreuzberger Kiezladen. Zusammen mit Sabine von der Partnerorganisation |Wir packens an| und weiteren Ehrenamtlichen sammeln sie gespendete Smartphones und bereiten diese mit Kartenmaterial und notwendigen Apps auf. Das Ziel: Menschen auf der Flucht diese Handys zu geben, um ihnen Kommunikation und Navigation zu ermöglichen.
Sabine beschreibt aus ihrer ehrenamtlichen Vereinsarbeit die Situation von GeflĂŒchteten, die noch nicht an ihrem Ziel angekommen sind. Sie wĂŒrden beispielsweise mit Autos von den Fluchthelfern irgendwo im Nichts ausgesetzt und können sich erst einmal nicht orientieren. âDiese Menschen wissen gar nicht, wo sie sindâ, sagt sie. Und: âIn einer solchen Situation sind Handys existenziell.â Sie können so nachschauen, wie es weitergeht.
Doch viele Menschen auf der Flucht verlieren ihre Smartphones bereits auf der Fluchtroute. Berichte ĂŒber Grenzbeamte, die diese mutwillig zerstören, hĂ€ufen sich. Bei illegalen |Pushbacks wie im Balkan| treiben Polizisten und Soldaten die Menschen auf der Flucht durch Gewalt und ĂŒber Landgrenzen zurĂŒck in andere Regionen. Handys werden beschlagnahmt und teils zerstört. Das EU-Antifolterkomitee |prangert diese menschenunwĂŒrdige Praxis an|.
Dabei kommen die beiden Gruppen ins Spiel. Sie haben sich vor einem Jahr bei einer FilmvorfĂŒhrung von The Game kennengelernt. In dem Dokumentarfilm geht es um genau diese Mechanismen der Flucht und Migration. |Im AnkĂŒndigungstext| heiĂt es: Der Film âzeigt schonungslos, was es heiĂt, wenn ein Menschenleben nichts wert ist. Und was es bewirkt, wenn einzelne das nicht hinnehmen. Sondern helfen.â
Die drei Freiwilligen von resist.berlin bekommen fĂŒr Ihre Arbeit kein Geld. âEs liegt in unserer Verantwortung. Wir haben die technischen FĂ€higkeiten. Und es fĂ€llt uns leicht, weil wir dabei SpaĂ habenâ, sagt Connor von resist.berlin gegenĂŒber netzpolitik.org. âDas ist ein Beitrag, den ich gut leisten kann. Ich mache das aus politischer Ăberzeugungâ, so Maxi.
Alex berichtet davon, was sie bei ihrer ehrenamtlichen Arbeit gelernt haben. âDie Grundannahme ist immer, dass alle Handys zuvor dem Untergang geweiht waren.â So spenden Menschen eher alte Handys, die sie nicht mehr benötigen. âBeim Upcycling geht es darum, die Lebenszeit der Hardware zu verlĂ€ngern.â Als Hauptanforderung haben sie erkannt, dass die Apps von Facebook, Whatsapp und Organic Maps funktionieren.
Leider verhindert hĂ€ufig ein besonderer Diebstahlschutz von Apple-GerĂ€ten das ZurĂŒcksetzen von iPhones. Wichtig ist daher, dass die Spender:innen die GerĂ€te vollstĂ€ndig und korrekt freischalten und zurĂŒcksetzen, so Alex. Sonst mĂŒsse man vorher genutzte Account-Daten eingeben, was in der Regel nicht mehr möglich ist.
Mit modernen Handys können Menschen auf der Flucht aber noch mehr als navigieren und kommunizieren. Sie können automatisch abfotografierte Dokumente ĂŒbersetzen. So können Menschen auf der Flucht Kontakt zu Behörden oder Hilfsorganisationen aufnehmen, sagt Sabine.
Spender:innen können an vielen Orten in Berlin und im Umland ihre GerĂ€te in extra prĂ€parierte Boxen werfen oder direkt an Wir packens an einsenden. Bei der aktuellen Runde kamen ĂŒber hundert GerĂ€te in zwei bis drei Monaten zusammen, schĂ€tzen die Ehrenamtlichen. Alex hat langjĂ€hrige Erfahrung in der Mitentwicklung von einem freien Android-Betriebssystem. Schnell und fĂŒr eine Vielzahl an unterschiedlichen Menschen an diesen Handys zu arbeiten, ist fĂŒr ihn dennoch neu. In der Sprechstunde von resist.berlin ist die Beratung viel individueller.
Derzeit ist vor allem die nĂ€chste Tour von Wir packens an nach Calais in Nordfrankreich im Fokus. Ortsspezifische Karten werden heruntergeladen, um die sofortige Inbetriebnahme durch Menschen auf der Flucht zu ermöglichen. Wir packens an fĂ€hrt regelmĂ€Ăig mit Lkws auch an andere Orte wie die polnische Grenze nach Belarus oder auch Griechenland, um Kleidung, Hygiene- und Medizinprodukte sowie nun auch Smartphones zu Menschen in Not zu bringen.
Sabine beschreibt aus ihrer Erfahrung in der GeflĂŒchtetenhilfe, dass das wahrgenommene Klima immer ungemĂŒtlicher wird: âDie Haltung hat sich grundsĂ€tzlich geĂ€ndert.â Was frĂŒher noch möglich war, wird schwieriger. Deswegen mĂŒsse man sich nun umso mehr einbringen: âDie GeflĂŒchteten sollen sich hier bewusst nicht wohlfĂŒhlen.â
Maxi vergleicht dies mit der |EinfĂŒhrung von Bezahlkarten| fĂŒr Menschen, die in Deutschland Schutz suchen. Bezahlkarten seien zwar immer noch attraktiver als das Leid, das die GeflĂŒchteten in ihrer Heimat erleben. Aber sie sollen eine abschreckende Wirkung haben.
resist.berlin bietet auch eine regelmĂ€Ăige Sprechstunde fĂŒr Menschen an, die sich in Berlin aufhalten. Gerade aktivistische Gruppen kommen auf ihr Angebot zurĂŒck, um mehr ĂŒber Datenschutz und IT-Sicherheit zu erfahren. Wir packens an hat seinen Sitz im Brandenburgischen Biesenthal. Beide Gruppen wĂŒnschen sich, dass mehr Menschen helfen, das Leid von Menschen zu lindern, denen es schlecht geht.
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Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstĂŒtze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus |jetzt mit einer Spende|.
|prangert diese menschenunwĂŒrdige Praxis an|
|EinfĂŒhrung von Bezahlkarten|
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Thu, 14 Mar 2024 17:36:54 +0000
Lea Binsfeld
Falsche Hinweise, irrefĂŒhrendes Design, untergejubelte Kredite: Wie können Konsument:innen beim Online-Einkauf vor unsicheren Praktiken geschĂŒtzt werden? AnlĂ€sslich des Weltverbrauchertags klĂ€ren Verbraucherzentralen ĂŒber Risiken auf und fordern mehr Bewegung von der Regierung.
Seit fast einem Monat gilt EU-weit der |Digital Services Act| (DSA) fĂŒr Anbieter digitaler Dienste. VerbraucherschĂŒtzer:innen sowie die Bundesregierung heben anlĂ€sslich des Weltverbrauchertags am 15. MĂ€rz die weitere Sicherung hoher Standards hervor und möchten |Verbraucher:innen ĂŒber ihre Rechte und bestehende Risiken aufklĂ€ren|. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) fordert von der Politik vor allem, EinkĂ€ufe im Netz sicherer und ĂŒbersichtlicher zu gestalten â und geltende Gesetze durchzusetzen.
Ramona Pop, VorstĂ€ndin des vzbv, erklĂ€rt: âBeim Online-Shopping setzen HĂ€ndler auf verschiedene Maschen, um Verbraucher:innen dazu zu bringen, mehr und schneller zu kaufen â etwa durch ein bestimmtes Design oder vermeintlich gĂŒnstige Preise. Auch Abzocke droht durch Fakeshopsâ.
Vor allem unerfahrene Nutzer:innen von Online-Plattformen wie Kinder oder Senior:innen sind gefĂ€hrdet, von sogenannten |âDark Patternsâ| beeinflusst zu werden. Das erlĂ€utert ein beim BĂŒro fĂŒr Technikfolgen-AbschĂ€tzung beim Deutschen Bundestag erschienener |Bericht|. Dark Patterns sind Tricks, die Entscheidungen der Nutzer:innen manipulieren. Darunter fallen irrefĂŒhrende Designelemente, Voreinstellungen oder Hinweise â beispielsweise ein falscher Countdown, der zu einem schnellen Kaufabschluss drĂ€ngen soll.
Neben Dark Patterns und Fakeshops â gemeint sind damit betrĂŒgerische HĂ€ndler:innen im Netz â warnt der vzbv vor dem Konzept âBuy Now, Pay Laterâ. Manche Shops ermöglichen es Verbraucher:innen, ihren Einkauf spĂ€ter zu bezahlen. Dahinter stecken meist kostenpflichtige KreditvertrĂ€ge von Drittanbietern. FĂŒr die Kund:innen fallen hohe GebĂŒhren an oder die Aufnahme vieler Kredite fĂŒhrt dazu, dass sie den Ăberblick verlieren. So können sie schnell in eine Kostenfalle geraten und sich ĂŒberschulden.
Viele solcher Risiken werden durch den DSA nun reguliert. Dark Patterns sind zum Beispiel auf Plattformen wie Amazon oder Zalando nicht mehr erlaubt. Allerdings fallen unter die vom DSA erfassten Digitalanbieter nur sogenannte âVermittlungsdiensteâ. Dazu zĂ€hlen die zuvor genannten Online-Shops, nicht aber die Online-Angebote klassischer HĂ€ndler:innen wie beispielsweise H&M oder Lidl. FĂŒr diese gelten die Vorgaben nicht.
Das sieht der vzbv kritisch, der jegliche Dark Patterns als drĂ€ngende VerbraucherĂ€rgernisse betrachtet. Ein Referent des Verbands erklĂ€rt auĂerdem gegenĂŒber netzpolitik.org, dass die manipulativen Taktiken nicht grundsĂ€tzlich verboten seien. Vielmehr werde der EU-Kommission aufgetragen, Leitlinien zu der Frage zu erstellen, ab wann manipulative Praktiken als Dark Patterns im Sinne des DSA zu verstehen seien.
Der Digital Services Act gibt weiterhin vor, dass Dienste Beschwerdeverfahren bereitstellen mĂŒssen, um VerstöĂe auf ihren Plattformen zu melden. Ăber eine zentrale Kontaktstelle mĂŒssen die Anbieter direkt, schnell und benutzerfreundlich erreichbar sein. Auch ist es verpflichtend, dass ein nicht-automatisiertes Kommunikationsmittel angeboten wird: Ein Chatbot reicht nicht aus. Hat ein Unternehmen keinen Sitz in der EU, muss es Vertreter:innen innerhalb der EU benennen, die mit zustĂ€ndigen Behörden zusammenarbeiten.
|Personalisierte Werbung| darf nicht mehr auf sensiblen personenbezogenen Daten basieren, zu denen unter anderem Informationen ĂŒber die politische Einstellung, religiöse Ăberzeugung oder die sexuelle Orientierung gehören. Persönliche Daten von MinderjĂ€hrigen dĂŒrfen gar nicht genutzt werden, um Werbung auszuspielen. Allerdings, das hebt der vzbv hervor, dĂŒrfen all diese Daten nach wie vor verarbeitet werden, bloĂ die Nutzung zur Ausspielung der Werbung ist untersagt.
GrundsĂ€tzlich soll der DSA |fĂŒr mehr Transparenz| sorgen. Allgemeine GeschĂ€ftsbedingungen dĂŒrfen nicht unnötig kompliziert geschrieben sein: jeder und jede sollte sie verstehen können. Entscheidungen, Inhalte zu löschen oder online zu lassen, mĂŒssen offen und einfach erklĂ€rt werden. Die Anbieter der digitalen Dienste mĂŒssen auĂerdem offenlegen, woher geschaltete Werbung stammt und wer sie finanziert hat. Die Systeme, auf denen Empfehlungen und VorschlĂ€ge fĂŒr weitere Posts und Produkte basieren, mĂŒssen ebenfalls fĂŒr die Nutzer:innen nachvollziehbar sein.
Wichtig fĂŒr alle, die im Netz einkaufen möchten, sind vor allem die besonderen Pflichten fĂŒr Online-MarktplĂ€tze. Anbieter solcher Plattformen mĂŒssen dank DSA sicherstellen, dass grundlegende Informationen ĂŒber HĂ€ndler:innen, die ĂŒber den Dienst verkaufen, vorliegen und fĂŒr potenzielle Kund:innen leicht zugĂ€nglich sind. AuĂerdem stehen die Online-MarktplĂ€tze in der Verantwortung, zum Verkauf stehende Produkte auf Rechtsverletzungen zu ĂŒberprĂŒfen.
Obwohl der DSA als Verordnung unmittelbar in der gesamten EU gilt, hatten die EU-Mitgliedsstaaten bis Mitte Februar noch einige Hausaufgaben zu erledigen, insbesondere die KlĂ€rung der Aufsichtsfrage. Die Frist hat die Bundesregierung jedoch verpasst, derzeit liegt das Digitale-Dienste-Gesetz (DDG) noch im Bundestag und dĂŒrfte erst im April endgĂŒltig verabschiedet werden.
Klar ist aber inzwischen, dass hauptsĂ€chlich der |Bundesnetzagentur die Rolle der Aufsicht| zufallen wird. Diese soll sicherstellen, dass die Vorgaben des DSA eingehalten werden. Auch fĂŒr die BuĂgeldverfahren bei RegelverstöĂen ist sie zustĂ€ndig. Das Bundeskriminalamt ist als zentrale Meldestelle fĂŒr strafbare Inhalte vorgesehen. Den Schutz von MinderjĂ€hrigen im digitalen Raum werden die Bundeszentrale fĂŒr Kinder- und Jugendmedienschutz und Landesmedienanstalten ĂŒberwachen.
