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Bevor es das Internet – zum Guten wie zum Bösen – gab, feierten Zeitungen und Zeitschriften lange Zeit ihr goldenes Zeitalter. Eine von ihnen ist „Über Land und Meer“, welche sich hauptsächlich mit kulturellem Zeitgeschehen zu beschäftigen schien. Damals bündelte man die relevanten übers Jahr erschienen Artikel einer Zeitschrift und gab sie in, verglichen mit dem Papiermüll von heute, außerordentlich schön gebundenen Ausgaben heraus.
In der Ausgabe aus dem Jahre 1891, Band 2, welche ich besitze, springt (mir) besonders die Beschreibung des Besuches des Deutschen Kaisers am Rhein im Mai 1891 ins Auge. Nachrichten verbreiteten sich damals langsamer, die Welt war noch nicht so ein hektischer Ort. Der Alltag der Menschen war bedeutend härter und eintöniger. Umso ereignisreicher muss man sich den Besuch des Monarchen vorstellen, den der Untertan aus den damaligen Printmedien nur als fernes Zentrum der Macht kannte.
Der Besuch des Kaisers in einer Stadt war eine große Ehre und setzte einen Ort in helle Aufregung. Es war einer der seltenen Ausbrüche aus dem Alltag, wie wir, die wir jederzeit in ein Flugzeug steigen und am Ende der Welt urlauben können, sie für selbstverständlich halten.
Vor diesem Blickpunkt ist es weniger erstaunlich, dass sich signifikante Teile des Bürgertums ins Zeug legten, dem Monarchen einen angemessenen Empfang zu bereiten. Es galt, die eigene Stadt im besten Licht erscheinen zu lassen und gemeinsam aus der eigenen Kultur zu schöpfen. Vielleicht sollte man also etwas zurückhaltend sein, im Empfang des Kaisers bloßen Untertanengeist zu sehen.
Im Mai 1891 also besuchte der Kaiser den Rhein und die Städte fuhren ihre Prunkgüter auf. In Köln war das zu Niemandes Überraschung der Dom, den man so hell wie mit damaligen Mitteln möglich erleuchtete, was in der präelektrifizierten Ära ein beeindruckender Anblick gewesen sein muss.
Düsseldorf griff (vielleicht mangels Dom?) auf den Kulturgeist im Volk zurück und veranstaltete mit 600 Teilnehmern ein großes Schauspiel, welches das neue Reich mit dem alten der Staufer in historischen Zusammenhang zu setzen suchte und von der Germania mit folgendem Gedicht beschlossen wurde:
Aus alter Staufenherrlichkeit
Von Sagenduft umflossen,
Ein Gruß in unsre große Zeit
Dem mächt'gen Zollernsprossen.
Der Traum des Weltreichs ist verweht,
Es lebt nur noch die Kunde,
Das Reich, das neue deutsche steht
Auf festerm Felsengrunde.
Zum Kaiserhaus hält unentwegt
Das deutsche Volk, das ganze,
Und dir, der Deutschlands Krone trägt,
Heil dir im Siegerkranze.
Danach erst ging es nach Köln, den Dom zu bestaunen, zum Abendessen in den Gürzenich und schließlich endete der Besuch des Deutschen Kaisers mit dessen Gang an Bord des Raddampfers „Deutscher Kaiser“*.
Es ist sehr zu empfehlen, bei sich bietender Gelegenheit in Literatur der damaligen Zeitgeschichte hineinzublättern. Ihr Studium eröffnet Blicke auf Facetten der damaligen Welt, die bei stupidem Lesen der reinen Fachliteratur oder dem anderen extrem, dem Schauen moderner Fernsehdokumentationen, vollständig verborgen bleiben.
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• Mit der Kreativität im monarchischen Deutschland hatte man es damals nicht so, wie Schiffs-, Brücken-, Straßennamen bezeugen. „Jo Leute, wir haben einen neuen Raddampfer gebaut. Wie könnten wir ihn nennen?“ – „Nun, ich habe da so eine Idee...“