đŸ Archived View for library.inu.red âș file âș ida-mett-kommune-von-kronstadt.gmi captured on 2023-01-29 at 10:55:31. Gemini links have been rewritten to link to archived content
âĄïž Next capture (2024-07-09)
-=-=-=-=-=-=-
Title: Kommune von Kronstadt Author: Ida Mett Date: 1948 Language: de Topics: Kronstadt, 1900s, 1920s, 1921, Russian Revolution, Russia
Kommune von Kronstadt
Ida Mett
Vorwort 1971
Am 18.3.1971 jÀhrt sich zum 50. Male der Tag, an dem die Kommunarden von
Kronstadt âwie Enten auf dem Teichâ (Trotzki) zusammengeschossen wurden.
Zur gleichen Zeit tagte in Moskau der 10. Parteitag der KPdSU, der sich
neben der offiziellen EinfĂŒhrung des Staatskapitalismus und des
Fraktionsverbotes innerhalb der bolschewistischen Partei (die militanten
Anarchisten und Syndikalisten saĂen in den GefĂ€ngnissen oder waren
liquidiert) dadurch auszeichnete, dass die Parteidelegierten in
Festversammlungen und Ansprachen dem 50 jÀhrigen Bestehen der Pariser
Kommune gedachten.
Die Delegierten der bolschewistischen Partei, die fĂŒr diesen Parteitag,
der fĂŒr die weitere Entwicklung der Parteidiktatur ĂŒber das Proletariat
entscheidend war, durch gekonnte Manipulation ausgesucht waren,
entblödeten sich nicht, sowohl die Festansprache ĂŒber die revolutionĂ€re
Pariser Kommune ĂŒber sich ergehen als sich auch vom ZK der Lenin-Partei
an die âFrontâ schicken zu lassen, um die gegen den SchieĂbefehl auf die
KronstÀdter Kommunarden revoltierenden Rotarmisten moralisch
aufzurĂŒsten.
Die Kommune von Kronstadt wurde liquidiert. Toukhatschewskij, ein
ehemaliger zaristischer General, schrieb einige Jahre spĂ€ter: âIch bin
fĂŒnf Jahre im Krieg gewesen, aber ich kann mich an ein derartiges
Gemetzel nicht erinnern ⊠Eine ganze Kompanie kÀmpfte um ein Haus und
als sie es schlieĂlich eingenommen hatten, fand man nur zwei oder drei
Soldaten mit einem Maschinengewehr.â
Warum war es fĂŒr die Leninisten notwendig, Kronstadt zu liquidieren? Die
Antwort auf diese Frage kann man Punkt fĂŒr Punkt den programmatischen
Forderungen der KronstĂ€dter Kommunarden entnehmen: âHier in Kronstadt
wurde der Grundstein zur dritten Revolution gelegt, die die letzten
Ketten des Arbeiters zerbrechen und ihm den neuen und breiten Weg des
sozialistischen Aufbaues eröffnen wird. Diese neue Revolution wird die
arbeitenden Massen in Ost und West aufrĂŒtteln. Sie wird das Beispiel
eines neuen sozialistischen Aufbaues im Gegensatz zum mechanischen und
regierungsmĂ€Ăigen bolschewistischen âAufbauâ geben ⊠Die Arbeiter und
Bauern gehen unaufhaltsam voran. Sie lassen hinter sich die
Konstituante, mit ihren bĂŒrgerlichen Regime und die kommunistische
Parteidiktatur mit ihrer Tscheka und ihrem Staatskapitalismus, der die
Schlinge um den Hals der Arbeiter warf und sie zu erwĂŒrgen drohte. Die
nunmehr vollzogene Ănderung gibt den arbeitenden Massen endlich die
Möglichkeit, frei gewÀhlte RÀte zu verwirklichen, die ohne gewaltsamen
Druck einer Partei funktionieren. Diese Ănderung wird ihnen auch die
Möglichkeit geben, die verstaatlichten Gewerkschaften in freie
Organisationen der Arbeiter, Bauern und Intellektuellen zu verwandeln âŠâ
(Leitartikel der KronstÀdter Iswestija vom 8.3.1921)
Die praktische Kritik der KronstÀdter Kommunarden an der
massenfeindlichen, selbsternannten Avantgarde der Bolschewiki war der
wirkliche Versuch des Volkes, âsich selbst zu befreien und die soziale
Revolution zu verwirklichenâ (Voline). Dieser Schritt kann nicht durch
die SchmÀhung und Denunzierungen der KronstÀdter Kommunarden als
âweiĂgardistische KonterrevoltionĂ€reâ von der BildflĂ€che gefegt werden.
Vielmehr liegt der Umstand, das Kronstadt nach wie vor â und hier
bewahrheitet sich eine SUPEREINHEITSFRONT aller Parteifetischisten aller
LĂ€nder â als antikommunistische Rebellion, die von Menschewiki,
Anarchisten, SozialrevolutionĂ€ren, WeiĂgardisten und auslĂ€ndischen
Imperialisten angezettelt wurde, denunziert wird, darin, das der
sozialhistorische Gegensatz zwischen der selbststÀndigen Klassenbewegung
und den bĂŒrgerlichen-revolutionĂ€ren Parteistrategen nach wie vor ein
entscheidendes Hindernis auf dem Weg der sozialen Revolution ist, der
historisch bisher immer mit der Niederlage der RĂ€tebewegung endete. Wenn
wir etwas aus der Geschichte lernen können, so dies, das die Ăberwindung
der Partei als historisch ĂŒberholter Form der Arbeiterbewegung in den
neuen und notwendigen KĂ€mpfen der heutigen Bewegung der Arbeiter
praktisch und theoretisch erkÀmpft werden muss. Noch mehr als 1930, wo
Karl Korsch diese EinschĂ€tzung ĂŒber die Möglichkeiten des revolutionĂ€ren
Klassenkampfes gab, gilt fĂŒr uns heute, dass die âauf einer neuen Basis
unter neuen Bedingungen ihre Klassenkraft zu neuen unvermeidlichen
KĂ€mpfen sammelnde Arbeiterklasse sich hĂŒten werden muss, den lebendigen
Inhalt ihrer heutigen Aktion noch einmal an jene lÀngst zu leblosen
Formeln erstarrten ideologischen Formen zu binden, mit denen schon
gestern und vorgestern die verschiedenen Richtungen der sogenannten
ârevolutionĂ€renâ Marxorthodoxie vergeblich versucht haben,
reformistische und bĂŒrgerliche Entartung ihrer âArbeiterpolitikâ
aufzuhalten und abzuwenden.â
Die BekÀmpfung des Neo-Leninismus unter seiner dogmatischsten und
borniertesten Form, wie er sich in den zahlreichen Sekten und Zirkeln
der âLiquidierungsbewegung der anti-autoritĂ€ren Phaseâ groĂmĂ€ulig
produziert, ist an historische Jahresfeiern nicht gebunden. Kronstadt
soll fĂŒr uns nur der Anlass sein, die verschiedensten Gruppen, die sich
in ihrer praktischen und theoretischen Arbeit auf den Boden der
selbststÀndigen Klassenbewegung gestellt haben, zu einer solidarischen
Diskussion ĂŒber die Probleme, Bedingungen und Organisation unserer
heutigen Arbeit zusammenfassen.
SelbststĂ€ndige Klassenbewegung heiĂt fĂŒr uns, dass wir versuchen wollen,
in den gegenwÀrtigen KÀmpfen der Arbeiter, die unter verschiedenen
Formen tagtÀglich stattfinden, die AnsÀtze der neuen Arbeiterbewegung zu
erkennen und von diesen AnsÀtzen her unsere praktische Arbeit zu
bestimmen. FĂŒr uns gilt, dass die Befreiung der Arbeiter das Werk des
Arbeiter selbst sein muss, das die Arbeiter ĂŒber das, was sie
produzieren, ĂŒber wie und warum selbst entscheiden mĂŒssen. Das bedeutet
fĂŒr uns, dass wir all das unterstĂŒtzen werden, was die
Selbstorganisation der Arbeiter, SchĂŒler und Studenten fördern kann und
all das bekÀmpfen, was dieser Selbstorganisation entgegensteht.
Kronstadt-Komitee, Westberlin 1971
Vorwort von 1938
Der Augenblick scheint gekommen, sich ein besseres VerstĂ€ndnis fĂŒr
Kronstadt zu erarbeiten, auch wenn seit 1921 kaum mehr neue Fakten
bekannt geworden sind. Die Archive der russischen Regierung und der
Roten Armee sind fĂŒr eine objektive Analyse nicht zugĂ€nglich. In einigen
offiziellen Veröffentlichungen sind jedoch einige VorgÀnge nÀher
dargelegt worden, wenn gleich stark verzeichnet. Aber schon die Kenntnis
der Sachlage, wie man sie direkt nach dem Ereignis besaĂ, hĂ€tte
ausgereicht, dessen politischen Kern zu enthĂŒllen und das Symptomatische
und Wesentliche fĂŒr die russische Revolution herauszustellen.
Die militanten Arbeiter der westlichen HemisphÀre hatten ein absolutes
Vertrauen in die bolschewistische Regierung. Sie hatte die Arbeiter in
ihrem umfassenden Kampf gegen die feudal-bĂŒrgerliche Reaktion gefĂŒhrt.
Damit war sie in den Augen der Arbeiter die personifizierte Revolution.
So konnte man nicht glauben, dass eben diese Regierung einen
revolutionÀren Aufstand mit grausamsten Mitteln niedergeschlagen haben
sollte. Es war daher den Bolschwisten ein leichtes, diese Bewegung als
reaktionÀr zu disqualifizieren und die Behauptung zu verbreiten, sie sei
von der russischen und europÀischen Bourgeoisie organisiert und
unterstĂŒtzt worden:
âEine Meuterei der weiĂen GenerĂ€le mit Ex-General Koslowskij an der
Spitzeâ, geiferte die russische Presse damals, wĂ€hrend die Matrosen
Kronstadts einen Apell an die ganze Welt richteten:
âGenossen, Arbeiter, Rotarmisten und Matrosen, wir wollen die Macht der
Sowjets und nicht die Macht einer Partei. Wir wollen die freie
Vertretung der Arbeiter. Genossen, lasst Euch nicht verwirren: In
Kronstadt ist die Macht in den HĂ€nden der Matrosen, der Roten Soldaten
sowie der revolutionĂ€ren Arbeiter, nicht in den HĂ€nden der WeiĂen Garde
mit General Koslowskij an der Spitze, wie Euch Radio Moskau weiĂmachen
will.â
Das waren die entgegengesetzten Interpretationen der KronstÀdter
Matrosen und der Kreml-Regierung. â In der Absicht, mit einer objektiven
Analyse der geschichtlichen Ereignisse den vitalen Interessen der
Arbeiterbewegung zu dienen, sind wir entschlossen, diese divergierenden
Thesen im Licht der Fakten und Dokumente zu prĂŒfen und in Zusammenhang
mit den direkt auf die Niederwerfung Kronstadts folgenden Ereignissen zu
setzen.
âDie Arbeiter der ganzen Welt werden ĂŒber uns urteilenâ, hieĂ es im
Radioapell der KronstĂ€dter, âund das Blut der Unschuldigen wird ĂŒber
alle kommen, die im Machtrausch handeln.â Traf diese Voraussage zu?
Wir bringen im folgenden eine Liste derjenigen kommunistischen
FunktionÀre, die in der Niederwerfung des Aufstandes eine aktive Rolle
gespielt haben; man mag daraus ersehen, wie sich ihr Schicksal
gestaltete.
SINOWJEW, allmÀchtiger Diktator Petersburgs, der den mitleidlosen Kampf
gegen die Streikenden und Matrosen inspirierte: ERSCHOSSEN.
TROTZKI, Volkskommissar fĂŒr Krieg und Marine: von einem stalinistischen
Agenten in Mexiko ERMORDET.
LATSCHWITSCH, Mitglied des revolutionÀren Verteidigungsrates und
Mitglied des Verteidigungskomitees gegen die Streikenden von Petersburg:
SELBSTMORD.
DYBENKOW, ehemaliger Matrose, organisierte vor der Oktoberrevolution die
Zentrale der Baltischen Flotte, tat sich in der militÀrischen
Niederwerfung Kronstadts hervor, bis 1938 Kommandant der Garnison und
Region Petersburg: ERSCHOSSEN.
KUSMIN, Kommissar der Baltischen Flotte: VERBLEIB UNBEKANNT, er wurde
nie wieder erwÀhnt.
KALININ blieb als Strohmann im Amt und WĂŒrden. Starb eines natĂŒrlichen
Todes.
TOUKHATSCHEWSKIJ, Kommandant der 7. Armee, plante und leitete den
Angriff auf Kronstadt: ERSCHOSSEN.
PUTNA, ausgezeichnet fĂŒr seine Teilnahme bei der militĂ€rischen
Niederwerfung, spÀter MilitÀrattaché in London: ERSCHOSSEN.
Delegierte des X. Parteitages, die an den Operationen gegen Kronstadt
teilnahmen:
PIATAKOW: ERSCHOSSEN; RUKIMOWITSCH: ERSCHOSSEN; BUBNOW: ABGESETZT und
VERSCHOLLEN; ZATONSKIJ: ABGESETZT und VERSCHOLLEN.
Einzig WOROSCHILOW spielte im II. Weltkrieg noch eine gewisse Rolle.
Zweites Vorwort â 1948
Die Niederwerfung des KronstÀdter Aufstandes liegt nun mehr als ein
Vierteljahrhundert zurĂŒck. Inzwischen ist auf der ganzen Welt soviel
Blut geflossen, so viele aufwĂŒhlende Ereignisse haben die GemĂŒter
bewegt, dass man sich ĂŒber das immer noch vorhandene Interesse an dem
Drama wundern könnte, das sich seinerzeit auf dem Eis der Ostsee
abspielte. Dennoch erwacht heute â nach dem II. Weltkrieg â angesichts
eines Russlands, das eine von jedem sozialistischen Inhalt entblöĂte
imperialistische Macht geworden ist, von neuem und in den verschiedenen
politischen Kreisen die leidenschaftliche Debatte um Kronstadt.
Es geht dabei um die erregenden Fragen:
â Seit wann datiert der Machthunger Russlands?
â Herrschte er schon unter Lenin?
â oder ist er charakteristisch erst fĂŒr die stalinistische Phase der
bolschewistischen Diktatur?
Und wann immer man den prÀzisen Ausgangspunkt dieser Neuorientierung
Russlands auszumachen versucht, fÀllt der berechtigte Hinweis auf
Kronstadt. Der Aufstand der KronstÀdter Matrosen markiert tatsÀchlich
eine Zeitwende: vorher die Phase der SpontaneitÀt, der umfassenden
Bewegung im Volk, der Hoffnung auf die Revolution â danach, bis jetzt,
die Phase der Diktatur, des Oktrois.
In den Resolutionen der AufstÀndischen hat sich der russische common
sense zum letzten Mal machtvoll ausgedrĂŒckt und die zwei entscheidenden
politischen Fragen gestellt, von denen jede objektive Beurteilung des
heutigen Russlands ebenso auszugehen hat wie jeder auf die Zukunft
gerichtete Versuch, das totalitÀre Regime zu vermeiden.
Es sind die Fragen:
â Ist der Aufbau des Sozialismus ohne Freiheit denkbar?
Und:
â Heiligt der Zweck die Mittel?
In erbitterten KĂ€mpfen fiel die Antwort: sie war negativ. Deshalb bleibt
die Sache der AufstÀndischen unvergesslich.
Wir haben die tragische Anwendung des Prinzips âDer Zweck heiligt die
Mittelâ sowohl im Deutschland Hitlers als auch im Russlands Stalins
miterlebt. Wir können jene Ereignisse nicht mehr ignorieren und jene
groĂen Fragen, die uns die revolutionĂ€ren Matrosen Kronstadts aufgegeben
haben, nicht ohne Antwort lassen.
Die vorliegende Studie ĂŒber den KronstĂ€dter Aufstand wurde vor dem Krieg
geschrieben, zu Lebzeiten Trozkis. Ihm haben wir darin, als dem einzigen
autorisierten ReprÀsentanten des Bolschewismus, immer wieder unsere
bohrenden Fragen nach er KronstÀdter Tragödie gestellt. Trotz seines
tragischen Todes wollen wir diesen Text nicht verÀndern, denn die
gestellten Fragen sind nach wie vor gĂŒltig. Wenn dieser Text eines Tages
einigen noch lebenden Altbolschewisten in Russland in die HĂ€nde fallen
sollte , mögen sie wissen, dass wir an sie dachten, als wir diese
Probleme erneut aufwarfen.
Ida Mett â Oktober 1948
I. DIE ROLLE DER FLOTTE IN DER RUSSISCHEN REVOLUTION
I.1 â 1904 â 1906
Die Flotte hat in der revolutionÀren Bewegung Russlands eine
hervorragende Rolle gespielt. In der Revolution von 1905 nahmen die
Matrosen als erste den bewaffneten Kampf auf, um ihn, Jahre spÀter, als
letzte aufzugeben.
Die erste Meuterei der Matrosen am 3. und 4. November 1904 in Sebastopol
hatte keine bestimmte politische Zielsetzung, immerhin aber ein
bestimmtes revolutionÀres Potenzial. Direkter Anlass dieser Revolte war
das an die Matrosen ergangene Verbot, ohne besondere Erlaubnis die
Kasernenhöfe zu verlassen. Es wurden die Flottenkasernen angegriffen,
das See-MilitÀrgericht und WohngebÀude der Offiziere. Durch einige
KanonenschĂŒsse des Panzerkreuzers Pamiat Merkuria wurde der Aufstand
niedergeschlagen. 36 Beteiligte standen am 5. Januar 1905 vor dem
See-MilitÀrgericht von Sebastopol; sie wurden zu harter Zwangsarbeit
verurteilt oder in Strafkompanien eingewiesen.
Dieser Aufstand eröffnete das revolutionÀre Kapitel in der Geschichte
der Schwarzmeerflotte.
1905, aber auch noch 1906, als die revolutionÀre Woge wieder aufzuflauen
begann, kam es gehÀuft in der Marine zu AufstÀnden, die 1905 mehr die
Schwarzmeerflotte, 1906 die Ostseeflotte betrafen.
Im Schwarzen Meer begann die Epoche der AufstÀnde im eigentlichen Sinne
mit der Revolte auf dem Panzerkreuzer Potemkin am 27. Juni 1905; am 30.
Juni schloss sich ihr die Besatzung des Panzerkreuzers Georgij
Pobiedonossiets an, am 2. Juli folgte das Schulschiff Prut. Die
Potemkinergab sich elf Tage darauf in einem rumÀnischen Hafen in
Constanza, die Georgij Pobiedonossiets blieb nur einen Tag im Aufstand,
die Prut drei Tage.
WĂ€hrend der Zeit von Juli bis Oktober 1905 fĂŒhrte die Regierung
Massenverhaftungen durch, allein in Sebastopolwurden im Juli 1905 an die
tausend Seeleute verhaftet.
Die Matrosen schienen sich von diesen MaĂnahmen nicht einschĂŒchtern zu
lassen. Im Oktober 1905 erheben sich die KronstÀdter Matrosen, am 25.
November kommt es zum massenhaften Aufstand in Sebastopol, an dem sich
die Mannschaften von elf Kriegsschiffen beteiligen; diese Ereignisse
beeinflussen sehr schnell die Moral der Flotte. Die Bewegung wird mit
unerhörter HÀrte niedergekÀmpft. Trotzdem ergibt sich die Flotte nicht;
die Initiative zum Aufstand kommt nun von der Ostseeflotte. Allein im
Juli 1906 sind drei Meutereien zu verzeichnen: in Sveaborg, wo der
Aufstand auf alle Inseln und sogar die Festung ĂŒbergreift; in
Helsingfors, in Kronstadt (zweiter Aufstand) und in Reval auf dem
Panzerkreuzer Pamiat Asova.
Welchen Grund hatten die langandauernden Unruhen? Anscheinend bestand
ĂŒber die fĂŒr das damalige Russland eigentĂŒmlichen politischen und
wirtschaftlichen VerhĂ€ltnisse hinaus eine besondere Situation fĂŒr die
Flotte. ZunĂ€chst war die Disziplin Ă€uĂerst streng und willkĂŒrlich: Die
Offiziere behandelten den Matrosen als Untermenschen. Der Matrose kannte
seinerseits nicht seine Rechte noch wusste er genau, was ihm verboten
war. Alles hing von der Laune der Offiziere ab. Aber das moralische
Niveau der Marineoffiziere, die sich ausschlieĂlich aus dem ungebildeten
Adel rekrutierten, war auĂerordentlich niedrig. Folgendes Beispiel
findet sich in der damaligen Presse: Trifft in Kronstadt ein Offizier
einen Matrosen und fragt ihn: âKennst du mich?â â Jawohl, Euer
Exzellenzâ, antwortet der Matrose. âWie ist mein Nameâ, will jetzt der
Offizier wissen. âKennst du meinen Namen nicht?â âNein, Euer Exzellenzâ,
antwortet der Matrose. âDann will ich mich vorstellenâ â und er versetzt
dem Matrosen einen Fausthieb. Dieser Vorfall galt gewissermaĂen als
normal; das Schicksal des Matrosen hing von der WillkĂŒr der Offiziere
ab, die ungeachtet der Vorschrift, âdie menschliche WĂŒrde der
Untergebenen zu achtenâ, auf körperliche Bestrafung hĂ€rtester Art nicht
verzichteten. Nach Berichten von Besatzungsmitgliedern der Potemkin war
mehreren von ihnen bei SchlÀgen ins Gesicht das Trommelfell geplatzt.
Aus technischen GrĂŒnden wurden meistens Facharbeiter zur Flotte
rekrutiert, die mit der revolutionÀren Propaganda schon stark in
BerĂŒhrung gekommen waren. Dieser Umstand wie auch die im Land
herrschende Stimmung spielte eine wichtige Rolle bei den AufstÀnden der
Flotte. Dies steigerte sich in dem MaĂe, wie das Proletariat zum
Bewusstsein seiner WĂŒrde und seines sozialen Wertes gelangte. Die
BrutalitĂ€t und Dummheit der Befehlshaber gossen noch Ăl in das Feuer.
Die feindliche Einstellung gegenĂŒber den Offizieren wuchs und wurde
durch ihr arrogantes Benehmen weiter genÀhrt.
Ein Beispiel ist der Befehl 184 vom 29. April 1905 des Admirals der
Schwarzmeerflotte: Er verbot den Matrosen bei Arreststrafen, bestimmte
StraĂen Sebastopols zu betreten. Einige Tage spĂ€ter befindet sich eine
Gruppe von verwundeten Matrosen, von Port Arthur zurĂŒck, auf dem
Boulevard Istoritscheskij. Hier stand das Denkmal fĂŒr die bei der
Belagerung Sebastopols im Jahre 1855 Gefallenen. Ein Offizier trifft auf
die Matrosen und macht ihnen mit rĂŒden Worten klar, das der Boulevard
fĂŒr â nijnje tschinyâ, fĂŒr einfache Soldaten, gesperrt sei. Die Frage
eines Soldaten: âHaben wir nicht das Recht, Euer Exzellenz, den Boden zu
betreten, auf dem wir unser Blut vergossen haben?â wird mit einigen
Ohrfeigen beantwortet ⊠Solche VorfÀlle ereigneten sich hÀufig und
vertieften von Tag zu Tag den Graben zwischen Matrosen und Offizieren.
Je brutaler die Offiziere in ihrer Reaktion auf den Geist des
Ungehorsams wurden desto entschlossener zeigten sich die Matrosen
aufgeklĂ€rt und unterstĂŒtzt durch die revolutionĂ€re Propaganda. Der
Matrose Retznitschenko von der Potemkin berichtet in seinen
Erinnerungen, dass eines Tages wÀhrend einer illegalen Versammlung der
Matrosen eine von einem Offizier gefĂŒhrte Patrouille zu ihrer Verhaftung
erschien. Ein Matrose fragte den Offizier: âWas wĂŒnschen sie, Euer
Exzellenz?â â âIch befehle ihnen, auseinanderzugehen.â â âAber wir tun
hier nichts Kriminelles.â Der Offizier insistierte: âSie gehen
auseinander oder ich lasse schieĂen.â â âBefehlen Sie nur zu schieĂen?â,
antwortete ihm der Matrose, âKein Mensch wird Ihnen gehorchen. Denn:
heute bin ich hier, aber morgen bin ich vielleicht in einer Patrouille
unter Ihrem Befehl und wenn Sie mir dann, wie jetzt, befehlen, auf meine
Kameraden zu schieĂen, werde ich zuerst auf sie schieĂen.â Daraufhin zog
der Offizier wortlos mit seiner Patrouille ab.
Es muss betont werden, das von den beiden konfigierenden Gruppen der
Matrosen und Offiziere die Matrosen moralisch und bildungsmĂ€Ăig
ĂŒberlegen waren. WĂ€hrend die Offiziere sich ihren Ausschweifungen
hingaben, interessierten sich die weit aufgeschlosseneren Matrosen fĂŒr
politische, moralische und kulturelle Fragen. So brachten sie Helden
hervor, die fĂŒr ihre Klasse zu sterben bereit waren. Um sich ein Bild
davon zu machen, braucht man nur aus dem letzten Brief des Matrosen
Matiutschenkow, des Kronisten des Potemkin-Aufstandes, zu zitieren:
âHeute wird das Urteil gefĂ€llt, stolz sterbe ich fĂŒr die Wahrheit, wie
es sich fĂŒr einen RevolutionĂ€r gehört. Adieu!â Matiutschenkow war keine
Ausnahme, das russische Volk brachte viele Proletarier seines Formats
hervor. In Àhnlicher Weise lehnte der Matrose Petrow von der Prut, dem
vom Kommandanten Begnadigung und Wahl in die Duma garantiert wurden,
wenn er die Namen seiner Kameraden nannte, dieses Angebot mit Empörung
ab. Er wurde mit dreien seiner Kameraden am 24. August 1905 in
Sebastopol erschossen.
Der Offizier Daschkievitsch Gorbatskij fĂŒrchtete diese Entschlossenheit,
als er am 2. MĂ€rz 1906 an den Kommandanten der Schwarzmeerflotte
schrieb: âEuer Exzellenz, entlassen Sie alle Matrosen und Mechaniker der
Schiffe Otschakow und Pantelejmon; weiterhin alle, die am 15. November
die rote Fahne hissten oder indirekt an dem Aufstand teilhatten. Euer
Exzellenz, die ober erwÀhnten Matrosen sind eine ansteckende Gefahr, ein
Wanzennest fĂŒr die Flotte. Es ist besser, wenn die Matrosen, die sich
durch ihre Handlungen am 15. November bloĂgestellt haben, die Marine
verlassen und in ihre Heimat zurĂŒck geschickt werden; fĂŒr sie gibt es
keinen Platz mehr in der Flotte. Es sind bewusste und rachsĂŒchtige
Kanaillen, zu Lebzeiten unverbesserlich. Sie werden nur neuerliche
Unruhen und Meutereien anstiften.â
Die Matrosen litten auch materielle Not. Sie wurden schlecht ernÀhrt,
schlecht gekleidet und ihr Sold war erbĂ€rmlich niedrig, zumal fĂŒr die,
die eine Familie zu ernÀhren hatten. In ihren Flugschriften prangerten
sie die Tatsache an, dass der russische Soldat schlechter ernÀhrt wurde
als der japanische (das war im russisch-japanischen Krieg); wÀhrend der
japanische Staat pro Person umgerechnet 56 Rubel zahlte, waren es in
Russland nur 24 Rubel. Hingegen erhielt Admiral Togo als
Oberbefehlshaber der japanischen Marine 5.6000 Rubel an JahresbezĂŒge,
wĂ€hrend GroĂfĂŒrst Alexeij, erster Befehlshaber der russischen Flotte,
eine Jahresapanage von 108.000 Rubeln bezog. SchlieĂlich machen die
Matrosen den Offizieren, die sie zu ernÀhren und zu kleiden hatten, den
schweren Vorwurf, sie zu ĂŒbervorteilen und ihnen lediglich
Nahrungsmittel schlechtester QualitÀt zu liefern. Es ist also kein
Zufall, das der Anlass fĂŒr den Aufstand auf der Potemkin das verdorbene
Fleisch war, das die Matrosen an jenem Mittag erhalten hatten.
In einem heimlichen Zirkular, abgefasst und unterzeichnet von Matrosen
und Panzerkreuzers Jekaterina II in Zusammenarbeit mit der
sozial-demokratischen Partei, werden folgende Forderungen erhoben:
1. VerkĂŒrzung der Wehrdienstzeit auf drei Jahre (damals sieben Jahre);
2. Genaue Festlegung der tĂ€glichen Dienstzeit (einschlieĂlich
militĂ€rischer Ăbungen und Ausbildungszeiten);
3. Sold in einer den Unterhalt der Familie sichernden Höhe;
4. Kranken- und Unfallversicherung;
5. Direkte Kontrolle der fĂŒr die Beköstigung der Matrosen bestimmten
Gelder;
6. Wahl der Köche aus den Reihen ihrer Kameraden.
Unter den moralischen Forderungen finden sich:
1. Beseitigung militĂ€rischer Titel und der GruĂpflicht gegenĂŒber
Vorgesetzten;
2. Behandlung von Delikten der Matrosen durch ordentliche Gerichte;
3. Neubesetzung der MilitĂ€rgerichte â paritĂ€tisch durch Offiziere und
von ihren Kameraden zu wÀhlende Matrosen, wobei die Vertreter der
Matrosen dieselben rechte wie die Richter im Offiziersrang haben
sollten;
4. Das Recht fĂŒr eine Schiffsmannschaft als Kollektiv, ihre Offiziere
vor Gericht zu zitieren.
