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Untersuchungen zum Werk

I. Das musikalische Schaffen - Ursachen und Bedingungen

Es w�re eine nicht gerechtfertigte Hypertrophie, Irsen als einen bekannten Komponisten mit einer st�ndiger Pr�senz im Repertoire des Musikbetriebs bezeichnen zu wollen. Gerade diese fehlende Breitenwirkung mutet bei einem so produktiven Komponisten wie er es war als ungew�hnlich an.

Bedenkt man ferner seine �ber 47 Jahre andauernde T�tigkeit an der Musikschule Siegburgs und seine Kontakte zu anderen Musikern �ber das Rheinland hinaus, so ergibt sich das Bild eines zwar in p�dagogischer und kompositorischer Hinsicht geachteten, aber letztlich ohne Wirkung gebliebenen Komponisten. Dies tritt vor dem Hintergrund einer von Irsen verk�ndeten Musik "die klingt" noch deutlicher hervor, da er daran interessiert war, den Zuh�rer mit seinen Werken zu erreichen und ihm auf musikalischer Ebene etwas mitzuteilen. Irsen stellte sein Schaffen durchaus in den Dienst der Kommunikation zwischen Komponist und Zuh�rer und bejahte ganz entschieden die Tatsache, da� Musik in dieser Hinsicht eine bestimmte "Funktion" habe und diesem Zweck dienen m�sse.

Ausgehend von dieser Tatsache, mu� es verwundern, da� Irsen als Komponist zwar Anerkennung erhielt, doch er es auf breiter Basis nicht vermochte, seine Werke tragf�hige S�ulen eines Repertoires werden zu lassen, und da� er trotz des von ihm erteilten Unterrichts in Kontrapunkt und Harmonielehre an der Musikschule keine M�glichkeit hatte, eine kompositorische "Schule" zu begr�nden, �ber die hinaus er die M�glichkeit gehabt h�tte, seinen Status als Komponist zu festigen.

Die an diesem Punkt einsetzende Fragestellung f�hrt zur �berpr�fung des kompositorischen Schaffens auf dessen Ursachen und Bedingungen hin.

Der Grund f�r die fehlende Breitenwirkung kann nicht zuletzt in der Tatsache gesehen werden, da� Irsens Schaffen starke epigonale Z�ge aufweist. Eigenst�ndige Tendenzen sind zwar stets vorhanden und bestimmen das Bild, das Irsens Gesamtwerk aufzeigt, zu einem Teil mit, doch tragen die meisten seiner Werke in Aufbau, Gattungswahl und Instrumentation konventionelle Z�ge.

Die Problemlage dieser werkimmanenten Tendenzen weist auf Irsens direkte Umgebung hin und wird an ihr sichtbar, denn der Einflu� der Musikschule ist in den Werken Irsens allgegenw�rtig.

Das musikalische Schaffen dieses unbekannten Komponisten h�ngt �u�erst stark mit dieser Bindung an die Musikschule zusammen; hier scheint letztlich auch der Grund f�r den epigonalen Charakter seiner Werke und der nicht �ber die Stadtgrenzen Siegburgs hinausgehenden Popularit�t seiner Musik zu liegen, da Irsen hier zwar einerseits den Ausgangspunkt und die �u�eren Bedingungen f�r sein Schaffen vorfand, er jedoch andererseits nicht �ber diese Bedingungen hinausging.

Es sei deshalb kurz auf diese Rahmenbedingungen, die sein Schaffen so nachhaltig pr�gen, eingegangen.

In den Jahren 1942 bis 1989 war Irsen an der Siegburger Musikschule als Lehrer f�r Tonsatz, Harmonielehre, Klavier, Cembalo und Geh�rbildung angestellt. Dies hinterlie� in seinen Kompositionen tiefe Spuren, da er stets Werke f�r das Lehrerkollegium der Schule, seine Sch�ler und die Instrumentalgruppen schrieb, die seine Werke in Konzerten der Musikschule , aber auch au�erhalb, auff�hrten.

Trotzdem gelang es Irsen nicht, seine Werke Repertoire werden zu lassen. Resultieren die Klavier- und Orgelwerke aus dem Bedarf, sie selbst aufzuf�hren und wurden viele Sch�ler Irsens Interpreten seiner Werke, resultieren zudem viele Blockfl�tenst�cke aus seiner Arbeit mit den Fl�tengruppen an der Musikschule, so ist doch festzustellen, da� es gerade diese enge Bindung war, die ihn zwar k�nstlerisch beeinflu�te, ihn jedoch letztlich auch einschr�nkte.