GrundsĂ€tzlich begrĂŒĂt der vzbv die EU-Verordnung, um digitale Dienste zu regulieren. |In einer Stellungnahme|, die auf den ersten Geltungstag des europĂ€ischen DSA folgte, lobte Lina Ehrig, Leiterin des Teams Digitales und Medien beim vzbv: âVerbraucher:innen bekommen mit dem Digital Services Act nun konkret festgeschriebene Rechte, um sich gegen HasskriminalitĂ€t, Fakeshops oder den Verlust der PrivatsphĂ€re auf Plattformen zu wehren.â
Ehrig fordert jedoch, dass die Plattformen konkrete Beschwerdeverfahren bereitstellen mĂŒssten. Zudem mĂŒssten Online-MarktplĂ€tze viel genauer prĂŒfen, was auf ihren Plattformen verkauft wird, so die VerbraucherschĂŒtzerin. Zwar regelt der DSA unter anderem diese Dinge. Doch so gut viele der Vorschriften seien, stĂŒnden und fielen die Regeln mit einer funktionierenden Aufsicht und Durchsetzung, mahnt Ehrig.
Dabei macht Ehrig konkreten Verbesserungsbedarf aus: Es mĂŒsse etwa klargestellt werden, dass die Koordinierungsstelle die alleinige Vertretung Deutschlands im europĂ€ischen Gremium ĂŒbernehme. Dort treffen sich regelmĂ€Ăig die Aufseher:innen aus den EU-LĂ€ndern, um ihre Arbeit besser abzustimmen. Ehrig plĂ€diert ferner dafĂŒr, die zentrale Beschwerdestelle möglichst nutzerfreundlich zu gestalten.
Bis alle Gesetze den Schutz der Verbraucher:innen garantieren, setzt der Verbraucherzentrale Bundesverband zusĂ€tzlich auf AufklĂ€rung und Information. Die Zentralen bieten einen |Fakeshop-Finder| an und veröffentlichen regelmĂ€Ăig |Artikel, die Kundenrechte einfach verstĂ€ndlich aufbereiten|. In einer |Folge des Podcasts âgenau genommenâ| teilen sie Tipps, um die Risiken beim Online-Shopping zu minimieren. Nun â pĂŒnktlich zum Weltverbrauchertag â veranstaltet der Verband |eine Reihe von Online-VortrĂ€gen|, denen man beiwohnen kann, wenn man sich zu den Themen âFakeshopsâ und âBuy Now, Pay Laterâ informieren möchte.
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|Verbraucher:innen ĂŒber ihre Rechte und bestehende Risiken aufklĂ€ren|
|Bundesnetzagentur die Rolle der Aufsicht|
|Artikel, die Kundenrechte einfach verstÀndlich aufbereiten|
|Folge des Podcasts âgenau genommenâ|
|eine Reihe von Online-VortrÀgen|
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Thu, 14 Mar 2024 16:02:15 +0000
Tomas Rudl
EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton will die europĂ€ischen MĂ€rkte fĂŒr Telekommunikation dramatisch umbauen. Die Richtung gibt ein neues WeiĂbuch vor. Es schlĂ€gt unter anderem eine weitflĂ€chige Deregulierung und einmal mehr die Datenmaut vor. Wir haben uns die brisantesten VorschlĂ€ge im Detail angesehen.
Es ist eine lange und brisante Wunschliste, die EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton der nĂ€chsten Kommission ĂŒberhilft. Seit Jahren drĂ€ngt der französische Politiker darauf, die Regeln fĂŒr Netzbetreiber radikal umzubauen, damit sich groĂe europĂ€ische Anbieter besser auf dem Markt behaupten können. Nun hat |Breton sein Programm in ein WeiĂbuch| gegossen, mit einem klaren Auftrag: Nicht nur die Branche mĂŒsse sich grundlegend wandeln, um mit dem technischen Fortschritt mithalten zu können. GleichermaĂen gelte dies fĂŒr die politischen Rahmenbedingungen, die den Sektor regulieren.
Hierbei kleckern die VorschlĂ€ge nicht: So sei die Zeit gekommen, heiĂt es in dem Papier, kĂŒnftig in den meisten FĂ€llen von der Vorabregulierung von Netzbetreibern abzurĂŒcken. SchlieĂlich hĂ€tten sich die Probleme mit marktmĂ€chtigen Unternehmen wie der Telekom Deutschland weitgehend erledigt. Trotzdem sollen Fusionen selbst groĂer Anbieter einfacher möglich sein, und die ersehnten GroĂunternehmen sollen ĂŒber Landesgrenzen hinweg bequemer GeschĂ€fte machen können. Fehlen darf auch nicht ein Verweis auf die Datenmaut, die im Vorjahr heiĂ debattiert und |letztlich (vorerst) beerdigt wurde|.
Das WeiĂbuch, eine Folge ebenjener Debatte samt |durchwachsener öffentlicher Konsultation|, soll die langfristige Strategie fĂŒr die digitale Infrastruktur in Europa abstecken. MĂŒnden sollten die VorschlĂ€ge in ein neues Gesetz, den Digital Networks Act (DNA), wie das Papier in Aussicht stellt. DarĂŒber entscheiden wird allerdings erst die nĂ€chste EU-Kommission, die nach der anstehenden Europawahl im Sommer neu bestellt wird. Zudem lĂ€uft bis |Ende Juni eine öffentliche Konsultation zu dem WeiĂbuch|. Neben FolgeabschĂ€tzungen ist dies eine der Pflichten, bevor die Kommission neue GesetzentwĂŒrfe vorstellen kann.
Allein dies wirft einige Fragen auf. Denn das Papier arbeitet sich insbesondere an den |EU-weiten Ausbauzielen der Kommission bis 2030| ab. Bis dahin soll allen EU-BĂŒrger:innen ein Gigabit-fĂ€higer Anschluss zur VerfĂŒgung stehen, bei einer lĂŒckenlosen Versorgung mit zumindest dem 5G-Mobilfunkstandard.
Diese Ziele seien gefĂ€hrdet, warnt das WeiĂbuch. Auch deshalb sei nun die Ăberarbeitung der Regeln nötig â die freilich mit dem sogenannten |TK-Kodex erst vor Kurzem umfassend erneuert| wurden und die sich erst so langsam zu entfalten beginnen. Dennoch konstatiert die Kommission jetzt schon, dass Bestimmungen wie Ko-Invest-Modelle, die im Tausch gegen Regulierungserleichterungen fĂŒr marktbeherrschende Betreiber den Glasfaserausbau ankurbeln sollen, in der Praxis nur wenig gebracht hĂ€tten.
Auch wenn sich die nĂ€chste Kommission tatsĂ€chlich fĂŒr eine Ăberarbeitung entscheiden sollte: Ein derart umfangreiches Gesetz lieĂe sich nicht schnell durchpeitschen. Selbst Verhandlungen in Rekordtempo wĂŒrden sich jahrelang hinziehen, hinzu kĂ€men Ăbergangsfristen und sonstige Verzögerungen in der Umsetzung. Zudem sagen Branchenkenner:innen, dass viele Netzbetreiber ihre FinanzierungsplĂ€ne fĂŒr den Ausbau schon Jahre voraus weitgehend festgezurrt hĂ€tten. Etwaige neue Regeln wĂŒrden sich deshalb bis zum Ende des Jahrzehnts vermutlich nur marginal auswirken und hĂ€tten kaum Einfluss auf das |âDigitale Dekadeâ-Programm der EU|.
Ein völliger Umbau des bisherigen Regulierungsregimes, inklusive der Abkehr von asymmetrischer Regulierung der Ex-Monopolisten, hÀtte jedoch bleibende Folgen: Ist der Markt samt Wettbewerb erst einmal beschÀdigt oder gar ausgeschaltet, drohen Preiserhöhungen, schlechterer Service und langfristig ein schleppender Ausbau.
Schon |nach dem letzten VorstoĂ Bretons| hatte der Dachverband europĂ€ischer Verbraucherschutzorganisationen, BEUC, in einer gemeinsamen ErklĂ€rung mit dem Netzbetreiberverband ECTA vor dem âParadigmenwechselâ gewarnt, den der groĂindustriefreundliche Binnenmarktkommissar in die Wege leiten will. Denn insgesamt sei die Marktliberalisierung seit den 1990er-Jahren ein Erfolgsmodell und hĂ€tte zu fairen und konkurrenzfĂ€higen MĂ€rkten gefĂŒhrt.
Zusammen mit einer effektiven Vorabregulierung ehemaliger Staats-Monopolisten sei dies die treibende Kraft hinter Investitionen und positiven Innovationen gewesen. Davon profitiert hĂ€tten nicht zuletzt Kund:innen, die aus mehr Angeboten zu niedrigeren Preisen wĂ€hlen könnten. Das Ziel Bretons, âein paar glĂŒckliche europĂ€ische Championsâ zu schaffen, stehe im Widerspruch zu den Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte, |heiĂt es in dem Schreiben|.
Dass sich diese Sicht auch im WeiĂbuch wiederfindet, deutet darauf hin, wie umstritten die PlĂ€ne Bretons innerhalb der Kommission sind â das wurde schon letztes Jahr bei einem PressegesprĂ€ch mit |Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager deutlich|. AusdrĂŒcklich verweist das Papier sogar darauf, dass im Vergleich zu den USA Festnetz- und MobilfunkanschlĂŒsse in der EU im Schnitt billiger wĂ€ren, wĂ€hrend sich europĂ€ische Kund:innen zugleich ĂŒber eine bessere oder im Falle von 5G-Mobilfunk vergleichbare Versorgung freuen könnten.
Trotzdem wird dies der EU nachteilig ausgelegt. So beeintrĂ€chtige die Fragmentierung des EU-Marktes fĂŒr Telekommunikation âdie FĂ€higkeit der Betreiber, den Umfang zu erreichen, der fĂŒr Investitionen in die Netze der Zukunft erforderlich ist, insbesondere im Hinblick auf grenzĂŒberschreitende Diensteâ, heiĂt es im WeiĂbuch.
Allerdings: Die Skaleneffekte allein, auf die das Papier wohlwollend verweist, haben in den Vereinigten Staaten offenkundig nicht den gewĂŒnschten Erfolg gebracht. In Ballungsgebieten |ist man oft einem einzigen Betreiber ausgeliefert|, wĂ€hrend in lĂ€ndlichen Regionen die Lage dermaĂen desolat ist, dass die Biden-Regierung inzwischen |MilliardenbetrĂ€ge ausschĂŒttet|, um ansatzweise eine Grundversorgung herzustellen. Aus gutem Grund ergeben Umfragen immer wieder, dass der |Telekommunikationssektor in den USA zu den unbeliebtesten MĂ€rkten| zĂ€hlt.
Schwer nachvollziehbar ist auch das Beispiel SĂŒdkorea an anderer Stelle. So wĂŒrden koreanische Netzbetreiber mehr Umsatz pro Kund:in erzielen und hĂ€tten entsprechend mehr Investitionsausgaben als europĂ€ische Betreiber getĂ€tigt, fĂŒhrt das WeiĂbuch aus. Doch die zweifellos bessere und mittlerweile fast flĂ€chendeckende Versorgung mit GlasfaseranschlĂŒssen bringt vielen Nutzer:innen reichlich wenig: Denn vor einigen Jahren hat das Land ein Modell fĂŒr eine Datenmaut eingefĂŒhrt, um Inhalteanbieter dazu zu zwingen, ZugangsgebĂŒhren an einige wenige groĂe koreanische Netzbetreiber abzufĂŒhren.
Eingetreten ist, was |viele erwartet hatten|: Die Investitionen in den Netzausbau sind gesunken, wĂ€hrend sich das Angebot von Online-Diensten zunehmend verschlechtert. Zuletzt hatte sich der zu Amazon gehörende Streaming-Anbieter |Twitch vollstĂ€ndig aus dem Markt zurĂŒckgezogen|, weil er |laut eigenen Angaben| die horrenden Kosten wirtschaftlich nicht mehr vertreten konnte â und offenbar ein undurchsichtiger Exklusiv-Deal mit einem Betreiber, den beispielsweise |Netflix nach einer jahrelangen gerichtlichen Auseinandersetzung| eingegangen ist, nicht infrage kam.
Doch auch dazu findet sich in Bretons WeiĂbuch nichts. Stattdessen betont es mit Verweisen auf |Untersuchungen europĂ€ischer Regulierungsbehörden|, wie gut die â praktisch unregulierten â MĂ€rkte fĂŒr die Zusammenschaltung von Netzen (IP Interconnection) funktionieren wĂŒrden: âEs sind nur sehr wenige FĂ€lle von Eingriffen â durch eine Regulierungsbehörde oder ein Gericht â in die vertraglichen Beziehungen zwischen Marktteilnehmern bekannt, die im Allgemeinen gut funktionieren, ebenso wie die MĂ€rkte fĂŒr Transit und Peeringâ, schreiben die Autor:innen, um unmittelbar daran anzufĂŒgen: âDennoch gab es eine lebhafte Debatte zu diesem Themaâ.
Die Debatte gab es, angestoĂen hatten sie |groĂe europĂ€ische Netzbetreiber|. Wie ihren sĂŒdkoreanischen Pendants ist ihnen ein Dorn im Auge, dass vor allem Bandbreiten-intensive OTT-Anbieter (Over-The-Top-Dienste wie Netflix oder Amazon) ihre Leitungen und vor allem die letzte Meile dazu nutzen, um Inhalte zu den Nutzer:innen auszuliefern â aber aus ihrer Sicht zu wenig dafĂŒr bezahlten. Zwar hatte die erwĂ€hnte |Konsultation breiten Widerspruch gegen diesen Ansatz offenbart|, angekommen ist die Botschaft aber augenscheinlich nicht.
