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Ich habe mich mit der Methode Niklas Luhmanns beschäftig, Wissen wiederauffindbar abzulgen, ohne dabei eine Wissensdatenbank anzulegen. Luhmann hat hierfür schlicht Zettel in einem Kasten aufbewahrt, dem Zettelkasten. Da mir persönlich ein digitalisiertes Vorgehen besser gefällt, habe ich seine Methodik in eine mir gefällige Methode übersetzt. Diese will ich im folgenden darlegen.
Das Rückgrat dieses Zettelkastens sind Org-Files. Ein Org-File ist eine Textdatei, dessen Inhalt in Form der Auszeichnungssprache Org-Mode abgelegt ist. Dabei ist die Auszeichnung ein Begriff aus dem Druckerhandwerk und beschreibt, wie (kursiv, fett, etc) etwas dargestellt werden soll. Im Digitalen sind die möglichen Auszeichnungen vielfältiger, denn auch Verlinkungen oder Bilder lassen sich als Auszeichnung verstehen. Org-Mode gibt also möglichen Auszeichnungen sowie ihre Codierungen vor.
Ein wesentlicher Bestandteil von Org-Mode ist das Gliedern von Texten in Überschriften und Unterüberschriften mit beliebiger Verschachtelungstiefe. Ein Überschrift ist immer einer Zeile, die mit Sternchen (*) beginnt; die Anzahl der Sternchen definiert dabei die Verschachtelungstiefe (vgl. (1)).
Ein einzelner Zettel oder ein Gedanke ist in diesem Kontext etwas, das unter der zuvor erwähnten Überschrift abgelegt wird. Unterschiedliche Zettel werden jeweils unter einer eigenen Überschriften abgelegt. Der Überschriftentext kann dabei auch leer gelassen werden, entscheidend ist dann nur das Sternchen zur Strukturierung.
Beispiel für einen Zettel mit Überschriftentext:
Beispiel für einen Zettel ohne Überschriftentext:
Der Zettel aus Papier hat die Eigenschaft, dass er endlich und damit irgendwann gefüllt ist. Diese Begrenzung hilft dabei, Gedanken möglichst kurz und prägnant zu verfassen. Das analoge Vorbild ist auf DIN-A6 formatigen Zetteln verfasst. Ein solcher Zettel enthält vollgeschrieben in etwa 100 Wörter. Passt der Gedanke nicht in dieses Format oder soll der Gedanke als Gedankenstrang fortsetzen werden, so kann einfach ein weiterer Zettel angefügt werden.
Der digitale Zettel ist hingegen theoretisch unbegrenzt und birgt somit die Gefahr, dass die auf ihm formulierten Gedanken nicht kurz und prägnant verfasst sind. Die Begrenztheit kann jedoch auch in dieser Methode abgebildet werden, indem ein Gedanke in etwa so vielen Wörtern formuliert wird, wie auch auf das analogen Vorbild passen würden.
Das Weiterführen eines Gedankens in einen Gedankenstrang erfolgt über das Einfügen weiterer Überschriften. Auch hier ist es möglich, ohne den Überschriftentext zu arbeiten, also die Überschrift nur zur Gliederungshilfe zu verwenden. Im analogen Vorbild wird der thematische Zusammenhang eines Gedankenstrangs über die fortlaufende Nummerierung der Zettel abgebildet (siehe Abbildung 1). Genauer: Ein Gedankenstrang ist in seiner Ebene fortlaufend durchnummeriert.
Im Folgenden werden tatsächliche Zettel aus Luhmans Zettelkasten als Beispiel verwendet. Es geht hierbei nicht um den Inhalt der selben, sondern schlicht um die Systematik um darzulegen, dass die vorgestellte Methode auch auf Luhmanns Zettelkasten übertragbar ist. Der initale Beispielzettel ist der Zettel "1,5"(2). Er wird von den Zetteln "1,5a", "1,5b", "1,5c", "1,5d" und "1,5e" gefolgt und bildet so einen Gedankenstrang. Dieser kann als Graph dargestellt werden, wobei jeder Knoten im Graph für einen Zettel mit entsprechender Nummer steht.