Es waren verschiedene Parteien, die damals bei den Matrosen Propaganda
machten: Sozialdemokraten, RevolutionÀre Sozialisten, Anarchisten. Die
gezielteste Arbeit wurde von der Krim-Sektion der sozialdemokratischen
Partei geleistet, die eine eigene Zentrale fĂŒr die Flotte organisiert
hatte. Eine organisierte AufstÀndischen-Gruppe auf der Potemkin gehörte
den Sozialdemokraten an, unter ihnen Matiutschenkow. Es muĂ aber betont
werden, dass der russische Matrose damals in erster Linie Antizarist,
Antifeudalist und Antikapitalist war; fĂŒr die feinen Unterschiede in
Parteiprogrammen war er wenig empfÀnglich. Nach dem Aufstand auf der
Potemkin kam es zu einer Polemik zwischen dem Organ der
Sozialdemokraten, Iskra, und der Zeitschrift der RevolutionÀren
Sozialisten ĂŒber die Frage, welche Partei den gröĂeren EinfuĂ in der
Marine habe. Matitutschenkow schrieb dazu in der Emigration, er gehöre
keiner Partei an (vorher war er Mitglied der Sozialdemokraten gewesen),
denn er habe sich unter den verschiedenen Programmen nicht orientieren
können; aber er werde sich jeder Partei anschlieĂen, die einen
wirkungsvollen Kampf gegen die Herrschenden fĂŒhre. Im Pariser Exil wurde
er Mitglied einer anarcho-syndikalistischen Gruppe. SpÀter kehrte er
illegal nach RuĂland zurĂŒck, wo er verhaftet und gehenkt wurde.
I.2 â 1917
Der bewaffnete Kampf der russischen Marine gegen den Zarismus und das
feudal-bĂŒrgerliche System endete mit der materiellen Niederlage der
Matrosen. Aber das konnte den kÀmpferischen Geist der Marine nicht
erschĂŒttern; die Matrosen hofften auf die Zukunft, auf die Chance, ihre
Toten rÀchen zu können. So sagte der Matrose Tschastnik (er wurde
zusammen mit Leutnant Schmidt und zwei anderen Matrosen â Gladkow und
Antonekow â nach dem Novemberaufstand 1905 standrechtlich erschossen)
seinen Feinden ins Gesicht: âJetzt seid ihr es, die uns töten. Aber
wartet nur â in einigen Tagen, in einem Jahr vielleicht, mag sein in
einigen Jahren, werdet ihr dasselbe Schicksal erleiden, wenn nicht ein
schlimmeres. Werde auch nicht ich es sein, andere werden sich finden,
die uns rĂ€chen.â (Auszug aus der Anklageschrift)
Damit hatte die russische Flotte ihre revolutionÀre Tradition, die ihr
wÀhrend der folgenden reaktionÀren Phase erhalten blieb. Der Weltkrieg
trug nur zu einer VerschÀrfung der revolutionÀren Erbitterung bei. In
einem offiziellen Bericht heiĂt es: âSeit Juli 1915 wurden alle Matrosen
der ersten Besatzung der Baltischen Flotte wegen ihres politischen
Nonkonformismus unter polizeiliche Bewachung gestellt und anschlieĂend
zum Ausgleich von Verlusten der Marinebataillone an die Front entsandt.â
Die Matrosen, die so an die Front von Riga gelangten, sollten eine
wichtige Rolle in der Zersetzung der Armee spielen.
WĂ€hrend des Krieges wurde die Flotte seit 1915 mit Erfolg von den
MilitÀrorganisationen der Sozialdemokratie, der RevolutionÀren
Sozialisten (dem linken FlĂŒgel der Internationale), der Sektion Nord der
Anarcho-Kommunisten, von Tolstoianern und den verschiedenen religiösen
Sekten agitiert. Aber die Kriegsschrecken, die Niederlage an der Front,
die kritische Situation insbesondere auf dem Land (den Matrosen aus
Briefen ihrer Eltern bekannt) trugen vielleicht mehr als die eigentliche
revolutionÀre Propaganda zur Beschleunigung der politischen Entwicklung
in der Flotte bei. Dennoch blieb die militÀrische Disziplin in der
Flotte genauso streng und unmenschlich wie vor dem Krieg.
All dies hat auf die Moral der Flotte gewirkt, als die Revolution
begann. Der erste revolutionÀre Ausbruch in Kronstadt war dann auch von
besonderer Heftigkeit. Eine KronstĂ€dter Matrose: âEs war eine spontane
Entladung â aber genug, um die Vergangenheit auszuradieren.â
Admiral Virren, Festungskommandant und Organisator des Bagno-Regimes,
unter dem die KronstÀdter Matrosen lebten, wurde getötet. Dies war der
erste Sieg einer spontanen Matrosenrevolte, die von der Nachricht der
Petersburger Revolution ausgelöst wurde. Dasselbe geschah Admiral
Boutakow, Virrens engstem Mitarbeiter, sowie vierzig Marineoffizieren.
Weitere 236 Offiziere wurden in den GefÀngnissen von Kronstadt
festgehalten.
Um auch die letzten Schatten der Vergangenheit zu tilgen, fĂŒhrten die
Matrosen und Garnisonssoldaten die prinzipielle WĂ€hlbarkeit der
KommandotrĂ€ger ein. âWir Matrosen und Soldaten haben nach dem Willen des
alten Regimes nur mit HĂ€nden und FĂŒĂen, freilich nicht mit dem Kopf zu
arbeiten gelernt. Aber Ihre Drohungen (dies richtete sich an Marschall
Schukow, Kriegs- und Marineminister der ersten provisorischen Regierung)
gehen an die falsche AdresseâŠHier in Kronstadt haben wir mit unseren
bescheidenen Geistesgaben zu denken begonnen, und wir haben unsere
Vorgesetzten selbst bestimmt, angefangen bei den Kaporalen bis zum
Festungskommandanten. Wollen Sie sich von unseren FĂ€higkeiten
ĂŒberzeugen, so kommen Sie, sehen Sie selbst. Ich versichere Ihnen, dass
die Festung besser als vor dem 1.MĂ€rz auf eine Verteidigung vorbereitet
ist. Dies sagt Ihnen ein einfacher Matrose, Vertreter des freien Volkes.
Dies wird Ihnen Festungskommandant General Gerassimow bestĂ€tigen.â Diese
Verteidigung des WĂ€hlbarkeitsprinzips wurde am 25. April 1917 in der
KronstÀdter Iswestija veröffentlicht.
Um auch nach auĂen hin die Demokratisierung der Flotte zu symbolisieren,
wurde in Kronstadt das Tragen von Schulterklappen bei der Marine und der
Festungsgarnison als Zeichen militÀrischer AutoritÀt abgeschafft. Der
Kriegsminister wurde veranlasst, diese Ănderungen zu bestĂ€tigen. Admiral
Maximow veröffentlichte die Order: âDa die militĂ€rische Uniform in ihrem
Aussehen an das alte Regime erinnert, befehle ich hiermit allen
Einheiten, das Tragen von Epauletten zu unterlassen. An ihre Stelle
treten Tressen; Muster werden kĂŒrze dafĂŒr ĂŒbersandt.â Zwei Tage spĂ€ter,
am 30. April 1917, erlieĂ der Kriegsminister eine Order, in der er die
Abschaffung der SchulterstĂŒcke bestĂ€tigte â aber nur fĂŒr die Flotte.
Ăbergriffe gegen EpaulettentrĂ€ger in der Armee wurde mit strenger Strafe
bedroht.
Bald wurde Kronstadt zum Mekka der Revolution: Delegationen von der
Front, Delegationen aus dem Hinterland pilgerten dorthin. Zum Teil war
es ĂŒbrigens die bĂŒrgerliche Presse, die Kronstadt seinen revolutionĂ€ren
Ruf aufprĂ€gte; sie gab ihm auch die Bezeichnung âRepublik Kronstadtâ ,
was den Vorwurf des Separatismus und Anarchismus enthielt.
Die im folgenden abgedruckte EntschlieĂung einer KronstĂ€dter RĂ€tesitzung
vom 26. Mai 1917 musste allerdings auch die Bourgeoisie in besondere
Erregung versetzen (diese Resolution, die erstmals alle Macht in die
HĂ€nde des Sowjets von Kronstadt legte, leitete die MachtĂŒbernahme der
RĂ€te im ganzen Lande ein):
âDie Regierungsgewalt der Stadt Kronstadt liegt von nun an in den HĂ€nden
der DeputiertenrÀte der Arbeiter und Soldaten. Angelegenheiten, die das
ganze Land betreffen, werden von diesen Sowjets im Einvernehmen mit der
provisorischen Regierung beschlossen.
Alle Verwaltungsbehörden der Stadt Kronstadt werden mit Mitgliedern des
Exekutivausschusses besetzt, der zu diesem Zweck um eine entsprechende
Anzahl von Mitgliedern aus den Reihen der Sowjets erweitert wird.
Die einzelnen Funktionen in den Verwaltungsbehörden werden im VerhÀltnis
ihrer StĂ€rke auf die politischen Fraktionen verteilt; diese sind fĂŒr die
GeschĂ€ftsfĂŒhrung ihrer ReprĂ€sentanten verantwortlich.
Der Vorsitzende des Exekutivausschusses des Deputiertenrates der
Arbeiter und Bauern: Deputierter Lamanow
Der SekrĂ€ter: Prisselkowâ
(Diese Resolution wurde mit 211 gegen 41 Stimmen bei einer Enthaltung
angenommen.)
Diese Entscheidung des KronstÀdter Sowjets wirkte wie ein Donnerschlag.
Sowohl die provisorische Regierung als auch die Presse starteten eine
Verleumdungskampagne gegen die âRepublik von Kronstadtâ, warfen ihr die
verschiedensten Ausschreitungen vor, insbesondere eine verbrecherische
Disziplinlosigkeit, die die Sicherheit der Nordfront bedrohte und das
revolutionĂ€re Petersburg strategisch gefĂ€hrdete. Dieses GerĂŒcht breitete
sich an der ganzen Front aus, bis in die entlegensten Provinzen. Aber es
zeitigte eine Reaktion, die die Interessen seiner Urheber durchkreuzte:
die Delegation, die nach Kronstadt kamen, waren desto mehr begeistert
von dem dort herrschenden Enthusiasmus fĂŒr die Arbeiterdemokratie.
Diese Delegationen besichtigten Schiffe, Kasernen, Fabriken und Werften.
Ihre EindrĂŒcke gibt ein Bericht der Nordfront-Delegation wieder:
âKameraden, an der Front geht ein GerĂŒcht um, das besagt, in Kronstadt
herrsche die vollkommene Anarchie, Petersburg sei den Feinden
ausgeliefert, die dortige Festung sei zerstört. Mit diesem GerĂŒcht
versucht man, unser Vertrauen in Kronstadt zu erschĂŒttern. Unsere
Kameraden haben uns gewÀhlt, um die VorgÀnge in diesem Zentrum der
Revolution zu beobachten. Zu unserer Freude können wir sagen: Wir haben
hier eine vorbildliche Organisation angetroffen.â (Iswestija Kronstadt,
5. Mai 1917)
In Kronstadt konzentrierte der Sowjet alle Macht auf sich, wobei ihm die
Matrosen und Soldaten bedingungslos Folge leisteten. Er entschied in
politischen Fragen genauso wie in moralischen; beschloss zum Beispiel in
einer Sitzung vom 17.-19. Mai das völlige Verbot des Alkoholgenusses.
Nach zeitgenössischen Berichten wurde dieses Verbot von der Mehrheit der
Matrosen befolgt, was angesichts der Situation von betrÀchtlicher
Bedeutung war.
Der Sowjet stand in stÀndigem Kontakt mit dem Jakornaijaplatz, dem Forum
von Kronstadt. Jeden Abend fanden dort Massenversammlungen statt, in
denen in aller Freiheit die aktuellen politischen Probleme diskutiert
wurden.
Nach Auskunft verschiedener Quellen war die Stimmung in diesem Publikum
von Matrosen und Soldaten weit radikaler als die Ansichten der Redner,
die sich oftmals, wollten sie nicht ihre Beliebtheit verlieren, diesem
allgemeinen Ton anpassen mussten. Den gröĂten Erfolg hatten wie
gewöhnlich Sprecher aus den Reihen der Bolschewiken, der Anarchisten und
zum Teil der Linken RevolutionÀren Sozialisten. Dieses Forum von
Kronstadt war gewissermaĂen ein politisches Stimmungsbarometer, nach
dessen AusschlÀgen die Parteien ihre Taktik richteten.
In Kronstadt hatte man ein wachsames Auge auf die Situation im Land und
an der Front, wobei man stÀndig Kontakt mit Petersburg hielt. In jeder
Situation, die eine rasche Entscheidung erforderte, schickte Kronstadt
seine Delegierten zu den Beratungen. Umgekehrt versicherte sich
Petersburg vor jeder gröĂeren Unternehmung der UnterstĂŒtzung der
KronstĂ€dter Matrosen. Diese lieĂen sich nie lange bitten, zumal nach den
Ereignissen im Juli und Oktober.
Am 3. Juli marschierten mehr als 2000 bewaffnete Matrosen durch die
StraĂen von Petersburg. Sie verbreiteten Furcht und Schrecken in der
Bourgeoisie der Hauptstadt. Im Oktober schickte Kronstadt neben anderen
Zentren der Baltischen Flotte, beispielsweise Helsingfors, Kriegsschiffe
an die NevamĂŒndung â ein entscheidendes Element in der Entwicklung des
Aufstandes. Dazu Trotzki in seiner Geschichte der Russischen Revolution
(Band 4. Seite 304): âIn der Planung des Aufstandes setzte Smolny groĂe
Hoffnungen auf die baltischen Matrosen. Er sah in ihnen Kampftruppen von
proletarischer Entschlossenheit, die zugleich eine vorzĂŒgliche
militĂ€rische Ausbildung besaĂen.â Es waren dann auch die Matrosen, die
im Oktober die Telegraphenzentrale der Regierung, die Staatsbank und
andere Punkte besetzen, die strategische Bedeutung fĂŒr den Ausgang des
Aufstandes hatten. Und es waren die Matrosen, die sich mit am aktivsten
fĂŒr die Stabilisierung des neuen Regimes einsetzten. An allen Fronten
des BĂŒrgerkrieges kĂ€mpften ihre Truppen.
Nach der Niederlage des Juli-Aufstandes glaubte die provisorische
Regierung, ĂŒber den linken FlĂŒgel der Revolution gesiegt zu haben. Ihre
ersten Repressalien waren gegen Kronstadt gerichtet. Am 7. Juli 1917
schickte Kerenskij diese Depesche an den Sowjet von Kronstadt: âSeit dem
Beginn der Revolution sind in Kronstadt und auf einigen Kriegsschiffen
unter dem Einfluss deutscher Agenten stehende Personen aufgetreten, die
zu Handlungen auffordern, welche die Revolution und die Sicherheit des
Vaterlandes gefĂ€hrden. WĂ€hrend unsere wachsende Armee unter groĂen
Verlusten ihren heldenhaften Kampf mit dem Feind aufnimmt, wÀhrend die
der Demokratie treue Flotte tapfer und unverweilt ihre schweren Aufgaben
versieht, fallen Kronstadt und einige Kriegsschiffe â an ihrer Spitze
die Respublica und die Petropawlowsk â ihren Kameraden in den RĂŒcken.
Sie befĂŒrworten Resolutionen gegen den Angriff an den Fronten, sie
fordern auf zum Ungehorsam gegen die in der provisorischen
demokratischen Regierung verkörperte revolutionÀre Macht, sie versuchen,
den Willen der VolksreprÀsentanten in den DeputiertenrÀten der Arbeiter,
Soldaten und Bauern unter Druck zu setzen. Gleichzeitig mit der
Offensive unserer Armee kam es in Petersburg zu Unruhen, die die
Revolution bedrohten und unsere Armee gefÀhrdeten. Als auf Anforderung
der provisorischen Regierung, im Einvernehmen mit dem Exekutivausschuss
der Deputiertensowjets der Arbeiter, Soldaten und Bauern, rasch und
entschlossen gegen jene KronstÀdter vorgegangen werden sollte, die an
volksfeindlichen Umtrieben teilgenommen hatten und die RĂŒckfĂŒhrung der
Kriegsschiffe nach Petersburg befohlen wurde, haben die Feinde des
Volkes und der Revolution unter Einschaltung des Zentralkomitees der
Baltischen Flotte Uneinigkeit in den Mannschaften provoziert, indem sie
diese MaĂnahmen verzerrt zur Darstellung brachten; diese VerrĂ€ter haben
sich der RĂŒckfĂŒhrung revolutionstreuer Schiffe nach Petersburg
widersetzt, sie haben MaĂnahme verhindert, die darauf zielten, dem vom
Feind gesteuerten Unruhen ein Ende zu setzen. Dieselben VerrÀter haben
die Mannschaften zu angeblich spontanen Aktionen verleitet, wie zu der
Absetzung des Generalkommissars Onipko, zu der Verhaftung des Adjutanten
des Kriegsministers, KapitÀn Dudorow, zur Vorlage einer ganzen Reihe von
Forderungen an den Exekutivausschuss des Panrussischen Sowjet-Kongress.
Der Verrat einiger Personen zwingt die provisorische Regierung dazu, die
Verhaftung der RĂ€delsfĂŒhrer sowie der nach Petersburg gekommenen
Delegation der Baltischen Flotte zu befehlen.
Aufgrund der angefĂŒhrten Fakten befehle ich:
1. die unverzĂŒgliche Auflösung und Neuwahl des Zentralkomitees der
Baltischen Flotte;
2. sÀmtliche Mannschaften der Baltischen Flotte von meinem Befehl
Kenntnis zu geben, das jeder VerdĂ€chtige unverzĂŒglich zu verhaften ist,
der zu Widerstand gegen die provisorische Regierung auffordert oder sich
öffentlich gegen die Offensive ausspricht. Diese Personen sind zu Verhör
und Verurteilungen nach Petersburg zu bringen;
3. Ich befehle den Mannschaften der Schiffe Petropawlowsk, Respublica
und Slava, innerhalb von 24 Stunden die RĂ€delsfĂŒhrer der Revolte zu
verhaften und zum Zwecke der Einvernahme und Verurteilung nach
Petersburg zu bringen; ich befehle ihnen ferner, sich allen MaĂnahmen
der provisorischen Regierung zu unterwerfen.
Falls die Bevölkerung von Kronstadt und die Mannschaften der genannten
Schiffe meinem Befehl nicht nachkommen, werden sie als HochverrÀter ab
Revolution und Vaterland betrachtet und behandelt werden, und die
Regierung wird mit den hÀrtesten Mitteln gegen sie einschreiten.
Genossen, dieser Verrat bringt das Vaterland an den Rand des Abgrundes;
seine Freiheit und die Errungenschaften des Revolution sind tödlich
bedroht. Schon beginnt die deutsche Armee den Angriff auf unsere Front;
jederzeit ist mit einem entscheidenden VorstoĂ der feindlichen Flotte zu
rechnen, die sich unsere Verwirrung zunutze macht. Um das zu verhindern,
bedarf es entschiedener und strenger MaĂnahmen. Die Armee hat diese
MaĂnahmen bejaht, die Flotte wird sie ebenfalls anzunehmen haben.
Im Namen des Vaterlandes, der Revolution, der Freiheit, fĂŒr das GlĂŒck
der arbeitenden Bevölkerung fordere ich euch auf: steht geschlossen
hinter der provisorischen Regierung und den demokratischen,
panrussischen Staatsorganen, pariert die Attacken der Feinde, schĂŒtzt
euch vor dem Dolchstoà der VerrÀter.
Der Minister fĂŒr Krieg und Marine: Kerenskijâ
SelbstverstÀndlich lehnte Kronstadt alle Forderungen Kerenskijs ab.
AnlĂ€sslich der Diskussion ĂŒber diese Depesche im KoronstĂ€dter Sowjet
bemerkte der Bolschewik Raskolnokow: âSolange es in Russland eine
Arbeiterbewegung gibt, haben streikende Arbeiter Àhnliche Aufforderungen
zur Denunzierung ihrer AnfĂŒhrer mit dem mutigen Satz beantwortet: âUnter
uns gibt es keine RĂ€delsfĂŒhrer, wir alle sind RĂ€delsfĂŒhrer des Streiks.â
Wenn wir dem Beispiel unserer revolutionÀren VÀter folgen wollen, sind
wir zu der selben Antwort verpflichtet.â
Dreieinhalb Jahre spÀter verlangte die bolschewistische Regierung von
den KronstĂ€dter Matrosen abermals: Nennt eure AnfĂŒhrer! Und die
KronstĂ€dter Matrosen antworteten abermals mit einem kategorischem Nein â
gemÀà den alten revolutionÀren Traditionen von Flotte und Proletariat.
Das Kronstadt von 1921 stand in der ungebrochenen Tradition von 1917.
Jene, die im Jahre 1921 mitgemordet haben, wollen das nicht wahrhaben.
Aber Trotzkis Theorie , nach der Kronstadt damals seine besten Elemente
schon verloren haben soll, ist nicht aufrechtzuerhalten. Kronstadt war
nicht weniger erschöpft als das ganze Land, das sich mĂŒhsam vom
BĂŒrgerkrieg erholte. Hatten die Matrosen wertvolle KrĂ€fte verloren, so
hatte es die bolschewistische Partei nicht minder. (Aber das hinderte
sie nicht an der AusĂŒbung einer absoluten Herrschaft ĂŒber das Land und
das Proletariat.) Trotzki spricht von âKulakengeistâ in der Flotte. Wenn
es solches 1921 in einem gewissen Ausmaà tatsÀchlich gegeben hat, so
fand es sich auch schon 1917. (Und wie will Trotzki ĂŒbrigens
âKulakengeistâ identifizieren?) Und das hinderte die Flotte nicht daran,
ihre bedeutende Rolle in der sozialen Revolution zu spielen.
Alle Quellen berichten ĂŒbereinstimmend, das der Hass der KronstĂ€dter
Matrosenauf die provisorische Regierung hauptsÀchlich deren Agrarpolitik
galt. Bei einer Demonstration in der Petersburger StraĂe verhafteten am
3. Juli KronstÀdter Matrosen den Landwirtschaftsminister Tschernow,
einen Mann des rechten FlĂŒgels der RevolutionĂ€ren Sozialisten,
zweifellos wegen seiner Politik der Sabotage. âMan hegte fĂŒr diesen
âMinister der Statistikâ die allergröĂte Abneigungâ in der Kreisen
landstÀmmiger Matrosen und Soldaten, die Raskolnikow in seinen
Erinnerungen berichtete. Dieser Vorfall hinderte Trotzki ĂŒbrigens nicht,
der eben noch Tschernow vor der Lynchjustiz der Matrosen gerettet hatte,
sie am selben Tag als den âStolz und den Ruhm der russischen Revolutionâ
zu bezeichnen.
TatsÀchlich hatten 1917 weder das russische Proletariat noch
insbesondere die KronstÀdter Matrosen ihre Beziehung zum Land verloren.
Aber es wÀre falsch zu sagen, dass zwischen 1917 der Anteil der Kulaken
in der Flotte zugenommen hÀtte.
Trotzkis Theorie erweist sich mithin als untauglich, die Tragödie von
Kronstadt zu erklÀren. Wir versuchen, Einsicht zu gewinnen, in dem wir
den Akten und Dokumenten folgen, wenngleich Trotzki uns lehrt, die wahre
historische Forschungsmethode bestehe nicht darin, den Dokumenten âaufs
Wortâ zu glauben. Diese Maxime wurde schon vor Trotzki aufgestellt; wir
aber werden ihr nicht folgen.
II. DIE ENTWICKLUNG ZUM AUFSTAND VON KRONSTADT
II.1 â FunktionĂ€rskarrieren und Massenelend
Der KronstÀdter Aufstand ereignete sich drei Monate nach der Auflösung
der letzten Fronten des BĂŒrgerkrieges im europĂ€ischen Russland.
Nach dem siegreichen Ende dieses Krieges befand sich die arbeitende
Bevölkerung in einer permanenten Hungersnot, auf Gnade und Ungnade dem
diktatorischem Regime eines totalitÀren Staates ausgeliefert, der von
einer einzigen Partei beherrscht wurde. Aber der Generation der
OktoberkÀmpfer standen die Parolen der Revolution noch frisch im
GedÀchtnis, erinnerten sie an das Ziel: eine neue Welt zu bauen. Diese
Oktobergeneration, zu der hervorragenden proletarische KrÀfte zÀhlten,
hatte mit blutendem Herzen die zeitweilige AuĂerkraftsetzung der Parolen
von Freiheit und Gleichheit akzeptiert, die, wenn nicht unvertrÀglich,
so doch schwer vereinbar mit einer kriegerischen Ausnahmesituation
waren. Als aber nun der Krieg siegreich beendet war, gab es fĂŒr das
Stadtproletariat, die Matrosen, die roten Soldaten, die Tagelöhner, fĂŒr
alle, die im BĂŒrgerkrieg ihr Blut gelassen hatten, keinen plausiblen
Grund fĂŒr die Hungersnot und den Zwang zum blinden Gehorsam gegenĂŒber
einer militÀrisch strengen Disziplin.
WÀhrend die einen an der Front kÀmpften, hatten die anderen, die
Organisatoren des Staates, ihre Position gefestigt und dabei zusehens
den Kontakt zur arbeitenden Bevölkerung verloren. Die BĂŒrokratie
hypertrophierte, der Staat geriet immer mehr in die HĂ€nde von
Karrieremachern. Bald galt im Alltagsleben ein Proletarier ohne
Parteimitgliedschaft unendlich viel weniger als ein Angehöriger des
alten Adels oder der Bourgeoisie, wenn dieser nur Parteimitglied war.
Die Freiheit der Kritik war beseitigt. Jeder Proletarier konnte in dem
Versuch, seine Rechte oder seine Klassenehre zu verteidigen, von jedem
beliebigen Kommunisten als konterrevolutionÀr diskriminiert werden.
Mit der industriellen und landwirtschaftlichen Produktion ging es in
schwindelerregendem Tempo abwÀrts. Den Fabriken mangelte es vollkommen
an Rohmaterialien, die Maschinen waren abgenutzt und vernachlÀssigt. Das
Proletariat verwandte seine ganze Kraft darauf, lediglich den
individuellen Hunger zu stillen. DiebstÀhle in der Fabriken wurde zur
selbstverstĂ€ndlichen EntschĂ€digung fĂŒr unterbezahlte Arbeit; die
tĂ€glichen massenhaften AusschlieĂungen durch Tscheka-Trupps Ă€nderten
daran nichts.
Die Proletarier, die noch Verbindung zur Landbevölkerung hatten, gingen
auf Hamsterfahrt; Lebensmittel im Tausch gegen alte Kleider, ZĂŒndhölzer,
Salz. Die ZĂŒge waren voll von ihnen, die tausend Schwierigkeiten
meisterten, um Lebensmittel in die ausgehungerten StÀdte zu bringen und
die oftmals erbittert zusehen mussten, wie ihnen Milizstreifen die von
weither transportierte Last Mehl oder Kartoffeln wieder abnahmen.
Bei den Bauern ĂŒberwog die Angst vor hohen Naturalabgaben die Angst vor
Hungersnot nach schlechter Ernte â und sie drosselten die Aussaat.
Schlechte Ernten waren zwar nicht selten, in normalen Zeiten wurden aber
viel gröĂere AckerflĂ€chen bestellt, um Reserven fĂŒr schlechte Zeiten zu
bringen.
Die Situation vor dem Aufstand von Kronstadt war also durch eine
schreckliche Diskrepanz zwischen Versprochenem und Verwirklichtem
gekennzeichnet. Diese Diskrepanz war die eigentliche Ursache der
Revolte.
FĂŒr die Flotte kam aber noch ein weiterer Konflikt hinzu. Nach dem
Frieden von Brest-Litowsk hatte die Regierung eine totale Reorganisation
der Armee initiiert. Insbesondere wurde eine strenge Disziplin
eingefĂŒhrt, die unvereinbar war mit dem Prinzip der WĂ€hlbarkeit der
Offiziere durch ihre Untergebenen. An die Stelle des demokratischen
Geistes, der zu Beginn der Revolution geherrscht hatte, trat die
Herrschaft einer ganzen neuen Hierarchie. In der Flotte hingegen war aus
sachlichen GrĂŒnden eine entsprechende Reorganisation unmöglich, da
hochqualifizierte KrÀfte nicht einfach ersetzt werden konnten. Hier
hatten die alten revolutionÀren BrÀuche bestand; ein Rest der 1917
errungenen Freiheiten blieb den Matrosen erhalten.
Der Zustand war unvereinbar mit den in der Armee herrschenden
VerhÀltnissen, also konnte er nicht dauern. Diese Spannung zwischen der
Massenbasis der Flotte und dem Oberkommando der Armee verschÀrfte sich
schlagartig mit dem Ende des BĂŒrgerkrieges im europĂ€ischen Russland.
Unzufriedenheit fand sich genauso bei parteilosen Matrosen wie bei
Mitgliedern der Partei. Alle Versuche, die Flotte âdurch EinfĂŒhrung des
Geistes der Armee zu disziplinierenâ, stieĂen seit 1920 auf aktiven
Widerstand. Zof, ein Mitglied des RevolutionÀren Kriegsrates der
Baltischen Flotte, wurde öffentlich als âDiktatorâ gebrandmarkt. Der
BĂŒrokratismus und die Distanz zwischen Masse und FĂŒhrung wurde
wiederholt seit der II. Konferenz der kommunistischen Matrosen von 1921
kritisiert. Diese Haltung fand auch ihren deutlichen Ausdruck anlÀsslich
der Wahlen zum 8. Sowjet-Kongress im Dezember 1920, als eine groĂe
Anzahl von Marinesoldaten demonstrativ die Wahlversammlung auf dem
Petersburger Ankerplatz verlieĂ, um öffentlich gegen die Wahl von
FunktionÀren des Politotdijel und des Komflott zu protestieren. Diese
beiden Organisationen besaĂen die politische Kontrolle ĂŒber die Flotte.