Hierzulande ist die Deutsche Telekom |dafĂŒr bekannt|, sich der branchenĂŒblichen Zusammenschaltung mittels Peering oder ausreichendem Transit zu verweigern und stattdessen auf eigenen VertrĂ€gen zu bestehen. In der Regel lĂ€uft es auf ein âFriss oder stirbâ hinaus: Mal mĂŒssen Nutzer:innen mit |ruckelnden Videos| leben, mal |spezielle Aufpreise zahlen| oder mal zerrt der Betreiber Online-Dienste wie Facebook vor Gericht, um |Zahlungen fĂŒr den Datentransport einzuklagen|. Oft genug ist diese Strategie erfolgreich: Allein aufgrund ihrer Marktmacht kann die Telekom die jeweilige Gegenseite effektiv dazu zwingen, sich |ihren Bedingungen zu unterwerfen|.
Als Ausweg bietet das WeiĂbuch eine Lösung an, die auf die BedĂŒrfnisse der GroĂbetreiber zugeschnitten ist. Sollten diese europaweit raren Konflikte zunehmen, kĂ€me ein neuer Streitbeilegungsmechanismus infrage â exakt das, was die |Lobbyorganisation ETNO in einem Positionspapier gefordert| hatte.
Beobachter:innen zufolge wĂ€re allein die Einrichtung eines solchen Mechanismus ein Riesenerfolg fĂŒr die groĂen Netzbetreiber: Damit hĂ€tten sie einen FuĂ in der TĂŒre und könnten etwaige Vertragsverhandlungen mit Online-Diensten oder auch Interconnect-Anbietern aus beliebigen GrĂŒnden scheitern lassen, um den Mechanismus zu aktivieren. Sollte zugleich das restliche Regulierungsregime des Sektors zugunsten groĂer Anbieter ĂŒberarbeitet werden, wie es Breton fordert, dann könne man sich ausrechnen, wie diese Auseinandersetzungen ausgehen wĂŒrden, so die Sorge.
Ob und in welchem Umfang die kommende EU-Kommission die AnsĂ€tze des WeiĂbuchs berĂŒcksichtigen wird, bleibt vorerst offen â es ist noch nicht einmal gesichert, ob Thierry |Breton auch der kĂŒnftigen Kommission angehört|. Dass sich aber etwas bewegen wird, dĂŒrfte wahrscheinlich sein, enthĂ€lt das Papier doch zahlreiche weitere brisante VorschlĂ€ge, darunter eine Harmonisierung und womöglich europaweite Vergabe der Frequenznutzungsrechte fĂŒr Mobilfunkbetreiber oder das heiĂe Eisen der Migration von Kupfer- auf Glasfasernetze.
Die Richtung, die Bretons Aufschlag nun vorgibt, bereitet jedenfalls vielen Sorgen. âMit dem vorliegenden WeiĂbuch hĂ€lt die Kommission unbeirrt an der Idee von NetzgebĂŒhren fest und verschreibt sich damit den Forderungen der Telekomindustrieâ, sagt der NetzneutralitĂ€tsexperte Thomas Lohninger von der |Digital-NGO epicenter.works|. Eigentlich sollte die Debatte schon lĂ€ngst beendet sein, so der Netzaktivist, nachdem âdie Mehrzahl der EU-Mitgliedstaaten dem ehemaligen France TĂ©lĂ©com CEO und derzeitigem Digitalkommissar Thierry Breton die UnterstĂŒtzung fĂŒr seinen Vorschlag verwehrt haben.â
|Abgelehnt hatten den Vorschlag| indes nicht nur Regierungen, betont Lohninger: âIn einer seltenen Koalition haben sich öffentlich-rechtliche Medien, Privatmedien, Internet-Exchanges, Big Tech, Disney und Netzaktivist:innen zusammengeschlossen in ihrer Ablehnung von NetzgebĂŒhren. Die neue Strategie des WeiĂbuchs ist es, die nĂ€chste Kommission an die Idee dieser Internetmaut zu binden.â
GleichermaĂen kritisch sieht der Experte die VorschlĂ€ge zur Deregulierung des Telekommarktes. Eigentlich hĂ€tte die Kommission ĂŒber zwei Jahrzehnte fĂŒr mehr Wettbewerb gekĂ€mpft und habe damit die Preise fĂŒr Internet in Europa gesenkt. âBreton schlĂ€gt eine drastische Abkehr von dieser Politik vor und wĂŒnscht sich nur noch wenige, viel gröĂere Telekomkonzerne in Europaâ.
Weniger Wettbewerb und Internetmaut hĂ€tten jedoch einen gemeinsamen Nenner, so Lohninger: höhere Preise. âIn den USA sehen wir, wie teuer Internet sein kann, wenn es keinen Wettbewerb zwischen Telekomkonzernen gibt.â Und ohnehin sei klar, wer letztlich auf den Kosten sitzen bleibt, sagt Lohninger: âDie Datenmaut wird von Netflix und Co. ebenso an die Kunden:innen weiter gegeben.â
Die Konsultation lĂ€uft bis zum 30. Juni. Teilnehmen |lĂ€sst sich online| auf der Website der Kommission, |konstruktives Feedback| ist erwĂŒnscht.
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|Breton sein Programm in ein WeiĂbuch|
|letztlich (vorerst) beerdigt wurde|
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|nach dem letzten VorstoĂ Bretons|
|Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager deutlich|
|ist man oft einem einzigen Betreiber ausgeliefert|
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|Netflix nach einer jahrelangen gerichtlichen Auseinandersetzung|
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|groĂe europĂ€ische Netzbetreiber|
|Konsultation breiten Widerspruch gegen diesen Ansatz offenbart|
|Zahlungen fĂŒr den Datentransport einzuklagen|
|ihren Bedingungen zu unterwerfen|
|Lobbyorganisation ETNO in einem Positionspapier gefordert|
|Breton auch der kĂŒnftigen Kommission angehört|
|Abgelehnt hatten den Vorschlag|
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Thu, 14 Mar 2024 10:03:26 +0000
Maximilian Henning
Zuerst flog er unter dem Radar, dann sorgte er fĂŒr Aufregung: ein Vorschlag der EU-Kommission fĂŒr ein Gesetz, das digitale Produkte sicher machen soll. Die Open Source-Community fĂŒrchtete ĂŒbermĂ€Ăige BĂŒrokratie. Die EU besserte nach, die finale Fassung enthĂ€lt umfangreiche Ausnahmen.
Die Welt hat ein Problem mit der IT-Sicherheit: Es gibt immer mehr Schadsoftware und immer mehr Angriffe auf Behörden oder Unternehmen. Die Verantwortung liegt aber nicht nur bei den Angreifer:innen. Viele Anbieter von digitalen Produkten kĂŒmmern sich nicht genug um die Sicherheit, lassen ihre Produkte verwundbar oder stellen gleich gar keine Updates mehr zur VerfĂŒgung.
Im vergangenen Jahr wurden pro Monat mehr als 2.000 Schwachstellen in Software bekannt â ein Anstieg von einem Viertel im Vergleich zu Jahr davor. Das schreibt das Bundesamt fĂŒr Sicherheit in der Informationstechnik in seinem |Jahresbericht| â auch wenn mehr gefundene Schwachstellen noch nichts ĂŒber ihre tatsĂ€chliche Anzahl aussagen.
Gegen diese Verwundbarkeiten wollte die EU-Kommission mit ihrem Vorschlag fĂŒr einen Cyber Resilience Act (CRA) vorgehen, mit einem Gesetz fĂŒr die Cyber-WiderstandsfĂ€higkeit also. Verschiedene neue Regeln sollen sicherstellen, dass Hersteller und Anbieter sich genug um ihre Hard- und Software kĂŒmmern. Wenn sie das tun, dĂŒrfen sie ihr Produkt mit dem europĂ€ischen âCEâ-Label kennzeichnen und frei im europĂ€ischen Binnenmarkt verkaufen.
So weit, so gut. Gegen dieses Ziel des CRA gab es auch wenige Beschwerden â das Problem war die Umsetzung. Bald nachdem die Kommission ihren Entwurf fĂŒr das Gesetz veröffentlicht hatte, machte eine Gruppe an Organisationen ihrem Unmut darĂŒber in |einem offenen Brief| Luft. Zu den Unterzeichnern gehörten etwa die Linux Foundation Europe, die Open Source Business Alliance und andere VerbĂ€nde und Initiativen aus dem Open-Source-Bereich.
Man teile das Ziel des CRA, schrieben die Organisationen darin. Aber wenn das Gesetz in seiner damaligen Form verabschiedet wĂŒrde, dann könnte es eine abschreckende Wirkung auf die globale Open Source-Entwicklung haben. Parlament und Rat, die die endgĂŒltige Version von EU-Gesetzen untereinander verhandeln, sollten deshalb die Open-Source-Community besser in den Prozess miteinbeziehen.
Die Eclipse Foundation beschrieb |in einem Blogpost| genauer, welche Gefahren sie in dem Entwurf sah. Der CRA könnte âdas soziale Abkommen, auf dem das gesamte Open Source-Ăkosystem beruht, grundlegend verĂ€ndernâ, heiĂt es darin. Die BefĂŒrchtung: Auf die Organisation und ihre Community könnte ein gewaltiger bĂŒrokratischer Aufwand zukommen.
Diese BefĂŒrchtungen teilten Open-Source-Entwickler:innen und -Organisationen auch mit den EU-Institutionen, etwa bei der |FOSDEM-Konferenz| in BrĂŒssel. Und die hörten zu. Der fertige Text des CRA enthĂ€lt Ausnahmen, mit denen nur noch sehr wenige Open-Source-Projekte ĂŒberhaupt unter seine Regeln fallen dĂŒrften. Der Entwickler Bert Hubert hat |auf seinem Blog| eine Ăbersicht dazu veröffentlicht.
Diese Ausnahmen stehen in den ErwĂ€gungsgrĂŒnden, die in EU-Gesetzen vor dem eigentlichen Gesetzestext stehen. Die vielleicht wichtigste Klarstellung: Wer zu einem Open-Source-Projekt beitrĂ€gt, aber nicht dafĂŒr verantwortlich ist, fĂ€llt nicht unter den CRA. Eine einzelne Entwicklerin, die in ihrer Freizeit an einer freien und quelloffenen Software mitarbeitet, hat also nichts zu befĂŒrchten.
Auch Organisationen, die fĂŒr Projekte verantwortlich sind, sind nur betroffen, wenn die Software âim Rahmen einer GeschĂ€ftstĂ€tigkeit verfĂŒgbar gemacht wirdâ. Wer also ein Open-Source-Projekt entwickelt und dafĂŒr kein Geld bekommt, wird ebenfalls keine Probleme bekommen. Auch eingenommene Spenden gelten explizit nicht als GeschĂ€ftstĂ€tigkeit, solange mit ihnen kein Profit gemacht werden soll. GemeinnĂŒtzige Organisationen können auch auf andere Weise Geld mit ihren Projekten machen, solange sie sicherstellen, dass alle Einnahmen fĂŒr gemeinnĂŒtzige Zwecke verwendet werden.
Neben diesen Ausnahmen gibt es einen Punkt, in dem der CRA definitiv eine VerĂ€nderung fĂŒr Open-Source-Projekte bedeuten wird. Das sind die sogenannten âVerwalterâ, auf Englisch âStewardsâ, von Open-Source-Projekten. Das sind Organisationen, die in einem geschĂ€ftlichen Rahmen Open-Source-Software entwickeln. FĂŒr sie sieht das Gesetz wesentlich sanftere Verpflichtungen vor als fĂŒr Entwickler:innen von Nicht-Open-Source-Software, so sind sie etwa vollstĂ€ndig von Geldstrafen ausgenommen. DafĂŒr dĂŒrfen sie allerdings auch nicht die âCEâ-Markierung verwenden.
Die Verwalter mĂŒssen fĂŒr ihre Produkte eine Cybersicherheitsstrategie entwickeln. Die sollte die Dokumentation und die Beseitigung von Schwachstellen behandeln und den Austausch von Informationen ĂŒber Schwachstellen fördern. AuĂerdem mĂŒssen sie mit den fĂŒr den CRA zustĂ€ndigen Behörden zusammenarbeiten, um Sicherheitsrisiken zu mindern. Wenn sie erfahren, dass eine SicherheitslĂŒcke in ihrer Software ausgenutzt wird, mĂŒssen sie das an Aufsichtsbehörden und Nutzer:innen melden.
Um die Sicherheit von Open-Source-Software zu verbessern, bevor es einen Zwischenfall gibt, sieht der CRA optionale Sicherheitsbescheinigungen vor. Wie genau diese aussehen sollen, muss die Kommission noch festlegen. Der Grundgedanke ist aber, dass diese Bescheinigungen ĂŒbersichtlicher machen sollen, ob eine Software allen Sorgfaltspflichten entspricht. Nicht nur Entwickler:innen sollen diese Bescheinigungen zu organisieren â und zu bezahlen â sondern auch nutzende Unternehmen oder Behörden. Die könnten so auch zur Sicherheit des Open-Source-Ăkosystems beitragen.
Die Gruppe an Organisationen, die am Anfang noch so skeptisch war, zeigte sich mit den Ănderungen zufrieden. âWir freuen uns, zu berichten, dass man auf die Open-Source-Community gehört hatâ, schrieb die Eclipse Foundation im Dezember |in einem weiteren Blogpost|. Die Ausnahmen seien merklich verbessert worden, die Rolle des Verwalters wĂŒrde die Arbeit von Open-Source-Organisationen anerkennen.