(2): https://niklas-luhmann-archiv.de/bestand/zettelkasten/zettel/ZK_1_NB_1-5_V
Figure 1: Graph des Gedankenstrangs #1,5
Gedankenstrang #1,5 im Luhmann Archiv
Im Org basierten Zettelkasten wird der Zusammenhang des Gedankenstrangs über den Rahmen eines Org-Files hergestellt. Der oben genannte Gedankenstrang liegt also im Org-File 1_5.org und enthält Überschriften für die Zettel "1,5", "1,5a", "1,5b", "1,5c", "1,5d" und "1,5e". In der schematischen Darstellung steht jede kleine Box für einen Zettel, der Rahmen für das Org-File.
Figure 2: Org-File-Struktur des Gedankenstrangs 1,5
Gedankenstrang 1,5 im Luhmann Archiv
Das Anschließen innerhalb eines Zettels an einer Stelle, zum Beispiel an einem bestimmtem Wort, erfolgt auf Papier durch eine Markierung. Es wird wird dann die Stelle des anschließenden Gedankenstrangs, eventuell farblich abgehoben, markiert. Auf dem Zettel "1,5"(4) würde also ein weiterer Gedankenstrang angeschlossen, indem an entsprechender Stelle das Nummernpostfix "A" notiert wird. Der neue Gedankenstrang besteht dann aus den Zetteln "1,5A", "1,5A1", "1,5A2", "1,5A3" sowie "1,5A4"
(4): https://niklas-luhmann-archiv.de/bestand/zettelkasten/zettel/ZK_1_NB_1-5_V
Figure 3: Graph mit angeschlossen Gedankenstrang 1,5A
Gedankenstrang 1,5A im Luhmann Archiv
Im Org basierten Zettelkasten wird der neue Gedankenstrang mit seinen Zetteln in einem neuen Org-File 1_5A.org abgelegt. Damit existieren die beiden Gedankenstränge jeweils in einem eigenen File. Zum Anschließen wird an der gewünschten Stelle ein Link eingefügt. Dieser kann etwa dem Wort, an das angeschlossen wird, hinzugefügt werden. Der Link selber verweist auf die ID des Zettels der hier anschließt. Ein Zettel bekommt seine ID, indem ihm eine Eigenschaften-Schublade(4) mithilfe der Funktion org-store-link hinzugefügt wird.
Figure 4: Org-File-Struktur der Gedankenstränge 1,5 and 1,5A
Angeschlossener Gedanke 1,5 im Luhmann Archiv
Angeschlossener Gedanke 1,5A im Luhmann Archiv
(4): https://orgmode.org/manual/Drawers.html
Für einen Querverweis wird auf dem Papierzettel jeweils die volle Nummer des Zettels notiert, auf den verwiesen wird. Oft ist dies explizit (wie auf diesem Zettel(5)) als "vgl. auch 1,6e" notiert. Auf Org basierten Zetteln unterscheiden sich Querverweise nicht vom inneren Verzweigen was ein Vorteil einer digitalen Methode ist. In beiden Fällen wird ein vollständiger Link auf die ID des Zettels gesetzt, auf den verwiesen werden soll.
(5): https://images.niklas-luhmann-archiv.de/image/ZK_1_01_01_059_V_N_NB_1-5A2?size=2
Ein gewachsener Zettelkasten wird zwangsläufig unübersichtlich, was in gewisser Weise das Ziel der Übung ist. Luhmann geht davon aus, dass für Kommunikation wechselseitiges "Überraschen" möglich sein muss. Übertragen auf den Zettelkasten bedeutet das aber, dass bei Konsultation des selben der Benutzer nicht vorab schon die Antwort vorweg nehmen können sollte (vgl. Luhmann, 1981). Das heißt der Zettelkasten sollte unübersichtlich im Sinne von unvorhersehbar werden, nicht aber unübersichtlich im Sinne von unbenutzbar.
