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Laut dem französischen Intellektuellen Emmanuel Todd, der 2002 durch sein Buch Weltmacht USA: Ein Nachruf von sich reden machte, hat der Dritte Weltkrieg bereits begonnen. In Interviews mit der in der Schweiz erscheinenden Weltwoche und der französischen Zeitung Le Figaro hat der Anthropologe und Historiker seine provozierenden Thesen erläutert.[1] Todd ist der Überzeugung, dass der Krieg in der Ukraine nicht nur für Russland, sondern auch für die USA existenziell ist. Die Vereinigten Staaten könnten sich ebenso wenig wie Russland aus diesem Krieg zurückziehen. Die USA kämpften um ihre Stellung als alleinige Hegemonialmacht und seien dennoch in Gefahr, die Währungs- und Finanzkontrolle über die Welt zu verlieren und damit auch die Möglichkeit, ihr riesiges Handelsdefizit umsonst zu finanzieren. Europa und vor allem Deutschland und Frankreich seien in dieser Auseinandersetzung an den Rand gedrängt worden. Zwischen der offensiven Strategie der Amerikaner und der defensiven Strategie der Russen befänden sich die Europäer in einem atemberaubenden Zustand der geistigen Verwirrung. Das gelte ganz besonders für Deutschland. Die NATO sei heute ein »Washington-London-Warschau-Kiew-Block«.
Zumindest seine Analyse über die strukturellen Veränderungen in der NATO wurde in den letzten Monaten mehr als bestätigt. Dieser neue »Washington-London-Warschau-Kiew-Block« gibt mittlerweile im Ukrainekrieg den Takt vor und treibt die Europäer und vor allem Deutschland zu immer neuen Waffenlieferungen und dazu, sich immer tiefer in den Stellvertreterkrieg der USA gegen Russland zu verstricken. Das zeigte sich wieder, als es darum ging, Kiew deutsche Leopard-Panzer zur Verfügung zu stellen. Kaum hatte Berlin sich dazu durchgerungen, den Schützenpanzer Marder zu liefern, intrigierten Washington, London, Warschau und Kiew nach allen Regeln der Kunst im Zusammenspiel mit den deutschen Propagandamedien, um Scholz auch zur Lieferung von Leopard-Panzern zu zwingen.
Der Bundeskanzler hatte den klugen Einfall, zu sagen, er sei bereit, Kampfpanzer in die Ukraine zu schicken, wenn die USA dasselbe tun würden. Washington wiegelte ab, es könne seinen Abrams-Kampfpanzer nicht liefern, da er zu schwer sei und deshalb sollten die Deutschen vorangehen. Zudem wollte das Pentagon nicht das Risiko eingehen, dass die Russen die modernste Militärtechnik der USA in die Finger bekämen. Die deutschen US-Vasallen in Politik und Medien merkten gar nicht, dass Washington damit gleichzeitig zu verstehen gab: Modernste deutsche Technik könne sehr wohl den Russen in die Hände fallen.
London kündigte an, symbolisch einige Kampfpanzer des Typs Challenger 2 zu liefern, nur in der Absicht, öffentlich Druck auf Berlin auszuüben, diesem »guten Beispiel« zu folgen. Noch dreister agierte die reaktionär-nationalistische Regierung Polens. Nachdem auch sie zusammen mit der ukrainischen Regierung immer wieder die Lieferung von Leopard-Panzern gefordert hatte, erklärte sie schließlich, die sich im Besitz Polens befindenden Leopards auch dann zu liefern, wenn die notwendige Genehmigung dazu von Deutschland nicht erteilt werde.
Als Scholz auf der Konferenz in Ramstein am 20. Januar 2023 trotz dieses Drucks immer noch nicht einknickte, verlor die BILD-Zeitung die Contenance. »Balten-Aufstand gegen Sturkopf-Scholz«[2] titelte das Boulevardblatt und zitierte Estlands Außenminister Urmas Reisaly: »Wir, die Außenminister Estlands, Lettlands und Litauens, rufen Deutschland auf, der Ukraine jetzt Leopard-Panzer zu liefern.« Deutlich, so BILD weiter, wurde auch Polens Außenminister Zbigniew Rau: »Die Ukraine bezahle das Zögern des Westens bei der Lieferung von Leopard-2-Kampfpanzern mit Blut.« Bei der Aufzählung dieser Kriegstreiber durften selbstverständlich US-Politiker nicht fehlen. Der republikanische Senator Lindsey Graham, der Anfang März via Twitter noch die Russen aufgefordert hatte, Putin zu töten[3], gab zum Besten: »Ich habe die Nase voll von der Diskussion darüber, wer Panzer schicken wird und wann sie kommen. Putin versucht, die Landkarte Europas mit Waffengewalt neu zu schreiben. Die Weltordnung steht auf dem Spiel.«
Wie von vielen erwartet, hielt Scholz diesem Druck nicht lange stand. Am 24. Januar 2023 wurde gemeldet, dass Deutschland 14 Kampfpanzer an die Ukraine liefern wird. Es wurde auch berichtet, dass die USA nachgegeben hätten und ebenfalls Abrams-Kampfpanzer liefern würden. Die Kriegshetzer in Politik und Medien jubelten. Bald würden sie Kampfflugzeuge fordern und dann verlangen, dass Bundeswehrsoldaten die Ukraine im Krieg unterstützen. Besorgt fragte die BILD-Zeitung: »Erklärt Putin uns jetzt den Krieg?«[4] und berichtete, dass im russischen Fernsehen gefordert werde, Deutschland zu bestrafen. Die Rede sei auch von Mobilmachung und Atomschlägen.
Es scheint, den Amis ist jedes Mittel recht, die Deutschen vors Rohr zu schieben. Wenn es schlecht läuft und der Krieg sich auf Europa ausweitet, schützt immer noch der Atlantische Ozean davor, dass auch die USA in Mitleidenschaft gezogen werden.
Wie lange will sich eigentlich die Bundesregierung von der Achse Washington-London-Warschau-Kiew, der sich die baltischen Staaten bedingungslos angeschlossen haben, vorführen lassen? Woher kommt nur diese Unterwürfigkeit von Politikern und Journalisten gegenüber den USA und den immer unverschämter auftretenden Osteuropäern, diese »freiwillige Servilität Deutschlands«, die schon Stefan Zweig beklagte.[5] Emmanuel Todd vertritt die Auffassung, Briten und Polen hätten sich an dem von den USA zu verantwortenden Sabotageakt, der zu der Zerstörung der Nordstream-Gasleitungen führte, beteiligt.[6]
Die neue Achse Washington-London-Warschau-Kiew, ergänzt um die baltischen Staaten, spaltet den alten Kontinent, zu dem immer noch auch Russland gehört, und verhindert die Selbstbehauptung Europas. Zu diesem Zweck wurde diese neue Achse von Washington geschaffen. Diese Politik des »Divide et impera« – »Teile und herrsche« ist ein fester Bestandteil der amerikanischen Geopolitik. Als der französische Präsident Jacques Chirac und der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder 2003 die Beteiligung ihrer Länder am völkerrechtswidrigen Irakkrieg ablehnten, antwortete der damalige US-Kriegsminister Donald Rumsfeld auf eine Reporterfrage, warum mehr als 70 Prozent der Bevölkerung der europäischen Verbündeten der USA den Irakkrieg ablehnten: »Sie denken bei Europa an Deutschland und Frankreich. Ich nicht. Das ist das alte Europa.«[7]
Quelle