Aber dennoch: Wird der CRA negative Auswirkungen auf den Open-Source-Standort Europa haben? Der Frage stellte sich auch Benjamin Bögel |bei der diesjĂ€hrigen FOSDEM-Konferenz|. Bögel ist bei der EU-Kommission fĂŒr Produktsicherheit und den CRA zustĂ€ndig. âIch glaube nicht, dass es durch den CRA einen abschreckenden Effekt auf Open Source geben wirdâ, sagte er in BrĂŒssel zu Open-Source-Entwickler:innen. Wer sichergehen wolle, dass der Ăbergang zu den neuen Regeln sanft verlaufe, solle bitte Kontakt aufnehmen.
Das EuropĂ€ische Parlament hat dem CRA am Dienstag zugestimmt. Nun mĂŒssen die Mitgliedstaaten das Gesetz noch einmal abnicken, was normalerweise eine FormalitĂ€t ist.
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|bei der diesjÀhrigen FOSDEM-Konferenz|
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Thu, 14 Mar 2024 06:39:21 +0000
Markus Beckedahl
Was ich in den letzten 20 Jahren lernen durfte und nun auf neue Wege mitnehme. Der vorerst letzte Text von Markus Beckedahl auf netzpolitik.org.
Vor etwa 20 Jahren habe ich netzpolitik.org gegrĂŒndet, weil ich leidenschaftlich daran glaube, dass eine bessere digitale Welt möglich ist und wir dafĂŒr kĂ€mpfen mĂŒssen.
Als ich 2003 startete, befanden wir uns in den ersten AnfĂ€ngen der BlogosphĂ€re. Wir vernetzten uns ĂŒber Verlinkungen. Die groĂen Plattformen wie heute gab es noch nicht. Ich kam aus dem Aktivismus und sah meine Rolle darin, Knotenpunkte in einer neuen vernetzten Ăffentlichkeit zu schaffen, ĂŒber diese Informationen zu teilen, und so mehr Menschen fĂŒr den Erhalt und Ausbau von digitalen Grundrechten zu mobilisieren und zu demokratischem Engagement zu bewegen.
Diese Zeit bot groĂe Möglichkeiten fĂŒr alle, die wie ich mit einer Faszination fĂŒr Medien aufgewachsen waren: Wir konnten auf einmal publizieren, ohne jemanden um Erlaubnis zu fragen. Wir konnten uns das Wissen dazu selbst erarbeiten â mit der richtigen Motivation und einem VerstĂ€ndnis fĂŒr Technik.
Die Werte der Open-Source-Welt verschafften mir eine andere journalistische Perspektive darauf, was in unserem gesellschaftlichen Umgang (und Diskurs) mit Technik möglich ist: eine offene, vernetzte und kollaborative Netzpolitik â sowohl inhaltlich als auch in der praktischen Anwendung. Diese Werte haben auch unsere Arbeit hier konsequent geprĂ€gt: So war es mir zum Beispiel spĂ€ter wichtig, dass wir so transparent wie möglich bei der Finanzierung sind.
Ich hatte das Privileg und das GlĂŒck, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Und dabei die Entwicklung eines neuen Politikfeldes und die Entwicklungen unzĂ€hliger Debatten hautnah beobachten und mitprĂ€gen zu können.
Bereits Ende der 90er gab es diverse Ăberwachungsdebatten, die digitale Verwaltung wurde schon versprochen und bald sollte es Breitbandinternet fĂŒr alle geben. Seitdem komme ich mir hĂ€ufig wie bei âUnd tĂ€glich grĂŒĂt das Murmeltierâ vor. Von Glasfaser trĂ€ume ich immer noch und die digitale Verwaltung kenne ich eigentlich nur aus der Terminvergabe in Berlin.
Ich muss manchmal schmunzeln, wenn ich daran denke, dass zu den AnfĂ€ngen von Netzpolitik fĂŒr das Internet mitverantwortliche Spitzenpolitiker:innen |nicht wussten, was ein Browser ist|; dachten, das Internet| funktioniere so wie eine Telefonanlage| und sich auch gerne |vor laufenden Kameras darĂŒber freuten|, dass ihre Assistent:innen das Internet fĂŒr sie bedienen (und ausdrucken) konnten.
Wir Netzbewohner:innen waren die âInternet-Freaksâ, die man belĂ€chelte und mit denen man lange nichts zu tun haben wollte. Viele hofften viel zu lange, das Netz werde als âTrendâ schnell wieder verschwinden. Die meisten haben dann doch noch den Aufbruch dorthin geschafft.
Viele Debatten haben sich seitdem verĂ€ndert oder sind verschwunden. Wer erinnert sich noch an âRaubkopierer sind Verbrecherâ und bizarre Forderungen, wie die danach, Menschen das Internet wegen Filesharing wegzunehmen? Legale funktionierende Alternativen, wie wir sie heute mit Spotify, Netflix und Co. haben, gab es damals noch nicht. Computerspiele waren frĂŒher âdie Killerspieleâ â sie gelten mittlerweile als Kulturgut. Die NetzneutralitĂ€t haben wir in andauernden KĂ€mpfen schĂŒtzen können, mĂŒssen aber immer noch wachsam sein.
Andere Debatten wie die Vorratsdatenspeicherung sind immer geblieben oder tauchen wie Zombies regelmĂ€Ăig wieder auf. Digitale Vernetzung und die Möglichkeit von Datensammlungen haben schon immer die Phantasie aller Innenpolitiker:innen angeregt. Was technisch möglich ist, weckt Begehrlichkeiten der Ăberwachung. Vor allem, wenn es kaum Debatten darum gibt und groĂe Teile der Gesellschaft die Auswirkungen technisch und rechtlich nicht verstehen. Ich werde mich immer dafĂŒr einsetzen, einen Ausbau von Ăberwachung konsequent zu bekĂ€mpfen â dort, wo sie rote Linien ĂŒberschreitet und unsere Grundrechte und damit unsere Freiheit gefĂ€hrdet.
GeĂ€ndert hat sich vor allem die Infrastruktur. Die TrĂ€ume von DezentralitĂ€t, Offenheit, Demokratie und Freiheit sind der RealitĂ€t der Plattformökonomie mit ihren Lock-In-Effekten und Skaleneffekten zum Opfer gefallen. Was mir hĂ€ufig den Schlaf raubt, sind Fragestellungen, wie wir trotz der Dominanz weniger Unternehmen, die unsere Kommunikationsinfrastrukturen kontrollieren, gemeinwohlorientierte Alternativen schaffen und ausbauen können. Welche Rahmenbedingungen sind dafĂŒr notwendig und wie kommen wir dahin?
Letztendlich geht es immer um Machtfragen und darum, wie wir unter verÀnderten Rahmenbedingungen Demokratie erhalten und ausbauen können.
In den letzten 20 Jahren meines Lebens war netzpolitik.org eng mit meiner IdentitĂ€t verbunden. Nach derzeitigem Stand habe ich nun mindestens weitere 20 Jahre bis zur Rente. Ich finde, dies ist ein guter Zeitpunkt fĂŒr mich, etwas Neues zu erleben und zu gestalten â und die nĂ€chste Netzpolitik-Generation ihre eigenen Impulse setzen zu lassen.
Ich möchte zunĂ€chst Raum fĂŒr Experimente und neue Kollaborationen schaffen, denn ich bin ĂŒberzeugt, dass wir im Kampf fĂŒr eine bessere digitale Welt jetzt ganz neue AnsĂ€tze und Partnerschaften brauchen. Welche Allianzen sollten wir als digitale Zivilgesellschaft jetzt schmieden, welche BrĂŒcken in die Gesellschaft jetzt bauen oder erweitern, damit wir gesellschaftliche Mehrheiten und die richtigen rechtlichen und medialen Rahmenbedingungen fĂŒr eine lebenswerte digitale Welt schaffen können? Wie können wir unsere Anliegen noch besser kommunizieren, um mehr Menschen zu erreichen? Das werden meine Leitfragen sein.
Einen Teil meiner Zeit werde ich weiterhin |fĂŒr die re:publica| einsetzen und sie als einen zentralen Ort fĂŒr die Debatte ĂŒber die digitale Gesellschaft ausbauen. FĂŒr die nĂ€chste Ausgabe Ende Mai kuratieren wir unter dem Motto âWho Caresâ wieder ein riesiges Programm mit vielfĂ€ltigen Fragestellungen und Perspektiven auf den BĂŒhnen der Station Berlin.
Weil mich umtreibt, wie sich unser Journalismus weiterentwickeln und verlorenes Vertrauen in Zeiten zunehmender Polarisierung zurĂŒckgewinnen kann, entwickle und kuratiere ich zusammen mit dem Bonn Institut fĂŒr konstruktiven Journalismus seit dem vergangenen Jahr das â|b future festival fĂŒr Journalismus und konstruktiven Dialog |â in meiner alten Heimatstadt. Anfang Oktober findet die zweite Ausgabe statt und bringt eine groĂe Community an Menschen zusammen, die Journalismus neu denken und praktizieren wollen.
Um an die Leichtigkeit und Freiheit des Bloggens und Kommentierens von frĂŒher kreativ anschlieĂen zu können, werde ich einen Newsletter starten, |fĂŒr den Ihr Euch hier eintragen könnt|. Und ich habe Ideen fĂŒr verschiedene Podcast-Formate, zu denen ich bisher nicht kam und die ich endlich umsetzen will.
Meine Erfahrungen und mein Wissen werde ich weiterhin in Form von VortrÀgen, Beratung und Workshops weitergeben. Aber vor allem möchte ich Neues wagen und freue mich auf spannende Angebote und Ideen.
Beim Einloggen in unser Redaktionssystem sehe ich noch meine 11.000 Texte, ich kann sie aber nicht mehr editieren. Nach 20 Jahren ist mein Herausgeberstatus mit den Redakteursrechten weg. So ist das, wenn man geht. Das hier ist erstmal mein letzter Text auf netzpolitik.org.
Wenn ich jetzt auf meinen Screen sehe, fĂŒhle ich einen Hauch Wehmut, denn netzpolitik.org war ein Traum, eine Gemeinschaft und ein RiesenspaĂ. All das wird mir fehlen. Ich fĂŒhle auch: Stolz â auf all das, was wir gemeinsam errungen und geschaffen haben. Und Aufbruchsstimmung: netzpolitik.org hat mich mutiger und stĂ€rker gemacht. Diesen Mut trage ich dankbar in meine neuen Projekte.
Deshalb möchte ich vor allem DANKE sagen: Ich konnte all dies auch nur machen, weil ich von vielen Menschen lernen konnte, ihr mich unterstĂŒtzt habt und wir in Zusammenarbeit Berge versetzt haben. Manche von euch haben mitgebloggt und wurden spĂ€ter fester Teil der Redaktion. Andere haben uns als Praktikant:innen unendlich viel Arbeit abgenommen und sind in der Auseinandersetzung mit komplexen Themen als Journalist:innen beeindruckend gewachsen.
Meine Teammitglieder im Hintergrund mit den wichtigen Jobs der IT-Administrierung und Buchhaltung/BĂŒrokratie haben mir so hĂ€ufig den RĂŒcken freigehalten. So viele von euch haben uns mit Reichweite, Ideen oder Geld unterstĂŒtzt. Ohne viele Hinweisgeber:innen hĂ€tten wir nicht so viel berichten können und Jurist:innen haben uns bei vielen kleinen und gröĂeren Konflikten beraten. Und unter anderem dafĂŒr gesorgt, dass Andre und ich nicht wegen Landesverrat im GefĂ€ngnis sitzen. Ohne euch wĂ€re netzpolitik.org nicht das, was es heute ist. Ich danke euch von Herzen.
Ich bin nicht weg. |Ich bin nur woanders.|
Eine bessere digitale Welt ist immer noch möglich. Wir mĂŒssen dafĂŒr kĂ€mpfen.
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Thu, 14 Mar 2024 06:39:03 +0000
netzpolitik.org
Markus Beckedahl verlĂ€sst netzpolitik.org, zwei Jahre nach der Ăbergabe an das neue Chefredaktionsteam. Er wird sich in Zukunft anderen Aufgaben widmen. Zeit fĂŒr einen RĂŒckblick auf bewegte Jahre.
Wenn wir an Markus Beckedahl bei netzpolitik.org denken, fĂ€llt uns eines sofort ein: Das schallende Lachen, das durch die RedaktionsrĂ€ume dringt. Diese diebische Freude, wenn irgendjemand mal wieder netzpolitischen Quatsch erzĂ€hlt hatte oder sich die Chance fĂŒr einen guten Artikel, fĂŒr Agenda-Setting und Kampagne ergab.
Jetzt verlĂ€sst Markus das journalistische Kanonenboot netzpolitik.org, gut zwei Jahre nach der StaffelĂŒbergabe an das neue Chefredaktionsteam. Markus wird sich in Zukunft anderen Aufgaben widmen.
Wir wollen deshalb Danke sagen fĂŒr zwei Jahrzehnte unermĂŒdlichen Einsatz fĂŒr digitale Grund- und Freiheitsrechte. Danke fĂŒrs Aufmischen der Netzpolitik- und BĂŒrgerrechtsszene. Danke fĂŒr das Vordenken von aktivistischem Journalismus an der Schnittstelle zur Zivilgesellschaft. Danke fĂŒr scharfe Kritik an netzpolitischem Bullshit. Danke fĂŒrs GrĂŒnden von netzpolitik.org. Danke fĂŒr gute GesprĂ€che und Inspirationen. Danke fĂŒr lange NĂ€chte und jede Menge SpaĂ am GerĂ€t.