Am 15. Februar 1921 verabschiedete die II. Konferenz kommunistischer
Matrosen der Baltischen Flotte mit einer Beteiligung von 300 Delegierten
diese Resolution:
âDie II. Konferenz kommunistischer Matrosen beurteilt die Arbeitsweise
der Pubalt (der politischen Sektion der Baltischen Flotte) als schlecht
und erkennt in ihr die Ursache folgender MissstÀnde:
1. Der Pubalt hat sowohl den Kontakt zu den Massen als auch zu den
aktiven FunktionĂ€ren verloren. Er ist zu einem bĂŒrokratischen Organ
geworden, dessen AutoritÀt von den Matrosen nicht anerkannt wird;
2. In der Arbeit des Pubalt lÀsst sich ein vollkommener Mangel an
Planung und System erkennen; sie geschieht nicht in Ăbereinstimmung mit
dem ZK und den BeschlĂŒssen des 9. Parteitages;
3. Der Pubalt hat in seiner Loslösung von den Massen jede lokale
Initiative erstickt und die gesamte politische Arbeit in Papierkrieg
verwandelt, was sich negativ auf die Organisation der Massen in der
Flotte ausgewirkt hat; in der Zeit von Juni bis November haben 20% der
kommunistischen Matrosen die Parteimitgliedschaft aufgegeben, was den
falschen Methoden und Verfahrensweisen des Pulbalt zuzuschreiben ist;
4. Die Konferenz unterstellt, dass die Ursachen dieser MissstÀnde direkt
im Organisationsprinzip des Pubalt zu suchen sind und das dieses Prinzip
in Richtung auf eine gröĂere Demokratisierung zu modifizieren ist.â
Eine Reihe von Abgeordneten forderte in ihren AusfĂŒhrungen die âvöllige
Abschaffung der politischen Sektionen in der Flotteâ, eine Parole, die
spĂ€ter von den KronstĂ€dter AufstĂ€ndischen ĂŒbernommen werden sollte. All
dies waren Argumente der berĂŒhmten Syndikalismus-Diskussion, die dem 10.
Allrussischen Parteikongress vorausging.
In den zeitgenössischen Dokumenten erkennt man immer wieder den Willen
der bolschewistischen FĂŒhrer, unter ihnen Trotzki, sich den GrĂŒnden fĂŒr
die Unzufriedenheit der Arbeiter und ehemaligen Soldaten zu
verschlieĂen, neben der Absicht, ihre militĂ€rischen Methoden auf das
Alltagsleben zu ĂŒbertragen, insbesondere in den Fabriken und
Gewerkschaftsorganisationen.
In dieser Syndikalismus-Diskussion bezogen die baltischen Matrosen einen
von Trotzki deutlich abgesetzten Standpunkt. In den Wahlen zum 10.
Parteitag entschied sich die Flotte gegen ihre unmittelbaren FĂŒhrer:
gegen Trotzki, den Volkskommissar fĂŒr Krieg und Marine, und gegen
Raskolnikow, den Chef der Baltischen Flotte, die beiden in der
Gewerkschaftsfrage gleicher Ansicht waren.
Gleichzeitig protestierten die Matrosen gegen die allgemeine Situation
im Lande durch massenhaften Austritt aus der Partei. Allein im Januar
1921 verlieĂen nach Aufzeichnungen Sorins, des Kommissars von
Petersburg, 5000 Matrosen die Partei.
Es steht auĂer Zweifel, dass die parteiinternen Diskussionen eine
erhebliche psychologische Rolle spielten: das Problem war wichtig genug,
um ĂŒber die Parteiorganisation hinaus die Massen der Arbeiter, Soldaten
und Matrosen zu beschÀftigen. Die leidenschaftliche Diskussion hatte als
Katalysator gewirkt; das Proletariat hatte logisch ĂŒberlegt: Wenn den
Parteimitgliedern Diskussion und Kritik erlaubt waren, warum dann nicht
den breiten Massen, die alle Belastungen des BĂŒrgerkrieges erduldet
hatten?
In seiner Rede auf dem 10. Parteitag unterstrich Lenin sein Bedauern,
diese Diskussion ĂŒberhaupt zugelassen zu haben: âMit der Zulassung
dieser Diskussion haben wir zweifellos einen Fehler begangen. Zu Beginn
des FrĂŒhjahres voller Schwierigkeiten konnte diese Debatte nur Schaden
stiften.â
II.2 â Die Entwicklung in Petersburg
Der Winter 1920/21 brachte fĂŒr Petersburg besondere HĂ€rten, obwohl die
Bevölkerung der Stadt damals um zwei Drittel abgenommen hatte. Schon vor
der Revolution im Februar hatte ein gewisser Mangel geherrscht, der von
Monat zu Monat zunahm. Die Lage wurde dadurch verschÀrft, dass
Petersburg schon immer zu einem groĂen Teil durch Einfuhr aus anderen
Landesteilen versorgt worden war. WĂ€hrend der Revolution war die
Landwirtschaft jener Gebiete kaum in der Lage, die Hauptstadt zu
ernÀhren. Zudem machte der katastrophale Zustand der Transportmittel
eine Einfuhr unmöglich. Die unablÀssig wachsende Spannung zwischen Stadt
und Land tat ein ĂŒbriges, auch anderwĂ€rts die Bevölkerung der StĂ€dte
hungern zu lassen.
Dazu kamen noch die SchwerfĂ€lligkeit der BĂŒrokratie und die Habsucht der
fĂŒr die Versorgung zustĂ€ndigen Stellen, deren Funktion in der ErnĂ€hrung
der Bevölkerung fast nur negativ zu werten war. Wenn die Einwohner
Petersburgs damals nicht verhungert sind, so haben sie das nur ihrer
Eigeninitiative zu verdanken. Man besorgte sich zu essen, indem man
nahm, wo man fand.
In Russland blĂŒhte der Tauschhandel. Obgleich auf dem Lande der Anbau
reduziert war, hatte man doch noch VorrÀte, die man allerdings nur gegen
Mangelware wie Salz, ZĂŒndhölzer, Schuhe, Petroleum und Ă€hnliches
einzutauschen bereit war. Diese suchte sich die Stadtbevölkerung mit
allen Mitteln zu beschaffen. Das gelang zwar nur in ganz geringem
AusmaĂ, immerhin reprĂ€sentierten diese GĂŒter, wie man damals sagte, die
einzige WĂ€hrung von Wert. DafĂŒr gab es einige Kilo Kartoffeln, ein wenig
Mehl. So hielt man sich am Leben, vorausgesetzt, man entging den
ansteckenden Krankheiten. Damals fuhren lediglich ungeheizte GĂŒterwagen,
dicht gedrÀngt die Menschen darin, Rucksack an Rucksack. Oft blieb der
Zug auf der Strecke stehen, der Brennstoff war ausgegangen, die
Reisenden stiegen aus und sammelten Holz.
Offiziell gab es keine MĂ€rkte mehr. Aber in fast jeder Stadt blĂŒhte der
Schwarze Markt, halb im geheimen, halb unter den zugedrĂŒckten Augen des
Gesetzes. So auch in Petersburg, als plötzlich im Sommer 1920 auf
Anordnung Sinowjews der Handel völlig liquidiert wurde.
Doch der Staat war nicht bereit und in der Lage, die Stadt zu ernÀhren.
Die wenigen noch existierenden GeschÀfte wurden behördlich geschlossen
und versiegelt. In diesem Augenblick nahm das Hungerelend ĂŒberhand, da
es durch keine private Initiative mehr kompensiert werden konnte. Im
Januar 1921 erhielten: Arbeiter am Hochofen â 800 Gramm Schwarzbrot; in
der Metallverarbeitung â 600 Gramm; Inhabern von Lebensmittelkarten
zwischen 400 und 200 Gramm pro Tag. Dabei muss man bedenken, dass
Schwarzbrot damals noch das Hauptnahrungsmittel des russischen Arbeiters
war.
Diese offiziellen Rationen wurden nun aber weder regelmĂ€Ăig noch in
voller Höhe ausgeteilt. So kamen etwa Transportarbeiter nur in den
Genuss von 700 bis 1000 Kalorien pro Tag und auch das nur unregelmĂ€Ăig.
Dazu kam der Mangel an Heizmaterial, Kleidung und Schuhen.
Nach offiziellen Angaben betrug der Arbeitslohn eines Petersburger
Arbeiters 1920 etwa 8,9% seines Einkommens von 1913 (ca. 3 Rubel
monatlicher Reallohn).
Stadtflucht setzte ein. Was blieb, war jenes echte Stadtproletariat, das
keine Verbindung zur Landbevölkerung hatte. Wer noch Eltern auf dem Land
hatte, ging zu ihnen. Dies muss im Gegensatz zur offiziellen Version
gesagt werden, die die Petersburger Streikbewegung aus der Anwesenheit
eines von der proletarischen Ideologie unzureichend belehrten Landvolkes
herleiten will. Die paar tausend Arbeitsdienstsoldaten in Petersburg
konnten dieses Bild nicht verÀndern. Es waren die Proletarier
Petersburgs, Veteranen zweier vergangener Revolutionen, die das
klassische Klassenkampfproblem zur Anwendung brachten â den Streik.
Am 23. Februar wird in den Trubotschnij-Werken der erste Streik
ausgerufen. Am 24. organisieren diese Streikenden eine
StraĂendemonstration. Sinowjew stellt ihnen Offizierskadetten entgegen.
Die Streikenden suchen Kontakt mit der Besatzung der âFinnland-Kaserneâ.
Gleichzeitig greift der Streik auf die Baltisky-Werke ĂŒber, auf die
Fabrik Laferm und eine Anzahl anderer Industriebetriebe. Die Arbeiter
der Schuhfabrik Skorokhod legen die Arbeiter nieder, die Belegschaften
drei weiterer Fabriken schlieĂen sich an, am 28. erreicht der Streik die
Putilow_Werft.
Die Streikparolen betrafen die wirtschaftlichen VerhÀltnisse, die
Organisation der Versorgung. Die Belegschaft mehrerer Fabriken forderte
die Wiedereröffnung der MÀrkte, den freien Verkehr innerhalb der
50-km-Zone und die Abschaffung von Milizkontrollen gegen Hamsterer.
Aber auch politische Forderungen wurden erhoben: die Freiheit der
Meinung und der Presse sowie die Freilassung politischer HĂ€ftlinge. In
einigen Fabriken wurde den Kommunisten die Gefolgschaft aufgekĂŒndigt.
Angesichts der verzweifelten Lage des russischen Arbeiters, aus der er
legitimerweise einen Ausweg suchte, fanden Sinowjew (der sich nach
zahlreichen ĂŒbereinstimmenden Quellen in Petersburg wie ein
morgenlÀndischer Satrap gebÀrdete) und sein opportunistisches örtliches
Parteikomitee keine anderen Argumente als die der Waffe. âEs galtâ, so
schreibt Poukhow, offizieller Chronist des KronstÀdter Aufstandes,
âentschiedene, klassenbewusste MaĂnahmen zu ergreifen. Die Feinde der
Revolution versuchten, Teile des Proletariats zu verfĂŒhren, um mit ihrer
Hilfe der Arbeiterklasse und ihrer Vorhut, der Kommunistischen Partei,
die Macht zu entreiĂen.â
Am 24. Februar wurde ein dreiköpfiger Verteidigungsausschuss mit
Sondervollmachten ernannt, der ĂŒber einen Stab technischer FunktionĂ€re
verfĂŒgte. Auch in jedem Stadtviertel wurde eine âTroikaâ, ein
Dreierausschuss, eingesetzt, bestehend aus dem ParteisekretÀr des
Viertels, einem kommunistischen Bataillonskommandanten und einem
Vertreter des MilitĂ€rgerichts. FĂŒr die Distrikte wurden Komitees
ernannt, in denen der zustÀndige ParteisekretÀr, der Vorsitzende des
Exekutivrates des örtlichen Sowjets und der MilitÀrkommissar des Bezirks
saĂen.
Der Verteidigungsausschuss rief noch am selben Tag den
Belagerungszustand aus und erlieĂ folgende Anordnung:
âErlass des Verteidigungsausschusses fĂŒr die Festung Petersburg.
Nach Anordnung des Exekutivrates des Petrosowjets vom 24. Februar ist
der Verteidigungsausschuss verpflichtet, fĂŒr die Stadt Petersburg den
Belagerungszustand auszurufen. In AusfĂŒhrung dieser Anordnung geben wir
der Bevölkerung Petersburgs bekannt:
1. Der Verkehr auf den StraĂen ist nach 23.00 Uhr strengstens verboten;
2. SÀmtliche Versammlungen, AuflÀufe und Kundgebungen sind sowohl unter
freien Himmel als auch in geschlossenen RĂ€umen ohne ausdrĂŒckliche
Genehmigung durch den Verteidigungsausschuss verboten;
3. Personen, die diesem Befehl nicht folge leisten, werden nach
Kriegsrecht bestraft.
Diese Anordnung tritt mit ihrer Veröffentlichung in Kraft.
Der MilitÀrkommandant von Petersburg: Awrow
FĂŒr den Verteidigungsrat: Laschewitsch
Der Festungskommandant: Bulinâ
Gleichzeitig wurde die Mobilmachung der Parteimitglieder ausgerufen. Die
aktivsten Streikbeteiligten wurden verhaftet, die Spezialeinheiten
wurden in Verteidigungsbereitschaft gesetzt â hingegen stellte am 28.
Februar die Zollmiliz ihre Arbeit im Departement Petersburg ein.
II.3 â Die Resolution der KronstĂ€dter Matrosen
Die Matrosen von Kronstadt waren selbstverstÀndlich an dem Geschehen in
Petersburg interessiert und entsandten am 26. Februar ihre Deligierten
dorthin, um sich ĂŒber den Streik zu unterrichten. Diese Delegation
besuchte eine Reihe von Fabriken und kehrte am 28. Februar nach
Kronstadt zurĂŒck. Am selben Tag fasste die Mannschaft des Kreuzers
Petropawlowsk nach Anhörung der Berichte diese Resolution ab:
âWir haben den Bericht des Ausschusses angehört, den die Versammlung
aller Matrosen der Ostseeflotte nach Petersburg entsandte, um die Lage
dort zu erkunden, und wir beschlieĂen daraufhin:
1. Da die gegenwÀrtigen Sowjets den Willen der Arbeiter und Bauern nicht
mehr ausdrĂŒcken, augenblicklich neue, geheime Wahlen auszuschreiben und
fĂŒr den Wahlkampf die volle Freiheit fĂŒr die Agitation bei den Arbeitern
und Soldaten zu garantieren;
2. Den Arbeitern und Bauern sowie allen anarchistischen und
linkssozialistischen Gruppen die Rede- und Pressefreiheit zu gewÀhren;
3. Die Versammlungs- und Koalitionsfreiheit aller Gewerkschaften und
Bauernorganisationen zu garantieren;
4. Eine ĂŒberparteiliche Konferenz der Arbeiter, der Soldaten der Roten
Armee und der Matrosen von Petersburg, Kronstadt und der Petersburger
Provinz einzuberufen, die spÀtestens am 10. MÀrz stattfinden soll;
5. Alle politischen Gefangenen, die sozialistischen Parteien angehören,
freizulassen und alle Arbeiter, Bauern und Matrosen aus der Haft zu
entlassen, die im Zusammenhang mit Arbeiter- und Bauernunruhen
inhaftiert worden sind;
6. Zur ĂberprĂŒfung all jener, die in GefĂ€ngnissen und
Konzentrationslagern festgehalten werden eine ĂberprĂŒfungskommission
einzusetzen;
7. Alle Politotdijel (politischen BĂŒros der Kommunisten) abzuschaffen,
da keine Partei besondere Privilegien zur Verbreitung ihrer Ideen oder
finanzielle Hilfen von seiten der Regierung beanspruchen darf; an ihrer
Stelle sind Kommissionen fĂŒr Kultur und Erziehung zu bilden, die lokal
zu wÀhlen und von der Regierung zu finanzieren sind;
8. Alle Sagraditelnije ortrajdi (bewaffnete Ordnungspolizeitruppen der
Bolschewiki) sind sofort aufzulösen
9. Die Lebensmittelrationen fĂŒr alle Arbeitenden sind gleich hoch
anzusetzen; auszunehmen sind nur diejenigen, die durch ihre Arbeit
gesundheitlich besonders gefÀhrdet sind;
10. Die kommunistischen Spezialabteilungen in allen Formationen der
Roten Armee und die kommunistischen Betriebsschutztruppen sind
abzuschaffen; sie sind â wo nötig â durch Einheiten zu ersetzen, die aus
der Armee selbst hervorgehen und in den Fabriken von den Arbeitern
selbst zu bilden sind;
11. Den Bauern ist die volle VerfĂŒgungsgewalt ĂŒber ihr Land zu geben,
auch das Recht, eigenes Vieh zu halten, unter der Bedingung, dass sie
mit ihren eigenen Mittel, das heiĂt ohne gedungene ArbeitskrĂ€fte
auskommen;
12. Alle Soldaten und Matrosen sowie die MilitÀrkadetten sind
aufzufordern, sich unseren BeschlĂŒssen anzuschlieĂen;
13. Es ist dafĂŒr zu sorgen, dass unsere BeschlĂŒsse durch die Presse
weithin bekanntgemacht werden;
14. Es ist eine reisende Kontrollkommission zu benennen;
15. Die freie Kustarnoe-Produktion (das heiĂt die individuelle
Handwerks- und Gewerbearbeit) ist zuzulassen, soweit sie nicht auf der
Ausbeutung von ArbeitskrĂ€ften beruht.â
Diese Resolution, die von der Vollversammlung der KronstÀdter Matrosen
wie auch von Einheiten der Roten Armee angenommen wurde und die
Zustimmung der arbeitenden Bevölkerung fand, verdient als politisches
Programm des Aufstandes eine genauere Analyse.
II.4 â Analyse der Resolution
Die KronstÀdter Matrosen waren sich ebenso wie die Streikenden in
Petersburg darĂŒber im klaren, dass die wirtschaftlichen VerhĂ€ltnisse in
Russland in direkter Beziehung zu den politischen standen. Ihre
Unzufriedenheit bezog sich genauso auf die Hungersnot wie auf die
politischen ZustĂ€nde. Die russischen Proletarier hatten ihre groĂen
Hoffnungen auf die Sowjets gesetzt und mussten nun enttÀuscht zusehen,
wie deren Macht immer mehr von einer einzigen Partei absorbiert wurde,
die zudem in der AusĂŒbung absoluter Herrschaft und unter dem Einfluss
von Karrieremachern degenerierte. Ihre Resolution wandte sich gegen die
Alleinherrschaft dieser Partei.
Punkt 1 der Resolution kennzeichnet eine Vorstellung, die gerade von den
besten der russischen Arbeiter geteilt wurde; dass nÀmlich die
vollkommen bolschewisierten Sowjets nicht mehr den Willen der Arbeiter
und Bauern ausdrĂŒckten. Daher die Forderung nach Neuwahlen bei gleichen
Chancen fĂŒr alle politischen Richtungen.
Sollte es zu einer solchen Neubelebung der Sowjets kommen, mussten
jedoch alle politischen Richtungen ohne Furcht vor Verleumdung und
Verfolgung zu Worte kommen können. Daher die Forderung nach Rede-,
Presse-, Versammlungs- und Koalitionsfreiheit.
Es ist zu berĂŒcksichtigen, dass die Landbevölkerung damals weitgehend
materiell nivelliert war; die Kulaken waren enteignet. Die Behauptung,
durch Meinungsfreiheit auf dem Lande waren den Kulaken politische Rechte
zugestanden worden, ist also unzutreffend. (TatsÀchlich wurde schon
wenige Jahre spĂ€ter der Landbevölkerung nahegelegt, sich âzu bereichernâ
â ĂŒbrigens von Bucharin, dem damaligen Parteiideologen.)
Die Resolution der KronstĂ€dter hatte den Vorzug der Klarheit â nicht der
Neuheit. Ihre Leitidee waren ĂŒberall verbreitet, sie lagen gewissermaĂen
in der Luft. Ăberall fĂŒllten sich die GefĂ€ngnisse und neugegrĂŒndeten
Konzentrationslager mit Arbeitern und Bauern, die sich zu diesen Ideen
bekannt hatten. Die KronstĂ€dter vergaĂen diese Kampfgenossen nicht. Sie
widmeten ihnen zwei Punkte ihrer Resolution; mit Punkt 6 ist eine
Kontrolle der unzureichend objektiven Sowjetjustiz beabsichtigt, eine
Forderung, die ganz in alter proletarischer Tradition steht. Als
Kerenskij im Juli 1917 in Petersburg die baltische Delegation verhaften
lieĂ, hatte Kronstadt unverzĂŒglich eine Delegation geschickt, die ihre
Freilassung erwirken sollte. â Die Resolution von 1921 nimmt diesen
Gedanken wieder auf.
Die Punkte 7 und 10 wenden sich gegen das Monopol einer herrschenden
Partei, die ausschlieĂlich und unkontrolliert von Staatskasse, MilitĂ€r
und Polizei Gebrauch macht.
Punkt 9, in dem gleiche Rationen fĂŒr alle Arbeiter gefordert werden,
widerlegt eine spĂ€tere ĂuĂerung Trotzkis aus dem Jahre 1938, der damals
behauptet (in seiner Antwort an Wendelin Thomas): âWĂ€hrend das Land
Hunger litt, verlangten die KronstĂ€dter Privilegien.â
Punkt 14 greift auf eine alte Forderung des Vor-Oktober zurĂŒck:
Kontrolle durch die Arbeiter. Man erkannte in Kronstadt, dass die Basis
keine echte Kontrollmöglichkeiten besaà und wollte diese nun endlich
einfĂŒhren.
Punkt 11 schlieĂlich bringt Forderungen der Bauern zur Sprache, mit
denen sich die KronstĂ€dter Matrosen â wie Ăbrigens das ganze russische
Proletariat â nach wie vor verbunden wussten. Diese Verbindung erklĂ€rt
sich aus der besonderen Entwicklung der russischen Industrie, die sich
aufgrund der relativ lang anhaltenden feudalen Strukturen nicht aus dem
stÀdtischen Handwerk, sondern aus der Landbevölkerung rekrutiert hatten.
Bleibt also festzuhalten: Die baltische Matrosen hatten 1921 im
Vergleich zu 1917 eine ungebrochen starke Beziehung zur Landbevölkerung.
Sie nahm eine der groĂen Parolen der Oktoberrevolution auf, indem sie
das Recht des Bauern auf eigenes Land und Vieh unter der Voraussetzung
unterstĂŒtzen, dass damit keine Ausbeutung von ArbeitskrĂ€ften verbunden
sein durfte.
In der damaligen Situation bedeutete das zugleich einen Versuch, die
nahezu tödliche Versorgungskrise der Bevölkerung, ein Ergebnis
andauernder Requisitionen, zu sanieren.
Es stellt sich die Frage, ob in Punkt 11 tatsÀchlich
konterrevolutionÀres Denken zum Ausdruck kommt, dass den allrussischen
Kreuzzug gegen die KronstÀdter Matrosen rechtfertigen könnte. Ein
Regime, das sich als Staat der Arbeiter und Bauern ausgab und nicht
ausschlieĂlich mit LĂŒge und Terror arbeiten wollte, musste die Belange
der Bauern berĂŒcksichtigen könnten, ohne damit seine revolutionĂ€ren
Charakter einzubĂŒĂen. Ăbrigens standen die KronstĂ€dter mit diesen
Forderungen fĂŒr die Bauern nicht allein. Auch in der Ukraine gab es
jener Zeit eine Machno-Bewegung, die auf revolutionĂ€re UrsprĂŒnge
zurĂŒckging, ihre eigenen Forderungen aufstellte und sie mit dem
unbestreitbaren Hinweis auf ihr Mitwirken bei der Niederschlagung der
feudalen Söldnertruppen unterstrich. Damit, meinten die MachnoanhÀnger,
hĂ€tten sie das Recht erworben, ĂŒber ihr Zusammenleben selbst zu
bestimmten. Diese Machno-Bewegung war, entgegen den zwar sehr
kategorischen, aber unbewiesenen Behauptungen Trotzkis, nicht von
Kulaken inspiriert. Kubanin, ihr bolschewistischer Chronist , weist
vielmehr mit Hilfe von Statistiken nach, dass diese Bewegung in solchen
Gebieten entstand und sich entwickelte, wo allergröĂte Armut herrschte.
Die Machno-Bewegung wurde blutig niedergeschlagen.
Es steht jedenfalls fest, dass die inkonsequente Agrarpolitik der
Bolschewisten schĂ€dlich war; 1931, zehn Jahre nach Kronstadt, mĂŒndete
sie schlieĂlich in die berĂŒchtigte Kulakenverfolgung. In seiner sehr
differenzierten Untersuchung dieser Angelegenheit kommt Suwarin zu
diesem Schluss: âEs wurden wenigstens fĂŒnf Millionen Dorfbewohner ohne
Ansehen des Geschlechts oder Alters aus ihren HĂ€usern vertrieben und
damit zu unverdientem Elend, wenn nicht dem Tod verurteilt.â Und auch
das konnte ĂŒbrigens die Agrarprobleme nicht lösen denn die heutigen
Kolchosen scheinen nur unter dem Zwang der allmÀchtigen GPU zu
funktionieren. Es steht zu vermuten, dass dieser âSozialismus mit der
Knuteâ keine groĂen FrĂŒchte tragen wird.
Die Forderung des Punktes 15 schlieĂlich nach der Freistellung
handwerklicher Produktion hatte augenscheinlich keinen prinzipiellen
Stellenwert. Das Handwerk sollte nach Absicht der KronstÀdter lediglich
vorĂŒbergehend den totalen Produktionsausfall der Industrie ĂŒberbrĂŒcken
helfen.
III. Der Aufstand von Kronstadt
III. 1 â Der Anlass (1. und 2. MĂ€rz 1921)
Der Sowjet von Kronstadt war jeweils am 2. MĂ€rz zu wĂ€hlen. FĂŒr den 1.
MĂ€rz war ein Meeting der 1. und 2. Brigade der Linienschiffe
ordnungsgemÀà durch Veröffentlichung in der KronstÀdter Tageszeitung
einberufen worden.
Bei dieser Gelegenheit sollten unter anderen Kalinin, PrÀsident des
Allrussischen Exekutivrates der Sowjets, und Kusmin, Politkommissar der
Baltischen Flotte, öffentlich sprechen. Kalinin wurde bei seiner Ankunft
mit Musik, Fahnen und militÀrischen Ehren empfangen. 16.000 hatten sich
zu dem Meeting unter Vorsitz des örtlichen SowjetprÀsidenten Wassilijew
eingefunden. Die am Vortag nach Petersburg entsandte Delegation
erstattete Bericht; ebenfalls wurde die am 28. Februar von der
Petropawlowsk-Besatzung verabschiedete Resolution verlesen. Kalinin, der
mit Kusmin die Resolution ablehnte, wies darauf hin, dass âKronstadt
nicht fĂŒr ganz Russland sprechen könneâ. Dennoch votierte die ganze
Versammlung fĂŒr diese Resolution, bei zwei Gegenstimmen, denen von
Kalinin und Kusmin. Weiter wurde die Entsendung einer dreiĂigköpfigen
Delegation nach Petersburg beschlossen; gleichzeitig wurde eine
Petersburger Delegation eingeladen, die VerhÀltnisse unter den
KronstĂ€dter Matrosen kennenzulernen. SchlieĂlich wurde fĂŒr den folgenden
Tag eine Versammlung einberufen, an der Delegierte der Kriegsschiffe,
der Roten Armee, der Behörden, der Werften, Fabriken und Gewerkschaft
teilnehmen sollten, um ĂŒber die Frage der Neuwahlen zum örtlichen Sowjet
zu beraten. Kalinin gelangte ĂŒbrigens unbehelligt nach Petersburg
zurĂŒck.
Am 2. MĂ€rz tagte die Delegiertenversammlung. Nach Angaben der
KronstÀdter Iswestija waren diese Delegierten ordnungsgemÀà gewÀhlt. Man
kam ĂŒberein, ordentliche Wahlen durchzufĂŒhren. Als erste sprachen Kusmin
und Wassilijew. Kusmin betonte in seinen AusfĂŒhrungen, die Kommunisten
wĂŒrden ihre Macht nicht kampflos aufgeben. Die beiden Reden waren so
aggressiv und provokant, dass die Versammlung die Entfernung und
Arrestierung der beiden Sprecher verlangte. Andere anwesende Kommunisten
kamen jedoch ausfĂŒhrlich zu Wort.
Die Delegiertenversammlung nahm mit groĂer Mehrheit die Resolution der
Petropawlowsk an. Danach wollte man die Frage der Neuwahlen detailliert
untersuchen. Dazu kam es jedoch nicht; plötzlich verbreitete sich das
GerĂŒcht, die Bolschewisten planten einen bewaffneten Angriff auf die
Versammlung. In dieser alarmierenden Situation wurde ein provisorisches
Revolutionskomitee durch die Versammlung ernannt, dem alle Vorsitzenden
der Delegiertenversammlung angehörten und das seine Beratungen auf der
Petropawlowsk aufnahm, wo auch Kusmin und Wassilijew festgehalten
wurden.
Das Provisorische Revolutionskomitee bestand aus folgenden 15
Mitgliedern:
Petritschenkow â Obermaat auf der Petropawlowsk;
Jakowenkow â Telefonist im Bezirk Kronstadt;
Ososow â Maschinist auf der Sewastopol;
Archipow â Maschineningenieur;
Perepelkin â Mechaniker auf der Sewastopol;
Patruschew â Erster Mechaniker auf der Petropawlowsk;
Kupolow â Ărztlicher Oberassistent;
Werschinin â Matrose auf der Sewastopol;
Tukin â Elektriker;
Romanenkow â Vorarbeiter im Trockendock;
Oreschin â Leiter der 3. Technischen Schule;
Walk â Zimmermann;
Pawlow â Arbeiter bei den Seeminen-WerkstĂ€tten;
Bajkow â Fuhrmann beim Festungsbau;
Kilgast â Vollmatrose.
Diese Liste macht deutlich, dass die Mitglieder des Komitees zum groĂen
Teil altgediente Matrosen waren. Die offizielle Version lautet hingegen,
dass die Revolte von Elementen angefĂŒhrt wurde, die erst vor kurzem in
die Marine eingetreten waren und nichts mit den Helden von 1917 gemein
hatten.
WĂ€hrend des 2. MĂ€rz besetzten die KronstĂ€dter unter der FĂŒhrung des
Komitees die strategischen Punkte der Stadt, die GebÀude der staatlichen
Verwaltung, des Generalstabs, die Telegraphen- und TelefonbĂŒros. Auf den
Schiffen und in den Armeekorps wurden Dreiergremien (Troikas)
eingesetzt. Gegen 9 Uhr abends hatte sich ein GroĂteil der
Festungsbesatzung und der roten Armeekorps angeschlossen. Es erschien
eine Delegation von Oranienbaum und erklÀrte die Bereitschaft der
dortigen Garnison, sich dem Komitee zu unterstellen.