Gerade im Hinblick auf die sich durch viele Jahre in seinem Werk hindurchziehende Besetzung f�r die verschiedensten Blockfl�tengruppen ist zu erkennen, wie gro� der Einflu� der Musikschule auf das Werk Irsens ist: fast in jedem Jahr schrieb Irsen mehrere Werke f�r Blockfl�ten und kombinierte in seinen St�cken oft seine Musik mit bekannten Volks- oder Weihnachtsliedern, um den Sch�lern durch eine bekannte Melodie innerhalb des Werkes Halt zu geben. Da es sich bei diesen Gruppen oft um sehr junge Sch�ler handelte, lag hier auch ein Teil der p�dagogischen Arbeit Irsens, die sein Werk beeinflu�te, die aber auch mit seinem Werk andere beeinflussen konnte.

Auch die Wahl der Instrumente wurde dadurch bestimmt ; da Irsen durch seine Umgebung in der Musikschule "an der Quelle " sa�, konnte er, hinsichtlich der Instrumentenwahl, aus dem vollen sch�pfen und nahezu alle Instrumentenkombinationen verwenden sowie dadurch die verschiedensten Werke innerhalb eines Jahres schreiben. Selbst die gro�besetzten Orchesterwerke und Kantaten wurden f�r die Lehrer und Sch�ler der Musikschule geschrieben und mit ihnen zusammen aufgef�hrt.

Das kompositorische Werk Irsens ist in seiner ganzen F�lle erst durch die enge Bindung an die Musikschule zu verstehen. Auf den ersten Blick sein Gelderwerb, war sie im Grunde Inspiration und Anla� seines riesigen musikalischen Oeuvres. In ihr hatte er ein Instrumentarium zur Hand, das ihm durch die Jahrzehnte die M�glichkeit bot, alle erdenklichen Gattungen und Instrumentationen zu erproben und dadurch immer andere Klangkombinationen zu erreichen. Auch die Wahl der Gattungen sowie die Instrumentation seiner Werke ist in der engen Verflechtung mit der Musikschule zu verstehen und verdeutlicht den letztlich epigonalen Charakter dieser Wahl. Durch eine genauere Betrachtung lassen sich bei Irsen verschiedene Tendenzen feststellen, die hier kurz skizziert seien.

Betrachtet man das gesamte kompositorische Werk Irsens, so f�llt die gro�e Bedeutung der Tradition bei der Gattungswahl auf: Irsen schrieb innerhalb von Gattungen, die als die Grundlage der abendl�ndischen Musik angesehen werden k�nnen. Es handelt sich dabei jedoch nicht nur um diejenigen Gattungen, die Irsen aus der Sp�tromantik �bernahm, sondern um die gebr�uchlichsten Gattungen vom Barock bis zur Moderne. F�r Irsen war damit die M�glichkeit gegeben, seine kompositorische Entwicklung innerhalb der verschiedensten tradierten Gattungen stattfinden zu lassen und damit alte Gattungen mit neuer Musik am Leben zu erhalten.

Dies war bei ihm auch p�dagogische Absicht: erlernten die Sch�ler bei ihm im Unterricht die Gattungen und Musik verschiedener Epochen, konnte er seine Sch�ler durch Beibehaltung dieser bekannten Gattungen an seine Musik heranf�hren. Ebenso galt diese Vorgehensweise f�r das Publikum, das Irsen durch die bekannten Gattungen der Musikgeschichte mit seinen eigenen Werken vertraut machen konnte.

Irsen war auf dem Gebiet der Erweiterung und Erfindung neuer Gattungen nicht so innovativ wie innerhalb seiner kompositorischen Entwicklung. Einerseits wirkte in ihm die Tradition der �berlieferten Formen der Sp�tromantik nach, andererseits �bernahm er diese Gattungen bewu�t aus p�dagogischer Absicht.