Ein RĂŒckblick auf Markusâ Schaffen ist immer auch ein RĂŒckblick auf die Geschichte des Politikfelds Netzpolitik, die mit niemandem in Deutschland so verwoben ist wie mit ihm. Markus hat Netzpolitik gemacht, lange bevor es diesen Begriff ĂŒberhaupt gab. Und er hat netzpolitik.org von einem Hobbyprojekt und Ein-Mann-Blog mit GespĂŒr und zusammen mit einem immer gröĂer werdenden Team zu einer professionellen und vielfach preisgekrönten Redaktion entwickelt.
Seine AnfĂ€nge nahm netzpolitik.org in einer Zeit, als soziale Medien und Online-Journalismus noch in den Kinderschuhen steckten. Die noch junge BlogosphĂ€re blĂŒhte auf. Markus startete das Blog netzpolitik.org als Ersatz fĂŒr eine Mailingliste und teilte Links zum Thema Internet und Politik. netzpolitik.org wurde schnell zu einem wichtigen Knotenpunkt der BlogosphĂ€re in der zivilgesellschaftlichen Debatte um die Gestaltung des Internets.
Aus den Blogger:innen und ihrer Community wurde die âNetzgemeindeâ. Das ganze atmete die Luft von demokratischem Aufbruch, vom Ende der medialen EinbahnstraĂe und machte unglaublich SpaĂ. Diese BlogosphĂ€re wurde plötzlich ein politisch sichtbares Element in der Medienlandschaft. Eine agile und schnelle digitale Szene nahm Einfluss auf Debatten.
Und mittendrin Markus mit netzpolitik.org, einem der Leitmedien dieser BlogosphĂ€re. Mit der re:publica, die Markus mit anderen als Blogger-Konferenz grĂŒndete, gab er der jungen Szene ein jĂ€hrliches Klassentreffen.
In der ersten Zeit prĂ€gten neben der Ăberwachung durch die Vorratsdatenspeicherung vor allem auch Debatten um freie Software, Software-Patente und Urheberrechte die Inhalte im Blog. Bei netzpolitik.org war von Anfang an klar: Es geht um digitale Freiheitsrechte. Um den Kampf fĂŒr die Rechte der Menschen im Internet und darĂŒber hinaus.
Ein geflĂŒgeltes Wort von Markus ist bis heute das âKnöpfe drĂŒckenâ. Dieses Knöpfe drĂŒcken war erst ein Ausprobieren, wie mediale Mechanismen funktionieren â vom Blog ĂŒber Twitter bis zur Tagesschau. Mit der groĂen Expertise zu allen netzpolitischen Themen und einer fetten Community im Hintergrund war einiges möglich.
netzpolitik.org prÀgte den Diskurs mit und war immer schnell mit einer fachkundigen Position im Netz. Diese Form des Agenda-Settings hat Markus optimiert.
Knöpfe drĂŒcken, das hieĂ auch zu schauen, wie sich netzpolitik.org gegen die GroĂen wehren konnte: Gegen die Deutsche Bahn zum Beispiel, die das Blog abmahnte â und dann verdutzt den KĂŒrzeren zog.
Knöpfe drĂŒcken, das war auch: Wir tun hier etwas und woanders passiert etwas. Woanders haben sie Respekt und Furcht vor der Berichterstattung, die immer auch gleich eine ganze Meute von gut informierten Leser:innen hinter sich herzog, die ihre digitalen Rechte lautstark einforderten.
Knöpfe drĂŒcken, das hieĂ: Viel ausprobieren. Sind wir als Blogger:innen eigentlich Journalist:innen und können uns als solche akkreditieren? Was heute ganz selbstverstĂ€ndlich erscheint, war ein Kampf um neue Formen des Journalismus, fĂŒr die Markus immer mit groĂer SelbstverstĂ€ndlichkeit und Selbstbewusstsein eingetreten ist.
Ăberhaupt sah Markus den Journalismus immer auch als Experimentierfeld fĂŒr neue Formate. Nicht nur gab es bei netzpolitik.org schon Podcasts, als diese noch kaum jemand kannte.
Durch das Bloggen entwickelte sich ein ganz anderes VerstĂ€ndnis von Journalismus: NatĂŒrlich werden alle Quellen referenziert und alles verlinkt, was zum tieferen VerstĂ€ndnis beitrĂ€gt. NatĂŒrlich können Menschen auf andere Webseiten geleitet werden, natĂŒrlich werden Dokumente veröffentlicht. Leser:innen sind ebenbĂŒrtig und gleichberechtigt im Informationsinteresse â kein Klickvieh, das man leiten muss und dem man die Informationen, die einem vorliegen, scheibchenweise verkauft.
NatĂŒrlich werden die Inhalte kostenlos und unter einer freien Lizenz veröffentlicht. Es geht immer auch um die Freiheit der Information und eine Orientierung am Gemeinwohl.
Dieses VerstĂ€ndnis eines offenlegenden Journalismus prĂ€gt die Redaktion bis heute sehr stark. Wir wundern uns noch immer, dass er sich nicht breit durchsetzt und die Mechanismen, die schon in der BlogosphĂ€re an den âQualitĂ€tsmedienâ kritisiert wurden, immer noch bestehen.
Auch ein anderes SelbstverstĂ€ndnis von Journalismus beflĂŒgelte Markus in seinem Wirken: Wie die BlogosphĂ€re stellte er vermeintliche ObjektivitĂ€t und NeutralitĂ€t in Frage, die andere Medien wie eine Monstranz vor sich hertragen. NatĂŒrlich darf man sich mit einer guten Sache gemein machen, wenn die Fakten stimmen. Die Leser:innen sollen wissen, wo ein Medium und Journalist:innen stehen, weil es einfach ehrlicher ist. Diese neue Spielart des Journalismus, ĂŒber die bis heute gestritten wird, hat Markus publizistisch vorangetrieben.
Gleichzeitig war Markus immer auch auf der Suche nach GeschĂ€ftsmodellen und rechtlichen Rahmenbedingungen fĂŒr diesen neuen, gemeinwohlorientierten Journalismus. So entstand nicht nur das Modell netzpolitik.org, bei dem freiwillige Spenden die freien Inhalte fĂŒr alle sichern, sondern auch ein Verband, der sich dafĂŒr einsetzt, dass gemeinwohlorientierter Journalismus endlich gemeinnĂŒtzig wird.
Markus hat eine einmalige Expertise zu netzpolitischen Themen. Er kann jede spontane Medienanfrage zu irgendeinem Internet-Thema einfach aus dem Stegreif auch nach drei Stunden Schlaf sprechfÀhig und erklÀrbÀrig genug im Fernsehen beantworten. Ob in seinem Hinterhof oder im Urlaub sonstwo auf der Welt.
Markusâ GespĂŒr fĂŒr Themen und Stimmungen der vernetzten Ăffentlichkeit ist legendĂ€r. Das war immer seine groĂe StĂ€rke als Chefredakteur. Als âpolitical animalâ hat er das Wissen und den richtigen Riecher, welche Themen groĂ werden, welche Wege Debatten gehen und an welcher Stelle man reingrĂ€tschen muss, damit Freiheits- und Grundrechte verteidigt werden können.
Sein GespĂŒr fĂŒr Themen war einerseits langfristig. Markus war immer klar, welches netzpolitische Thema aus BrĂŒssel wichtig werden wĂŒrde. Auf der anderen Seite wusste er vorher Bescheid, welches Thema der Aufreger der Woche wird. So konnte er mit einer schnellen und bissigen Intervention im Blog oder auf Twitter Einfluss nehmen.
Ăberhaupt: Twitter. Ăber viele Jahre war Markus mit diesem quasi verwachsen, auf mehreren Monitoren lief der Nachrichtenstream. Hier ging keine netzpolitisch relevante Information vorbei, keine Debatte blieb liegen. Vom Smartphone und dem bestĂ€ndigen Draufschauen, das er nicht lassen konnte, kann die Redaktion ein Lied singen.
Markus hat zusammen mit der wachsenden Redaktion und mit vielen anderen Mitstreiter:innen die wichtigsten netzpolitischen KĂ€mpfe geprĂ€gt. Zentral sicherlich die Vorratsdatenspeicherung, die in den 2000er Jahren mit den âFreiheit statt Angstâ-Demos Zehntausende auf die StraĂen brachte. Bis heute berichtet netzpolitik.org eng an diesem Thema, das einfach nicht mehr weggeht.
Aber nicht nur diese anlasslose Ăberwachung, sondern auch Zensurbestrebungen jeder Art wehrte netzpolitik.org ab. Bedeutend hier auch der Kampf gegen âZensursulaâ 2009 und ihre Netzsperren, den das dann schon gewachsene netzpolitik.org leidenschaftlich fĂŒhrte.
Auch sperrige Themen wie das ACTA-Abkommen 2012 machte netzpolitik.org groĂ und trug zur Mobilisierung tausender Menschen auf den StraĂen bei. Bei KĂ€mpfen um das Urheberrecht war Markus immer auf der Seite der Nutzer:innen und des freien Internets. Auch 2019, als die EU erneut das Urheberrecht verschĂ€rften wollte und plötzlich wieder Zehntausende auf die StraĂe gingen.
Und dann waren da natĂŒrlich die Snowden-EnthĂŒllungen, die ab 2013 belegten, was viele lange gefĂŒrchtet hatten: MassenĂŒberwachung unserer Kommunikation durch westliche Geheimdienste. Allen voran natĂŒrlich von USA und GroĂbritannien, doch auch die deutschen Geheimdienste mischten mit. Die Nachwirkungen des Skandals begleitete netzpolitik.org so eng wie kaum ein anderes Medium: Welche andere Redaktion wĂ€re so verrĂŒckt, jede Sitzung des NSA-Untersuchungsausschusses in einem Live-Blog zu dokumentieren? Welcher Chefredakteur hĂ€tte das jemals erlaubt?
Wie ein Ritterschlag sind im Nachhinein die Ermittlungen gegen Markus Beckedahl und Andre Meister wegen Landesverrats im Jahr 2015 zu sehen. Sie machten netzpolitik.org auch ĂŒber die deutsche Netzgemeinde hinaus bekannt. Die solidarischen Spenden erlaubten den Ausbau der Redaktion. Wo der mittlerweile rechtsradikal abgebogene frĂŒhere Verfassungsschutzchef ein missliebiges Medium attackieren wollte, wurde dieses einfach nur gröĂer und personalstĂ€rker durch diesen Angriff auf die Pressefreiheit.
TatsĂ€chlich ist die LandesverratsaffĂ€re gleich in doppelter Hinsicht ein Wendepunkt in der Geschichte von netzpolitik.org, der unser Medium bis heute prĂ€gt: Die öffentliche Debatte stellte ein fĂŒr alle mal klar, dass Blogger:innen Journalist:innen sein können, mit den gleichen Rechten und Pflichten. Und die unglaubliche UnterstĂŒtzung auf dem Spendenkonto stellte die Weichen dafĂŒr, dass wir die Redaktion ausbauen konnten.
Und so wurde das Projekt ĂŒber die Jahre von Markusâ Blog, von seinem âBabyâ zum gemeinsamen âKindâ einer ganzen selbstverwalteten Redaktion, die gemeinsam die Geschicke in die Hand nahm und das Medium zusammen mit Markus prĂ€gte. Ein Prozess, der nicht immer einfach war, bei dem aber alle immer das groĂe Ganze im Auge behielten: den Kampf fĂŒr die Grund- und Freiheitsrechte.
Die groĂe StĂ€rke an grĂŒnderbasierten Organisationen ist die Kraft, die eine mobilisierende und vernetzte Person einbringt. Zugleich ist das oftmals auch das groĂe Problem solcher Organisationen, weil sie nur schwer Ăbergang finden zu einer KontinuitĂ€t, die auch ohne den groĂen GrĂŒnder auskommt.
Netzpolitik.org hat diesen Ăbergang erfolgreich geschafft. Es wĂ€re unehrlich, wenn wir sagen wĂŒrden, es habe dabei keine Schmerzen und Konflikte gegeben. Die gab es, sie gehören dazu.
Nun also der Abschied. Markus wird seine Energie, seine Kompetenz und Tatkraft, seinen Ideenreichtum und seinen politischen SpĂŒrsinn jetzt an anderer Stelle einsetzen. Wir wĂŒnschen ihm auf diesem Weg alles erdenklich Gute und sind schon sehr gespannt, wo und wie er das âKnöpfe drĂŒckenâ weiterentwickelt.
FĂŒr die Zukunft von netzpolitik.org heiĂt das, dass wir das, was Markus hier mit seinem kleinen Blog angefangen hat, nun weiterfĂŒhren in der Tradition und mit den Werten, die dieses Projekt schon seit jeher hatte. In der Redaktion ist allen bewusst, dass es netzpolitik.org ohne Markus nie gegeben hĂ€tte und was fĂŒr ein einzigartiges journalistisches Projekt er fĂŒr den Themenbereich Netzpolitik sowie Grund- und Freiheitsrechte ins Leben gerufen hat. Das wird weiterleben, auch wenn sein Lachen nicht mehr durch die RedaktionsrĂ€ume schallt.
Danke, Markus! Wir sehen uns.
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Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
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Wed, 13 Mar 2024 18:45:04 +0000
Constanze
Kenianische Arbeitnehmer sĂ€ubern fĂŒr weniger als zwei US-Dollar pro Stunde Trainingsdaten fĂŒr Unternehmen wie OpenAI. Das hat sich nicht verbessert, seit es vor einem Jahr publik wurde. Mophat Okinyi, Menschenrechtsaktivist und Gewerkschafter, beklagt im Interview katastrophale Arbeitsbedingungen trotz MilliardenumsĂ€tzen der westlichen Unternehmen.