Am selben Tage wurde die Druckerei des Iswestija besetzt, am folgenden
Tag erschien die erste vom Provisorischen Revolutionskomitee
herausgegebene Nummer mit der Mitteilung: âDie Kommunistische Partei,
als Herrscher im Staat, hat sich von den Massen gelöst. Sie hat ihre
UnfĂ€higkeit bewiesen, das Land aus dem Chaos herauszufĂŒhren. Die Unruhen
in Petersburg und Moskau machen deutlich, dass sie das Vertrauen der
Arbeitermassen verloren hat. Sie kĂŒmmert sich nicht um die Forderungen
der Arbeiter, denn sie sieht in ihren Unruhen nur konterrevolutionÀre
Umtriebe. Das ist ihr grundlegender Irrtum. Am 2. MĂ€rz hatten sich die
Delegierten aller Arbeiterorganisationen, der Flotte und der Roten Armee
im Kulturhaus mit der Absicht versammelt, die Voraussetzungen fĂŒr
Neuwahlen zu schaffen, um den friedlichen Wiederaufbau der Herrschaft
der Sowjets zu beginnen. Veranlasst aber durch Drohungen der
ReprÀsentanten der Macht, Kusmins und Wassilijews, und in der Furcht vor
Repressalien, beschloss die Versammlung die Einsetzung eines
Provisorischen Revolutionskomitees, dem sie fĂŒr alle Angelegenheiten der
Stadt und der Festung die volle Verantwortung ĂŒbertrug.
Das Provisorische Revolutionskomitee hat die Absicht, kein Blut zu
vergieĂen. Es hat zu auĂergewöhnlichen MaĂnahmen gegriffen, die in der
Stadt, der Festung und in den Bastionen eine revolutionÀre Ordnung
garantieren. Das Komitee will, vereint mit den KrÀften von Stadt und
Festung, die Voraussetzungen fĂŒr ordentliche Wahlen zum neuen Sowjet
schaffen.â
Am selben Tag verbreitete Radio Moskau diesen âAufruf zum Kampf gegen
das Komplott der WeiĂen Gardeâ: âDie Meuterei General Koslowskijs und
des Kriegsschiffes Petropawlowsk ist ebenso wie andere AufstÀnde der
WeiĂen Garde das Werk von Agenten der Entente; das erhellt aus der
Tatsache, dass die französische Zeitung âLe Matinâ zwei Wochen vor dem
Aufstand General Koslowskijs folgende Depesche aus Helsingfors
veröffentlichte: âWie wir aus Petersburg erfahren, haben die
militÀrischen Befehlshaber der Bolschewisten infolge der letzten Revolte
in Kronstadt eine Reihe von MaĂnahmen ergriffen, die diese Stadt
isolieren und den Matrosen und Soldaten aus Kronstadt den Aufenthalt in
Petersburg untersagen.â Es liegt auf der Hand, dass der Aufstand in
Kronstadt von Paris aus gesteuert wird âŠ, dass die französische
Gegenspionage ihre HĂ€nde im Spiel hat. Die Geschichte wiederholt sich
immer. Die RevolutionÀren Sozialisten mit ihrer Zentrale in Paris
bereiten den Boden fĂŒr einen neuen Aufstand gegen die Macht der Sowjets.
Ist ihnen das gelungen, so taucht hinter ihnen als wirklicher FĂŒhrer der
zaristische General auf. Genauso war es, als Koltschak nach Vorarbeit
der RevolutionĂ€ren Sozialisten die Macht an sich reiĂen konnte.â
So verschieden stellten sich die Fakten und deren Interpretation bei den
beiden Antagonisten dar.
Der Aufruf von Radio Moskau kam zweifellos von der Spitze des PolitbĂŒros
der Partei. Er war mit Genehmigung Lenins lanciert worden, der ĂŒber die
Situation in Kronstadt unterrichtet sein musste. Selbst wenn er
RatschlÀge von Sinowjew eingeholt haben sollte, dessen panische
Ăngstlichkeit er kennen musste, ist nicht anzunehmen, dass ihm der
wirkliche Tatbestand unbekannt war, denn Kronstadt hatte am 2. MĂ€rz eine
Delegation zu ihm geschickt, die er nach den wahren Motiven des
Aufstandes hĂ€tte fragen können. Es steht auĂer Zweifel, dass Lenin,
Trotzki und die ganze Parteispitze sehr genau wussten, dass es sich
nicht um eine Revolte der GenerÀle handelte. Warum erfand man die
Legende vom General Koslowskij als angeblichem Kopf der Meuterei? Die
Antwort findet sich in der den Bolschewiken eigenen Moral, die manchmal
ĂŒbrigens sehr blind ist, da sie nicht sieht, dass eine LĂŒge sich auch
gegen ihren Urheber wenden kann. Die Legende von General Koslowskij
ebnete einer spÀteren Legende den Weg, die in den Jahren 1928/1929
Trotzki eine âVerschwörungâ mit einem Wrangel-General andichtete. Wer
war ĂŒberhaupt dieser General Koslowskij, den der offizielle Sender als
FĂŒhrer des Aufstandes ausgab? Er war Artilleriegeneral, einer der
ersten, der sich vonseiten der Roten anschloss. Als einfacher Techniker
schien er ĂŒber keinerlei FĂŒhrungsqualitĂ€ten zu verfĂŒgen. Als es zum
Aufstand kam, kommandierte er die KronstÀdter Artillerie, hÀtte aber
nach der Flucht des kommunistischen Festungskommandanten gemÀà dem
herrschenden Festungsreglement dessen Stelle einnehmen mĂŒssen. Er
weigerte sich mit dem Vorwand, die Festung stĂŒnde unter dem Befehl des
Provisorischen Revolutionskomitees, damit sei das alte Reglement auĂer
Kraft gesetzt. Koslowskij blieb also in Kronstadt, aber lediglich als
Artillerie-Spezialist. Ăbrigens machte er nach dem Fall Kronstadts in
Interviews mit finnischen Zeitungen den Matrosen den Vorwurf, sie hÀtten
wertvolle Zeit mit anderen Fragen vertan, als mit der Verteidigung der
Festung. Er erklÀrte das mit der Absicht der KronstÀdter, jedes
BlutvergieĂen zu verhĂŒten. SpĂ€ter beschuldigten auch andere Offiziere
der KronstÀdter Garnison die Matrosen der militÀrischen UnfÀhigkeit und
des absoluten Misstrauens ihren technischen Beratern gegenĂŒber. â
Koslowskij war also der einzige in Kronstadt verbliebene General, dessen
Namen sich die Regierung bedienen konnte und bediente.
Dennoch stimmt es, dass die KronstÀdter teilweise auf die militÀrischen
FĂ€higkeiten von Offizieren zurĂŒckgriffen, die sich im Augenblick des
Aufstandes in der Festung befanden. Es ist möglich, dass diese Offiziere
den AufstÀndischen ihren Rat nur aus Feindschaft gegen die Bolschewisten
zur VerfĂŒgung stellten. Aber auch die Regierungstruppen bedienten sich
der militÀrischen Erfahrung alter Offiziere bei ihrem Angriff auf
Kronstadt. Wenn also auf der einen Seite ein Koslowskij, ein Salomianow,
ein Arkannikow und einige andere wenig bekannte Offiziere standen, so
setzte man auf der Gegenseite Toukhatschewskij, Kamenew, Amrow und
andere MilitÀrspezialisten des alten Regimes ein. Auf beiden Seiten aber
wirkten die Offiziere niemals als unabhÀngige, eigenstÀndige Kraft.
III.2 â Der Höhepunkt (2. bis 7. MĂ€rz 1921)
Am 2. MÀrz hatten die KronstÀdter im Bewusstsein ihrer Rechte, ihrer
Pflichten und der moralischen Kraft ihrer revolutionÀren Tradition mit
der Wiederherstellung des von der Einheitspartei korrumpierten
RĂ€tesystems begonnen.
Am 7. MÀrz eröffnete die Zentralregierung ihre militÀrischen Operationen
gegen Kronstadt.
Was war in der Zwischenzeit geschehen?
In Kronstadt organisiert das um 5 kooptierte Mitglieder erweiterte
Provisorische Revolutionskomitee das Leben in der Stadt und der Festung.
Es beschlieĂt, zur inneren Verteidigung der Stadt das Proletariat zu
bewaffnen. Es setzt weiterhin Neuwahlen innerhalb einer Frist von 3
Tagen fĂŒr die Leitungsorgane der Gewerkschaften und den Gewerkschaftsrat
an, dem es wichtige Aufgaben zugedacht hatte.
Einfache KP-Mitglieder verlieĂen massenhaft die Partei, um ihr Vertrauen
in das Provisorische Revolutionskomitee zu manifestieren. Das von einer
Fraktion von ihnen gegrĂŒndete provisorische ParteibĂŒro verfasste einen
Aufruf:
âTraut nicht den absurden GerĂŒchten von Elementen, die nur BlutvergieĂen
provozieren wollen. Sie behaupten, verantwortliche Kommunisten wĂŒrden
hingerichtet und daher sei aus ihren Kreisen mit einem militÀrischen
Angriff zu rechnen.
Das ist eine absurde PropagandalĂŒge von Ententeagenten mit der Absicht,
die Macht der Sowjets zu stĂŒrzen.
Das provisorische BĂŒro der Kommunistischen Partei hĂ€lt die Neuwahl zum
Sowjet fĂŒr unabdingbar und forderte alle Mitglieder zur Teilnahme auf.
Das provisorische BĂŒro der Kommunistischen Partei fordert weiterhin alle
Mitglieder auf, ihre Posten nicht zu verlassen und nichts gegen die
MaĂnahmen des Provisorischen Revolutionskomitees zu unternehmen.
Es lebe die Macht der Sowjets.
Es lebe die weltweite Union der Arbeiter.
FĂŒr das provisorische BĂŒro der Kommunistischen Organisation von
Kronstadt
Ilin (ehem. Versorgungskommissar)
Perwuschin (ehem. Vorsitzender des lokalen Exekutivrates)
Kabanow (ehem. Vorsitzender des BezirksbĂŒros der Gewerkschaft)
Poukhow sagt in einer Stellungnahme zu diesem Dokument:
âMan kann dieses Dokument nur als Verrat betrachten: ein
opportunistischer Schritt zur Kollaboration mit den RĂ€delsfĂŒhrern des
Aufstandes, der tatsĂ€chlich konterrevolutionĂ€ren Charakter hatte.â
Poukhow bestÀtigt den Einfluss dieses Dokuments auf die Massenaustritte
an der Parteibasis; nach seinen Angaben verlieĂen 780 Kommunisten die
Organisation.
Die Iswestija empfing eine Reihe von Zuschriften, in denen
Parteiaustritte begrĂŒndet wurden. Hier der Brief des Lehrers Denissow:
âIch erklĂ€re öffentlich vor dem Provisorischen Revolutionskomitee, dass
ich mit dem ersten Kanonenschuss auf Kronstadt meine Mitgliedschaft in
der Partei fĂŒr beendet halte und mich der Parole der Arbeiter Kronstadts
anschlieĂe: âAlle Macht den RĂ€ten â nicht der Partei!â.â
Ein anderer Kommunist, Baranow, Chef der Hafenwache, schreibt:
âDie Partei reprĂ€sentiert nicht mehr den Willen weiter
Bevölkerungskreise; das wird u. a. in Briefen aus der Provinz bestÀtigt,
die von dem UnglĂŒck und der Verfolgung berichten, die den Bauern von der
Partei zugefĂŒgt werden. Ich will nicht mehr als Mitglied der KP
betrachtet werden; Ich schlieĂe mich der Resolution vom 1. MĂ€rz an und
werde die Anordnungen des Provisorischen Revolutionskomitees befolgen.â
Mitglieder einer Spezialkompagnie fĂŒr Disziplin erklĂ€ren:
âDie Unterzeichneten sind in die Partei mit der Annahme eingetreten,
dass diese den Willen der Massen der Arbeiter ausdrĂŒckt. TatsĂ€chlich
betÀtigt sich aber die Partei als Folterknecht der Arbeiter und Bauern.
Das beweisen die letzten VorfÀlle in Petersburg, die den unehrlichen
Charakter der ParteifĂŒhrer demaskieren, denen nach Moskauer
Radioberichten jedes Mittel zur Erhaltung ihrer Macht genehm ist.
Wir wollen fortan nicht mehr als Mitglieder der Partei gelten und
schlieĂen uns vorbehaltlos der Resolution an, wie sie von der
Versammlung der KronstÀdter Garnison am 2. MÀrz verabschiedet wurde.
Auch bitten wir alle Genossen, die ihren Irrtum einsehen, dies
öffentlich zuzugeben.
Gezeichnet: Gutman, Jerimow, Kudriatzew, Andrejewâ
(Iswestija vom 7. MĂ€rz)
Die Kommunisten der Festung âRifâ veröffentlichen diese Resolution:
âIn den letzten drei Jahren hat unsere Partei vielen Karrieremachern und
Revolutionsgewinnlern Aufnahme gewĂ€hrt und damit BĂŒrokratismus und
Sabotage im Kampf gegen das wirtschaftliche Debakel ins Kraut schieĂen
lassen. Unserer Partei lag immer der Kampf gegen die Feinde des
Proletariats und der Arbeiterklasse am Herzen; wir erklÀren öffentlich,
dass wir auch weiterhin als Söhne des Volkes die Errungenschaften der
Arbeiter verteidigen werden.
Wir werden es keiner WeiĂen Garde erlauben, dass sie sich die schwierige
Situation der Sowjetrepublik zunutze macht und werden ihr schon beim
ersten Versuch die gehörige Antwort erteilen.
Wir erklÀren abermals, dass wir uns dem Provisorischen
Revolutionskomitee unterstellen, dessen Ziel die Schaffung der Sowjets
der Arbeiter- und Bauernklasse ist.
Es lebe die Macht der RĂ€te, der wahren Verteidiger der Arbeiterrechte.
Gezeichnet: Der Vorsitzende der Versammlung der Kommunistischen Festung
âRifâ
Gezeichnet: Der SekretĂ€râ
(Iswestija vom 7. MĂ€rz)
Gewiss könnte man glauben, dass derartige ErklÀrungen von
Parteimitgliedern unter dem Diktat oder Zwang eines in Kronstadt
herrschenden Terrorregimes zustande gekommen wÀren. Aber wÀhrend der
ganzen Zeit des Aufstandes ist in Kronstadt kein einziger inhaftierter
Bolschewist hingerichtet worden, obwohl sich unter ihnen die
verantwortlichen Flottenchefs, Kusmin und Batys, befanden. Bleibt noch
zu erwĂ€hnen, dass die Mehrheit der Bolschewisten sich ĂŒberhaupt in
Freiheit befand.
In der Iswestija vom 7. MĂ€rz finden wir einen Artikel unter der
Ăberschrift: âWir rĂ€chen uns nicht!â.
âDie lang erduldeten Repressionen der bolschewistischen Diktatur haben
in der Masse zu einer verstĂ€ndlichen VerĂ€rgerung gefĂŒhrt, die sich an
einigen Orten im Boykott oder der Entlassung der Eltern von
Bolschewisten Luft macht. Das darf nicht geschehen! Wir rÀchen uns
nicht; wir verfolgen lediglich unsere Interessen als Arbeiter. Wir
mĂŒssen uns ZurĂŒckhaltung auferlegen und lediglich die Saboteure
entfernen sowie die lĂŒgnerischen Agitatoren, die die Wiederherstellung
der Macht und der Rechte der Arbeiter zu verhindern suchen.â
In Petersburg hatte man ganz andere Vorstellungen von HumanitÀt. Auf die
Nachricht von der Verhaftung Kusmins und Wassilijews verfĂŒgte das
Verteidigungskomitee die Verhaftung aller in Petersburg ansÀssigen
Familienangehörigen von KronstĂ€dter Matrosen. Ăber Kronstadt wurden vom
Flugzeug aus Zettel mit dieser Warnung abgeworfen:
âDas Verteidigungskomitee gibt die Verhaftung von Familien von
KronstĂ€dter Matrosen bekannt, die als Geiseln fĂŒr unsere von den
AufstÀndischen verhafteten Genossen, insbesondere den Flottenkommissar
Kusmin und den Vorsitzenden des KronstÀdter Sowjet, Wassilijew,
festgehalten werden. Wenn ihnen auch nur ein Haar gekrĂŒmmt wird, werden
diese Geiseln es zu bĂŒĂen haben.â (Iswestija vom 5. MĂ€rz)
Das Provisorische Revolutionskomitee antwortet auf diese Botschaft ĂŒber
Radio:
âIm Namen der Garnison von Kronstadt verlangt das Provisorische
Revolutionskomitee innerhalb von 24 Stunden die Freilassung jener
Familien von Arbeitern, Matrosen und Soldaten, die vom Petrosowjet als
Geiseln festgehalten werden. Die Garnison von Kronstadt betont, dass in
Kronstadt die Kommunisten volle Freiheit genieĂen und dass ihre Familien
absolut unangetastet bleiben; sie weigert sich, dem Beispiel des
Petrosowjet zu folgen, denn sie betrachtet eine solche Handlungsweise,
selbst wenn sie von Hass diktiert ist, als unendlich niedrig und
verwerflich.
Gezeichnet: Der Vorsitzende des PRK: Petritschenkow, Matrose; Kilgast,
SekretĂ€râ
(Iswestija vom 7. MĂ€rz 1921)
Um GerĂŒchten zu begegnen, wonach inhaftierte Kommunisten gefoltert
wurden, beschloss das Provisorische Revolutionskomitee die Einsetzung
einer Spezialkommission zur Untersuchung aller FĂ€lle von
Kommunistenvehaftungen. In diese Kommission wollte man auch einen
Vertreter der KP aufnehmen, wie die Iswestija vom 4. MĂ€rz meldet. Diese
Kommission scheint sich jedoch nie konstituiert zu haben, da schon 2
Tage spÀter die Bombardierung Kronstadts begann. Tatsache ist jedoch,
dass das Provisorische Revolutionskomitee eine KP-Delegation empfing,
die zur Inspektion der Gefangenen auf der Petropawlowsk autorisiert
wurde. Die dort Festgehaltenen hatten ĂŒbrigens Versammlungsfreiheit und
sogar das Recht zur Herausgabe einer Wandzeitung âAus dem GefĂ€ngnis der
Kommunardenâ (nach Zaikowakij, âKronstadt 1917 â 1922â).
Man darf also den Schluss ziehen, dass in Kronstadt kein Terror
herrschte und dass die AufstÀndischen sich unter den schwierigen und
tragischen UmstĂ€nden alle MĂŒhe gaben, ihre Begriffe von
Arbeiterdemokratie aufrecht zu erhalten.
Auch die massenhaften Ergebenheitsadressen von Angehörigen der
Parteibasis an das Provisorische Revolutionskomitee drĂŒckten diesen
Willen der arbeitenden Bevölkerung aus. Im RĂŒckblick erscheint dieser
demokratische Wille der KronstÀdter beinahe unerhört angesichts des
Denkens und der Taten jener, die in Petersburg und Moskau herrschten:
verstĂ€ndnislos, taub und blind fĂŒr die Forderungen der KronstĂ€dter und
der arbeitenden Massen in der UdSSR.
Ein objektiver Beobachter wird nicht verstehen können, wie man in jenen
tragischen Tagen, da sich die Katastrophe noch hÀtte abwenden lassen,
eine solche Sprache sprechen konnte wie das Verteidigungskomitee von
Petersburg, es sei denn in der festen Absicht, ein Blutbad zu
provozieren und die bedingungslose Ăbergabe der Matrosen durchzusetzen.
Am 5. MĂ€rz richtete das Verteidigungskomitee von Petersburg einen Appell
an die AufstÀndischen:
âDas habt ihr nun erreicht! â Man will Euch einreden, Petersburg,
Sibirien und die Ukraine stĂŒnden auf Eurer Seite. Das ist eine
unverschĂ€mte LĂŒge! In Petersburg wird Euch auch der letzte Matrose im
Stich lassen, sobald er erfÀhrt, dass Ihr von GenerÀlen vom Schlage
eines Koslowskij gefĂŒhrt werdet.
Sibirien und die Ukraine stehen fest zur Macht der Sowjets. Petersburg
lacht ĂŒber die unglĂŒcklichen Anstrengungen einer Handvoll RevolutionĂ€rer
Sozialisten und WeiĂgardisten.
Ihr seid von allen Seiten eingeschlossen. In wenigen Stunden werdet Ihr
Euch ergeben mĂŒssen. Kronstadt hat kein Brot und Brennmaterial. Weigert
Ihr Euch, so wird man Euch wie Enten auf dem Teich abschieĂen.
Alle GenerÀle vom Schlage Koslowskij und Bourkser, solche Canaillen wie
Petritschenkow und Turin werden sich im letzten Augenblick zu den
WeiĂgardisten nach Finnland absetzen. Wo aber werdet Ihr hingehen, die
einfachen Matrosen und Soldaten? Wenn Ihr an die versprochene Aufnahme
in Finnland glaubt, tÀuscht Ihr Euch. Habt Ihr nicht gehört, wie es den
Wrangelsoldaten ergangen ist, die nach Konstantinopel gebracht wurden
und dort hungrig und krank wie Fliegen starben? Gleiches droht Euch,
wenn Ihr nicht schnell zur Besinnung kommt! Verliert keine Minute und
ergebt Euch sofort. Sammelt die Waffen ein und kommt zu uns. Entwaffnet
und verhaftet die RĂ€delsfĂŒhrer und vor allem die zaristischen GenerĂ€le.
Wer sich sofort ergibt, wird nicht bestraft!
Ergebt Euch sofort!
Das Verteidigungskomiteeâ
Gleichzeitig gab der Petrosowjet einen Aufruf an die Arbeiter, Matrosen
und Soldaten Kronstadts heraus:
âEine Handvoll Abenteurer und KonterrevolutionĂ€re hat Kronstadt in
Verruf gebracht.
Im RĂŒcken der Petropawlowsk-Matrosen treiben sicherlich Agenten der
französischen Gegenspionage ihre Machenschaften.
Sie reden den Matrosen ein, es ginge um den Kampf fĂŒr die Demokratie,
sie wĂŒrden kein Blut vergieĂen, nicht ein Schuss werde fallen und all
das im Namen irgendeiner Demokratie. FĂŒr so eine Demokratie können
Agenten der französischen Kapitalisten, zaristische GenerÀle und ihre
ergebenen Helfershelfer, die Menschewiken und RevolutionÀren
Sozialisten, kĂ€mpfen. Die AufrĂŒhrer des Komplotts behaupten, ohne einen
Schuss an die Macht gekommen zu sein. Das war nur möglich, weil die
Sowjetmacht den Konflikt friedlich lösen wollte. Aber dabei kann sie es
lÀnger nicht belassen: die internationale Bourgeoisie wird schon
aufmerksam, im Lager der Feinde des Proletariats wird Jubel laut, jedem
Tag ist mit einem neuen Kreuzzug gegen das Russland der RĂ€te zu rechnen.
Unsere Errungenschaften sind bedroht. Die Abenteurer, die behaupten, die
Kommunisten wĂŒrden mit dem wirtschaftlichen Aufbau nicht fertig, drĂ€ngen
Sowjetrussland in einen neuen Krieg. Der Petrosowjet und die
Zentralregierung können und dĂŒrfen das nicht zulassen. Die Sache der
belagerten KonterrevolutionÀre in Kronstadt ist hoffnungslos. Sie stehen
ohnmĂ€chtig dem Russland der Sowjets gegenĂŒber. Ihr Aufstand ist in
kĂŒrzester Frist zu liquidieren.
Genossen Arbeiter, Matrosen und Soldaten seht ein:
Man hat Euch getÀuscht; von Euch allein hÀngt der mögliche blutige
Ausgang dieses Abenteuers ab, in das Euch die WeiĂen Garden verwickelt
haben; von Euch hĂ€ngt es ab, dass die Banden der WeiĂgardisten nicht
ungestraft davonkommen.
Genossen, verhaftet auf der Stelle die AnfĂŒhrer des konterrevolutionĂ€ren
Komplotts. Setzt unverzĂŒglich den KronstĂ€dter Sowjet wieder ein. Die
Regierung der Sowjets wird zwischen arglos verfĂŒhrten Arbeitern und den
vorsÀtzlichen KonterrevolutionÀren zu unterscheiden wissen.
Genossen, abermals sagt Euch der Sowjet von Petersburg:
Auf Euch kommt es an, dass Bruder nicht auf Bruder schieĂt, dass die
mörderischen Absichten des Feindes der Arbeiterklasse auf ihn selbst
zurĂŒckfallen. Dies ist unsere letzte Aufforderung; die Zeit vergeht,
entschlieĂt Euch und zögert nicht; zieht mit uns gegen den gemeinsamen
Feind oder Ihr werdet gemeinsam mit den KonterrevolutionÀren klÀglich
zugrunde gehen.
Gezeichnet: Der Arbeiter-, Bauern- und Soldatensowjet von Petersburgâ
(nach: Radio Novaja Hollandia)
Diese Meldung beantwortete das Provisorische Revolutionskomitee mit
einem Aufruf:
âAn Alle, an Alle, an Alle! â
Genossen Arbeiter, Soldaten und Matrosen. Wir in Kronstadt wissen, was
Ihr, Eure Frauen und Kinder unter der Kommunistischen Diktatur erlitten
habt. Wir haben den kommunistischen Sowjet gestĂŒrzt und das
Provisorische Revolutionskomitee eröffnet heute die Wahlen zu einem
neuen Sowjet, der frei gewÀhlt wird und der den Willen der gesamten
arbeitenden Bevölkerung und der Garnison vertreten soll, nicht nur den
einer Handvoll wahnsinniger Bolschewisten.
Unsere Sache ist gerecht:
Wir sind fĂŒr die Macht der RĂ€te, gegen die Macht einer einzigen Partei;
wir sind fĂŒr die frei gewĂ€hlte Vertretung der arbeitenden Massen. Die
korrupten, von der KP gekauften Sowjets, waren fĂŒr unsere Forderungen
taub, SchĂŒsse waren ihre einzige Antwort.
Nun, da die Geduld der Arbeiter erschöpft ist, will man uns mit Almosen
den Mund stopfen. Auf Anordnung Sinowjews sind die Milizpatrouillen im
Bezirk Petersburg eingestellt worden. Moskau wendet 10 Millionen
Goldrubel auf, um im Ausland Lebensmittel und BedarfsgĂŒter zu kaufen.
Wir aber wissen: mit solchen Almosen lÀsst sich das Proletariat von
Petersburg nicht bestechen; ĂŒber die Köpfe der Kommunisten hinweg
reichen wir Euch die brĂŒderliche Hand des revolutionĂ€ren Kronstadt.
Genossen, man erzĂ€hlt Euch nicht nur einfach LĂŒgen; Ihr erfahrt die
durch schÀbigste Verleumdungen entstellte Wahrheit. Lasst Euch durch
diese Taktik nicht verwirren!
In Kronstadt ist die Macht in den HĂ€nden der Matrosen, der Roten
Soldaten sowie der revolutionĂ€ren Arbeiter, nicht in HĂ€nden der WeiĂen
Garde mit General Koslowskij an der Spitze, wie Radio Moskau Euch
weismachen will.
Gezeichnet: Das Provisorische Revolutionskomiteeâ
AuslÀndische Kommunisten, die sich damals in Petersburg und Moskau
aufhielten und in Regierungskreisen verkehrten, bestÀtigen, dass die
Regierung ĂŒberstĂŒrzt Nahrungsmittel im Ausland aufkaufte (es wurde sogar
Schokolade angeschafft, was fĂŒr russische VerhĂ€ltnisse immer schon Luxus
war). Moskau und Petersburg hatten abrupt die Taktik gewechselt. Und die
Regierung war psychologisch den KronstĂ€dtern ĂŒberlegen: sie wusste, wie
bestechend WeiĂbrot auf eine ausgehungerte Bevölkerung wirken musste.
Vergebens predigten die KronstÀdter den Petersburgern, das Proletariat
lasse sich nicht mit Almosen kaufen. Die Almosen taten ihre Wirkung
zweifellos, zumal im Verein mit anderen MaĂnahmen, wie der konsequenten
Verfolgung der Streikenden.
Immerhin blieb ein Teil des Petersburger Proletariats noch wÀhrend der
KronstÀdter Revolte im Ausstand. Ihre Streikforderung war: Freilassung
der politischen HĂ€ftlinge.
In einigen Betrieben fand man die KronstÀdter Iswestija an den WÀnden;
in den StraĂen Petersburgs verkehrte sogar ein Lieferwagen, der
Flugschriften aus Kronstadt abwarf. In einigen Fabriken, wie etwa der
26ten Staatsdruckerei lehnten die Arbeiter eine Resolution zur
Verurteilung der KronstÀdter Matrosen ab. In den Arsenal-Betrieben
organisierten die Arbeiter am 7. MĂ€rz (als Kronstadt zum ersten Male
bombardiert wurde) eine Versammlung, die die Resolution der
aufstÀndischen Matrosen annahm. Diese Versammlung bestimmte eine
Spezialkommission, die von Betrieb zu Betrieb ziehen und zum
Generalstreik auffordern sollte.
Die gröĂten Betriebe Petersburgs wurden weiterhin bestreikt: Putilow,
Baltiskij, Oboukow, Niewskaja Manufactura und andere. Die Leitung der
Betriebe entlieĂ das Personal der bestreikten Fabriken und ĂŒbertrug die
Direktion auf die örtlichen Troikas. Diese begannen sofort mit
Neueinstellungen, setzten aber zugleich die Verfolgung der aktivsten
Streikenden fort.
Zur gleichen Zeit wie in Petersburg brachen in Moskau, Nijni Nowgorod
und anderen StĂ€dten Streiks aus. Aber auch hier fĂŒhrte die sofortige
Ausgabe von Lebensmitteln, repressive MaĂnahmen und das ausgestreute
GerĂŒcht ĂŒber zaristische GenerĂ€le in Kronstadt zu einer Desorientierung
des Proletariats und die Kommunisten erreichten ihr Ziel. In Petersburg
und den anderen IndustriestÀdten geriet das Proletariat in Verwirrung.
Die KronstÀdter aber, die mit der Hilfe der ganzen Arbeiterbevölkerung
gerechnet hatten, standen einsam einer Regierung gegenĂŒber, die
entschlossen war, sie um jeden Preis zu vernichten.
III. 3 â Das Eingreifen der Roten Armee
Am 6. MĂ€rz erhielt das Provisorische Revolutionskomitee ein
Radiotelegramm aus Petersburg:
âBittet in Petersburg um die Entsendung einiger Sowjetmitglieder,
jeweils einiger Parteilosen und KP-Mitglieder nach Kronstadt, um die
Lage zu diskutieren.â
Die umgehende Antwort des Provisorischen Revolutionskomitee lautete:
âWir haben kein Vertrauen in Eure angeblichen Parteilosen. Wir schlagen
daher vor, im Beisein unserer Delegierten in den Betrieben sowie unter
den Soldaten und Matrosen eine Anzahl Parteiloser wÀhlen zu lassen.
