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05.07.2023
Mein Berliner Weg zur Arbeit lädt jedes Mal zum Verzweifeln ein. Wie Verkehr Fußgänger:innen in Deutschland die Lebensfreude kostet.
Kurz nach 9 am S-Bahnhof Warschauer Straße: Um aus der Bahn rauszukommen, muss ich mehreren Leuten signalisieren, dass sie nicht einfach so den Ausgang mit dem Fahrrad versperren können. Sie sehen mich aggressiv an. Die S-Bahn ist somit kein richtiger öffentlicher Raum. Es hat eher was davon, als wäre ich in ein fremdes Auto gestiegen und die Besitzer:innen hätten mich auf frischer Tat ertappt. Und so stören sich auch alle an allen im Verkehr. Von geteiltem öffentlichen Raum hat es so gar nichts.
Über das Rad gestiegen, versuche ich mich durch ein Menschenmeer, was mir den Weg abschneidet, die Treppe hochzuschleppen. Auf der Brücke Richtung U-Bahnhof fängt ein Slalomlauf an: Mehreren Fahrrädern ausweichen, die auf der falschen Straßenseite und auf dem Gehweg fahren. Räder fahren immer sehr knapp an mir vorbei. Sie kommen gefühlt aus allen Richtungen.
Unter den Arkaden der Oberbaumbrücke fühle ich mich als Gehende:r auf dem Gehweg wie Frogger auf dem Fluss. Achtung, spring dem Rad aus dem Weg! Und da über die Person ohne Obdach, die da ihren Schlafplatz hat. Die Ampel mit Mittelinsel hat für jede Fahrtrichtung nur genau 3 Sekunden grün. Im ach so liberalen Friedrichshain habe ich die Ehre, wie im Mittelalter einer Übermacht dankbar zu sein, dass ich nicht gehbehindert bin.
Kreuzberg: Schlesische Straße. Ich habe grün, muss dennoch Fahrrad und Auto zugleich ausweichen. Keine:n scheint's zu stören. Weil aus irgendeinem Grund die sehr befahrene Reichenberger Straße 2023 immer noch Kopfsteinpflaster haben muss, weichen die Fahrräder verständlicherweise auf den Gehweg aus. Es wird zu einem Spießrutenlauf. Und wenn ich den ganzen Fahrrädern und Autos aus dem Weg springe, kann ich so kaum glauben, dass dieser Bezirk schon sehr lange vermeintlich links regiert wurde. Die Verkehrsplanung hat eher was von Brooklyn.
Die Menschen, die in den Bezirken innerhalb des S-Bahn-Rings wohnen, wissen nicht so recht was ich damit meine, wenn ich mich so aufrege: „Du kannst doch einfach mal ausm Weg gehen, wenn ein Fahrrad kommt!; Weißt du eigentlich, wie schlimm das ist, wenn ein Fahrrad von einem Auto getroffen wird?; Da ist doch so ein blauer Fleck von einem Fahrrad gar nix!; Wieso bist du eigentlich nach Berlin gezogen?“
Zu Hause sehe ich mir Beiträge an, wie Konservative mit Schaum vor dem Mund schreien, weil jemand Fahrradweg sagt oder sich über Radtote aufregt. Und wie Linke nervige Radfahrende loyal als Ritterschaft für die gerechte Sache bei offensichtlicher Fahrer:innenflucht in Schutz nehmen. Reaktionär und dumm wirkt allerdings beides. Über systemische Lösungen wird ungern diskutiert. Zu langweilig, lässt sich nicht auf GAFAM klicken! Ich klicke weiter: ein Beitrag über den Verkehr in den Niederlanden. Ampeln, die automatisch länger grün sind, wenn Menschen länger über die Straße brauchen. Highways für Räder, die für Gehende durch Geländer abgegrenzt sind, um sie zu schützen. Sciencefiction.
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