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Time-stamp: <2021-05-25 23:42>
Nach dem Umstieg von einer zu trumpigen und für Tschechienreisen zu schlecht gefederten Harley auf eine Yamaha XT1200Z tat sich eine motorradförmige Lücke in meinem Leben auf, in die ein Mopped genau hineinppasst, das weniger perfekt als die XT zum Reisen geeignet ist. Eins, an dem ich schrauben muss, damit es sich wohlfühlt. Eins, bei dem die Emotion nicht auf 200 Kilometern und mehr entsteht, sondern auf den kürzeren Strecken des Lebens, wenn ich zur Besinnung kommen muss. Oder zum Biergarten um Freunde zu treffen.
Mein Plan war und ist, eine britische BSA aus den 1960er oder frühen 1970ern zu finden; am liebsten eine A65. Früher hätte ich mir dazu erst die passende Literatur besorgt und dann nach einem Club gesucht. Heute habe ich mich im einschlägigen Forum angemeldet und dann die passende Literatur besorgt:
- BSA, The Complete Story von Greg Pullen
- Thunderbolts & Lightning, The story of the BSA A65 & A50 motorcycle 1962-1973 von Peter Crawford
Letzteres kam teuer und handsigniert direkt vom Autor, quasi Werksverkauf:
Wer sich für Industriegeschichte interessiert, findet hier zwei Bücher, die, mit großer Akribie recherchiert, darstellen, wie der einst größte Motorradhersteller der Welt durch Selbstgefälligkeit einer bildungselitären Managementebene und Mangel an Kooperation innerhalb einer Dekade zugrundegerichtet wurde.
Nun ergab es sich, dass ein Freund aus meinem Motorradclub seine Royal Enfield Bullet loswerden wollte. 2015 neu gekauft, hatte die einen immensen Wartungsstau und war dementsprechend billig. So billig, dass ich zugreifen musste, denn selbst bei Motorschaden hätte ich die noch ohne Verlust wieder verkaufen können. Bri'ish genug zum Üben, wenn auch viel schlapper als ich je sonst ein Motorrad erwogen hätte.
Royal Enfield ist der älteste Motorradhersteller der Welt, und die Bullet war das am längsten produzierte Motorrad der Welt, mit Wurzeln, die bis in die 30er Jahre zurückreichen. Erst Euro 5 hat diesem Motorrad den Garaus gemacht. Ursprünglich in England produziert, kommt die Bullet seit den 1950er Jahren auch und seit den 1970er Jahren nur noch aus Indien. Der Motor ist zwar relativ neu (2009 eingeführt), basiert dem Grunde nach aber auf dem selben technologischen Grundstock wie der alte Einzylinder. Langhuber, große Schwungmasse, wenig Leistung bei ausreichendem Drehmoment, wie ein Traktor. Die Bullet Classic sieht aus als käme sie direkt aus den 50er Jahren, und von Einspritzung und Scheibenbremse vorne abgesehen fährt sie sich auch so. Sie ist zierlich und wendig, und der Motor hat etwas Grundentschleunigendes mit seinem beruhigenden Tuk-tuk-tuk.
Insgesamt hat die Bullet einen verzaubernden Charme, gerade weil sie so aus der Zeit gefallen ist. Mit 27PS hält man den Verkehr nicht auf, man passiert ihn aber auch nicht. Eher passiert der Verkehr, und man schwimmt mit. Und das ist fein so, denn unterwegs sein ist hier nicht lästig sondern lässig, man bekommt noch mehr von der Umwelt mit als beim zügigen Motorradfahren, und 70er-Bereiche oder gar 30er-Zonen verlieren ihren Schrecken. Tuk-tuk-tuk. Im Gegensatz zur Fat Bob, wo einem schon mal ein «Harleyscheißer!» entgegengeschleudert wird, wird man auf der Bullet angelächelt, und bei 2,8 Liter Verbrauch muss man dann an der Tankstelle auch noch lachen.
Irgendwo steckt ein kleines Steuergerät für die Einspritzung. Ansonsten keine seltenen Erden, so gut wie kein Plastik. Ist das nicht doch zeitgemäß? Ich habe nicht einmal eine Navihalterung befestigt. Wenn ich weiter weg will, nehme ich eine Karte mit.
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✍ Wolfgang Mederle CC BY-SA 4.0
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language: de
date: 2021-05-25 22:49
tags: motorrad royal-enfield bsa