ZusÀtzlich könnt Ihr, im VerhÀltnis von 15 Prozent, Kommunisten
benennen.
Wir erbitten Antwort bis spÀtestens 6. MÀrz, 18 Uhr, mit Angaben des
Termins fĂŒr den Austausch von Delegationen. Sollte dieser Termin nicht
eingehalten werden können, bitten wir um Mitteilung unter Angabe von
GrĂŒnden. Transportmittel werden Euren Delegierten zur VerfĂŒgung
gestellt.
Das Provisorische Revolutionskomiteeâ
Die Depesche des Petrosowjet scheint in krassem Widerspruch zu dem Ton
des o.a. Appells zu stehen, in dem nur von bedingungsloser Unterwerfung
die Rede war. Offenbar trafen im Petersburger Rat verschiedene EinflĂŒsse
aufeinander. Die Regierung war aber nach wie vor Entschlossen, mit
eiserner Faust aufzurÀumen. Trotzki erlieà am selben Tag einen Befehl an
die Garnison von Kronstadt:
âDie Regierung der Arbeiter und Bauern ist entschlossen, Kronstadt und
die Schiffe unverzĂŒglich wieder unter die VerfĂŒgungsgewalt der
RĂ€terepublik zu stellen. Daher befehle ich allen, die gegen ihr
sozialistisches Vaterland sich erhoben haben, die Waffen niederzulegen.
Wer sich weigert, wird entwaffnet und den sowjetischen Behörden
ĂŒbergeben. Die verhafteten Kommissare und andere Vertreter der
Staatsmacht sind unverzĂŒglich freizulassen. Nur wer sich bedingungslos
ergibt, kann auf die Gnade der Sowjetrepublik rechnen. Gleichzeitig
befehle ich alle nötigen Vorbereitungen fĂŒr die Niederwerfung der
AufstĂ€ndischen mit Waffengewalt. Die Verantwortung fĂŒr das der
Zivilbevölkerung zugefĂŒgte UnglĂŒck werden die WeiĂen Garden in jeder
Konsequenz zu tragen haben. Der Vorsitzende des militÀrischen
Revolutionsrates der Sowjetrepublik: Trotzkiâ
Der Oberbefehlshaber: Kamenew
WĂ€hrend also noch am 6. MĂ€rz der Petrosowjet ĂŒber die Entsendung einer
Untersuchungskommission unterhandelte, entsandte am 7. MĂ€rz das
Oberkommando bereits Truppen der Roten Armee zur militÀrischen Einnahme
der Festung.
Kommuniqué der Iswestija am 8. MÀrz:
âUm 6 Uhr 45 haben die Batterien von Sestroretzk und Lissinios das Feuer
auf die Bastionen von Kronstadt eröffnet.
Die Bastionen nahmen die Herausforderung an und brachten die GeschĂŒtze
der Regierung schnellstens zum Schweigen.
Daraufhin eröffnete die Bastion âKrasnaja Gorkaâ das Feuer, das von dem
Panzerkreuzer Sebastopol erwidert wurde. Das Artilleriegefecht dauert
an.
Kronstadt, 7. MĂ€rz 1921 â Das Provisorische Revolutionskomiteeâ
Am 8. MĂ€rz wird die erste Fliegerbombe ĂŒber Kronstadt abgeworfen. In den
folgenden Tagen hÀlt die Artillerie der Regierung die Festung und die
umliegenden Bastionen weiterhin unter Beschuss, wobei sie auf energische
Gegenwehr stöĂt. Auf den fortgesetzten Abwurf von Bomben reagiert die
Zivilbevölkerung mit so erbittertem Gewehrfeuer auf die Flugzeuge, dass
das Provisorische Revolutionskomitee einen Befehl zur Unterbindung von
Munitionsverschwendung erlassen muss.
Welche Verteidigungsmittel besaĂ Kronstadt?
Kronstadt liegt auf der Insel Kotlin, 26,5 km von Petersburg, 7 km von
Oranienbaum, 13 km von Lissi Nos und 21 km von Terioki entfernt. Es
wurde 1711 von Pierre Le Grand zur Verteidigung Petersburgs gegen
Angriffe von See erbaut.
Kronstadt besaĂ eine groĂe Artillerie, allerdings von geringer
Reichweite. Die modernsten GeschĂŒtze hatten einen Aktionsradius von 15
km. Somit lag Petersburg bereits auĂer ihrer Reichweite. Zudem waren die
Batterien zur Seeseite hin installiert und nur einige wenige GeschĂŒtze
waren beweglich. Eine Anzahl von 12-Zoll-GeschĂŒtzen befand sich u.a. in
der Bastion âKrasnaja Gorkaâ auf der Höhe von Oranienbaum, aber diese
Festung war regierungstreu.
Zur Zeit der Revolte standen vier Panzerkreuzer zur VerfĂŒgung: die
Petropawlowsk, Sebastopol, Gangout und Poltawa, die jeweils mit
12-Zoll-GeschĂŒtzen bestĂŒckt waren; die Schlachtschiffe Riurik und Rossia
mit 10-Zoll-Kanonen und die Baijan, Bogatir und Aurora mit 6-Zöllern.
Doch man hatte keine Eisbrecher, und alle Schiffe waren durch das Eis
praktisch nicht einsatzfÀhig. Hinzu kam, dass die Sebastopol und
Petropawlowsk direkt nebeneinander lagen, so das die eine nur das
rechte, die andere nur das linke Schussfeld belegen konnte. Man konnte
aber auch nicht trennen, denn die Sebastopol hatte keine eigenen
Brennstoffe und war an das Stromnetz der Petropawlowsk angeschlossen.
Die Garnison von Kronstadt war 1921 stark dezimiert. Nach den Zahlen der
Stabsabteilung der KronstÀdter Verteidigung betrug die StÀrke der
Infanterie maximal 3.000 Mann. Nach Angaben Koslowkijs war die gesamte
Artillerie der Festung fĂŒr die Verteidigung Kronstadts eingesetzt (mit
Ausnahme der Bastion Krasnaja Gorka und des Armeeregiments 560, das sich
gleich zu Anfang ergab). Hinzu kam eine aus Matrosen bestehende
KĂŒstenwache und bunt zusammengewĂŒrfelte Bataillone, die sich aus den
Behörden und Schulen rekrutierten. In der Verteidigungslinie der
KronstÀdter Infanteristen betrug die Distanz von Mann zu Mann nicht
weniger als zehneinhalb Meter!
Der Vorrat an Munition und Granaten war ebenfalls höchst gering. Um die
bescheidene Anzahl der GeschĂŒtze auszugleichen, verdreifachten die
Matrosen die Schussfrequenz â von 150 Schuss normal auf 450 Schuss.
Am Nachmittag des 3. MĂ€rz hatte das Provisorische Revolutionskomitee mit
einigen MilitÀrspezialisten konferiert. In dieser Sitzung wurde ein
militĂ€rischer Verteidigungsrat eingesetzt, der einen Abwehrplan fĂŒr die
Festung erstellte. Als aber die militÀrischen Berater eine Offensive auf
Oranienbaum empfahlen, wo sich in der Station âSpassatelnaijaâ ein
ziemlich umfangreiches Nahrungsmitteldepot befand, lehnte das
Provisorische Revolutionskomitee ab; es setzte seine ganze Hoffnung
nicht in die militÀrischen FÀhigkeiten seiner Matrosen, sondern in die
SolidaritÀt der ganzen Arbeiterbevölkerung des Landes. Man muss
annehmen, dass die KronstÀdter bis zum ersten Kanonenschuss nicht an die
Entschlossenheit der Regierung zu einem militÀrischen Angriff glaubten.
Deshalb wohl lieĂ das Provisorische Revolutionskomitee nicht rings um
die Festung das Eis brechen, was den Infanterieangriff ĂŒber das Eis
unterbunden hÀtte. Deshalb auch wohl wurden die voraussichtlichen
Einfallswege nicht mit armierten Barrikaden versehen.
Die KronstÀdter hatten recht: militÀrisch konnten sie nicht siegen. Sie
konnten höchstens hoffen, sich zwei Wochen lang zu halten, bis
erfahrungsgemÀà das Eis schmolz, was Kronstadt zu einer ziemlich
uneinnehmbaren Festung gemacht hÀtte. Man darf aber nicht vergessen,
dass ihre Mannschaftsreserven minimal waren im Vergleich zur Zahl der
Soldaten, die die Rote Armee gegen sie ins Feld schickte.
Wie aber stand es mit der Kampfmoral dieser Soldaten?
III.4 â Die Moral der Roten Armeeregime
In einem Interview mit der Krasnaja Gasetta sagte Dybenkow damals, dass
alle militÀrischen Einheiten, die bei Kronstadt eingesetzt wurden,
vorher einen Revirement unterzogen werden mussten. Das war absolut
notwendig, denn in den ersten Gefechtsphasen zeigte die Rote Armee einen
starken Widerwillen, gegen die Matrosen, die âbaltischkiâ, die
BrĂŒderchen, wie ihr volkstĂŒmlicher Spitzname lautete, zu kĂ€mpfen. Denn
gerade den aufgewecktesten Vertretern der russischen Arbeiterklasse
galten diese Matrosen als engagierte BannertrÀger der Revolution.
AuĂerdem hatten die Soldaten der Roten Armee dieselben Sorgen, die die
KronstÀdter zum Aufstand veranlasst hatten: Hunger, KÀlte, mangelhafte
Kleidung und schlechtes Schuhwerk, was im russischen Klima einiges
bedeutet, zumal wenn man in Eis und Schnee marschieren und kÀmpfen soll.
In der Nacht zum 8. MĂ€rz, als der Angriff der Roten Armee auf Kronstadt
begann, fegte ein fĂŒrchterlicher Schneesturm ĂŒber die Ostsee. Dichter
Nebel verhĂŒllte den Weg. Die Soldaten trugen weiĂe Schneehemden, die sie
vor dem verschneiten Hintergrund nahezu unsichtbar machten. Im sĂŒdlichen
Abschnitt, wo man sich Kronstadt von Oranienbaum her nÀherte, war die
Leitung dem Regiment O.N. (Regiment fĂŒr Spezialaufgaben) und dem 561.
JĂ€gerregiment ĂŒbertragen. Ăber die geistige Verfassung dieses Regimentes
weiĂ Poukhow zu berichten: âZu Beginn der militĂ€rischen Operation hatte
das 2. Bataillon die Teilnahme am Kampf verweigert. Schlecht und recht
konnte man die Soldaten mit Hilfe der Kommunisten ĂŒberzeugen; endlich
waren sie bereit, das Eis zu betreten. Kaum bei der ersten Batterie im
SĂŒd-Abschnitt angelangt, lief eine Kompanie des 2. Bataillons zum Feind
ĂŒber, die Offiziere kehrten allein zurĂŒck.
Das Regiment machte halt. Es begann zu tagen. Man hatte keine Nachricht
vom 3. Bataillon. Dieses Bataillon aber marschiere in Richtung 1. und 2.
Batterie im SĂŒd-Abschnitt: zunĂ€chst wurde in Kolone vorgerĂŒckt, als man
von den Bastionen unter Beschuss genommen wurde, bildete man Kette und
begab sich nach Erreichen von Hörweite der 2. Kompanie auf die linke
Seite der Batterie der Bastion Miljutin, woher mit roten Flaggen Zeichen
gegeben wurde. Bei einer AnnÀherung auf 40 Schritt erkannte man
MG-Stellungen der AufstÀndischen. Diese drohten, die Soldaten zu
erschieĂen, wenn sie sich nicht ergeben. Alle ergaben sich, mit Ausnahme
des Bataillonskommissars und drei oder vier Soldaten. Diese kehrten um
und konnten und konnten auf dem RĂŒckweg das 7. Bataillon zur Umkehr
bewegen, das ebenfalls ĂŒberlaufen wollte.â
Dieses Zitat war eine Passage aus dem offiziellen Heeresbericht!
Ăhnliche VorfĂ€lle wurden bei den Kadetten-Einheiten im Nord-Abschnitt
beobachtet, die Poukhow immerhin fĂŒr die fĂ€higsten KrĂ€fte hielt. Um
Ouglanow, Kommissar fĂŒr den Nord-Abschnitt, schreibt am 8. MĂ€rz an das
Bezirkskomitee der Partei (in Petersburg):
âIch halte es fĂŒr meine Pflicht als RevolutionĂ€r, Aufschluss ĂŒber die
Lage im Nordabschnitt und die Moral der dort KĂ€mpfenden zu geben. Bei
den Kadetten herrscht Angst vor dem Plan, ĂŒber das Eis anzugreifen.
Diese Haltung setzte sich auch heute morgen durch, als der Angriff auf
die Bastionen begann. Am Anfang brachen nur die Kommunisten und einige
mutige Gruppen der Parteilosen auf. Es gelang erst den vereinten
Argumenten von Kommandant, Politkommissaren und Offizieren, die Kadetten
zum Angriff zu bewegen, der dann unter starkem Beschuss von seiten der
Bastionen und Kronstadts erfolgte. Dieser Angriff, der die Besetzung der
7. Bastion zum Ziel hatte, musste heute â angesichts der depressiven
Moral der Truppe â abgeblasen werden.
Es ist unmöglich, die Armee einen zweiten Angriff auf die Bastionen
ausfĂŒhren zu lassen. Ich habe bereits die Genossen Laschewitsch, Avrow
und Trotzki von der Moral der Kadetten unterrichtet. Ich musste ihnen
diese Tendenzen mitteilen: sie, die Kadetten, wollen die Absichten der
KronstÀdter kennenlernen und beabsichtigen, Delegierte in die Stadt zu
schicken. Die Anzahl der Politkommissare auf diesem Abschnitt ist
vollkommen unzureichend!â
Die Moral der Armee wird auch deutlich im Falle der 79. Brigade und der
27. Division von Omsk. Diese aus drei Regimentern bestehende Division
hatte sich im Kampf gegen Koltschak militÀrisch ausgezeichnet. Am 12.
MÀrz wurde sie an der KronstÀdter Front eingesetzt. Ein Regiment, das
von Orschan, weigerte sich, gegen die KronstÀdter zu kÀmpfen. Am
nÀchsten Tag hielten die beiden anderen Regimenter Versammlungen ab und
diskutierten, welche Haltung sie einnehmen sollten. Zwei Regimenter
mussten gewaltsam entwaffnet werden und wurden vom ârevolutionĂ€renâ
Tribunal mit schweren Strafen belegt.
Bezeichnend ist auch der Fall der Unteroffiziersschule der 93.
Infanteriebrigade der 11. Division, die am 8. MĂ€rz dem 95. Regiment
unterstellt wurde. Als der Kommandant und der Politkommissar die Front
abschritten, tönte ihnen der Sprechchor entgegen: âWarum hat man uns
hierher gefĂŒhrt?â Zwei Tage spĂ€ter verweigerte die Schule den Befehl,
und das MilitÀrgericht griff abermals ein.
Ăhnliche FĂ€lle waren sehr zahlreich. Denn die Soldaten weigerten sich
nicht nur, weil sie es ablehnten, gegen ihre Klassenangehörigen zu
kÀmpfen, es war ihnen auch unheimlich, im MÀrz auf dem Eis zu operieren.
Manche Einheiten waren aus anderen Landesteilen abgestellt, wo das Eis
um Mitte MĂ€rz zu schmelzen begann und waren dementsprechend misstrauisch
gegen das Eis der Ostsee. AuĂerdem hatten die ersten Gefechtsteilnehmer
mitansehen mĂŒssen, wie die Granaten der KronstĂ€dter enorme Löcher in das
Eis rissen, in denen manch unglĂŒcklicher Verteidiger der Regierung
versank. Solche Szenen waren recht entmutigend und trugen zum Misserfolg
der ersten Angriffe bei.
III.5 â Reorganisation und Repression in der Roten Armee
Die letzten KĂ€mpfe
Der Kommandant der Roten Armee setzte in dieser Situation verstÀrkt die
Luftwaffe ein und ergriff MaĂnahmen, um die Schlagkraft der Armee zu
verstÀrken. Die auf Kronstadt angesetzten Einheiten wurden völlig neu
organisiert. Alle, die offen mit Kronstadt sympathisiert hatten, wurden
entwaffnet und auf andere Einheiten verteilt. Einige wurden durch die
ârevolutionĂ€renâ Tribunale mit strengen Strafen belegt. Die Mitglieder
der KP wurden mobilisiert und zu Propaganda- und Ăberwachungszwecken in
die Armee eingeschleust. Der 10. Parteitag der KP fand vom 8. bis 15.
MĂ€rz in Moskau statt, wĂ€hrend in Kronstadt KanonenschĂŒsse das Eis
aufwĂŒhlten. Er entsandte mehr als 300 Deputierte an die Front. Dort
wurden sie zu Politkommissaren ernannt, auf die einzelnen
Frontabschnitte verteilt und in den Organen der Spezialabteilungen der
Tscheka oder in Kommissionen zur BekÀmpfung der Desertion eingesetzt.
Einige von ihnen kÀmpfen auch als einfache Soldaten. Unter diesen
Deputierten befanden sich Woroschilow, Boubnow, Zatonskij, Rukimowitsch,
Piatakow und andere prominente Kommunisten. In einigen militÀrischen
Einheiten betrug die Anzahl der KP-Mitglieder zwischen 15 und 30%,
manche verfĂŒgten sogar ĂŒber einen Anteil von bis zu 70%.
Die ârevolutionĂ€renâ Tribunale entwickelten eine emsige AktivitĂ€t.
Poukhow berichtet, dass âdie Tribunale gegen alle schĂ€dlichen Tendenzen
einschritten. ĂberfĂŒhrte Unruhestifter und Provokateure empfingen
unverzĂŒglich ihre Strafe. Die Urteile wurden den Soldaten sofort
bekanntgegeben, teilweise auch in der Presse veröffentlichtâ.
Aber ungeachtet dieses Instrumentariums von Propaganda-,
Reorganisations- und RepressionsmaĂnahmen blieb die Haltung der Soldaten
widerspenstig. Noch am 14. MĂ€rz wurden FĂ€lle von Befehlsverweigerung
beim Angriff verzeichnet. So blieb zB das 561. Regiment auch nach seiner
am 8. MĂ€rz erfolgten Reorganisation ârenitentâ. âWir wollen nicht gegen
unsere BrĂŒder aus den Heimatdörfern kĂ€mpfenâ, argumentierten die
Soldaten des Regiments, das zum GroĂteil aus Ukrainern und Kosaken
bestand â genauso wie das 560. Regiment, das an der Seite der
AufstÀndischen kÀmpfte.
Nicht wenige Soldaten, die sich den AufstÀndischen ergeben hatten,
setzten auf der Gegenseite den Kampf fort. Das Rote Oberkommando ging
daraufhin unnachsichtig gegen alle potentiellen ĂberlĂ€ufer vor.
Augenzeugen berichten, dass einige VerbĂ€nde beim VorrĂŒcken schon die
HĂ€lfte ihrer MĂ€nner verloren hatten, ehe sie ĂŒberhaupt in das feindliche
Schussfeld gelangten: die Kommunisten der eigenen Seite hatten sie wegen
Befehlsverweigerung oder Desertionsverdacht erschossen.
Die Desertion breitete sich ĂŒberhaupt massenhaft in der Roten Armee aus.
Immer wieder verschwanden Gruppen von 20 â 30 Soldaten, bewaffnet, unter
Mitnahme weiterer Gewehre und Granaten. Um das zu verhindern, setzte die
Regierung Spezialkommission ein: sie bestanden aus mobilisierten
Parteimitgliedern und versuchten, sich der Mithilfe der Bauern im Bezirk
Petersburg und in den umgebenden Bezirken als âHilfsgendarmenâ zu
versichern.
Nach offiziellen Angaben wurde in der Roten Armee die KronstÀdter
Iswestija mit groĂer Aufmerksamkeit gelesen. Auch kursierten
Flugschriften, deren Verbreitung den KronstÀdtern auf immer neuen
Schleichwegen gelang. Zwar wachten Politkommissare darĂŒber, dass diese
Publikationen nicht in die Kasernen drangen, aber ihre BemĂŒhungen
verstĂ€rkten im Gegenteil nur das Interesse fĂŒr die literarische
Konterbande. Andererseits hatten, wie Poukhow zugeben muss, offiziellen
Zeitungen mit ihrer Siegespropaganda nur einen höchst fragwĂŒrdigen
Effekt. Die Propaganda konzentrierte sich besonders auf die
zurĂŒckgebliebenen Truppen in der Etappe. Die unerschöpflichen
Menschenreserven des ganzen Landes waren, selbst wenn man ihre
widerspenstige Haltung berĂŒcksichtigt, ĂŒberwĂ€ltigend im Vergleich zu den
schwachen KrĂ€ften der KronstĂ€dter. WĂ€hrend die ZĂŒge nach Petersburg
unaufhörlich neuer KÀmpfer an die Front brachten, unter ihnen Kirgisen
und Baschkiren, mit einer den aufstÀndischen Matrosen völlig
unverwandten MentalitÀt, nahm die Zahl der Verteidiger Kronstadts nicht
nur durch Kampfverluste ab, ihre Kraft erschöpfte sich auch zusehens.
Schlecht gekleidet und noch schlechter ernÀhrt, verharrten die
KronstĂ€dter in achtstĂŒndigen Schichten an ihren GeschĂŒtzen. Die meisten
konnten sich kaum mehr auf den Beinen halten.
Davon wusste, Toukhatschewskij, als er, nachdem alles Nötige an
Organisation, Munitionsversorgung und Anhebung der Truppenmoral erledigt
war, diesen Befehl herausgab (Nr. 534/0444, Serie B):
âAn den Kommandanten des Abschnitts Nord, Kazanski an den Kommandanten
des Abschnitts SĂŒd, Sediakin durchschriftlich an das Glawkom
Petersburg, den 15. MĂ€rz, 23.45 Uhr
Ich befehle: in der Nacht vom 16. bis 17. MĂ€rz ist die Festung Kronstadt
im Blitzangriff einzunehmen.
Hierzu:
1. Am 16. MÀrz ist um 14 Uhr das Artilleriefeuer zu eröffnen und bis zum
Einbruch der Dunkelheit fortzusetzen.
2. Aufbruch der nördlichen Marschkolonne am 17. MÀrz um 3 Uhr, der
sĂŒdlichen Kolonne um 4.30 Uhr.
3. Der nördliche Verband greift die nord-westlichen, der sĂŒdliche
Verband die nord-östlichen und sĂŒd-westlichen Teile der Stadt an.
4. Die VerbÀnde haben nur jene Bastionen zu besetzen, die andernfalls
den Vormarsch unmöglich machen wĂŒrden.
5. Der Kommandant des sĂŒdlichen Verbandes benennt einen Befehlshaber fĂŒr
die StraĂenkĂ€mpfe in Kronstadt.
6. Der Kommandant des sĂŒdlichen Verbandes betreibt die Einnahme des
nord-östlichen Teiles der Insel Kotlin zur beabsichtigen Zeit.
7. Die Disposition der VerbÀnde ist sorgfÀltig zu beachten.
8. Der Erhalt des Befehls ist zu bestĂ€tigen, ĂŒber die ergriffenen
MaĂnahmen ist Mitteilung zu machen.
Der Chef der 7. Armee: Toukhatschewskij
Chef des Generalstabs: Peremytovâ
Toukhatschewskij Operationsplan sah den entscheidenden Schlag von SĂŒden
her vor, die endgĂŒltige Einnahme der StĂ€dte sollte dann von drei Seiten
erfolgen. Der Einbruch sollte durch das Petersburger Tor geschehen, das
nach Petersburg hin lag, nicht befestigt war und so die Achillesferse
der Festung bildete. Zur selben Zeit sollte der Nördliche Verband von
Nord-West angreifen, um die KrÀfte der AufstÀndischen in den dortigen
Bastionen zu binden; der SĂŒdliche Verband unternahm gleichzeitig einen
Scheinangriff gegen die Bastion âTotlebenâ, um weitere KrĂ€fte der
KronstÀdter abzulenken.
Am 16. MĂ€rz um 14.20 Uhr eröffnete die Artillerie im SĂŒdlichen Abschnitt
das Feuer, um 17 Uhr schloss sich die Nördliche Batterie an. Von
Kronstadt wurde zurĂŒck geschossen, das Gefecht dauerte ungefĂ€hr vier
Stunden. Dann wurden Fliegerbomben eingesetzt, um die Zivilbevölkerung
in Panik zu versetzen. Gegen Abend verstummte die Artillerie, die
KronstÀdter versuchten nun, mit Scheinwerfern die Sammelpunkte der
Regierungstruppen auf dem Eis zu orten. Gegen Mitternacht brachen die
Truppen nach Toukhatschewskijs Plan auf. Um 2.45 Uhr hatten die
Nördlichen VerbÀnde das verlassene Fort Nummer sieben eingenommen. Um
4.30 Uhr nahm die KronstÀdter
Artillerie Truppen unter Beschuss, die die Bastionen vier und sechs
angriffen. Um 6.40 Uhr war die Bastion sechs nach hartem Kampf in den
HĂ€nden der Kadetten die nur geringe Verluste erlitten hatten. Die
KronstÀdter hatten erbittert Widerstand geleistet, als sich die Kadetten
den Stacheldrahtverhauen nÀhrten. Zu dieser Zeit endete das
Artilleriefeuer der Bastion da die MunitionsvorrÀte erschöpft waren.
Lediglich ein mobiles MG war noch im Einsatz. Ăhnlich spielte sich die
letzte Verteidigung Kronstadts auch an anderen Punkten ab.
Um 5 Uhr morgens griff die sĂŒdliche Abteilung die SĂŒd-Batterie an und
zwang die KronstĂ€dter zum RĂŒckzug auf die Stadt. Damit begannen die
StraĂenkĂ€mpfe. Die Matrosen verteidigten jedes Haus und jede Lagerhalle.
In der Innenstadt kamen zur VerstÀrkung der Matrosen Kampfabteilungen
der Arbeiter, mit deren Hilfe es einmal gelang, die Regierungstruppen
aus der Stadt zu werfen, die sich daraufhin in der Vorstadt
verschanzten.
UnterstĂŒtzt von Munitionsarbeitern, glĂŒckte den Matrosen auch die
Wiedereinnahme der Technischen Schule, die bereits von der 30. Brigade
gehalten wurde.
Die StraĂenkĂ€mpfe wĂŒteten furchtbar. Die Roten Soldaten bĂŒĂten ihre
Offiziere ein, KronstÀdter und Regierungstruppen gerieten durcheinander,
die feindlichen BrĂŒder verloren jede Orientierung. Die Zivilbevölkerung
versuchte noch jetzt, mit den Regierungstruppen Kontakt aufzunehmen und
verteilte FlugblÀtter des Provisorischen Revolutionskomitee und bis
zuletzt unternahmen die Matrosen Fraternisierungsversuche mit den
Regierungssoldaten.
Die Regierungstruppen erlitten in den StraĂenkĂ€mpfen hohe Verluste, ein
Teil von ihnen ergriff die Flucht, zu ihrer Festnahme wurde das 27.
Kaukasische Regiment eingesetzt. Gleichzeitig gelang es den aus
Oranienbaum nachgeschobenen Reservetruppen im Verein mit einer
kommunistischen Einheit, die Technische Schule abermals einzunehmen.
Der nördliche Verband war wÀhrend des ganzen 17. MÀrz mit der Einnahme
der Bastionen beschÀftigt. Gegen Abend waren mit Ausnahme der Bastion 4
alle dortigen Bastionen in der Hand der Regierungstruppen.
In den StraĂen wurde noch bis spĂ€t in die folgende Nacht (17. bis 18.
MÀrz) gekÀmpft. Die Angriffe auf die verbliebenen Bastionen Miljutin,
Constantin und Obrutschew wurden noch am 18. fortgesetzt. Als
schlieĂlich die Festung und alle Bastionen genommen waren, als die
Verteidigung der KronstÀdter zusammengebrochen war, gelang es noch einer
Gruppe von 150 Matrosen, am Tolbukin-Leuchtfeuer die Regierungstruppen
mit einigen MGs hartnÀckig aufzuhalten.
III.6 â Repressalien und Massaker
Betrachten wir die Verlustbilianz des KronstĂ€dter Cemetzels fĂŒr die
russischen Arbeiter:
Nach Angaben des Petersburger MilitÀrischen SanitÀtsdienstes wurden in
den KrankenhÀusern der Stadt zwischen dem 3. und 21. MÀrz
4.127 Verwundete
158 schwere Quetschungen
527 TodesfÀlle
verzeichnet. Unbekannt ist die Zahl der Ertrunkenen und der zahlreichen
auf dem Eis zurĂŒckgelassenen Verletzten, die dort erfroren sind.
Unbekannt auch die Zahl der Opfer, die zur âAnhebung der Truppenmoralâ
von den ârevolutionĂ€renâ Tribunalen hingerichtet wurden.
Ăber die Verluste auf KronstĂ€dter Seite liegen ĂŒberhaupt keine
einigermaĂen genauen Angaben vor; sie waren jedenfalls sehr hoch und
erhöhten sich noch um die Zahl der Opfer des anschlieĂenden Massakers
bei der Liquidierung der AufstĂ€ndischen. HierĂŒber kann man nur
Vermutungen anstellen. Vielleicht werden eines Tages die Archive der
Tscheka, der Ossoby Otdijel und der Tribunale die grausame Wahrheit
enthĂŒllen.
Hierzu Poukhow: âGleichzeitig mit den ersten MaĂnahmen zur
Normalisierung des Lebens und zur Liquidierung der letzten
AufstÀndischen hatte das revolutionÀre Tribunal seine Arbeit auf breiter
Basis fortgesetzt. ⊠Die strafende Hand der Proletarier-Justiz machte
mit den VerrÀtern kurzen Prozess. ⊠Die Urteile wurden in der Presse
veröffentlicht, was eine starke erzieherische Wirkung hatte.â
Diese Zitate sprechen wohl eine ebenso deutliche Sprache wie Zahlen, Aus
offizieller Quelle ĂŒberfĂŒhren sie die LĂŒgen der Trotzkisten, wonach die
Festung âunter geringen Verlusten eingeschlossen und eingenommen wurdeâ.