Suchte Irsen neue Gattungen, schuf er meist eigene, sehr freie Formen, die ihm wie dem Ausf�hrenden genug Spielraum f�r Erfindungen und freies Spiel lie�en. Nicht wenige Werke, gerade aus der Sp�tzeit Irsens, tragen deshalb ihren freien Spielcharakter bereits im Titel: "Dialoge" (Nr. 330), "Monologe" (Nr.339), "Vieles in einem" (Nr. 350), "Spielereien" (Nr. 383) u.a. Bei einem so erfindungsreichen Komponisten wie Irsen, der stets an einem Werk, sei es im Kopf oder auf dem Papier, arbeitete und der selbst im Alter einen Jahresdurchschnitt von ca. 10 Werken erreichte, war die Gattungswahl daher sehr wichtig: sie mu�te ihm genug Raum f�r Neuerungen in der eigenen kompositorischen Arbeit lassen. Dies konnte in den Gattungen der Barockzeit ebensosehr geschehen wie in Formen der Neuzeit.

Davon ausgehend ist festzustellen, da� Irsen ein �u�erst vielseitiger Komponist war, da er in fast allen Gattungen schrieb und alle erdenklichen Instrumentationen daf�r verwendete, die in den Bedingungen der Musikschule zu begr�nden sind.

Doch sind die epigonalen Z�ge oft so stark, da� den Werken zwar einerseits viele eigene kompositorische Gedanken zugrunde liegen, ihnen jedoch andererseits als eigenst�ndiges vollg�ltiges "Werk", als "Irseniana", die kompositorische Gr��e fehlt.

Insofern ist Irsen ein Opfer seiner eigenen immensen Sch�pferkraft, die jedoch ebensosehr zu der immer wieder neu entstandenen Vielfalt seiner �ber 800 Einzelwerke beitr�gt und aus in erster Linie p�dagogischen Zwecken dienenden Arbeiten durchaus inspirierte Werke macht.

Es ist jedoch zu fragen - und dies betrifft das Schaffen Irsens als Ganzes - ob nicht gerade die Verwurzelung von Irsens Musik in der N�he des praktischen Musizierens, in der bewu�ten Ann�herung an Ensembles und der damit verbundenen Kommunikationsbereitschaft des Komponisten zu seinem Publikum, eine gro�e Chance f�r Irsens Gesamtschaffen darstellt. Einerseits verhaftet in Kompositionsstrukturen, die sich aus der unmittelbaren Umgebung Irsens ergaben, andererseits die dadurch erzielte hohe Praxisn�he macht das Schaffen Irsens letztlich zwiesp�ltig. Doch gerade in dieser Praxisn�he liegt die M�glichkeit, Irsens Kompositionen aufzuf�hren und ihnen einen, wenn auch regional gebundenen, Platz zukommen zu lassen.

So ist die innere strukturelle Begrenzung des "musikalischen Schaffens des Siegburger Komponisten Heinz Irsen" zugleich dessen Chance.

II. "Komponieren ist bei mir ein Drang" - Aspekte der kompositorischen Entwicklung Irsens

Heinz Irsen war ein �u�erst produktiver Komponist, dessen Niederschlag in insgesamt 449 Werknummern zu finden ist; die einzelnen Werke d�rften sich auf ca. 800 - 900 Einzelkompositionen belaufen. Ab 1922 liegen von ihm in kontinuierlicher Reihenfolge bis zu seinem Tod 1989 Werke in fast allen Stilrichtungen und Gattungen vor.

Irsen teilte sein Schaffen in vier Perioden ein, deren Ausgangspunkt die Weiterentwicklung der Harmonik ist. Im folgenden soll diese Einteilung kritisch untersucht und deren Grundlagen kurz dargestellt werden.

Dazu sei an das Gesamtschaffen Irsens folgende Frage gerichtet: Nach welchen Kriterien teilte Irsen sein Schaffen ein und wie ist der Einflu� Hindemiths dabei zu werten?

Es sei kurz auf die von Irsen vorgenommene Einteilung seiner Werke in vier Perioden eingegangen, um daran die kompositorischen Grundlagen, aber auch die Weiterentwicklung innerhalb seines Gesamtschaffens aufzuzeigen.

a) Die "Dur-Moll-Periode" ( 1922-1940 )

Die fr�hen Jahre in der kompositorischen Entwicklung Irsens sind gekennzeichnet durch die �bernahme der tradierten Harmonik.