Etwa ein Jahr ist es her, als |Time Magazine aufdeckte|, dass OpenAI kenianische Arbeiter fĂŒr weniger als zwei Dollar pro Stunde anmietete, um das eigene Glamourprodukt ChatGPT etwas weniger toxisch erscheinen zu lassen. Bevor die populĂ€ren Chatbots im letzten Jahr auf das hocherregte Publikum losgelassen wurden, mussten sich also Menschen in Kenia jeden Tag stundenlang damit beschĂ€ftigen, widerwĂ€rtigste Inhalte hĂ€ndisch aus dem Trainingsmaterial zu entfernen.
Die Aufgabe der BeschĂ€ftigten hatte seit November 2021 darin bestanden, Textfragmente auf gefĂ€hrliche oder schĂ€dliche Inhalte hin durchzusehen und je nach Ergebnis zu markieren, |um ChatGPT dadurch zu optimieren|. Die VergĂŒtung dafĂŒr war so gering, dass von einer Kompensation kaum gesprochen werden kann. Hinzu kamen schlimmste Arbeitsbedingungen.
Wir wollten wissen, wie die Arbeitsbedingungen heute in Kenia sind. Die Technologiezentren in der NĂ€he von Kenias Hauptstadt Nairobi werden Silicon Savannah genannt, ein Wortspiel, das an das Silicon Valley in den Vereinigten Staaten erinnert, aber die afrikanische Savanne mit aufnimmt. Hat sich fĂŒr die BeschĂ€ftigten dort etwas zum Positiven verĂ€ndert?
Mophat Okinyi aus Nairobi war einer der Content-Moderatoren, welche ChatGPT trainiert haben. Er ist Menschenrechtsaktivist, Gewerkschafter und setzt sich fĂŒr die faire Behandlung und die Rechte von Tech-Mitarbeitern und Datentrainern ein. Zugleich ist er GrĂŒnder und GeschĂ€ftsfĂŒhrer der Techworker Community Africa, die Tech-Worker befĂ€higt, informiert und unterstĂŒtzt und dafĂŒr sorgt, dass ihre Rechte geschĂŒtzt werden. Er berichtet morgen auf den |Cyberfestspielen| am Bodensee ĂŒber digitalen Kolonialismus, die Arbeitsbedingungen in Kenia und die GeschĂ€ftspraktiken der Tech-Konzerne. Wir haben ihn zu den aktuellen Bedingungen der Datenarbeiter in Kenia gefragt.
netzpolitik.org: Wie viele kenianische Arbeitnehmer sind aktuell fĂŒr westliche Unternehmen wie OpenAI tĂ€tig, um Dienste wie ChatGPT zu sĂ€ubern?
Mophat Okinyi: Mir liegen zwar keine Echtzeitdaten ĂŒber die Zahl der kenianischen Arbeitnehmer vor, die derzeit von westlichen Unternehmen wie OpenAI fĂŒr Aufgaben der Inhaltsmoderation beschĂ€ftigt werden. Ich weiĂ jedoch, dass es eine signifikante Anzahl von solchen ArbeitskrĂ€ften gibt, da groĂe Tech-Unternehmen wie Meta und ByteDance und andere ihre Inhaltemoderations- und/oder Datenetikettierungsaufgaben hier in Kenia von Unternehmen wie Teleperformance und Samasource und anderen Outsourcing-Unternehmen erledigen lassen.
netzpolitik.org: Was denken Sie, wenn Sie das verbreitete Mantra lesen, dass durch KI alles automatisiert werde?
Mophat Okinyi: Die Vorstellung, dass KI alles automatisiert, vereinfacht die Situation zu sehr. KI kann bei vielen Aufgaben unglaublich intelligent und effizient sein, es fehlt ihr aber an menschlichem Urteilsvermögen und kontextbezogenem VerstÀndnis. Diese EinschrÀnkung bedeutet, dass die Automatisierung allein noch nicht mit der KomplexitÀt und den Nuancen der menschlichen Intelligenz mithalten kann.
Meine gröĂte Sorge ist, dass der momentan notwendige menschliche Input oft auf ausbeuterische und unmenschliche Weise gewonnen wird, besonders in Regionen wie Silicon Savannah hier in Kenia. Der RĂŒckgriff auf menschliche Arbeitskraft zum Training und zur Verfeinerung von KI-Systemen sollte nicht auf Kosten einer fairen Behandlung und grundlegender Menschenrechte gehen. Es ist von entscheidender Bedeutung, diese ethischen Ăberlegungen anzusprechen, um sicherzustellen, dass der Fortschritt der KI der Menschheit zugute kommt, ohne die WĂŒrde und das Wohlergehen der an ihrer Entwicklung Beteiligten zu opfern.
netzpolitik.org: Wie werden die kenianischen Arbeitnehmer heute bezahlt? Wie sind jetzt die Arbeitsbedingungen?
Mophat Okinyi: Die Arbeitsbedingungen sind sehr erbĂ€rmlich, und die Arbeitnehmer haben nicht die Möglichkeit, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Sie erhalten oft KurzzeitvertrĂ€ge von drei Monaten oder weniger, was dazu dient, ihre freie MeinungsĂ€uĂerung zu unterdrĂŒcken und ihre Möglichkeiten einzuschrĂ€nken, sich fĂŒr bessere Bedingungen einzusetzen.
Viele dieser BeschĂ€ftigten werden weiter als Wegwerfarbeiter eingesetzt. Die Löhne sind auĂerordentlich niedrig. Bevor meine Kollegen und ich auf die Ausbeutung der BeschĂ€ftigten aufmerksam machten, bekamen diese Arbeiter 21.000 Kenia-Shilling (KES) pro Monat, was etwa 0,94 US-Dollar pro Stunde entspricht. Nach der Sensibilisierung der Ăffentlichkeit erhöhte das Unternehmen Samasource den Grundlohn auf KES 27.000, was einem Stundenlohn von 1,21 US-Dollar entspricht. Trotz dieser Erhöhung reichen die Löhne nach wie vor nicht aus, um einen angemessenen Lebensstandard zu gewĂ€hrleisten, was die dringende Notwendigkeit weiterer Verbesserungen bei der Entlohnung und den Arbeitsbedingungen verdeutlicht.
netzpolitik.org: Manche Menschen im Westen sagen, dass zwei US-Dollar pro Stunde in einem Land wie Kenia viel Geld sind. Was sagen Sie solchen Leuten?
Mophat Okinyi: Diese BeschĂ€ftigten bekommen umgerechnet weniger als zwei US-Dollar. Auch wenn zwei US-Dollar pro Stunde in bestimmten Kontexten als betrĂ€chtlicher Betrag erscheinen mag, ist es wichtig, die Lebenshaltungskosten und die vorherrschenden wirtschaftlichen Bedingungen in Kenia zu berĂŒcksichtigen. Solche Löhne bieten möglicherweise keinen ausreichenden Lebensstandard und entschĂ€digen die Arbeiter nicht angemessen fĂŒr die Aufgaben und Herausforderungen, denen sie ausgesetzt sind.
WĂ€re die Entlohnung ausreichend, könnten sich die meisten dieser BeschĂ€ftigten das Nötigste leisten, etwa Essen am Arbeitsplatz und Fahrkosten, denn viele haben schon mit diesen grundlegenden Dingen zu kĂ€mpfen. Die Wirklichkeit ist: Viele von ihnen sind mit Schulden belastet und trotz ihrer unermĂŒdlichen Arbeit in einem Teufelskreis der Armut gefangen.
Es ist alarmierend, dass die Unternehmen, die diese Menschen beschÀftigen, oft MilliardenumsÀtze machen, aber dennoch ist die Situation dieser Arbeitnehmer nach wie vor katastrophal, wenn sie sich im Laufe der Zeit nicht sogar noch verschlechtert hat. Es besteht ein krasses MissverhÀltnis zwischen dem Reichtum, den diese Unternehmen erwirtschaften, und den prekÀren Bedingungen, unter denen ihre BeschÀftigten leben. Dies macht deutlich, wie dringend notwendig eine gerechte Entlohnung und bessere Arbeitsbedingungen sind.
netzpolitik.org: Welche Art von hasserfĂŒllten oder negativen Inhalten werden von den Arbeitnehmern beseitigt?
Mophat Okinyi: Wir haben uns mit einer Reihe von schĂ€dlichen Inhalten befasst, einschlieĂlich, aber nicht nur sexuelle Inhalte, Hass, Gewalt und Selbstverletzungen. Beispiele fĂŒr sexuelle Inhalte waren Nekrophilie, PĂ€dophilie und Vergewaltigung. Hassreden umfassten diskriminierende ĂuĂerungen, die sich gegen Menschen oder Gruppen aufgrund von Faktoren wie Ethnie oder Religion richteten. GewalttĂ€tige Inhalte umfassten Darstellungen von körperlicher Gewalt oder Aggressionshandlungen. Zu den selbstverletzenden Inhalten gehörte Material, das Selbstverletzungen oder Selbstmord propagierte oder darstellte.
Wir haben eine entscheidende Rolle bei der Identifizierung und Entfernung solcher Inhalte gespielt, um die IntegritĂ€t und Sicherheit von ChatGPT zu wahren, und wir mussten einen psychischen und emotionalen Preis dafĂŒr zahlen.
netzpolitik.org: Woher kommen die Inhalte, die von den Arbeitern aussortiert wurden?
Mophat Okinyi: Die Inhalte stammen von verschiedenen Online-Plattformen und -Diensten. Sie sind aus den dunkelsten Ecken des Internets zusammengeklaubt, die meisten von Dating-Seiten, Pornoseiten, privaten Chatseiten, einige von Online-Unterhaltungen mit KI-Chatbots, einige von Kinderhandelsseiten und anderen Webseiten mit illegalen Inhalten.
netzpolitik.org: Zusammen mit drei Kollegen haben Sie beim kenianischen Parlament eine Petition eingereicht, um die Arbeitsbedingungen von Tech-Arbeitern in Kenia zu untersuchen. Gibt es eine ernsthafte Untersuchung? Gibt es schon ein Ergebnis?
Mophat Okinyi: Wir haben die Petition am 11. Juli 2023 an das kenianische Parlament gerichtet, um besonders die Arbeitsbedingungen kenianischer Jugendlicher untersuchen zu lassen, die unter ausbeuterischen und unmenschlichen Bedingungen arbeiten. Trotz unserer BemĂŒhungen bestĂ€tigte das kenianische Parlament den Eingang unserer Petition erst am 9. November.
Seitdem haben wir mit politischem Störfeuer zu kÀmpfen. Erst letzten Monat besuchten hohe Regierungsbeamte, darunter auch der PrÀsident Kenias, genau das Unternehmen, das unsere Leute ausbeutet. Sie haben das Unternehmen nicht nur besucht, sondern auch gelobt, was zeigt, dass ihnen das Wohlergehen unserer Arbeitnehmer nicht wirklich am Herzen liegt.
Diese Situation spiegelt das wider, was ich als digitale Kolonisierung bezeichne. Die Regierung lobt unethische Praktiken, nur weil sie von westlichen Unternehmen vorangetrieben werden, und missachtet dabei die WĂŒrde ihrer eigenen Bevölkerung. Angesichts dieser Entwicklungen gehen wir leider davon aus, dass unsere Petition im Parlament nicht die ihr gebĂŒhrende Aufmerksamkeit erhĂ€lt, was die Notlage der betroffenen Arbeitnehmer weiter verschlimmert.
netzpolitik.org: Glauben Sie, dass viele westliche Nutzer inzwischen wissen, dass KI-Systeme, ihre FĂ€higkeiten und ihre Benutzerfreundlichkeit auch den Arbeitern in Kenia zu verdanken sind?
Mophat Okinyi: Viele westliche Nutzer sind sich der BeitrĂ€ge von BeschĂ€ftigten in LĂ€ndern wie Kenia zur Entwicklung und Wartung von KI-Systemen vielleicht nicht ganz bewusst. Es ist wichtig, das Bewusstsein fĂŒr die menschliche Arbeit hinter den KI-Fortschritten zu schĂ€rfen und sich fĂŒr die Anerkennung und faire Behandlung aller beteiligten Personen einzusetzen.
Oft werden die Endprodukte gefeiert, ohne sich mit ihrer Herkunft zu befassen, und die entscheidende Rolle von Datentrainern und Arbeitern beim maschinellen Lernen wird ĂŒbersehen. Ohne ihren Beitrag gĂ€be es aber keine KI-Systeme wie ChatGPT.
Es ist wichtig zu betonen, dass die Entwicklung von KI in hohem MaĂe von der Arbeit und dem Fachwissen von Menschen abhĂ€ngt, die zur Datenverarbeitung, -kommentierung und -verfeinerung beitragen. Ohne sie hĂ€tte die Technologie nicht ihre heutige LeistungsfĂ€higkeit erreicht. Wie ich schon immer gesagt habe: Es gibt keine KI ohne Daten, und die Datenarbeiter sollten genauso respektiert werden wie die KI-Ingenieure.
netzpolitik.org: Die Zusammenarbeit mit Samasource, dem von OpenAI beauftragten Unternehmen, wurde vorzeitig abgebrochen. Wer sind nun die Kooperationspartner in Kenia? Hat sich etwas zum Positiven verÀndert?
Mophat Okinyi: Derzeit ist mir nicht bekannt, welche Partner die Arbeit ĂŒbernommen haben, die zuvor von Samasource erledigt wurde, da solche Informationen oft vertraulich behandelt werden. Diese Geheimhaltung kann als Strategie dienen, um potentiell unethische Praktiken zu verbergen und sich einer Rechenschaftspflicht fĂŒr die Behandlung der BeschĂ€ftigten zu entziehen. Trotz dieser mangelnden Transparenz bin ich der Ăberzeugung, dass diese Unternehmen ihren Ansatz nicht grundlegend geĂ€ndert haben und Menschen weiterhin als Wegwerfarbeiter in der KI-Entwicklung behandeln.
netzpolitik.org: Vielen Dank fĂŒr die Beantwortung der Fragen!