In der Nacht vom 17. zum 18. MĂ€rz verlieĂ ein Teil des Provisorischen
Revolutionskomitee die Stadt in Richtung auf die finnische Grenze. 8000
Personen, Matrosen und die aktivsten Zivilisten, gingen den gleiche3n
Weg ins Exil.
Am 18. MÀrz, als noch um die Bastionen gekÀmpft wurde, kam schon das
ârevolutionĂ€reâ Tribunal aus Oranienbaum, um in einer âfliegenden
Sitzungâ an den âWiederaufbau der revolutionĂ€ren Ordnungâ zu gehen.
Die Verteidiger der Macht der Sowjets hielten es fĂŒr das beste, in
Kronstadt keine neuen Sowjets einzusetzen und ĂŒbertrugen dessen Aufgaben
an die Abteilung fĂŒr Politik und Zivilwesen beim Sekretariat des
Festungsadjutanten.
Die ganze Flotte wurde radikal reorganisiert. ZunÀchst wurde eine
bedeutende Anzahl von baltischen Matrosen an die SchwarzmeerkĂŒste, an
das Kaspische Meer und auf Marinestationen in Sibirien verlegt. Diese
MaĂnahme traf, nach Poukhow, âdie unsichersten Elemente, die am
anfĂ€lligsten waren fĂŒr den Geist von Kronstadt. Sie gingen allerdings
nicht freiwillig. Aber mit dieser MaĂnahme wurde die ungesunde
AtmosphĂ€re wenigstens einigermaĂen gereinigt.â
Im April begann dann das neue Oberkommando der Flotte mit der
âindividuellen Reinigungâ:
Eine âSpezialkommission zur Selektionâ wurde eingesetzt und entlieĂ
nacheinander â15.000 Matrosen der Kategorien V, G und D, dh entweder
Leute, die leicht ersetzbar waren oder aber politisch völlig untragbar.â
Nach dieser Reorganisation rekrutierte sich die Flotte nahezu
ausschlieĂlich aus Inhabern der Unbedenklichkeitsausweise A und B,
ausgestellt von der âSpezialabteilung zur Selektionâ.
So wurde nach der materiellen Vernichtung Kronstadt auch noch sein Geist
in der Flotte exorziert.
IV. KRONSTADT UND DIE POLITISCHEN TENDENZEN.
IV.1 â Die Anarchisten
Hatten die KronstÀdter ihre Forderungen und Resolutionen selbst
formuliert â oder handelten sie unter dem Einfluss politischer Gruppen,
die ihnen die Parolen lieferten? Diese Frage lost meist einen Hinweis
auf den Einfluss der Anarchisten aus. Aber gab es sie wirklich?
Sicherlich fanden sich unter den Mitgliedern des Provisorischen
Revolutionskomitees und Ăberhaupt in der KronstĂ€dter Bevölkerung manche
Individualisten, die sich zum Anarchismus bekannten. Wenn man aber, wie
wir, lediglich den vorliegenden schriftlichen Belegen folgt, lÀsst sich
ein direkter Einfluss anarchistischer Gruppen schwerlich feststellen.
Der Menschewist Dan, der in Petersburg lÀngere Zeit mit einer Gruppe von
KronstÀdtern zusammen inhaftiert war, erzÀhlt in seinen Memoiren, dass
Perepelkin, Mitglied des Provisorischen Revolutionskomitees, innerlich
zum Anarchismus neigte. Er erwÀhnt auch, dass diese KronstÀdter Matrosen
enttĂ€uscht und verbittert waren ĂŒber die Politik der KP und von Parteien
ĂŒberhaupt nur mit Abneigung sprachen. In ihren Augen waren Menschewisten
und RevolutionÀre Sozialisten um nichts besser als die Bolschewisten,
wenn es darum ging, im Besitz der einmal mit dem Vertrauen des Volkes
errungenen Macht dieses Volk zu hintergehen. âIhr steckt ja doch alle
unter einer Decke. Wir brauchen keine Regierungsmacht, was wir brauchen,
ist die Anarchieâ, sagten die Matrosen in ihrer EnttĂ€uschung ĂŒber die
politischen Parteien zu Dan.
Vereinzelte Anarchisten haben sich fĂŒr die KronstĂ€dter engagiert; aber
man darf annehmen, dass im Falle einer geschlossenen Teilnahme ihrer
Organisationen am Aufstand dies seinen Niederschlag in der
anarchistischen Presse gefunden hatte. In den Periodika der Anarchisten
ist davon aber keine Spur zu entdecken.
Auch der alte Anarcho-Syndikalist Yartschouk, der zur Zeit der
Oktoberrevolution groĂen Einfluss bei der Bevölkerung und den Matrosen
Kronstadts besaĂ, erwĂ€hnt nichts EinschlĂ€giges davon in seiner Schrift
ĂŒber den Aufstand, die er unmittelbar noch unter dem Eindruck der
Ereignisse verfasste.. Auch das ist wohl ein beweiskrÀftiges Indiz.
Zur Zeit des Aufstandes hatte die Anarchistenverfolgung schon ihren
Höhepunkt erreicht; die wenigen isolierten LibertÀren und noch
existierenden Einzelgruppen unterstĂŒtzten aber moralisch die Sache der
AufstÀndischen, wie aus einer Flugschrift an das Petersburger
Proletariat hervorgeht:
â⊠Der Aufstand von Kronstadt ist eine Revolution. Tag und Nacht hart
Ihr den LĂ€rm der GeschĂŒtze, aber Ihr unternehmt nichts gegen die
Regierung, dass sie ihre Truppen von Kronstadt abzieht. Dabei ist doch
die Sache Kronstadts ebenso gut die Eure!
Die KronstĂ€dter ergreifen immer wieder die Initiative des Aufstandes. âŠ
Dem Aufstand von Kronstadt muss der Aufstand in Petersburg folgen!
Danach die Anarchie!â
Vier Anarchisten, die sich damals in Petersburg aufhielten und den
blutigen Ausgang der Ereignisse voraussahen, Emma Goldmann Alexander
Berkman, Perkus und Petrowkij, schrieben am 5. MĂ€rz an den âRat fĂŒr
Arbeit und Verteidigung in Petersburgâ folgenden Brief:
âJetzt zu schweigen, ist unmöglich, ja es ist verbrecherisch. Die
jĂŒngsten Ereignisse zwingen uns Anarchisten, zu sprechen und unsere
Haltung in der gegenwÀrtigen Situation zu erklÀren. Es gart unter den
Arbeitern und Matrosen. Die Grunde dafĂŒr verdienen eine ernsthafte
PrĂŒfung. Die Arbeiter und Matrosen sind unzufrieden. Sie leiden unter
KĂ€lte und Hunger. Gelegenheit zur Diskussion und zur Kritik wird ihnen
nicht gegeben. Deshalb gehen sie auf die StraĂe.
Die WeiĂgardisten werden versuchen, diese Unruhe fĂŒr ihre eigenen
Klasseninteressen auszunutzen. Hinter dem RĂŒcken der Arbeiter und
Matrosen geben sie Parolen zu Gunsten der verfassungsgebenden
Versammlung, der freien Wirtschaft usw. aus.
Wir Anarchisten haben von jeher gesagt, dass diese Parolen Schwindel
sind, und wir erklÀren vor aller Welt, dass wir jedem
konterrevolutionÀren Putsch, zusammen mit allen AnhÀngern der sozialen
Revolution und Hand in Hand mit den Bolschewisten, mit der Waffe
entgegentreten werden.
Was den Konflikt zwischen Arbeitern und Matrosen und der Sowjetnacht
betrifft, so sind wir der Ansicht, dass er mit Waffengewalt nicht,
sondern nur durch Verhandlungen zwischen Genossen beigelegt werden kann.
Wenn die Sowjetregierung zum BlutvergieĂen schreitet, werden sich in der
gegebenen Lage die Arbeiter dadurch weder einschĂŒchtern noch beruhigen
lassen. Ein solcher Schritt kann die Lage nur verschÀrfen. Er kam nach
auĂen hin den feindlichen kapitalistischen Machten und nach innen hin
der Gegenrevolution zugute.
DarĂŒber hinaus wird jede Gewaltanwendung der Regierung gegen die
Arbeiter und Matrosen die ganze internationale revolutionÀre Bewegung
demoralisieren und ihr unermesslichen Schaden zufĂŒgen.
Genossen Bolschewisten, ĂŒberlegt, ehe es zu spĂ€t ist! Ihr spielt mit dem
Feuer. Ihr seid im Begriff, einen Schritt zu tun, der nicht wieder
gutzumachen ist. Wir unterbreiten Euch folgenden Vorschlag: Es soll eine
Kommission gewĂ€hlt werden, die aus fĂŒnf Personen, darunter zwei
Anarchisten, besteht.
Diese Kommission soll nach Kronstadt gehen, um den Konflikt auf
friedlichem Wege zu regeln. Unter den gegebenen UmstÀnden ist dies die
beste Losung. Sie wird fĂŒr die ganze internationale revolutionĂ€re
Bewegung von groĂer Tragweite sein.â
Diese Anarchisten haben mit dem Schreiben zweifellos als Anarchisten
gehande1t, aber auf eigene Faust, ohne ersichtliche organisatorische
Verbindung zu den AufstĂ€ndischen. AuĂerdem beweist ihr
Vermittlungsvorschlag, nÀmlich eine Delegation nach Kronstadt zu senden,
dass sie nicht in direkter Verbindung mit den Matrosen stehen konnten,
die ja bereits ihrerseits eine Delegation nach Petersburg geschickt
hatten, mit der solche Unterhandlungen hatten gefĂŒhrt werden können. Und
wenn sich schlieĂlich in der Resolution der KronstĂ€dter die Forderung
nach Rede- und Pressefreiheit auch fĂŒr die Anarchisten findet, so
beweist das lediglich, dass die KronstÀdter auch 1921 ihren Traditionen
und Ideen aus der Oktoberrevolution treu blieben.
Vor der Oktoberrevolution hatten die Anarchisten neben den Bolschewisten
eine so fĂŒhrende Rolle in Kronstadt gespielt, dass Trotzki im Sommer
1917 bei einer Sitzung des Petersburger Sowjet sagen konnte: âJa, die
KronstÀdter sind Anarchisten. Wenn es aber zur Entscheidungsschlacht in
dieser Revolution kommt, werden dieselben Herren, die Euch jetzt zur
Vernichtung der KronstĂ€dter ĂŒberreden wollen, Euch ebenso wie uns den
Strick drehen â und es werden die KronstĂ€dter sein, die um unser Leben
kĂ€mpfen!â
Wirklich waren die Anarchisten in Kronstadt als RevolutionĂ€re berĂŒhmt.
Deshalb hatten die AufstÀndischen, als sie allen politischen
Schattierungen die Mitarbeit im Sowjet ermog1ichten, zuerst an die
Anarchisten und die Linken RevolutionÀren Sozialisten gedacht.
Die Forderungen der Resolution vom 1. MĂ€rz â demokratische Freiheit fĂŒr
Arbeiter und alle Bauern, die keine LohnabhÀngigen ausbeuteten;
Beseitigung des politischen Monopols der KP â fanden sich auch in den
Programmen anderer, inzwischen in die IllegalitÀt verbannter
sozialistischer Parteien. Die Anarchisten waren mit diesen Parolen
einverstanden, aber sie hatten sie nicht erfunden.
Andererseits wiederholten die KronstĂ€dter unermĂŒdlich, dass sie fĂŒr die
Herrschaft der Sowjets eintraten. Es gab in Russland auch eine kleine
Minderheit von LibertĂ€ren, die unter der Bezeichnung âsowjetische
Anarchistenâ fĂŒr die enge Zusammenarbeit mit staatsintegrierten Sowjets
warben. Die Machnobewegung hingegen, die nicht ausschlieĂlich
anarchistisch war, aber geprÀgt von dem starken persönlichen Einfluss
Machnos (selbst Anarchist seit frĂŒher Jugend), sprach nicht von der
Herrschaft der Sowjets. Ihre Formel lautete auf âfreie Sowjetsâ,
worunter sie Rate verstanden, in denen die verschiedenen politischen
Strömungen koexistieren sollten und die keine staatlichen Hocheisrechte
ausĂŒbten.
Wenn die KronstÀdter den Gewerkschaftsorganen eine tragende Rolle
zudachten, so war auch dies keine rein anarchistische Idee. Die Linken
RevolutionÀren Sozialisten, die Arbeiter- Opposition innerhalb der KP
(Kollontai und Kliapnikow) kĂ€mpften auch dafĂŒr. SpĂ€ter ĂŒbernahmen andere
oppositionelle Strömungen innerhalb der KP â so die Sapronowisten â
diese Parole. Es war letztlich die Parole aller, die als Ergebnis der
russischen Revolution die Arbeiterdemokratie wĂŒnschten und sich gegen
das Monopol einer Einheitspartei wandten, die alle anderen
Organisationen entweder liquidierte oder absorbierte.
IV.2 â Die Menschewisten
Die Menschewisten hatten bei den Matrosen nie groĂen Einfluss genossen.
Die Zahl ihrer Delegierten im KronstÀdter Sowjet stand in keinem
VerhÀltnis zu ihrer geringen PopularitÀt in der Marine. Die Anarchisten
hingegen, die nach der 2. Wahl lediglich drei oder vier Sitze hatten,
besaĂen einen unvergleichlich gröĂeren Einfluss. Dieses MissverhĂ€ltnis
fĂŒr die Anarchisten ergab sich aus deren schwacher Organisation und der
Tatsache, dass fĂŒr die Masse der Unterschied zwischen Anarchismus und
dem Bolschewismus von 1917 kaum wahrnehmbar war, den viele Anarchisten
damals fĂŒr eine bakuninsche AusprĂ€gung des Marxismus hielten.
Die Menschewisten oder zumindest ihre offizielle Fraktion, waren
ungeachtet ihrer feindlichen Einstellung zum Bolschewismus doch auch
einem Kampf gegen die Herrschaft der Sowjets abgeneigt und daher fĂŒr
keine bewaffnete Intervention zu gewinnen. Sie versuchten, innerhalb der
Sowjets und der Gewerkschaftsorganisation die Rolle einer legalen
Opposition zu spielen. Als Gegner der Diktatur des Proletariats oder
einer Einheitspartei und in der Ăberzeugung, dass Russland noch eine
kapitalistische Durchgangsphase bevorstehe, betrachteten sie
militÀrische Interventionen nur als Hindernis auf dem Wege der
demokratischen KrÀfte Russlands. Sie hofften, dass nach Beendigung des
Kampfes die Sowjetherrschaft den Prozess allmÀhlicher demokratischer
Transformation werde zulassen mĂŒssen.
Zum KronstĂ€dter Aufstand Ă€uĂerte sich ihr (illegales) Petersburger
Komitee in einer Flugschrift: âAn die Arbeiter, Rotarmisten und Kadetten
Petersburgs! Verhindert ein Attentat! Kanonen donnern: Kommunisten einer
angeblichen Arbeiterpartei schieĂen auf die Arbeiter und Matrosen
Kronstadts.
Wir kennen nicht die Einzelheiten. Aber soviel wissen wir: die
KronstÀdter haben freie Wahlen zum Sowjet gefordert, die Freilassung der
verhafteten Sozialisten sowie der parteilosen Arbeiter und Soldaten und
fĂŒr den 10. MĂ€rz eine Konferenz, auf der die Arbeiter, Soldaten und
Matrosen ohne ParteirĂŒcksichten die kritische Lage diskutieren können,
in der sich Sowjetrussland befindet.
Eine Arbeiterregierung hĂ€tte die wahren BeweggrĂŒnde des Geschehens
aufdecken mĂŒssen. Eine wahre Arbeiterregierung hatte sich vor dem
Russland der Arbeiter einer Diskussion mit den Arbeitern und Matrosen
Kronstadts stellen mĂŒssen. Statt dessen haben die Bolschewisten mit
Belagerung und Artilleriefeuer reagiert.
Genossen. wir können und dĂŒrfen nicht ruhig bleiben im Donner der
GeschĂŒtze. Jede Salve kann Dutzende von Menschenleben fordern. Wir
mĂŒssen. eingreifen und dem Gemetzel Halt gebieten! Erzwingt die
sofortige Beendigung der militÀrischen Operationen gegen die Arbeiter
und Matrosen Kronstadts. Zwingt die Regierung, sofort Verhandlungen
aufzunehmen. Beginnt sofort mit der Wahl dieser Delegierten!
Verhindert ein Attentat!â (7. MĂ€rz 1921)
Auch das Zentralkomitee der menschewistischen Partei hatte einen Aufruf
herausgegeben:
âLine Politik der Harte gegen die Bauern ist verfehlt, es bedarf einer
Politik der VerstÀndigung. Dazu ist erforderlich, dass sich die Macht
wirklich in HĂ€nden der arbeitenden Massen befindet. Und dazu ist
wiederum erforderlich: die freie Neuwahl der Sowjets. Mit einem Wort: zu
realisieren ist endlich die Arbeiterdemokratie, von der so viel
gesprochen wurde, von der bislang keine Spur zu sehen ist.â
Zur Bedeutung des Aufstandes nahm Sozialistitscheski Vestnik, der
offizielle Pressebeauftragte der russischen Sozia1demokratie (der
Menschewisten) fĂŒr das Ausland Stellung:
âEs sind die Massen selbst, auf denen bislang der Bolschewismus fuĂte,
die nun den Entscheidungskampf gegen das gegenwÀrtige Regime aufgenommen
haben.â
Martow, FĂŒhrer der russischen Menschewisten verneint (in der Emigration)
in einem Artikel der âFreiheitâ vom 1. Mai 1921 eine Teilnahme von
Menschewisten am Aufstand und schreibt die Initiative jenen Matrosen zu,
die mit der Partei zwar in organisatorischen, nicht aber in
prinzipiellen Fragen gebrochen hatten.
Sozialistitscheski Vestnik halt die Parolen der KronstĂ€dter fĂŒr
menschewistische. Er fugt hinzu, dass die russische Sozialdemokratie âum
so mehr Grund zur Freude hat, als die Partei keine Verbindung zum
Aufstand unterhÀlt, da es in der Flotte keine einzige menschewistische
Organisation gibt.â
Poukhow fuhrt ein anderes, von einer Menschewisten Gruppe
unterzeichnetes Dokument an (es stammt wahrscheinlich von einer der
vielen dissidenten Gruppen, die mit dem Zentralkomitee nicht konform
gingen):
âHort bloĂ mit dem Gerede von Konterrevolution auf: wer sind denn die
wirklichen KonterrevolutionÀre? Das sind doch die Bolschewisten, die
Kommissare, die âMacht der Sowjetsâ. Gegen sie wendet sich die wahre
Revolution, die wir alle unterstĂŒtzen mĂŒssen. Kronstadt muss geholfen
werden, und wir sind aufgefordert, diese Hilfe zu leisten.
Es lebe die Revolution! Es lebe die Verfassungsgebende Urversammlungâ
Das Zentralkomitee der Menschewisten lehnte jede Verantwortung fĂŒr die
ĂuĂerungen dissidenter Gruppen ab.
IV.3 â Die Rechten RevolutionĂ€ren Sozialisten
Die Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung der Konstituante,
war tatsÀchlich die Parole einer bestimmten Partei, nÀmlich der Rechten
RevolutionÀren Sozialisten. In ihrem Parteiorgan Revolutzionnaija
Rossija, das in der Emigration herausgegeben wurde, schreibt im MĂ€rz
1921 Victor Tschernow, ehemaliger PrÀsident der aufgelösten Konstituante
und FĂŒhrer der Rechten RevolutionĂ€ren Sozialisten:
âUm Kronstadt mĂŒssen. sich jetzt alle scharen, die das abscheulich
blutige Regime der bolschewistischen Diktatur ĂŒberwinden und den Weg der
Freiheit zu einer Demokratie ebnen wollen, deren Krönung die
Verfassungsgebende Versammlung ist.â
Tschernow wusste, was die aufstÀndischen Matrosen in Nr. 6 der Iswestija
geschrieben hatten: âDie Arbeiter und Bauern schreiten unaufhaltsam
voran. Hinter sich lassen sie die Outschredilka (pejorative Bezeichnung
fĂŒr die Konstituante) mit ihrem bourgeoisen System ebenso wie die
kommunistische Diktatur mit ihrer Tscheka und ihrem Staatskapitalismus,
der die arbeitende Masse im WĂŒrgegriff halt und sie bald ganz zu
erdrosseln droht.â Tschernow jedoch tat den die Konstituante
betreffenden Gehalt dieser Zeilen als Ăberbleibsel bolschewistischer
Ideen ab.
In Absprache mit seinen politischen Freunden richtete Tschernow, dessen
persönliche und politische Haltung derjenigen der Menschewisten absolut
kontrÀr war, einen flammenden Appell an die Matrosen:
âDie Bolschewisten haben Freiheit und Demokratie zu schaden gemacht, als
sie dem Volk einredeten, Sowjets und Konstituante seien unvereinbare
GegensÀtze. Statt die Sowjets zur Stutze der Konstituante zu machen, zu
einem starken Band zwischen ihr und dem Land, haben sie die Sowjets
gegen die Verfassungssehende Versammlung ausgespielt und damit beiden,
der Konstituante, genauso aber den Sowjets, einen schlechten Dienst
erwiesen. Ihr musst das endlich begreifen, Ihr hintergangenen Arbeiter,
Soldaten und Matrosen. Möge Eure Parole âFreie Wahl der Sowjets!â lauter
ertönen, möge sie auffordern, ĂŒber die Sowjets zu einer
Verfassungsgebenden Versammlung zu gelangen!â
Tschernow ging noch weiter. Von seinem Privatschiff aus depeschierte er
an das Provisorische Revolutionskomitee von Kronstadt:
âDer PrĂ€sident der Verfassungsgebenden Versammlung, Victor Tschernow,
sendet den heroischen Genossen Matrosen, Rotarmisten und Arbeitern,
seine brĂŒderlichen GrĂŒĂe, ihnen, die zum dritten Male seit 1905 das Joch
der Tyrannei zerbrechen. Erbietet UnterstĂŒtzung an Menschen sowie seine
Vermittlung, um die Versorgung Kronstadts mit Hilfe russischer
Genossenschaften im Ausland sicherzustellen. Teilt mit, was Euch fehlt
und in welcher Menge. Ich bin bereit, meine persönliche Kraft und
AutoritÀt in den Dienst der Revolution des Volkes zu stellen. Ich
vertraue in den Endsieg des werktĂ€tigen Volkes. Von ĂŒberall her
erreichen mich Nachrichten von dem Willen der Massen, sich im Namen der
Verfassungsgebenden Versammlung zu erheben; Lasst Euch nicht durch die
Unterhandlungen mit den bolschewistischen Machthabern tauschen. Sie
wollen nur Zeit gewinnen, um Kronstadt mit den zuverlÀssigsten Einheiten
der privilegierten Sowjetgarde zu umzingeln. Mögen jene leben, die als
erste die Standarte der Volksbefreiung entrollt haben. Nieder mit dem
Despotismus der Linken und der Rechten. Es lebe die Freiheit und die
Demokratie.â
Ein zweiter Aufruf wurde gleichzeitig durch Boten nach Kronstadt
gebracht:
âDie Delegation der RevolutionĂ€ren Sozialistischen Partei im Ausland â
einer Partei, die sich aller Putschversuche enthalten hat und die immer
wieder in Russland den Volkszorn besÀnftigte, indem sie den
Kreml-Diktatoren durch den Willen des Volkes ZugestÀndnisse abzuringen
versuchte â kann jetzt, da das GefaĂ des Zornes am Ăberlaufen ist, da in
Kronstadt das Banner der Revolution entfaltet wird, nicht umhin, den
AufstĂ€ndischen die Hilfe aller ihr zur VerfĂŒgung stehenden KrĂ€fte fĂŒr
den Kampf um Freiheit und Demokratie anzubieten. Die RevolutionÀren
Sozialisten sind bereit, Euer Los zu teilen und in Euren Reihen Tod oder
Sieg zu suchen.
Sagt, wie wir Euch helfen können. Es lebe die Revolution des Volkes, es
leben die freien Sowjets und die Verfassungsgebende Versammlung.â
Auf seine verbindlichen VorschlÀge hin erhielt Tschernow folgendes
Antworttelegramm aus Kronstadt:
âDas Provisorische Revolutionskomitee von Kronstadt hat den GruĂ des
Genossen Tschernow aus Reval erhalten. Es druckt allen seinen Freunden
im Ausland seinen tief empfundenen, Dank fĂŒr ihre Sympathiebezeugungen
aus. Das Provisorische Revolutionskomitee fĂŒhlt sich verpflichtet, dem
Genossen Tschernow fĂŒr sein Anerbieten zu danken, bittet ihn aber,
vorlÀufig, dh bis zur KlÀrung der Frage, nicht zu kommen. Sein Vorschlag
wird jedoch in nÀheren Betracht gezogen.
3. MĂ€rz 1921 gez.: Der PrĂ€sident des PRK Petritschenkowâ
Die Bolschewisten haben behauptet, das Provisorische Revolutionskomitee
habe seine prinzipielle Zustimmung zu Tschernows Kommen gegeben,
Tschernow aber habe sein Hilfsangebot davon abhÀngig gemacht, dass die
AufstĂ€ndischen die Parolen der Konstituante ĂŒbernahmen. Der Kommunist
Komarow behauptete am 20. MĂ€rz 1921 in einer Sitzung des Petersburger
Sowjet, das Provisorische Revolutionskomitee habe Tschernow gebeten, 12
Tage zu warten, bis die Versorgungssituation in Kronstadt so zugespitzt
sein werde, dass die Parolen der RevolutionÀren Sozialisten akzeptabel
erschienen. Komarow gab vor, diese Information aus den Verhören
Perepelkins zu haben, der den Bolschewisten in die HĂ€nde gefallen war.
Perepelkin habe sogar bestÀtigt, dass der PrÀsident des Provisorischen
Revolutionskomitees heimlich eine positive Antwort an Tschernow
geschickt habe. Der Matrose Perepelkin wurde erschossen, seine
âGestĂ€ndnisseâ können also nicht ĂŒberprĂŒft werden. Jedenfalls aber traf
er im GefÀngnis mit dem Menschewisten Dan zusammen, dem er jedoch in
ihren sonst offenen und detaillierten GesprÀchen auf dem GefÀngnishof
nichts derartiges mitgeteilt hat. Es ist also zu vermuten, dass die
bolschewistische âJustizâ schon damals Lugen zu fabrizieren wusste.
Petritschenkow bestÀtigt in einem Artikel in der Znamia Borby vom Januar
1922 (die Znamia war das Organ der Linken RevolutionÀren Sozialisten)
die vom Provisorischen Revolutionskomitee an Tschernow ergangene Antwort
und erklÀrt, das Provisorische Revolutionskomitee habe diese Frage nicht
losen können und wollte sie dem neu zu wÀhlenden Sowjet vorlegen.
Petritschenkow fugt hinzu:
âIch teile diesen Sachverhalt unbeeinflusst Von meiner politischen
Stellungnahme dazu mit.â Tschernow seinerseits dementiert, den
AufstÀndischen irgendwelche Bedingungen gestellt zu haben. Er erklÀrt,
die Parolen der Konstituante offen vertreten zu haben, nÀmlich in der
Annahme, die AufstĂ€ndischen wurden sie frĂŒher oder spĂ€ter ohnehin
Ăbernehmen.
IV.4 â Die Linken RevolutionĂ€ren Sozialisten
Die Linken RevolutionÀren Sozialisten haben in einem programmatischen
Artikel in der Znamia Borby vom Juni 1921 ihren politischen Standpunkt
definiert:
âDas eigentliche Ziel der Linken internationalistischen RevolutionĂ€ren
Sozialisten besteht in der Wiederherstellung des RĂ€tesystems, der
Wiederherstellung der wahren Macht des wahren SowjetsâŠ.
Wir werden dafĂŒr. arbeiten, dass jeden Tag und jede Stunde die verletzte
Verfassung der Sowjetrepublik vom 10. Juni 1918 wieder in Kraft treten
kann. ⊠Die Bauernschaft muss als RĂŒckgrat der russischen
Arbeiterbevölkerung einen wĂŒrdigen Platz in der Sowjetrepublik
einnehmen, sie muss das Recht haben, selbst ĂŒber ihr Schicksal zu
bestimmen. ⊠Eine andere wesentliche Forderung ist: die
Wiederherstellung der Handlungsfreiheit fĂŒr die werktĂ€tige Bevölkerung
der StÀdte. Man kann von ausgehungerten und halbtoten Menschen keine
intensive Arbeit erwarten. Man muss ihnen erst einmal zu essen geben â
und darum ist es notwendig, die Interessen der Arbeiter und Bauern
aufeinander abzustimmen.â
Unbestreitbar ist der Geist der Petropaw1owsk-Reso1ution dieser
âPlattformâ der Linken RevolutionĂ€ren Sozialisten eng verwandt. Diese
dementierten aber kategorisch jede Beteiligung am Aufstand. In derselben
Nummer der Znamia schreibt einer ihrer Moskauer Korrespondenten:
âEs gab in Kronstadt keinen einzigen Kampfer der linken Volksbewegung,
das Geschehen lief ohne unsere Beteiligung ab; am Anfang hielten wir uns
fern, und dennoch war die Bewegung im Kern mit der linken Volksbewegung
identisch; in all ihren Parolen und ihrer Vorstellungswelt ist sie uns
verwandt.â
In unserer erklÀrten Absicht, die historische Wahrheit herauszuarbeiten,
werden wir zwei weitere authentische Zeugnisse wiedergeben. Das eine
stammt von Lenin, aus seiner Schrift ĂŒber die âNaturaltsteuerâ, das
andere ist ein Auszug aus einem Artikel Petritschenkows in der Znamia
Barby vom Januar 1926.
IV. 5 â Das âUrteilâ Lenins
âDas FrĂŒhjahr 1921 brachte ïżœïżœïżœ hauptsĂ€chlich infolge der Missernte und der
Viehseuche â die Ă€uĂerste VerschĂ€rfung in der Lage der Bauernschaft, die
infolge des Krieges und der Blockade ohnehin auĂerordentlich schwer war.
Die Folge der VerschÀrfung waren politische Schwankungen, die allgemein
gesprochen, zur eigentlichen âNaturâ des Kleinproduzenten gehören. Der
krasseste Ausdruck dieser Schwankungen war die Meuterei in Kronstadt.