Bereits in den fr�hen drei�iger Jahren - Irsen ist Ende zwanzig ist jedoch eine Weiterentwicklung im Bereich der Harmonik festzustellen. Er durchbricht die erlernte harmonische Grundlage und erweitert sie gleichzeitig. Die Tonalit�t wird nicht vollst�ndig aufgehoben, doch sie ist nicht mehr das Fundament seiner Werke. Sie wird "frei" und Irsen nutzt dies in vielen klanglichen Wirkungen aus. Angeregt durch den Einflu� Hindemiths gewinnen seine Werke immer mehr Selbst�ndigkeit und Irsen kann zunehmend eine eigene harmonische Entwicklung und Sprache ausbilden. Am Ende der drei�iger Jahre hat Irsen die herk�mmliche Dur- Moll- Harmonik aufgegeben. Gleichzeitig wird seine musikalische Sprache durch die von ihm verwendete Harmonik immer individueller.

Doch gerade der Einflu� Hindemiths verhinderte eine v�llige Losl�sung Irsens von dessen Werken, so da� trotz beginnender Individualisierung Irsens Schaffen von starken epigonalen Z�gen gepr�gt ist. Die "polyphonen Traditionen der deutschen Kunstmusik", auf die Hindemith besonders in seinen Fr�hwerken zur�ckgriff, nahm auch Irsen f�r sich in Anspruch und folgte damit seinem Vorbild in kompositorischer Hinsicht nach. Auch legte Irsen bereits in diesen Jahren den Grundstein f�r die Verwendung m�glichst vieler Gattungen innerhalb seines Schaffens, und wurde darin ebenfalls von Hindemiths Gattungswahl und dem Bem�hen, " den alten', alle musikalischen Erscheinungsformen umfassenden Musikbegriff wieder verbindlich zu machen", stark beeinflu�t.

Dieser Einflu� ist durch das gesamte musikalische Schaffen, auch in der atonalen Phase, �berdeutlich zu erkennen und wird durch das immer neue Erfinden und Kombinieren der verschiedensten Gattungen stets aufs Neue belegt.

b) Die "Periode der erweiterten Tonalit�t" ( 1940-1950 )

W�hrend des II. Weltkrieges entwickelte Irsen innerhalb seines Werkes den �bergang von der tonalen zur harmonisch immer freier werdenden Musik. Dies ist durchaus zeitgeschichtlich-politisch zu verstehen: w�hrend das kompositorische Vorbild Hindemith in Deutschland aufgrund seiner Werke stark angegriffen wurde - seine Musik galt als "entartete Kunst" und die Urauff�hrung seiner Sinfonie "Mathis der Maler" f�hrte 1934 zu einem Skandal - und Sch�nberg 1933 �ber Paris in die USA emigrierte, schlo� sich Irsen bewu�t an den von Hindemith proklamierten Kompositionsstil an und verfiel, trotz vieler Gelegenheitswerke f�r die Musikschule ab 1942, nicht in den von der NS-Regierung vorgeschriebenen Musikstil.

Irsen entwickelte die Tonalit�t dahingehend weiter, da� sie zwar tonartlich durch feste Bezugst�ne gebunden und damit in gewisser Weise noch tonal war, doch l�ste er zunehmend die einzelnen musikalischen Abl�ufe von diesen Bezugst�nen ab und entfernte diese Abl�ufe damit immer weiter von einem Grundton. Damit waren seine Werke zwar hinsichtlich des Anfangs- und Schlu�tones tonal und boten dem Gesamtwerk f�r alle Abl�ufe ein Ger�st, in welchem sie stattfinden konnten, doch wurden diese musikalischen Vorg�nge und Entwicklungen innerhalb eines Werkes harmonisch immer freier. Auf die Bedeutung des "Bezugstones" kam Irsen in seinem "Personalstil" ab 1970 wieder zur�ck.

Auch in dieser Periode folgte Irsen Hindemith, was ihn deutlich als epigonalen, aber charakteristischen Komponisten zeigt.

c) Die "Periode der Atonalit�t" ( 1950-1970 )

Als Konsequenz der permanenten Erweiterung der Harmonik ergab sich in Irsens Werk in den ersten Nachkriegsjahren die Hinwendung zur Atonalit�t, die �ber 20 Jahre andauern sollte. Irsen folgte damit der allgemeinen musikalischen Entwicklung, wenn auch versp�tet, nach. Es scheint, als ob durch den Zusammenbruch der NS-Herrschaft Irsen sich nun insofern von jedem �u�eren Zwang befreit f�hlte, da� er nun die Grenzen der Tonalit�t endg�ltig �berschreiten und sich der atonalen Schreibweise bedienen konnte.

