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date: 2024-11-20T21:33 tags: [date/2024/11/20, gemnews]
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created: 2024-11-20T22:24:47 (UTC +01:00) tags: [] source:
https://paradox-a.de/allgemein/unbezogen/
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## Excerpt
Eine meiner Veranstaltungen, die mich am meisten angestrengt hat, fand in einer westdeutschen Großstadt statt. Abgesehen davon, dass nur wenige Personen teilnahmen, hatten diese sehr verschiedene…
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Lesedauer: 3 Minuten
Eine meiner Veranstaltungen, die mich am meisten angestrengt hat, fand in einer westdeutschen Großstadt statt. Abgesehen davon, dass nur wenige Personen teilnahmen, hatten diese sehr verschiedene Hintergründe. Dieser Umstand wäre eigentlich schön gewesen, hätten sich die betreffenden Menschen in der Diskussion denn aufeinander bezogen, um voneinander zu lernen. Stattdessen musste ich damit zurecht kommen, dass vier Typen vier verschiedene Themenstränge eröffneten – welche sich allesamt nur ansatzweise auf das Thema bezogen, welche ich präsentiert hatte. Offenkundig bezogen sie sich auch nicht aufeinander und zumindest drei von ihnen waren der Ansicht, mir noch irgendwas mitgeben zu wollen.
Als ich das abwehrte wurde das dann so interpretiert, dass ich nicht für Kritik offen sei – doch nach ausgiebigem Nachdenken darüber bin ich weiterhin der Überzeugung, dass mein Problem einfach darin bestand, dass ich nicht zu etwas Stellung beziehen musste, über das ich im Vortrag überhaupt nicht gesprochen hatte. Komischerweise waren die Beiträge der Beteiligten für sich genommen verständlich und nachvollziehbar – wenn man denn ihrer Voraussetzung zu folgen bereit war, die anderen wüssten einfach, worauf sie sich beziehen würden. Gegen Ende der Diskussion, welche in wiederholten Äußerungen singularisierter Standpunkte, Gedankengänge und Weisheiten bestand – bei denen ich mich weigerte, mich an daran abzuarbeiten – wurde dann mehrfach betont, wie wichtig es sei, sich zuzuhören.
Nun könnte man zum Schluss kommen, dass es eine möglichst homogene Gruppe braucht, um eine Diskussion führen zu können, in welcher sich die Teilnehmenden auf das Thema (statt auf einzeln irgendwie herausgegriffene Aspekte oder eben auch gar nicht), wie auch aufeinander beziehen. Doch schon am nächsten Abend erlebte ich in einer anderen Stadt eine Diskussion (anschließend an das gleiche Thema), in welcher ebenfalls Kritik geäußert und unterschiedliche Standpunkte vertreten wurden; in welcher die Teilnehmenden jedoch ganz eindeutig aufeinander Bezug nahmen und ihre Beiträge auf das Vortragsthema immer wieder zurück führten. Meine Schlussfolgerung daraus ist: Für eine kohärente, gewinnbringende Diskussion braucht es keineswegs eine möglichst homogene Gruppe, sondern erstens überhaupt eine Gruppe, zweitens, das Interesse, sich auf das Thema einzulassen und drittens die Bereitschaft, den Vorredner*innen zuzuhören und auf das von ihnen Gesagte einzugehen, anstatt losgelöst davon eigene Monologe zu führen. Es war eine schöne Erfahrung, Teil dieser wertschätzenden Diskussionsrunde zu sein.
Wenn ich dies schreibe, bin ich mir durchaus bewusst, dass ich aus bestimmten Gründen selbst häufig nicht zuhören kann und stattdessen vor mich hin monologisiere. Aber es macht eben einen Unterschied, den eigenen Gedankenfluss an dafür geeigneten zu artikulieren oder innerhalb einer Diskussion, die in einem sozialen Raum stattfindet. Anspruch und Wirklichkeit klaffen hierbei offenkundig auch bei Menschen auseinander, die dem Anarchismus nahestehen. Gleiches kann auch hinsichtlich von Hierarchien gesagt werden, bei denen einige Personen sehr klare Vorstellungen zu haben scheinen, wer wem wann was und wie sagen dürfte oder nicht. In dieser Hinsicht mag es Beziehungen geben, aber sie sind keine des gegenseitigen Respekts, der Wertschätzung und Gleichheit. Würden Anarchist*innen ihre eigenen Ansprüche besser verwirklichen können und sich ernsthaft aufeinander beziehen wollen und können – wie anders sähe es in der „Szene“ aus; wie viel attraktiver wäre sie für Außenstehende! Ein Trostplaster mag sein, dass sich auch dies lernen lässt. Am besten gemeinsam.
unbezogen - Paradox-A was published on 2024-11-20