Die kennzeichnendsten an den KronstÀdter Ereignisse sind gerade die
Schwankungen des kleinbĂŒrgerlichen Elements. Etwas Festgeformtes,
Klares, Bestimmtes ist kaum zu merken. Nebelhaft Losungen wie
âFreiheitâ, âfreier Handelâ, âBefreiung vom Jochâ, âSowjets ohne
Bolschewistenâ oder âNeuwahl der Sowjetsâ oder âBefreiung von der
Parteidiktaturâ und so weiter und so fort. Sowohl die Menschewisten als
auch die RevolutionÀren Sozialisten proklamieren, die KronstÀdter
Bewegung sei âihreâ Bewegung. Victor Tschernow sendet seinen Eilboten
nach Kronstadt: auf Vorschlag dieses Boten stimmt in Kronstadt der
Menschewist Walk, einer der KronstĂ€dter FĂŒhrer, fĂŒr die âKonstituanteâ.
Im Nu macht das gesamte WeiĂgardistentum geradezu mit der
Geschwindigkeit der Funktelegrafie âfĂŒr Kronstadtâ mobil. Die
weiĂgardistischen MilitĂ€rspezialisten in Kronstadt, eine Reihe von
Spezialisten, nicht Koslowskij allein, arbeiten den Plan einer Landung
in Oranienbaum aus, einen Plan, der die schwankende
menschewistisch-sozialrevolutionÀre-parteilose Masse in Schrecken
versetzt hat. Mehr als ein halbes Hundert im Ausland erscheinender
weiĂgardistischer russischer Zeitungen entwickeln mit rasender Energie
eine Kampagne âfĂŒr Kronstadtâ. Die GroĂbanken, alle KrĂ€fte des
Finanzkapitals, veranstalten Sammlungen fĂŒr UnterstĂŒtzung von Kronstadt.
Der kluge FĂŒhrer der Bourgeoisie und der Gutsbesitzer, der Kadett
Miljukow, setzt geduldig dem Dummkopf Victor Tschernow direkt (und den
wegen ihrer Verbindung mit Kronstadt im Petersburger GefÀngnis sitzenden
Menschewisten Dan und Roschkow indirekt) auseinander, dass es keinen
Sinn habe, sich mit der Konstituante zu ĂŒberstĂŒrzen, dass man sich fĂŒr
die Sowjetmacht â nur ohne Bolschewisten â aussprechen könne und mĂŒsse.
Es ist natĂŒrlich nicht schwer, klĂŒger zu sein also solche
selbstgefĂ€lligen Narren wie Tschernow, dieser Held der kleinbĂŒrgerlichen
Phrase, oder wie Martow, der Ritter des âmarxistischâ zurechtgestutzten
bĂŒrgerlichen Reformismus. Nicht darum handelt es sich eigentlich, dass
Miljukow als Person klĂŒger ist, sondedrn darum, dass der ParteifĂŒhrer
der GroĂbourgeoisie infolge seiner Klassenstellung den Klassensinn der
Sache und die politischen Wechselbeziehungen klarer sieht und besser
erfasst als die FĂŒhrer des KleinbĂŒrgertums â wie Tschernow und Martow.
Denn die Bourgeoisie ist tatsÀchlich eine Klassenmacht, die unter dem
Kapitalismus unvermeidlich herrscht, sowohl unter der Monarchie als auch
in der allerdemokratischsten Republik und ebenso unvermeidlich auch die
UnterstĂŒtzung der Weltbourgeoisie genieĂt. Das KleinbĂŒrgertum aber, das
heiĂt alle Helden der II. Internationale und der Internationale
âZweieinhalbâ, kann dem ökonomischen Wesen nach nichts anderes sein als
der Ausdruck der Klassenohnmacht. Daher die Schwankungen, die Phrasen,
die Hilfslosigkeit. âŠ
Wenn Martow in seiner Berliner Zeitschrift erklÀrt, Kronstadt habe nicht
nur menschewistische Parolen durchgefĂŒhrt, sondern auch den Beweis
geliefert, dass eine antibolschewistische Bewegung möglich sein, die
nicht vollstĂ€ndig den WeiĂgardisten, den Kapitalisten und Gutsbesitzern
diene, so ist das geradezu das Musterbeispiel eines in sich selbst
verliebten spieĂbĂŒrgerlichen Narziss. Lasst uns einfach die Augen vor
der Tatsache verschlieĂen, dass alle echten WeiĂgardisten den
KronstÀdter AufstÀndischen zujubelten und durch die Banken Gelder zur
UnterstĂŒtzung von Kronstadt sammelten! Miljukow hat gegenĂŒber Tschernow
und Martow recht, denn er verrÀt die wirkliche Taktik der wirklichen
weiĂgardistischen Kraft, die Kraft der Kapitalisten und Gutsbesitzer:
wir wollen jeden, wer immer es auch sei, sogar Anarchisten, jede
beliebige Sowjetmacht unterstĂŒtzen, damit nur die Bolschewisten gestĂŒrzt
werden, damit nur eine Verschiebung der Macht herbeigefĂŒhrt wird!
Einerlei, ob nach rechts oder links, ob zu den Menschewisten oder zu den
Anarchisten hin, nur eine Verschiebung der Macht weg von den
Bolschewisten, das ĂŒbrige aber â das ĂŒbrige werden âwirâ, die Miljukow,
âwirâ, die Kapitalisten und Gutsbesitzer, schon âselberâ besorgen; die
Anarchistlein, die Tschernow und die Martow werden wir schon
hinausprĂŒgeln, wie wir es in Sibirien mit den Tschernow und Maiski, wie
wir es in Ungarn mit den ungarischen Tschernow und Martow getan haben. âŠ
Diese spieĂbĂŒrgerlichen Narzisse â Menschewisten, RevolutionĂ€re
Sozialisten und Parteilose â hat die wirkliche, geschĂ€ftstĂŒchtige
Bourgeoisie in allen Revolutionen dutzende Male in allen LĂ€ndern zu
Hunderten ĂŒbertölpelt und davongejagt. Das ist geschichtlich bewiesen.
Das ist durch die Tatsachen belegt. Die Narzisse werden schwatzen. Die
Miljukow und die WeiĂgardistenbande aber werden handeln.â
IV.6 â Die Stellungnahme Petritschenkows
âKĂŒrzlich las ich die Korrespondenz zwischen der Organisation der Linken
RevolutionÀren und den Kommunisten Englands. In ihr wird auch der
KronstÀdter Aufstand behandelt.
Als PrĂ€sident der KronstĂ€dter Revolte fĂŒhle ich mich verpflichtet, dem
PolitbĂŒro der Englischen KP in aller KĂŒrze einige AufklĂ€rungen zu geben.
Ich weiĂ, dass Sie aus Moskau informiert wurden, weiĂ aber auch, wie
einseitig und parteiisch diese Informationen waren. Es wÀre daher nicht
schlecht, wenn Sie auch die Ansicht der Gegenseite kennen wĂŒrden. âŠ
Sie haben selbst anerkannt, dass der KronstÀdter Aufstand nicht von
auĂen inspiriert war; mit anderen Worten: was hier zum Ausbruch kam, war
die lang angestaute Ungeduld der werktÀtigen Massen, der Matrosen, der
Rotarmisten, der Arbeiter und Bauern. Dieser Zorn des Volkes ĂŒber die
Diktatur der KP, genauer: ĂŒber ihre BĂŒrokratie, nahm die Form des
Aufstandes an; so kam es, dass kostbares Blut vergossen wurde; nicht um
Klassen- oder KastengegensÀtze ging es: auf beiden Seiten der Barrikaden
standen WerktÀtige. Der einzige Unterschied war, dass die KronstÀdter
bewusst und freiwillig, die Angreifer aber unter dem Einfluss, wenn
nicht Zwang, der Herren der KP kÀmpften. Ich will noch mehr sagen: die
KronstÀdter hatten keine Lust, zur Waffe zu greifen und Blut zu
vergieĂen!
Welcher UmstÀnde bedurfte es dann, dass die KronstÀdter den
Parteidiktatoren schlieĂlich in deren Sprache, der Sprache der Kanonen,
antworteten?
Die Matrosen von Kronstadt haben eine aktive Rolle bei der Schaffung
jener Regierung gespielt, aus der jene Diktatoren erwuchsen. Sie haben
sie gegen alle Angriffe der Konterrevolution verteidigt; nicht nur
bewachten sie die Tore Petersburgs; des Herzens der Revolution â ihre
Einheiten kĂ€mpften an unzĂ€hligen Fronten gegen die WeiĂgardisten,
angefangen bei Kornilow bis zu den GenerÀlen Youdienitsch und
Neklioudow. Und dann wÀren diese selben KronstÀdter mit einem Schlag
Feinde der Revolution geworden? Die Regierung âder Arbeiter und Bauernâ
hat sie als Agenten der Entente, als französische Spione, als
SteigbĂŒgelhalter der Bourgeoisie, als RevolutionĂ€re Sozialisten, als
Menschewisten und was nicht alles hingestellt. Es ist doch erstaunlich,
dass die KronstÀdter ausgerechnet zu dem Zeitpunkt gefÀhrliche Feinde
wurden, als die Gefahr von seiten der konterrevolutionÀren GenerÀle
beseitigt war; ausgerechnet in dem Augenblick, da es Zeit wurde, das
Land wieder aufzubauen, Zeit, die FrĂŒchte der Oktoberrevolution zu
ernten, Zeit, den wahren Wert der Dinge zu zeigen und die politischen
Errungenschaften auf den Tisch zu legen (Versprechen reichten nicht mehr
aus, es galt, sie zu erfĂŒllen), an die wĂ€hrend des BĂŒrgerkrieges niemand
zu denken gewagt hatte. Ausgerechnet in diesem Augenblick also hÀtten
sich die KronstÀdter als Feinde entpuppt? Welches Verbrechen gegen die
Revolution hat Kronstadt denn begangen?
Als die Fronten des BĂŒrgerkrieges aufgelöst waren, erlaubten sich die
Arbeiter Petersburgs, den Sowjet dieser Stadt daran zu erinnern, dass
nun wohl die Zeit gekommen sei, an die wirtschaftliche Lage zu denken
und endlich die Verwaltungsformen kriegerischen Ausnahmezustandes
zugunsten zivilerer Methoden aufzugeben.
Der Sowjet von Petersburg erklÀrte diese zugleich friedliche und
berechtigte Anfrage fĂŒr konterrevolutionĂ€r. Taub und stumm blieb er fĂŒr
diese Forderungen, aber er befahl Verfolgung und Verhaftung unter
Arbeitern, die er als Spione und Agenten der Entente diskriminierte.
Diese BĂŒrokraten wurden wĂ€hrend des BĂŒrgerkrieges korrumpiert, als
niemand ihnen zu widersprechen wagte. Aber den Wandel der VerhÀltnisse
hatten sie nicht bemerkt. Die Antwort der Arbeiter hieĂ Streik. Der
Sowjet lieà daraufhin diese ausgehungerten und erschöpften Arbeiter von
seiner Leibwache in die Zange nehmen und mit allen Mitteln zur Arbeit
pressen. Und diese Leibgarde aus Rotarmisten und Matrosen, die selbst
Mitleid hatten mit den Arbeitern, wagte kein Wort zu ihrer Verteidigung
â denn die Herren hatten sie gewarnt: Kronstadt werde gegen jeden
eingreifen, der sich der Sowjetregierung widersetzt. Aber diesmal hatte
sich die Regierung der âArbeiter und Bauernâ in Kronstadt getĂ€uscht:
Dank seiner geografischen Lage bei Petersburg hatte Kronstadt, wenn auch
mit gewisser Verzögerung, den wahren Stand der Dinge in Petersburg
erfahren.
Insofern haben die englischen Genossen in der Annahme recht, dass
niemand den KronstÀdter Aufstand inspiriert hatte.
Dann wĂŒrde ich noch gern wissen, worin sich die UnterstĂŒtzung der
konterrevolutionĂ€ren russischen Auslandsorganisationen fĂŒr Kronstadt
gezeigt hat. Ich wiederhole abermals, dass der Aufstand nicht von
irgendeiner politischen Organisation ausgelöst wurde â und ich denke,
dass es derartige Organisationen in Kronstadt nicht einmal gegeben hat.
Die Revolte entstand spontan aus der Stimmung der werktÀtigen
Bevölkerung und der Garnison. Das können wir aus der Resolution ersehen
und aus der Zusammensetzung des Provisorischen Revolutionskomitee.
Nichts darin deutet auf das Vorherrschen irgendeiner anti-sowjetischen
Partei. Die KronstÀdter waren der Ansicht, unter dem Diktat der UmstÀnde
zu handeln. Die AufstÀndischen setzten ihre Hoffnung auf niemand; nicht
auf das Provisorische Revolutionskomitee, nicht auf die
Deligiertenversammlung, nicht auf meetings oder was auch immer. Das
Provisorische Revolutionskomitee unternahm nichts in dieser Richtung,
obwohl die Möglichkeit dazu bestanden hÀtte. Das Komitee war bestrebt,
sich strikt nach dem Willen des Volkes zu richten. Ob das ein Verdienst
oder Fehler war, kann ich nicht entscheiden, aber die Tatsache ist, dass
die Masse dem Komitee die Richtung vorschrieb und nicht umgekehrt. Wir
hatten keine berĂŒhmten politischen KĂ€mpfer unter uns, die die Zukunft
auf drei Meilen gegen den Wind riechen und daraus Nutzen hÀtten ziehen
können. Die KronstÀdter haben ohne Plan und Programm gehandelt, haben
sich in der in der Resolution angegebenen Richtung und nach MaĂgabe der
UmstÀnde vorgetastet. Von der ganzen Welt abgeschnitten, wussten wir
nicht, was auĂerhalb Kronstadts geschah, sei es in Sowjetrussland oder
im Ausland. Es ist möglich, das mancher fĂŒr unseren Aufstand hĂ€tte
Perspektiven entwickeln können (wie ĂŒblich)-aber das wĂ€re in unserem
Fall vergebens gewesen. Wir konnten keine Hypothesen ĂŒber mögliche
Konsequenzen möglicher Ereignisse aufstellen, denn diese Ereignisse
hÀtten auch ganz anders ablaufen können. Aber die KronstÀdter wollten
ihre einmal gegebene Chance zur Initiative nicht versÀumen.
Die Kommunisten haben uns vorgeworfen, dass wir das Angebot des
russischen Roten Kreuzes in Finnland betreffend Lebensmittel und
Medikamente angenommen haben. Wir mĂŒssen sagen, dass wir an diesem
Angebot nichts bedenklich fanden. Dabei hatten wir die Zustimmung des
ganzen Provisorischen Revolutionskomitees und der
Delegiertenversammlung. Wir betrachten diese Organisation als eine rein
philanthropische, die uns neutral und ohne Hintergedanken ihre Hilfe
anbot. Nach dem Entschluss, eine Delegation des Roten Kreuzes die Stadt
betreten zu lassen, wurden deren Mitglieder mit verbundenen Augen zum
Generalsstab gebracht.
Bei der ersten Sitzung haben wir ihnen erklĂ€rt, wir wĂŒrden ihre Hilfe
als die einer philanthropischen Organisation dankbar annehmen, uns dabei
aber als von jeder Verpflichtung ihn gegenĂŒber frei betrachten. Wir
haben ihrem Verlangen Rechnung getragen, einen stÀndigen Beobachter in
Kronstadt zu haben, der die ordnungsgemĂ€Ăe Verteilung der Lebensmittel,
die hauptsĂ€chlich fĂŒr Frauen und Kinder bestimmt waren, zu ĂŒberwachen
hatte. Dies war KapitÀn Wilken; er wurde in einem stÀndig bewachtem
Appartement untergebracht und konnte keinen Schritt ohne Genehmigung
tun. Inwiefern konnte Wilken gefÀhrlich sein? Er konnte lediglich die
Stimmung zur Zivilbevölkerung und der Garnison in Erfahrung bringen.
Bestand etwa darin die Hilfe der internationalen Bourgeoisie? Oder in
dem GruĂtelegramm Victor Tschernows an das aufstĂ€ndische Kronstadt? War
das die UnterstĂŒtzung der russischen und internationalen
Konterrevolution? Kann man den wirklich annehmen, dass sich die
KronstÀdter jeder beliebigen anti-sowjetischen Partei an den Hals
geworfen hÀtte?
Als die aufstÀndischen erfuhren, dass die Rechten tatsÀchlich eigene
PlĂ€ne bezĂŒglich des Aufstandes schmiedeten, kamen sie ihnen zuvor. Das
beweist der Artikel in der Iswestija vom 6. MĂ€rz mit der Ăberschrift:
âSehr geehrte Herren â oder: Liebe Genossenâ.â
V. KRONSTADT â EIN LETZTER VERSUCH DER SOWJETS
Wie ist der KronstÀdter Aufstand zu beurteilen?
â Als konterrevolutionĂ€rer Aufstand?
â Als Revolte ohne eigenes konterrevolutionĂ€res Ziel, die aber einer
möglichen Konterrevolution Vorschub geleistet hÀtte?
â Oder lediglich als Versuch der Arbeiterklasse, die Versprechen der
Oktoberrevolution einzufordern?
Und:
â War dieser Aufstand unabwendbar?
Und schlieĂlich:
â War sein blutiger Ausgang unabwendbar?
Diese Fragen sind im Schlusskapitel unserer Betrachtung zu diskutieren.
V.1 â Die Version Trotzkis
Die Anklagen, die Poukhow 1931 gegen Kronstadt erhebt, sind mit der
bolschewistischen Beurteilung des Aufstandes identisch, wie sie bereits
1921 erfolgte. Auch Trotzki orientierte sich daran, seine AnhÀnger tun
es selbst heute noch. Trotzkis eigene ĂuĂerungen zu den Ereignissen sind
ĂŒbrigens höchst sparsam und uneinheitlich. Niemals hat er ausdrĂŒcklich
Stellung bezogen, seine Meinung zu den VorfÀllen tat er nur sporadisch
kund. 1937 sprach er erstmals ausdrĂŒcklich zu diesen Thema in der Presse
(in seinen BĂŒchern, in denen die russische Revolution behandelt wird,
Ă€uĂert er sich fast gar nicht dazu). Damals schrieb er: â⊠das Land litt
Hunger, aber die Matrosen Kronstadts forderten Privilegien. Ihr Aufstand
erwuchs aus der Forderung nach Vorzugs-Rationen.â Es erĂŒbrigt sich der
Hinweis, dass die KronstÀdter derartige Forderungen niemals erhoben
haben. Diesen Vorwurf lÀsst Trotzki spÀter auch tatsÀchlich fallen.
Dennoch ist festzuhalten, dass seine erste Stellungnahme eine falsche
Behauptung enthielt.
In einem Artikel vom 26. Februar 1938 in der belgischen Zeitung âLutte
OuvriĂšreâ schreibt er:
âUnter dem Gesichtspunkt der Klasse â der ungeachtet aller Elektriker
doch das fundamentale Kriterium sowohl der Politik als auch der
Geschichtsschreibung bleibt â ist es von besonderer Bedeutung, die
Haltung der KronstÀdter mit derjenigen der Petersburger zu vergleichen.
Auch in Petersburg hatte die Arbeiterklasse ihre fĂŒhrenden KrĂ€fte
verloren. In der verlassenen Hauptstadt regierten Hunger und KĂ€lte
womöglich noch grausamer als in Moskau ⊠Die KronstÀdter Zeitungen
schreiben, dass es in Petersburg Barrikaden und Tausende von Toten
gegeben habe, eine Behauptung, die von der Weltpresse nachgebetet wird.
Das genaue Gegenteil tritt zu. Der KronstÀdter Aufstand wirkte auf die
Petersburger Arbeiter viel eher abstoĂend als anziehend. Die Grenze (das
Engagements fĂŒr Kronstadt) fiel mit der Klassengrenze zusammen. Die
Arbeiter erkannten sofort, dass die Rebellen von Kronstadt auf der
anderen Seite der Barrikaden standen. Sie unterstĂŒtzten die Macht der
Sowjets.â
Wieder einmal schlÀgt hier Trotzki der Wahrheit ins Gesicht. Wir haben
am Beginn unserer Studie klargestellt, daĂ es in Petersburg war, wo die
ersten Streiks ausbrachen, denen sich Kronstadt dann erst anschloĂ. Das
von der Zentralregierung eingesetzte Verteidigungskomitee war zunÀchst
auf die Streikenden von Petersburg angesetzt. Und es waren die Arbeiter
von Petersburg, gegen die sich die Repressalien richteten und gegen
deren Demonstrationen die Kadettenkorps marschierten.
Nur: die Petersburger Arbeiter hatten keine Waffen, wÀhrend die
KronstÀdter sich verteidigen konnten. Die militÀrischen Aktionen gegen
Kronstadt verfehlten auch ihren Eindruck auf die Petersburger Arbeiter
nicht, deren Verhalten wir bereits dargestellt haben. Die âGrenzeâ
verlief jedenfalls nicht entlang der Klassengrenze, sie markierte
vielmehr die EinfluĂsphĂ€re der bolschewistischen Zwingherren. Wenn die
Petersburger Arbeiter sich nicht den KronstÀdtern anschlossen, beweist
das noch lange keine verschiedene Einstellung. Als â in spĂ€teren Jahren
â das russische Proletariat sich nicht scharenweise den oppositionellen
Gruppen anschloĂ, brachte es damit auch nicht seine Begeisterung fĂŒr
Stalin zum Ausdruck. In solchen Situationen ist es eben nur die rohe
Gewalt, die die politische Landkarte bestimmt.
Im gleichen Artikel wiederholt Trotzki auch sein Argument, daĂ die
KronstÀdter ihre revolutionÀren KrÀfte verloren hÀtten. WÀhrend die
Matrosen 1917 und 1918 auf einem höheren ideologischen Niveau als die
Rote Armee agierten, hĂ€tten sie 1921 um so mehr ânachgelassenâ. Dieses
Argument wird durch die offizielle Akten der Roten Armee entkrÀftet, in
denen gerade die starke Sympathie in den Reihen der Roten Armee fĂŒr die
KronstÀdter moniert wird.
SchlieĂlich wirft Trotzki seinen Gegnern vor, ĂŒbertrieben nachtragend zu
sein: âIn manchen Kreisen dauern die KĂ€mpfe um Kronstadt noch an. Da
hĂ€lt man es manchmal kaum fĂŒr möglich, daĂ dieser Aufstand immerhin
siebzehn Jahre zurĂŒckliegt.â
Uns bedeutet siebzehn Jahre allerdings im MaĂstab der Weltgeschichte
sehr wenig; heute ĂŒber Kronstadt zu sprechen, ist kein RĂŒckgriff auf die
âPharaonenâ. AuĂerdem scheint es uns logisch, an diesem plastischen und
symptomatischen Ereignis die GrĂŒnde der russischen Katastrophe zu
erhellen. Denn damals wurde die werktÀtige Klasse nicht durch Stalin,
sondern durch die CrĂšme des russischen Bolschewismus, durch Lenin und
Trotzki, unterdrĂŒckt. An diese Zeiten zu rĂŒhren, bedeutet deshalb noch
lange nicht, wie Trotzki meint, âdie einzige wahre revolutionĂ€re Tendenz
zu diskreditieren, die niemals ihre Fahne im stich lieĂ, noch
Kompromisse mit den Feinden schloĂ, und die als einzige die Zukunft
reprĂ€sentiert.â
Trotzki selbst hat in diesen siebzehn Jahren seine Einstellung zu den
AufstÀndischen nicht korrigiert. Aber immer noch hat er keine Argumente,
stĂŒtzt sich aufs Hörensagen. So schreibt er etwa:
âIn der Garnison von Kronstadt, die nichts mehr leistete und von der
Vergangenheit lebte, hatte die Demoralisation weit um sich gegriffen.
Als sich die Situation im ausgehungerten Petersburg immer mehr zuspitze,
erwog man im PolitbĂŒro mehrfach eine âinnere Anleiheâ bei Kronstadt, das
von frĂŒher her noch ĂŒber reichhaltige VorrĂ€te verfĂŒgte. Aber die
Delegierten aus Petersburg warnten uns: âFreiwillig werden die Euch
nichts geben â mit ihren Tuch, ihrer Kohle, ihrem Brot spekulieren sie;
in Kronstadt herrscht das letzte Lumpenpackâ.â
Das Trotzki guten Glaubens mit diesen angeblichen VorrÀten
argumentierte, ist wohl sehr zweifelhaft, wenn man an den Aufruf des
Petersburger Verteidigungskomitee vom 5. MĂ€rz denkt, in dem es hieĂ: ââŠ
Ihr werdet euch ergeben mĂŒssen. Kronstadt hat kein Brot und kein
Brennmaterial ⊠â Was ist denn aus den fraglichen Reserven geworden?
Am 8. MĂ€rz verteilt man in Kronstadt als Ration fĂŒr vier Tage vier Liter
Hafersuppe, am 9. MĂ€rz ein Viertelpfund Schwarzbrot, das zur HĂ€lfte aus
Kartoffelmehl bestand. Am 10. MĂ€rz beschlieĂt das Regionalkomitee der
Metallurgisten, das den Arbeitern zustehende Pferdefleisch der
hungernden Bevölkerung zukommen zu lassen. WÀhrend des Aufstandes wurde
dann noch einmal eine Dose Kondensmilch pro Person verteilt, ein zweites
Mal Fleischkonserven und ein drittes und letztes Mal je ein halbes Pfund
Butter fĂŒr jedes Kind. Das sind zweifellos die âreichhaltigen VorrĂ€teâ,
die man nach Trotzkis Ansicht hÀtte ausleihen und zur Linderung der
Hungersnot in ganz Russland hÀtte einsetzen könne.
Ăbrigens wĂ€ren diese VorrĂ€te vor dem KronstĂ€dter Aufstand (also zur
fraglichen Zeit) ohnehin nur mit Zustimmung kommunistischer FunktionÀre
zugÀnglich geworden; die einfachen Matrosen hÀtten, selbst wenn sie das
gewollt hĂ€tten, gar nichts gegen diese âAnleiheâ unternehmen können.
Damit ist diese Frage wohl geklĂ€rt â zugleich die Beweiskraft der gegen
die KronstĂ€dter vorgebrachten Argumente hinre3ichend gewĂŒrdigt.
Es beweist wohl nur den Mangel an stichhaltigen GrĂŒnden auf seiten der
Bolschewisten, dass sie Argumente von der eben geschilderten Art in
einer derart wichtigen Diskussion vorbringen â und dann auch noch eine
Polemik ĂŒber die spanische Revolution damit verbinden.
Gleiche Schuld trifft allerdings auch die Arbeiter-Opposition, die nach
Auskunft damals in Russland weilender auslÀndischer Kommunisten absolut
nicht mit den MaĂnahmen gegen die AufstĂ€ndischen einverstanden war, es
aber auch nicht wagte, zu deren Verteidigung etwas zu sagen. Auf dem 10.
Parteitag protestierte niemand gegen die Ermordung der AufstÀndischen.
Der Arbeiter Loutowinow, designiertes Mitglied des Zentralen
Exekutivrates der Sowjets, einer der OppositionsfĂŒhrer, sagte im MĂ€rz
1921 in Berlin (wohin er angeblich diplomatischer Mission, tatsÀchlich
aber ins Exil gekommen war):
âDie letzten Berichte der auslĂ€ndischen Presse ĂŒber die Ereignisse von
Kronstadt sind stark ĂŒbertrieben. Die Sowjetregierung ist durchaus in
der Lage, mit den Rebellen fertig zu werden. Ihr zögerndes Vorgehen
erklĂ€rt sich aus der Absicht, die KronstĂ€dter Bevölkerung zu schonen.â
(nach LâHumanitĂš vom 18. MĂ€rz 1921)
Trotzki bedient sich noch eines anderen Argumentes, das fĂŒr alle
Oppositionellen in Russland sehr gefÀhrlich werden sollte; er wirft den
KronstĂ€dter vor, âvon ihrer revolutionĂ€ren Vergangenheit zu lebenâ.
Stalin sollte das selbe Argument gegen Trotzki und die Altbolschewisten
benutzen, um ihnen bald darauf vorzuwerfen, dass sie von Anbeginn der
Revolution als Agenten der internationalen Bourgeoisie fungiert hÀtten.
In den ersten Kampfjahren habe Trotzki der Revolution zwar unschÀtzbare
Dienste erwiesen, um dann jedoch in das Lager der Gegenrevolution
ĂŒberzuwechseln. Man mĂŒsse, fuhr Stalin fort, einen Menschen nach seinem
gegenwÀrtigen Verhalten und nicht nach seiner Vergangenheit beurteilen,
wie das Beispiel Mussolini beweise.
Was Trotzki uns mit all seinen Argumenten nicht erklÀren kann, ist der
ideologische Dissens Kronstadts und der ganzen Flotte und die
Einstellung der Kommunisten in der Flotte wÀhrend der
Gewerkschaftsdebatte, die mit der Wahl zum 8. Allrussischen
Sowjetkongress begann und bis zur II. Kommunistischen Konferenz der
Baltischen Flotte kurz vor dem Aufstand dauerte. Genau die aber sind die
Angelpunkte der Diskussion.
Wenn Trotzki behauptet, dass alle, die auf seiten der Regierung standen,
echte proletarische und progressive KrÀfte waren, alle anderen hingegen
dem konterrevolutionĂ€ren Lager der Landbevölkerung angehörten, mĂŒsste er
die Behauptung erst in einer ernstzunehmenden Analyse der Fakten
beweisen.
Die Entwicklung hat gezeigt, dass im Ablauf der Revolution einige Wichen
falsch gestellt waren, was zur Kompromittierung und Zerstörung aller
sozialen, politischen und moralischen Errungenschaften fĂŒhrte. War der
Aufstand von Kronstadt ein Versuch, die russische Revolution wieder in
die richtigen Geleise zu lenken.
Das ist die entscheidende Frage, aus der sich erst die ĂŒbrigen
zweitrangigen Fragen ableiten lassen.
Es war sicher nicht die Vernichtung Kronstadts, die zu einem vorzeitigen
Ende der Revolution fĂŒhrte, aber es waren uE die auf Kronstadt und im
groĂen Rahmen auf ganz Russland angewandten politischen Methoden, die
aus den TrĂŒmmern der sozialen Revolution ein oligarisches System
erwachen lieĂen, das mit den ursprĂŒnglichen Erwartungen seiner
Wegbegleiter nichts mehr gemein hatte.