Diese Forderung lässt sich erst dann erfüllen, wenn (a) mehr Zettel im Kasten sind als der Benutzer überschauen kann und (b) wenn die Zettel untereinander ein gewisses Maß an Vernetztheit aufweisen. So sollte es möglich sein, von einem Thema zu einem anderen zu navigieren, indem lediglich den Verknüpfungen gefolgt wird. Es ist daher wichtig, dass die Zettel bzw. die Gedankenstränge miteinander über Querverweise verknüpft werden. Sicher wird es Cliquen, innerhalb des Vernetzungsgraphen geben. Dabei sind Cliquen gut vernetze Teile im Graphen, die mit nur wenig Verzweigungen an den Restgraphen angebunde sind.
Es sollte aber vermieden werden, dass unzusammenhängende Teilgraphen entstehen, denn das Nachgehen von Verknüpfungen ist jener Teil des Zettelkastens, der zu neuen Erkentnissen führen kann. Das liegt daran, dass beim Navigieren Unerwartetes in Form von Verknüpfungen, Beziehungen oder Sichtweisen gefunden werden kann.
Es ist nicht hilfreich, wenn erst länglich im Zettelkasten navigiert werden muss, um einen Themenkomplex zu erreichen, zu dem Inspirationen gesucht werden. Daher können Register eine nützliche Hilfe darstellen, um Abkürzungen zu den Themenkomplexen zu haben. Ein Schlagwortregister liefert diese Abkürzungen und damit Einsprungstellen in den Zettelkasten. Für die Benutzung des analogen Vorbildes ist es unumgänglich und funktioniert auch im digitalen Nachbau. Wichtig ist, dass nicht jedes Vorkommen eines Schlagwortes auch eine sinnhafte Einsprungstelle darstellt. Das Schlagwortregister sollte daher nicht mit einer Volltextsuche verwechselt werden, denn diese liefert immer alle Vorkommen des Suchwortes. Sie kann und wird nicht zwischen hilfreichen oder weniger hilfreichen Einsprungstellen unterscheiden.
Zuletzt sei noch gesagt, das neben jedem Vorkommen nicht jeder Begriff einen Eintrag im Schlagwortregister verdient. Welche Begriffe ihren Eintrag verdienen kann nicht pauschal beantwortet werden, sondern hängt vom Benutzer des Zettelkastens ab. Letztlich ist hier das Vorgehen nach dem Prinzip: "So wenig wie möglich, so viel wie nötig" sinnvoll.
Um zu den Ideen und Gedanken, die auf Zetteln im Kasten aufbewahrt werden, zu gelangen, fallen auf dem Weg dahin sicherlich Notizen an. Dabei handelt es sich um flüchtige Notizen, die zu allererst dazu dienen, um diesen Punkt nicht gleich wieder zu vergessen. Hierfür eignen sich ebenfalls Org-Files, es ist wichtig, diese aufgrund ihrer strukturellen Ähnlichkeit nicht mit den Zetteln des Kastens verwechseln und strikt getrennt aufzubewaren (vgl. Ahrens, 2017, S.32).
So kann ein Org-File Notizen.org als digitaler Notizzettel- und ein weiteres Org-File Literaturnotizen.org als Sammler für konkrete Lektürenotizen dienen.
Werden Gedanken und Ideen aus bestehenden Literaturnotizen formuliert, so können diese zunächst im Org-File der Literaturnotizen erstellt werden. Dies hilft wie auch beim Papier basierten Vorbild der Übersichtlichkeit, denn auch hier liegen während des Verzettelns die Literaturnotizen sowie die Zettel gemeinsam auf dem Schreibtisch.
Niklas Luhmann, Kommunikation mit Zettelkästen