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Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstĂŒtze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus |jetzt mit einer Spende|.
|um ChatGPT dadurch zu optimieren|
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Wed, 13 Mar 2024 15:51:09 +0000
Chris Köver
Viktor OrbĂĄn betont gern, sich nicht in Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen, und wirbt doch unverhohlen fĂŒr die Wahl politischer VerbĂŒndeter. Jetzt kommt raus, wie massiv er kurz vor der Wahl in Polen und der Slowakei mit Online-Anzeigen Stimmung gemacht hat. Auch in Deutschland lief die Kampagne.
Das KabinettsbĂŒro des ungarischen Premiers Viktor OrbĂĄn hat auf YouTube groĂangelegte Online-Kampagnen zu den vermeintlichen Gefahren der illegalen Migration geschaltet und in sieben EU-LĂ€ndern ausgespielt. In Polen und der Slowakei lief die Kampagne in der Zeit unmittelbar vor den dortigen Wahlen im vergangenen Herbst. |Journalistinnen des Rechercheverbunds VSquare| hatten die Videos |in der Werbungstransparenzdatenbank von Google entdeckt| und ausgewertet.
In beiden LĂ€ndern befanden sich zu diesem Zeitpunkt gerade VerbĂŒndete von OrbĂĄns Regierung im Wahlkampf und traten auch mit migrationsfeindlichen Botschaften an. In Polen war das die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die kurz darauf die Wahlen verlor. In der Slowakei konnte sich OrbĂĄns VerbĂŒndeter, der Linkspopulist Robert Fico, hingegen durchsetzen und gewann.
Die beiden Clips zeigen Szenen von der ungarischen-serbischen Grenze. Im ersten Video ist zu sehen, wie Menschen den Zaun mit Heckenscheren und Leitern zerstören und Fahrzeuge der Grenzbehörden angreifen. Unterlegt ist das mit dramatischer Musik und Untertiteln auf Englisch. Im anderen 14-sekĂŒndigen Clip heiĂt es auf Englisch: âUngarn schĂŒtzt die EU vor illegaler Migration. Doch statt Ungarn zu helfen, laden BĂŒrokraten in BrĂŒssel noch mehr Migranten ein.â
Verantwortlich fĂŒr die Kampagne ist das KabinettsbĂŒro von Viktor OrbĂĄn und damit sein Propagandaminister Antal RogĂĄn, das geht aus den Daten im Anzeigenregister hervor. Doch wie viel Steuergeld der Minister dafĂŒr investiert hat und wer genau in den einzelnen LĂ€ndern mit den Videos ins Visier genommen wurde â all diese Details gibt Google nicht bekannt. Das liegt daran, dass die Anzeigen nicht als politische Werbung geschaltet wurden â und laut den Regeln von Google, dem Mutterkonzern von YouTube, auch gar keine politische Werbung sind.
Damit unterliegen sie wesentlich laxeren Transparenzregeln. FĂŒr politische Werbung legt Google etwa Informationen dazu offen, welche Kategorien von Nutzer:innen die Werbetreibenden mit ihren Anzeigen erreichen wollten und wie viel Geld sie dafĂŒr ausgegeben haben. Zu nicht-politischer Werbung erfĂ€hrt man hingegen nur wenig: den Zeitraum, zu dem die Kampagne lief, sowie die ungefĂ€hre Anzahl der Ausspielungen in diesem Zeitraum. Zum Zielpublikum der Anzeigen oder investierten Betrag hingegen: nichts.
Medien in Tschechien |und Polen| waren die Anzeigen bereits vergangenes Jahr aufgefallen. Auf ihre Nachfrage bestĂ€tigte Google, dass die Anzeigen der ungarischen Regierung nicht gegen die Nutzungsbedingungen verstoĂen. Es handele sich dabei nicht um politische Anzeigen, da sie keine politischen Parteien oder Politiker:innen bewerben.
Dass die Kampagne auch in Deutschland, Ăsterreich, Belgien und Italien zu sehen war, wurde hingegen erst jetzt bekannt. Das liegt daran, dass Google Anzeigen erst mit einem Zeitverzug von drei Monaten in seiner Datenbank veröffentlicht.
In der Slowakei ist der ungarischen Regierung damit etwas gelungen, was dortige Parteien gar nicht mehr durften. Aus der Google-Datenbank geht hervor, dass die ungarische Regierung den ersten Clip am 28. September ausspielte, also zwei Tage vor der slowakischen Wahl. Zu diesem Zeitpunkt galt fĂŒr die slowakischen Parteien nach dortigem Recht schon eine Sperrfrist. Ungarn durfte aber auf YouTube weiter mit migrationsfeindlichen Botschaften werben â und so indirekt fĂŒr Ficos Partei. Die Anzeige war laut Datenbank 900.000 bis eine Million Mal zu sehen.
In Deutschland wurde in dem Zeitraum ebenfalls gewĂ€hlt: Bei den |Landtagswahlen in Bayern| und Hessen konnten die AfD und auch die Freien WĂ€hler zulegen, beide mit einer migrationsfeindlichen Agenda. Bis zu 400.000 Views hatte einer der beiden Clips |laut Google-Datenbank|, bis zu 500.000 |der andere|. Wo genau die Anzeigen in Deutschland zu sehen waren oder wer sie zu sehen bekam, geht aus der Datenbank aber nicht hervor. Auch sagen die Zahlen nichts darĂŒber aus, wie viele Menschen die Anzeigen gesehen haben, sie könnten auch einer Person mehrfach angezeigt worden sein.
Um politische Einflussnahme auf Wahlen zu verhindern, arbeitet die EU derzeit an einem Gesetzesvorhaben, das erstmals politische Werbung regulieren wĂŒrde. Nach drei Jahren befindet es sich auf der Zielgeraden, |Rat und Parlament haben bereits zugestimmt.|
|Das Gesetz| soll an drei Stellen ansetzen: bei der Transparenz, der Finanzierung und beim Targeting von politischer Online-Werbung. So muss kĂŒnftig jede politische Anzeige klar als solche gekennzeichnet werden. AuĂerdem muss fĂŒr jede Anzeige in einer Datenbank der EU offengelegt werden, nach welchen Kriterien die Zielgruppen ausgewĂ€hlt wurden und wer sie finanziert hat.
Um auslĂ€ndische Einflussnahmen zu verhindern, sollen Anzeigen nur noch von innerhalb der EU geschaltet werden dĂŒrfen. Dass ein EU-Mitgliedsstaat eine Kampagne in einem anderem Staat kurz vor der Wahl schaltet, wie das hier geschehen ist â das wĂ€re demnach nicht ausgeschlossen.
Trotzdem wĂ€re die Kampagne aus Ungarn laut dem geplanten Gesetzestext unter die Definition von politischer Werbung gefallen â und hĂ€tte damit striktere Auflagen erfĂŒllen mĂŒssen. |So heiĂt es im Text|, die Definition sollte Werbung umfassen, âdie direkt oder indirekt durch einen politischen Akteur oder auf irgendeine Weise fĂŒr einen politischen Akteur oder in seinem Namen ausgearbeitet, platziert, gefördert, veröffentlicht, angezeigt oder verbreitet wirdâ. DarĂŒber hinaus sollte die Definition auch âMitteilungen umfassen, die ausgearbeitet, platziert, gefördert, veröffentlicht, angezeigt oder verbreitet werden und die das Ergebnis einer Wahl [âŠ] oder ein Abstimmungsverhalten beeinflussen könnenâ.
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|Journalistinnen des Rechercheverbunds VSquare|
|in der Werbungstransparenzdatenbank von Google entdeckt|
|Rat und Parlament haben bereits zugestimmt.|
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Wed, 13 Mar 2024 11:19:23 +0000
Chris Köver
Die KI-Verordnung macht den Weg frei fĂŒr biometrische Gesichtserkennung in der EU. Auch an vielen anderen Stellen bietet sie groĂe Schlupflöcher fĂŒr Behörden und Unternehmen. Das EU-Parlament wollte Grundrechte besser schĂŒtzen â und hat dem Kompromiss nun doch zugestimmt.
Mit ihrer KI-Verordnung will die EuropĂ€ische Union in Zukunft den MaĂstab fĂŒr Anwendungen sogenannter KĂŒnstlicher Intelligenz setzen. Das EU-Parlament hat heute mit groĂer Mehrheit den Text fĂŒr das Gesetz gebilligt. Bei der Abstimmung stimmten 523 Abgeordneten fĂŒr das Gesetz, 46 dagegen. Den Kompromiss hatten sie bereits vergangenen Dezember nach langen und teils dramatischen GesprĂ€chen mit den EU-Mitgliedstaaten ausgehandelt. Damit ist der Weg frei, damit das Gesetz noch im Laufe des Jahres in Kraft treten kann.
Mit dem Ja des Parlaments endet das Gezerre um ein Gesetz, das als eines der wichtigsten der Legislaturperiode galt. Drei Jahre lang hat es Kommission, Parlament und Rat beschĂ€ftigt. Das Ringen um die finalen Regeln wurde dabei zu einer der |gröĂten Lobbyschlachten|, die in BrĂŒssel je ausgetragen wurden. Tech-Riesen wie Google und Microsoft |investierten Millionen|, um ihre Interessen zu schĂŒtzen.
Das Gesetz soll Regeln festschreiben fĂŒr diejenigen, die KI-Technologien entwickeln und einsetzen, egal ob Unternehmen oder Behörden. Je riskanter eine Anwendung, so die Logik, desto strikter die Vorgaben, etwa fĂŒr die QualitĂ€t der Daten, die Dokumentation oder fĂŒr Risikobewertungen, wie vor einem Einsatz gemacht werden mĂŒssen. Bestimmte Anwendungen sollen ganz verboten werden, etwa Social Scoring.
Der |erste Entwurf der Kommission im April 2021| erregte noch eher wenig Aufmerksamkeit. Anfang 2023 brach dann der Hype um generative KI los â und plötzlich standen zusammen mit den |verblĂŒffenden FĂ€higkeiten von ChatGPT und Bildgeneratoren wie Midjourney| auch die Details der KI-Verordnung im globalen Rampenlicht.
Parlamentarier:innen versuchten, der neuen Entwicklung noch hinterher zu hechten, obwohl die Arbeit am Gesetz zu weit fortgeschritten war. DafĂŒr wollten sie das Gesetz um strenge Regeln auch fĂŒr sogenannte Basis-Modelle ergĂ€nzen. Das sind KI-Systeme wie etwa das Sprachmodell GPT-4, die fĂŒr verschiedenste Zwecke eingesetzt werden können.
Im November kam es deswegen in den Trilog-GesprÀchen zu offenem Streit. Vor allem die Schwergewichte im Rat Deutschland und Frankreich wollten verhindern, |dass die Verordnung auch Basismodelle regelt|. Start-ups wie Mistral in Frankreich oder Aleph Alpha in Deutschland arbeiten ebenfalls an solchen Modellen, sie |hatten darauf gedrÀngt|, das Basismodelle ausgenommen werden.
Aber nicht nur wegen der Basismodelle wurden die finalen Trilog-GesprĂ€che im Dezember |zu einer HĂ€ngepartie|. Die Verordnung berĂŒhrt |zentrale Fragen zu Grund- und Freiheitsrechten in der EU|: Etwa die, ob und wann biometrische Ăberwachung zugelassen wird, in welchen Lebensbereichen ĂŒberhaupt automatisiert entschieden werden darf, oder wie viele Ausnahmen Staaten mit dem Pauschalargument ânationale Sicherheitâ fĂŒr sich in Anspruch nehmen dĂŒrfen.
Nach mehr als drei Tagen Marathon-Verhandlung, teils mehr als 22 Stunden am StĂŒck, stand dann vor Weihnachten doch noch ein Kompromiss. BĂŒrgerrechtsorganisationen wie etwa EDRi warnten schon damals, dass die Freude darĂŒber verfrĂŒht sei. Die Einigung war mĂŒndlich passiert, den finalen Text musste die spanische RatsprĂ€sidentschaft, die die Einigung forciert hatte, noch erstellen.
Als die hunderten Seiten Kompromisstext dann im Februar vorlagen, wurde klar, wie viele LĂŒcken offen bleiben werden. Parlamentarier:innen, die selbst an den Verhandlungen beteiligt waren, sagten danach, sie hĂ€tten die |angeblich getroffene Trilog-Einigung| kaum wiedererkannt, als sie spĂ€ter vor ihnen lag. âWir wurden ĂŒber den Tisch gezogenâ, hieĂ es aus dem |Umfeld der Verhandlungsdelegation|.
|Die sieben quÀlendsten Fragen zur KI-Verordnung|
Vor allem in den Regeln zu biometrischer Ăberwachung ist von den |einst starken Forderungen des Parlaments |kaum etwas ĂŒbrig geblieben. Die KI-Verordnung bringt kein Verbot, nicht einmal besonders strenge EinschrĂ€nkungen fĂŒr den Einsatz biometrischer Ăberwachung.