V.2 â Die Version der Bolschewisten
1921 behauptete die bolschewistische Regierung, der KronstÀdter Aufstand
sei vorgeplant gewesen. Diese Version entstand aus einer Meldung, die am
15. Februar 1921 in einigen französischen Zeitungen erschien (Le Matin,
LâEcho de Paris) und in der die Insurrektion angekĂŒndigt wurde. Daher
auch die Behauptung, der Aufstand sei von der Entente inszeniert.
Dieses fragwĂŒrdige Argument brachte auch Lenin auf dem 10. Parteitag
vor. âWir haben gesehen, wie auf die Bolschewisten ein undurchsichtiges
politisches Konglomerat folgte; wahrscheinlich mit Elementen von rechts,
besonders und jedenfalls aber mit Elementen aus der Richtung âlinksâ von
den Bolschewisten. Die Gesamtheit aller politischen Gruppen, die in
Kronstadt an die Macht wollen, lÀsst sich gar nicht genau festlegen.
Aber es herrscht kein Zweifel, dass auch weiĂgardistische GenerĂ€le eine
groĂe Rolle gespielt haben, das ist sogar bewiesen. Zwei Wochen vor den
Ereignissen in Kronstadt veröffentlichte die Pariser Presse bereits die
Nachricht vom KronstĂ€dter Aufstand.â
(Lenin, Ges. Werke, engl. Ausg., XXVI, S 124)
Tatsache ist, dass Falschmeldungen aus Russland keine Seltenheit waren,
nach dem Aufstand ebensowenig wie vorher. Unbestreitbar beeilte sich die
Weltbourgeoisie als Feind der russischen Revolution, alle schlechten
Nachrichten aus Russland jeweils zu ĂŒbertreiben. Als daher am 15.
Februar die II. Kommunistische Konferenz der Baltischen Flotte ihre
Kritik an der politischen FĂŒhrung der Flotte anmeldete, konnte diese
Nachricht leicht von der bĂŒrgerlichen Presse ĂŒberinterpretiert werden,
wobei, wie hÀufig, der Wunsch zum Vater einer Falschmeldung wurde. Auf
einen derartigen âBeweisâ seine Anklage zu stĂŒtzen, ist also unzulĂ€ssig
und unmoralisch.
In seinem Artikel von 1938 bezieht sich Trotzki auch nicht auf diese
Beschuldigung durch Lenin, sondern auf eine von dem amerikanischen
Trotzkisten John G. Wright veröffentlichte Studie zum Aufstand. Wright
seinerseits greift in diesem im Februar 38 in âThe New Internationalistâ
erschienenen Artikel auf das Argument zurĂŒck, dass der Aufstand
vorbereitet gewesen sein musste, da ihn ja die französische Presse am
15. Februar bereits annoncierte. Er schreibt:
âEine Verbindung zwischen Kronstadt und der Konterrevolution lĂ€sst sich
nicht nur nach Aussagen von Feinden des Bolschewismus konstruieren â sie
ergibt sich auch aus beweiskrĂ€ftigen Fakten.â Und diese beweiskrĂ€ftigen
Fakten sind abermals Zitate aus der bĂŒrgerlichen Presse (Le Matin,
Vossische Zeitung, The Times) mit ihren Falschmeldungen ĂŒber den
KronstÀdter Aufstand.
Es ist, wie gesagt, leicht, diese Argumente zu entkrÀften. Was schwerer
wiegt, ist die Tatsache, dass sie nicht nur damals in der Hitze des
Gefechts, sondern auch noch siebzehn Jahre danach Anwendung finden.
Trotzki und die Trotzkisten sollten mit der Formulierung derart
unbegrĂŒndbarer Argumente vorsichtiger sein: Stalin wusste bei gegebenem
Anlass diesem Beispiel zu folgen.
Warum â wenn die bolschewistische Regierung damals wirklich stichhaltige
Beweise fĂŒr die Verbindung mit der Konterrevolution besaĂ â warum hat
sie dann kein öffentliches Verfahren gegen die AufstÀndischen
angestrengt und Russland die wahren GrĂŒnde des Aufstands zu sehen
gegeben? Doch wohl nur, weil diese Beweise nicht vorlagen.
Man sagt uns von anderer Seite, dass eine zeitigere EinfĂŒhrung des Neuen
Ăkonomischen Programms (NEP) den Aufstand verhindert hĂ€tte. Aber: Wie
oben gezeigt, gab es keinen Plan fĂŒr den Aufstand, und niemand konnte
vorher wissen, ob es ĂŒberhaupt dazu kommen musste. Wir besitzen keine
Theorie ĂŒber das Entstehen spontaner Bewegungen; es ist leicht möglich,
dass unter anderen wirtschaftlichen und politischen VerhÀltnissen, als
sie im FrĂŒhjahr 1921 herrschten, der Aufstand sich nicht ereignet hĂ€tte.
Umgekehrt hÀtte er aber auch in anderer Form und an anderem Ort
entstehen können, etwa in Nijni Nowgorod, wo gleichzeitig mit der
Petersburger Streikwelle erhebliche Unruhen auftraten. Die besondere
Situation der Flotte und die revolutionÀre Vergangenheit Kronstadts
haben sicher eine Rolle gespielt, man kann aber nicht mit Sicherheit
angeben, wie ausschlaggebend diese Rolle war. Umgekehrt gilt das
Entsprechende fĂŒr das Argument, die rechtzeitige EinfĂŒhrung des NEP
hĂ€tte die Revolte verhindern mĂŒssen.
Das Neue Ăkonomische Programm wurde tatsĂ€chlich in dem Augenblick
proklamiert, als das KronstÀdter Massaker begann. Aber nichts spricht
dafĂŒr, dass es auf die von den Matrosen erhobenen Forderungen
tatsÀchlich einging. Denn in der KronstÀdter Iswestija vom 14. MÀrz
finden wir diese charakteristische Bemerkung: â ⊠Kronstadt verlangt
nicht den freien Handel, sondern die wahre Macht der RĂ€te!â.
Auch die streikenden Arbeiter Petersburgs unterstrichen immer wieder, so
sehr sie auch die Wiederherstellung der MĂ€rkte und die Abschaffung der
Milizpatrouillen forderten, dass dies allein ihre Probleme nicht lösen
könne.
Sicherlich erfĂŒllte das NEP einige Forderungen der KronstĂ€dter und der
streikenden Arbeiter Petersburgs insofern, als es die
Zwangsrequisitionen durch Naturalsteuern ersetzte und den Binnenhandel
wieder eröffnete. Soweit das NEP die Lebensmittelrationierung und die
willkĂŒrlichen Konfiskationen aufhob, ermöglichte es den Kleinproduzenten
wieder, ihre Waren auf die neuerdings offenen MĂ€rkte zu bringen, womit
die Hungersnot beseitigt war. Damit erschien das NEP vor allem als
RettungsmaĂnahme.
Gleichzeitig entfesselte das NEP aber die kapitalistischen KrÀfte auf
dem Land, wÀhrend die Diktatur der Einheitspartei dem Stadt- und
Landproletariat keine Handhabe gegen diese kapitalistischen Elemente
gab. âDie herrschende Klasse der Arbeiter besitzt in Wirklichkeit nicht
einmal die elementarsten politischen Rechteâ, schrieb 1922 das Organ
einer oppositionellen kommunistischen Gruppe, wÀhrend ein anderer
Artikel die Situation so charakterisiert: âDas Proletariat besitzt
absolut keine Rechte, wĂ€hrend die Gewerkschaften ein gefĂŒgiges
Instrument in den HĂ€nden der FunktionĂ€re sind.â
Solche Entwicklungen hatten sich die KronstÀdter allerdings nicht
gewĂŒnscht; vielmehr sannen sie auf Mittel, der Arbeiterklasse und der
werktÀtigen Landbevölkerung den ihr zukommenden Platz im Regime zu
sichern. Aus diesem Programmkatalog haben die Bolschewisten nur die
unwichtigen Forderungen erfĂŒllt, die in der Resolution auf dem 11. Platz
rangierten â die Forderung nach der Arbeiterdemokratie jedoch haben sie
ignoriert.
Aber diese Forderung in der Resolution der Petropawlowsk war weder
fantastisch noch gefĂ€hrlich, wie es etwa V. Serge in âProletarische
Revolutionâ vom 10. September 1937 behauptet: â ⊠spĂ€ter, als sie (die
Matrosen) sich in einen Kampf auf Leben und Tod verwickelt sahen,
stellten sie eine damals Ă€uĂerst gefĂ€hrliche Forderung auf, die
allerdings aufrichtig revolutionÀr und ohne Eigennutz war: die Forderung
nach freier Wahl der Sowjets. ⊠Indem sie einen reinigenden Sturm
entfesseln wollten, hÀtten sie tatsÀchlich nur der Konterrevolution des
Landes TĂŒr und Tor geöffnet, an der die weiĂen auslĂ€ndischen
Intervenisten prompt teilgenommen hÀtten. Das aufstÀndische Kronstadt
war nicht konterrevolutionÀr; sein Sieg hÀtte jedoch unausweichlich die
Konterrevolution nach sich gezogen.â
Entgegen dieser Auffassung glauben wir, dass die Forderungen der
Matrosen von groĂer politischer Weisheit zeugen, die nicht aus
abstrakten Theorien, sondern aus einem profunden VerstĂ€ndnis fĂŒr das
russische Leben stammt.
V.3 â Die Warnung Rosa Luxemburgs
Es ist sinnvoll, in diesem Zusammenhang an die in der ganzen Welt als
bedeutende KĂ€mpferin fĂŒr den Sozialismus bekannte Rosa Luxemburg zu
erinnern, die bereits 1918 in der Tendenz der russischen Revolution
einen Mangel an demokratischem Denken bemerkte:
âHingegen ist es eine offenkundige, unbestreitbare Tatsache, dass ohne
freie, ungehemmte Presse, ohne ungehindertes Vereins- und
Versammlungsleben gerade die Herrschaft breiter Volksmassen undenkbar
ist.
Gerade die riesigen Aufgaben, an die die Bolschewiki mit Mut und
Entschlossenheit herantraten, erforderten die intensivste politische
Schulung der Massen und Sammlung der Erfahrung. Freiheit nur fĂŒr die
AnhĂ€nger der Regierung, nur fĂŒr Mitglieder einer Partei â mögen sie noch
so zahlreich sein â ist keine Freiheit. Freiheit ist immer nur Freiheit
des Andersdenkenden. Nicht wegen des Fanatismus der âGerechtigkeitâ,
sondern weil all das Belehrende, Heilsame und Reinigende der politischen
Freiheit an diesem Wesen hÀngt und seine Wirkung versagt, wenn die
âFreiheitâ zum Privilegium wird.â
Weiter schreibt sie: âWir sind nie Götzendiener der formalen Demokratie
gewesen, das heiĂt nur: Wir unterscheiden stets den sozialen Kern von
der politischen Form der bĂŒrgerlichen Demokratie âŠâ
Und sie fĂ€hrt fort: âEs ist die historische Aufgabe des Proletariats,
wenn es zur Macht gelangt, an Stelle der bĂŒrgerlichen Demokratie eine
sozialistische Demokratie zu schaffen, nicht jegliche Demokratie
abzuschaffen. âŠ
⊠diese Diktatur (des Proletariats) besteht in der Art der Verwendung
der Demokratie, nicht in ihrer Abschaffung. ⊠Aber diese Diktatur muss
das Werk der Klasse und nicht einer kleinen, fĂŒhrenden Minderheit im
Namen der Klasse sein. ⊠Mit dem ErdrĂŒcken des politischen Lebens im
ganzen Lande muss auch das Leben in den Sowjets immer mehr erlahmen.
Ohne allgemeine Wahlen, ungehemmte Presse- und Versammlungsfreiheit,
freien Meinungskampf erstirbt das Leben in jeder öffentlichen
Institution, wird zum Scheinleben, in der die BĂŒrokratie allein das
tĂ€tige Element bleibt.â
(nach: Die Russische Revolution, hier zitiert nach R:L: Schriften zur
Theorie der SpontaneitÀt, Hamburg 1970, S 186 ff)
Wir haben diesen Exkurs ĂŒber Rosa Luxemburg gebracht, um zu zeigen, dass
sie mit ihrem Nachweis der Notwendigkeit demokratischer Formen sehr viel
weiter als die KronstÀdter ging, die ihre demokratischen Forderungen nur
auf das Proletariat und die werktÀtige Landbevölkerung beschrÀnkten.
Rosa Luxemburg schrieb ihre Kritik der Revolution 1918, mitten im
BĂŒrgerkrieg, wĂ€hrend die Resolution der Petropawlowsk zu einem Zeitpunkt
verabschiedet wurde, als der bewaffnete Kampf eigentlich beendet war.
Nun wĂŒrde aber niemand wagen, Rosa Luxemburg wegen ihrer Kritik einer
Verbindung zur Weltbourgeoisie zu bezichtigen. Warum werden dann die
Forderungen der Matrosen als gefÀhrlich, als unfehlbar zur
Konterrevolution fĂŒhrend, verketzert? Hat die geschichtliche Entwicklung
nicht schlieĂlich den KronstĂ€dtern und Rosa Luxemburg Recht gegeben?
Hatte Rosa Luxemburg nicht Recht mit der Feststellung, das Proletariat
mĂŒsse die âDiktatur der Klasseâ verwirklichen und ânicht einer Partei
oder einer Clique, Diktatur der Klasse, d.h. in breitester
Ăffentlichkeit, unter tĂ€tigster ungehemmter Teilnahme der Volksmassen,
in unbeschrĂ€nkter Demokratieâ.
V.4 â Eine dritte sowjetische Revolution
Als die AufstÀndischen ihre Forderungen aufstellten, kannten sie die
Schriften Rosa Luxemburgs wahrscheinlich nicht. Aber sie kannten die
Erste Verfassung der Sowjetrepublik, wie sie am 10. Juli 1918 vom V.
Allrussischen Sowjetkongress beschlossen worden war. Sie garantierte in
den Artikeln 13 bis 16 den Arbeitern die demokratischen Freiheiten
(Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Koalitionsfreiheit,
Pressefreiheit) und verbot in den Artikeln 22 und 23 jedes Privileg
einer Gruppe oder Partei. GemÀà dieser Verfassung konnte keinem Arbeiter
das aktive und passive Wahlrecht streitig gemacht werden, wenn er den
Anforderungen der Artikel 64 und 65 genĂŒgte, d.h., wenn er nicht von der
Ausbeutung AbhĂ€ngiger oder von EinkĂŒnften lebte, die ihm aus anderen
Quellen als seiner eigenen Arbeit zuflossen.
Die Parole des KronstÀdter Aufstandes:
âAlle Macht den RĂ€ten, nicht der Parteiâ
stammte eigentlich aus einem Verfassungsartikel, nach dem die AusĂŒbung
der zentralen und lokalen Macht bei den Sowjets liegen sollte.
Die bolschewistische Diktatur verletzte diese Verfassung von Anfang an
bzw. brachte sie niemals zur Anwendung. Erinnern wir uns, dass die
Kritik Rosa Luxemburgs nur wenige Monate nach der Verabschiedung dieser
Verfassung geschrieben wurde. Als die Matrosen spÀter die Verwirklichung
dieser 1918 erworbenen Rechte forderten, wurden sie als
konterrevolutionÀr und als Agenten der Weltbourgeoisie diskriminiert.
Sechzehn Jahre spÀter meint Serge, diese Forderungen hÀtten unweigerlich
die Konterrevolution zur Folge gehabt. Das zeigt, wie weit die
Bolschewisten von ihrer ursprĂŒnglich zurĂŒckhaltenden Beurteilung der
demokratischen âGefahrenâ abgewichen waren.
Die Grundgesetze der Sowjetrepublik, seinerzeit das juristische ResĂŒmee
der Oktoberrevolution, waren am Ende des BĂŒrgerkrieges derart in
Vergessenheit geraten, dass es einer dritten sowjetischen Revolution
bedurft hÀtte, sie in Kraft zu setzen. In diesem Sinne sprechen die
KronstĂ€dter von einer dritten Revolution: âIn Kronstadt wird der
Grundstein zu einer dritten Revolution gelegt, die die letzten Ketten
der Arbeiterklasse sprengen und einen neuen Weg zum Sozialismus bahnen
wirdâ, schreiben die AufstĂ€ndischen in der Iswestija vom 8. MĂ€rz.
Wir wissen nicht, ob die Errungenschaften der Oktoberrevolution auf
einem demokratischen Weg hÀtten bewahrt werden können und ob die
wirtschaftliche Situation, zumal auf dem Lande, fĂŒr das Experiment einer
ersten Anwendung des Sozialismus reif war. Diese Frage mĂŒsste
ausfĂŒhrlich diskutiert werden und ist zu komplex, als dass man sie bei
dem gegenwĂ€rtigen Stand der Sozialwissenschaften im RĂŒckblick
beantworten könnte. Aber wer die Wahrheit sucht, muss sie ungeschminkt
darstellen. Es reicht nicht aus, sich selbstzufrieden ein
wissenschaftliches MÀntelchen umzuhÀngen und derart die historischen
PhÀnomene erklÀren zu wollen.
Wo Trotzki das Entstehen der BĂŒrokratie, die das ganze Leben in den
Institutionen des Sowjetstaates paralysierte, zu erklÀren versucht,
scheint ihm das ganz mĂŒhelos zu gelingen. In seinem Buch âDie verratene
Revolutionâ fĂŒhrt er alles darauf zurĂŒck, dass die entlassenen Offiziere
der Roten Armee die leitenden Positionen in den örtlichen Sowjets
okkupierten und dort mit militÀrischer Strenge vorgingen, wÀhrend das
Proletariat nach der revolutionÀren Anstrengung erschöpft war. Und so
entstand, nach Trotzki, die BĂŒrokratie. Bleibt zu erwĂ€hnen, dass Trotzki
selbst militĂ€rische Strenge in den Gewerkschaften einzufĂŒhren versuchte.
Wohl um dem Proletariat seine MĂŒdigkeit auszutreiben? Wenn das
Proletariat doch so erschöpft war, wie konnte es dann noch in den
wichtigsten IndustriestÀdten die Anspannung eines Streiks ertragen, der
fast ein Generalstreik war? Und wenn die KP TrÀger der Sozialrevolution
war: Warum hat sie dann nicht das Proletariat in seinem Kampf gegen die
noch junge, aber schon erstarkte BĂŒrokratie unterstĂŒtzt; statt es
umzubringen, als es nach drei Jahren imperialistischen Krieges und
weiteren drei Jahren BĂŒrgerkrieg erschöpft war? Warum hat sich diese KP
mit dem diktatorischen Staat verbunden?
Dazu ist zu sagen: Die Partei war damals ebensowenig mehr proletarisch
wie revolutionĂ€r â und genau das warfen ihr die KronstĂ€dter vor. Deren
Verdienst ist es, das 1921 offen ausgesprochen zu haben, als man die
Situation noch hĂ€tte Ă€ndern können und nicht fĂŒnfzehn Jahre spĂ€ter, als
die Niederlage endgĂŒltig war.
TatsĂ€chlich ist die BĂŒrokratie so etwas wie eine russische Erbkrankheit,
vielleicht so alt wie der russische Staat. Als die Bolschewisten an die
Macht kamen, erbten sie nicht nur die zaristische BĂŒrokratie, sondern
auch deren Geist und AtmosphĂ€re. Sie hĂ€tten wissen mĂŒssen, dass der
Staat jetzt, da er seine Funktion auch auf den Sektor der Wirtschaft
ausdehnte und zum EigentĂŒmer der BodenschĂ€tze und der Industrie wurde,
nur noch anfĂ€lliger fĂŒr die bĂŒrokratische Gefahr geworden war.
In der Therapie eines erblich vorbelasteten Kranken ist diesen
ErbschÀden Rechnung zu tragen. Aber inwiefern trugen die Bolschewisten
der bĂŒrokratischen Erbkrankheit Rechnung? HĂ€tte es ein anderes Mittel
gegeben, als die AtmosphĂ€re durch konsequent demokratische MaĂnahmen zu
reinigen und einem RĂŒckfall durch rigorose und effektive öffentliche
Kontrolle vorzubeugen?
Man hatte zwar daran gedacht, aber das zustÀndige Kommissariat der
Arbeiter- und Bauerninspektion vertraute seine Kontrollfunktion
ausgerechnet den zu kontrollierenden BĂŒrokraten an.
Die GrĂŒnde des BĂŒrokratismus liegen auf der Hand:
Der Fehler wurzelte in der bolschewistischen Vorstellung von einem
absolutistischen Staat, der selbst wieder von einer absolutistisch und
bĂŒrokratisch organisierten Partei kommandiert und kontrolliert wird,
deren schĂ€dliche Neigungen dann noch durch die bĂŒrokratische Tradition
Russlands verstĂ€rkt wurden. Falsch wĂ€re es, die Landbevölkerung fĂŒr das
Fehlschlagen der Revolution und die RĂŒckentwicklung in ein
bĂŒrokratisches System verantwortlich zu machen. Es ist nĂ€mlich nur zu
einfach, alle Schwierigkeiten in Russland aus seiner
landwirtschaftlichen Struktur erklÀren zu wollen. Man sagt einerseits,
dass die KronstĂ€dter Revolte gegen die BĂŒrokratie vom Lande inspiriert
war und andererseits, dass die BĂŒrokratie aus der agrarischen
Vergangenheit zu erklÀren ist. Dann bleibt nur zu fragen, warum die
Bolschewisten in einem agrarisch strukturierten Land die Idee der
sozialen Revolution zu propagieren und durchzusetzen wagten.
Zweifellos glaubten sie, sich ein solches Verhalten in der Hoffnung auf
die Weltrevolution leisten zu können, fĂŒr deren Avantgarde sie sich
gleichzeitig hielten.
Aber wÀre nicht auch die Revolution in jedem anderen Land von den
zufÀlligen Charakteristika der russischen Revolution beeinflusst worden?
Wenn man die moralische AutoritĂ€t Russlands in der Welt berĂŒcksichtigt,
muss man sich fragen, ob nicht seine Abweichungen zwangslÀufig zu
Ă€hnlichen Fehlentwicklungen in anderen LĂ€ndern gefĂŒhrt hĂ€tten. Viele
historische Fakten sprechen dafĂŒr. Auch wenn man anerkennt, dass die
wahre sozialistische Revolution nur als Weltrevolution denkbar ist,
bleibt es doch zweifelhaft, ob die bĂŒrokratische Pest des Bolschewismus
durch heilsame Luft aus irgendeinem anderen revolutionÀren Land
beseitigt werden könnte.
Die Erfahrung mit dem Faschismus in LĂ€ndern wie Deutschland zeigt, dass
eine fortgeschrittene kapitalistische Entwicklung ebensowenig wie
demokratische Traditionen (Italien) eine hinreichende Garantie gegen das
Aufkommen autokratisch-absolutistischer Formen bieten. Ohne damit die
PhÀnomene erklÀren zu wollen, muss man doch einen bedeutenden
autoritaristischen Einfluss aus den hochentwickelten kapitalistischen
LĂ€ndern konstatieren, der unsere alten Ideen und Traditionen zu
verschlingen droht. Gleichzeitig ist zu sagen, dass der Bolschewismus
dieser absolutistischen Haltung innerlich affin ist; er hat ihr
gewissermaĂen den gefĂ€hrlichen PrĂ€zedenzfall geschaffen. Niemand kann
behaupten, dass in einem anderen Land, das Russland in der
revolutionÀren Entwicklung folgt, der Bolschewismus nicht ebenfalls im
absolutistischen Gewand aufgetreten wÀre, statt sich zu demokratisieren.
Aber: Stellt der demokratische Weg nicht doch eine Gefahr dar?
WĂ€re nicht der reformistische Einfluss in den Sowjets in einem freien
demokratischen KrÀftespiel erstarkt? Wir meinen wohl, dass diese Gefahr
tatsÀchlich existiert, aber sie war nicht schwerwiegender als die
notwendige Konsequenz der unkontrollierten Diktatur einer
Einheitspartei, die bereits einen Stalin zum GeneralsekretÀr hat.
Man sagt uns, das Land sei erschöpft gewesen und habe seine
Widerstandskraft eingebĂŒĂt gehabt. Allerdings war das Land kriegsmĂŒde â
aber es steckte voll konstruktiver KrÀfte und besaà den starken Willen
zu lernen und sich zu entwickeln.
Kaum war der BĂŒrgerkrieg beendet, gab es schon einen wahren Ansturm der
Arbeiter und Bauern auf die Schulen, UniversitÀten und Polytechniken.
War dieser Wunsch nicht das beste Indiz fĂŒr die Lebendigkeit und die
Widerstandskraft der werktÀtigen Klasse? In einem Land, wo
Analphabetismus herrschte, hÀtte ein solcher Unterricht stark dazu
beigetragen, die arbeitende Masse zur wirklichen AusĂŒbung ihrer Macht zu
befÀhigen.
Aber es gehört zum Wesen einer jeden Diktatur, dass sie die kreativen
KrÀfte des Volkes zerstört.
Trotz der unbestreitbaren Anstrengungen der Zentralregierung, die
Schulbildung unter den Arbeitern zu verbreiten, wurde Bildung bald zu
einem Privileg der Parteimitglieder, die der herrschenden Fraktion loyal
gegenĂŒberstanden. 1921 begannen die âSĂ€uberungenâ in den
ArbeiterfakultÀten und Höheren Schulen. Diese SÀuberungswelle wuchs mit
dem Entstehen oppositioneller Tendenzen im Herzen der Partei. Die
Absicht, das Volk zu bilden, wurde immer hinfÀlliger. Lenins Wunsch,
dass eine jede Köchin die Chance zur politischen Karriere erhalten
sollte, wurde unrealistisch.
Die revolutionÀren Errungenschaften konnten sich nur durch die wirkliche
Teilnahme der breiten Masse entwickeln. Jeder Versuch, an ihre Stelle
eine âEliteâ zu setzen, war zutiefst konterrevolutionĂ€r.
â
1921 stand die Revolution am Kreuzweg: Die Alternative hieĂ Demokratie
oder Diktatur.
Indem die Bolschewisten den bĂŒrgerlichen Parlamentarismus mit der
Arbeiterdemokratie in einen Topf warfen, verwarfen sie beide. Sie
wollten den Sozialismus von oben einfĂŒhren, durch Generalstabsmanöver.
Sie warteten auf die Weltrevolution, die nicht kam und errichteten
derweil einen Staatskapitalismus, der der Arbeiterklasse das Recht zur
Mitbestimmung raubte. Lenin sah nicht allein, dass Kronstadt diesen
diktatorischen Plan zu vereiteln drohte. Zusammen mit anderen
Bolschewisten sah er sein Parteimonopol in Frage gestellt. Deshalb
versuchte er, auf wenig feine, aber sichere Art, Kronstadt mit dem
Vorwand mundtot zu machen, es sei dem Lager der Bourgeoisie und der
Gegenrevolution verbunden.
Kusmin hatte als einziger die Wahrheit gesprochen, als er am 2. MĂ€rz
1921 in Kronstadt drohte, die Kommunisten wĂŒrden ihre Macht nicht
kampflos aufgeben. Lenin musste diesen Kommissar tadeln: er kenne nicht
die bolschewistische Moral und Taktik. Das war von seinem Standpunkt aus
berechtigt: Man musste den Feind moralisch und politisch zum Schweigen
bringen, offen mit ihm diskutieren konnte man nicht. Genau so verfuhr
die bolschewistische Regierung.
Die AufstÀndischen waren eine graue Masse, waren aber zugleich Menschen,
die manchmal ein ans Wunderbare grenzendes politisches GespĂŒr hatten.
HĂ€tte sich unter ihnen eine Anzahl ĂŒberlegener Geister befunden, wĂ€re es
wahrscheinlich niemals zum Aufstand gekommen. Denn fĂŒr jeden
weitsichtigen Menschen war es klar, dass die Forderungen der
AufstÀndischen in krassem Widerspruch zur Politik des Kremls standen und
dass die Regierung damals hinreichend organisiert war, um mitleidlos
jeden Störenfried zu vernichten, der sich ihren Ansichten und PlÀnen
ernstlich zu widersetzen wagte.
Aber die KronstÀdter waren aufrichtig und kÀmpferisch. Sie glaubten an
ihre gerechte Sache und rechneten nicht mit der Taktik des Gegners. Sie
hofften auf die Hilfe des ganzen Landes, dessen Nöte sie zum Ausdruck
brachten. Sie sahen nicht, dass dieses Land im WĂŒrgegriff einer Diktatur
war, die dem Volk weder die ĂuĂerung seiner WĂŒnsche noch die freie Wahl
seiner Regierung gestattete.
Die groĂe und erbitterte ideologisch-politische Diskussion zwischen den
âRealistenâ und den âTrĂ€umernâ, zwischen den âwissenschaftlichen
Sozialistenâ und der revolutionĂ€ren âVolnitzaâ endete 1921 in der
politischen und militÀrischen Niederlage der Letztgenannten. Aber diese
Niederlage war, wie Stalin beweisen sollte, die Niederlage des
Sozialismus auf einem Sechstel des Erdballs.
Paris , 1938
Literatur
Voronitzyn: Les ténÚbres des bagnes.
Poukhow: La rĂ©bellion de Cronstadt en 1921; Ă©d. dâEtat Jeune Garde 1931,
Serie: stade de la guerre civile.
M. Kubanin: Die Machnobewegung, Verlag Priboji, Leningrad.
B. Suwarin: Staline, aperçu historique du bolchevisme; éd. Librairie
Plon
Berkman: LâInsurrection de Cronstadt (hier zitiert nach: A. Berkman, Der
KronstÀdter Aufstand, Berlin 1922).
F. Dan: Deux années en errant (1919-1921).
Yartschuk: La révolte de Cronstadt.
Rosa Luxemburg: Die russische Revolution (hier zitiert nach: Schriften
zur Theorie der SpontaneitÀt, Hamburg 1970).
Trotzki: La révolution russe; éd. Rieder.
Trotzki: La révolution trahie; éd. Grasset
Trotzki: Stalin; Verlag Grasset
Lenin: Brochure sur lâimpĂŽt en nature (hier zitiert nach: AusgewĂ€hlte
Werke II, 854 ff, Berlin 1953, Dietz-Verlag).
VollstÀndige Sammlung der KronstÀdter Tageszeitung Iswestija.