EU-Staaten werden also kĂŒnftig aus vielen GrĂŒnden Menschen ĂŒberwachen und anhand ihrer körperlichen Merkmale identifizieren dĂŒrfen, zum Beispiel mit Hilfe öffentlicher Kameras. Das ist selbst in Echtzeit erlaubt und auch dann, wenn nur die Annahme besteht, dass etwas Schlimmes passieren könnte. Die Mitgliedsstaaten konnten sich in diesem Punkt |mit ihrer Wunschliste| offenbar fast vollstĂ€ndig durchsetzen.
|Auch Menschen auf der Flucht| können von der KI-Verordnung kaum Schutz erwarten. Die wenigen EinschrĂ€nkungen fĂŒr Gesichtserkennung im öffentlichen Raum gelten etwa ausdrĂŒcklich nicht fĂŒr Grenzkontrollen. Der Einsatz von umstrittenen Technologien wie Emotionserkennung ist ebenfalls weiterhin erlaubt, Betroffene könnten in Zukunft mit LĂŒgendetektoren an den GrenzĂŒbergĂ€ngen ĂŒberprĂŒft werden, wie die EU |sie bereits in einem Pilotprojekt getestet hat|. Und auch die Transparenzverpflichtungen im Gesetz gelten nicht fĂŒr die Bereiche âStrafverfolgung, Migration, Grenzkontrolle oder Asylâ.
Selbst mit diesen ZugestĂ€ndnissen war noch lange unklar, ob das Gesetz nicht womöglich noch am Widerstand von Frankreich und Deutschland scheitern könnte. Aus beiden LĂ€ndern war weiterhin Unmut zu hören. |Mit der Zustimmung des Rates| Anfang Februar war diese HĂŒrde genommen.
Kurz darauf stimmten auch die beiden Parlamentsausschpsse fĂŒr bĂŒrgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) und Binnenmarkt (IMCO) mit groĂer Mehrheit fĂŒr den Kompromiss. Sie| hatten bei der Arbeit am Gesetz die FĂŒhrungsrolle|. Ihre Zustimmung war ein starker Signal dafĂŒr, dass auch die absolute Mehrheit der Abgeordneten im Plenum heute fĂŒr den Kompromiss stimmen wĂŒrden.
Dass die Abstimmung schon heute angesetzt war und nicht, wie zunĂ€chst geplant, erst im April, hatte im Vorfeld fĂŒr Verwirrung gesorgt. Der Grund dafĂŒr liegt wohl in den Details der EU-Arbeitsprozesse: Gesetzestexte mĂŒssen juristisch ĂŒberarbeitet und in die 24 Amtsprachen der Union ĂŒbersetzt werden. DafĂŒr scheint hier die Zeit nicht gereicht zu haben, die Abgeordneten stimmten also nach wie vor ĂŒber einen vorlĂ€ufigen Text ab. Die endgĂŒltige Version soll dann im April nur noch bekannt gegeben werden â voraussichtlich ohne erneute Abstimmung.
Die KI-Verordnung kann damit noch vor den EU-Wahlen im Sommer in Kraft treten. Die meisten Regeln werden nach zwei Jahre greifen, lediglich die Verbote gelten bereits nach sechs Monaten â und damit womöglich bereits dieses Jahr.
Die Hoffnungen fĂŒr bessere Gesetzgebung verlagern sich derweil auf die Mitgliedstaaten. Sie haben die Möglichkeit, auf nationaler Ebene strengere Regeln zu erlassen als die Verordnung vorsieht, etwa fĂŒr die biometrische Ăberwachung. In Deutschland haben die Ampel-Parteien| bereits angekĂŒndigt|, zumindest eine Ăberwachung in Echtzeit nicht zu wollen.
Nachbesserungen fordert jetzt auch AlgorithmWatch und verweist auf die Versprechen, die die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag gemacht hat. Die Organisation kritisiert auch, dass gerade fĂŒr Strafverfolgungs- und Migrationsbehörden keine öffentliche Transparenz gelten soll, wenn sie riskante KI-Systeme einsetzen. Gerade in diesen Bereichen herrsche ein starkes MachtgefĂ€lle, Ăffentlichkeit sei hier eine wesentliche Voraussetzung demokratischer Kontrolle.
|Gegen den Entwurf gestimmt| hatten die vier Abgeordneten der Piratenpartei, einige parteilose Abgeordnete und groĂe Teile der Linken-Fraktion. Deren Abgeordnete Cornelia Ernst bedauert, dass das Parlament in den Verhandlungen essentiell wichtige Elemente nicht durchsetzen konnte. Das Verbot von Echtzeit-Gesichtserkennung im öffentlichem Raum sei durch eine lange Liste von Ausnahmen âpraktisch gekipptâ, Emotionserkennung und vorhersagende Polizeiarbeit blieben erlaubt und es gebe keine Verbote fĂŒr den Einsatz von KI-Systemen im Migrations- und Grenzkontext â eine verpasste Chance.
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|erste Entwurf der Kommission im April 2021|
|verblĂŒffenden FĂ€higkeiten von ChatGPT und Bildgeneratoren wie Midjourney|
|dass die Verordnung auch Basismodelle regelt|
|zentrale Fragen zu Grund- und Freiheitsrechten in der EU|
|angeblich getroffene Trilog-Einigung|
|Umfeld der Verhandlungsdelegation|
|Die sieben quÀlendsten Fragen zur KI-Verordnung|
|einst starken Forderungen des Parlaments |
|Auch Menschen auf der Flucht|
|sie bereits in einem Pilotprojekt getestet hat|
|Mit der Zustimmung des Rates|
| hatten bei der Arbeit am Gesetz die FĂŒhrungsrolle|
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Wed, 13 Mar 2024 09:56:24 +0000
Markus Reuter
Die neuen europaweiten Regeln fĂŒr KĂŒnstliche Intelligenz lassen biometrische Ăberwachungstechniken wie Gesichtserkennung teilweise zu. Zivilgesellschaftliche Organisationen fordern nun, dass dem zumindest in Deutschland ein Riegel vorgeschoben wird.
Mehr als ein Dutzend Digital- und BĂŒrgerrechtsorganisationen fordern die Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf, jede Form der biometrischen Fernidentifizierung zu verbieten. Anlass fĂŒr den offenen Brief ist die Verabschiedung des Artificial Intelligence Acts auf EU-Ebene, ein Gesetz zur Regulierung KĂŒnstlicher Intelligenz. Das Gesetzeswerk |enthĂ€lt viele Schlupflöcher|, die eine biometrische Ăberwachung ermöglichen.
Die Unterzeichnenden des offenen Briefes, unter ihnen der Chaos Computer Club, Wikimedia und Amnesty International, kritisieren diese Schlupflöcher. âDiese weitreichenden Ausnahmen fĂŒr Strafverfolgung und Sicherheitsbehörden laden europaweit zum Ausbau öffentlicher Ăberwachung ein.â Eine solche Ăberwachungsinfrastruktur fĂŒhre dazu, dass Menschen unter dem stĂ€ndigen GefĂŒhl der Kontrolle ihre Freiheitsrechte nicht mehr ungehindert ausĂŒben könnten. Deswegen verweisen sie auf die Möglichkeit, dass die Bundesregierung die im AI Act vorgesehene Möglichkeit der nationalen VerschĂ€rfung europĂ€ischer Regeln sowohl fĂŒr Echtzeit- als auch fĂŒr nachtrĂ€gliche biometrische Fernidentifizierung nutzen sollen. Im offenen Brief heiĂt es: âWir fordern Sie als Abgeordnete des Deutschen Bundestages daher auf, jede Form der biometrischen Fernidentifizierung in Deutschland zu verbieten!â
Die zivilgesellschaftlichen Organisationen verweisen dabei auf den |Koalitionsvertrag der Ampel|. Dort wird gleich an zwei Stellen biometrische Ăberwachung abgelehnt, wenn es etwa heiĂt:
Biometrische Erkennung im öffentlichen Raum sowie automatisierte staatliche Scoring Systeme (sic) durch KI sind europarechtlich auszuschlieĂen.
Und in einem anderen Absatz:
FlĂ€chendeckende VideoĂŒberwachung und den Einsatz von biometrischer Erfassung zu Ăberwachungszwecken lehnen wir ab.
Die Ampel mĂŒsse nun, nachdem ein europarechtliches Verbot der biometrischen Ăberwachung ânicht vollstĂ€ndig umzusetzenâ war, mit einem nationalen Verbot gegenhalten. Andernfalls drohten dystopische VerhĂ€ltnisse, in denen jeder Mensch bei jeder Bewegung im öffentlichen Raum permanent identifizierbar und ĂŒberwachbar wĂŒrde. âAnonymitĂ€t im öffentlichen Raum ist eine der Grundvoraussetzungen fĂŒr freie MeinungsĂ€uĂerung und demokratischen Protestâ, so die Unterzeichner:innen.
Erik Tuchtfeld, Co-Vorsitzender von D64 und Mitunterzeichner, sagt zudem: âUnser Ziel ist es, Digitalpolitik faschimussicher zu machen. DafĂŒr mĂŒssen alle demokratischen KrĂ€fte zusammenarbeiten, um Möglichkeiten des institutionellen Machtmissbrauchs zu verhindern.â Die stĂ€ndige Erkennbarkeit im öffentlichen Raum treffe marginalisierte Gruppen besonders hart.
Parteien der Ampel |hatten zuletzt gesagt|, dass sie bei der KI-Verordnung nachbessern wollen. So hat die SPD im Bundestag angekĂŒndigt, biometrische Echtzeit-Identifizierung und |Emotionserkennung| verbieten zu wollen.
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Offener Brief vom 13. MĂ€rz 2024
Sehr geehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages,
heute, am 13. MĂ€rz 2024, beschlieĂt das EuropĂ€ische Parlament den Artificial Intelligence (AI) Act. Als erstes umfassendes Gesetz zur Regulierung KĂŒnstlicher Intelligenz (KI) weltweit schafft der AI Act in der gesamten EuropĂ€ischen Union einheitliche Regeln fĂŒr die Entwicklung und den Einsatz von KI.
Die finale Fassung des AI Acts verbietet biometrische Ăberwachung im öffentlichen Raum zwar grundsĂ€tzlich, lĂ€sst jedoch eine Vielzahl an Ausnahmen zu. Diese weitreichenden Ausnahmen fĂŒr Strafverfolgung und Sicherheitsbehörden laden europaweit zum Ausbau öffentlicher Ăberwachung ein. Eine solche Ăberwachungsinfrastruktur fĂŒhrt dazu, dass Menschen unter dem stĂ€ndigen GefĂŒhl der Kontrolle ihre Freiheitsrechte nicht mehr ungehindert ausĂŒben. Der Schutz von Menschenrechten darf jedoch nicht unter Vorbehalt stehen. Insbesondere im aktuellen politischen Klima mĂŒssen die demokratischen KrĂ€fte gemeinsam die Möglichkeit des institutionellen Machtmissbrauchs minimieren. Deshalb gilt es nun, die im AI Act explizit vorgesehene Möglichkeit der nationalen VerschĂ€rfung europĂ€ischer Regeln sowohl fĂŒr Echtzeit- als auch fĂŒr nachtrĂ€gliche biometrische Fernidentifizierung zu nutzen.
Wir fordern Sie als Abgeordnete des Deutschen Bundestages daher auf, jede Form der biometrischen Fernidentifizierung in Deutschland zu verbieten!
Im Koalitionsvertrag verpflichten sich die Regierungsparteien gleich an zwei Stellen, biometrische Ăberwachung in Deutschland zu verhindern. So heiĂt es, dass â[b]iometrische Erkennung im öffentlichen Raumâ europarechtlich auszuschlieĂen sei, auch der âEinsatz von biometrischer Erfassung zu Ăberwachungszweckenâ wird explizit abgelehnt. Nachdem das europarechtliche Verbot biometrischer Ăberwachung nun nicht vollstĂ€ndig umzusetzen war, muss ein nationales Verbot das Mittel der Wahl sein.
Die DurchfĂŒhrung biometrischer Echtzeit-Fernidentifikation im öffentlichen Raum öffnet die TĂŒr in dystopische VerhĂ€ltnisse, in denen jeder Mensch bei jeder Bewegung im öffentlichen Raum permanent identifizierbar und ĂŒberwachbar wird. Ăhnliches gilt auch fĂŒr nachtrĂ€gliche biometrische Fernidentifikation, die ebenfalls die Bildung umfassender Personenprofile ermöglicht. AnonymitĂ€t im öffentlichen Raum ist eine der Grundvoraussetzungen fĂŒr freie MeinungsĂ€uĂerung und demokratischen Protest. Insbesondere Angehörige marginalisierter Gruppen werden von der AusĂŒbung ihrer Meinungs- und Demonstrationsfreiheit abgehalten, wenn sie Repressalien befĂŒrchten mĂŒssen. Auch der Ampel-Koalitionsvertrag betont: âDas Recht auf AnonymitĂ€t sowohl im öffentlichen Raum als auch im Internet ist zu gewĂ€hrleisten.â
Wir fordern Sie deshalb auf, sich fĂŒr den Schutz der Menschen in Deutschland und das Recht auf ein Leben frei von MassenĂŒberwachung und Kontrolle einzusetzen.
Mit freundlichen GrĂŒĂen
AlgorithmWatch
Amnesty International
Antidiskriminierungsverband Deutschland e.V.
Chaos Computer Club
D64 â Zentrum fĂŒr digitalen Fortschritt
Dachverband der Fanhilfen e.V.
Digitale Freiheit e.V.
Digitale Gesellschaft e.V.
Forum InformatikerInnen fĂŒr Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) e. V.
Humanistische Union e.V.
LOAD e.V. â Verein fĂŒr liberale Netzpolitik
netzforma* e.V. â Verein fĂŒr feministische Netzpolitik
Open Knowledge Foundation Deutschland e.V.
SUPERRR Lab
Topio e.V.
Wikimedia Deutschland e. V.
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Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstĂŒtze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus |jetzt mit einer Spende|.
|IMAGO / Michael Gstettenbauer|
|enthÀlt viele Schlupflöcher|
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Skriptlauf: 2024-03-21T20:02:02