Es ist jedoch zu fragen, warum Irsen erst ab diesem Zeitpunkt atonal schrieb und dies nicht bereits 10 Jahre zuvor begann. Eine m�gliche Erkl�rung mag sein, da� Irsen, wie erw�hnt, den Druck des NS-Regimes nun nicht mehr versp�rte und seinen Kompositionsstil, ohne politische Konsequenzen bef�rchten zu m�ssen, frei entfalten konnte. Dies m��te jedoch zu der Annahme f�hren, da� Irsen seine angestrebte atonale Schreibweise in den Jahren 1933 -1945 unterdr�ckt sowie weitere f�nf Jahre bis 1950 zur�ckgehalten h�tte, bevor er nun atonal schrieb.

Ob Irsen die Atonalit�t deshalb umging, weil er zusehr unter Hindemiths Einflu� stand oder politische Konsequenzen f�rchtete (auch in Hinsicht auf die Musikschule), mag ungekl�rt bleiben. Da er jedoch erst 1942 die Musikschule mitgr�ndete und er erst ab diesem Jahr f�r seine dortige Arbeit politischen Druck h�tte f�rchten m�ssen, w�re es f�r ihn in den Jahren 1933-1942 durchaus m�glich gewesen, atonal zu schreiben. Da er es nicht tat, ist zu vermuten, da� der kompositorische Einflu� Hindemiths gerade in diesen Jahren sehr stark war, was durch die Werke und der Gattungswahl Irsens auch unterstrichen wird.

Viel eher mag nicht eine politische, sondern eine k�nstlerische Absicht diese Entwicklung zur Atonalit�t begleitet haben: die atonale Schreibweise kann als eine bewu�te Abgrenzung zu Hindemith verstanden werden, eine Abgrenzung von einem fast �berm�chtigen Vorbild, das fast 30 Jahre lang Irsens kompositorische Entwicklung nachhaltig beeinflu�t hatte. Zusammen mit einem "Neuanfang" in einem politisch neuen Deutschland begann sich Irsen von seinem Vorbild zu distanzieren und eine eigene Bestimmung der kompositorischen Grundlagen seines Schaffens vorzunehmen. Hindemiths Einflu� blieb jedoch weiterhin in der Gattungswahl sp�rbar.

Gerade dieses eigenst�ndige Bestimmen seines Kompositionsstils unabh�ngig von den Vorgaben der damaligen Zeit, verleiht den Werken dieser Periode eine eigene kompositorische Substanz.

d) Die "Periode des Personalstils" ( 1970-1989 )

Irsen blieb bei der atonalen Schreibweise innerhalb seines Schaffens nicht stehen, was deutlich zeigt, da� er es letztlich als Begrenzung seiner Inspiration empfunden haben mu�. Hatte er diesen Stil �ber 20 Jahre lang verwendet, entwickelte er ihn nun in einer erstaunenden Weise weiter, die jedoch auch sein Epigonentum deutlich werden l��t:

Ab 1970 kn�pfte Irsen an Hindemiths Kompositions - Prinzip des "Zentraltons", der aus dem Grundton hervorgegangen war, an. Dieser Schritt ist bemerkenswert und es ist zu fragen, warum sich Irsen in seinem Sp�twerk nach seiner Entfernung von Hindemith durch atonale Schreibweise nun wieder seinem Vorbild und geistigen Lehrer zuwandte. Auch die Verz�gerung, mit der dies geschah, ist zu hinterfragen.

Es mag zum einen in der Tat letztlich eine Begrenzung in der Atonalit�t gelegen haben, die Irsen aus k�nstlerischer Sicht nach 20 Jahren zu dem Ergebnis kommen lie�, in diesem Stil nicht mehr schreiben zu k�nnen oder zu wollen. Er mag sich "ausgeschrieben" haben und hatte in diesem Zeitraum alle M�glichkeiten in vielen unterschiedlichen Gattungen ausprobiert. Nun suchte er etwas anderes, etwas, da� alle diese Entwicklungen aufnehmen und verarbeiten konnte.

Da� er sich daraufhin erneut seinem "Ideal" Hindemith zuwandte, erscheint logisch und l��t vermuten, da� Irsen auch in seiner atonalen Periode sich nicht v�llig von Hindemiths Einflu� freimachen konnte.

Zum anderen scheint die Frage sinnvoll, warum Irsen 20 Jahre brauchte, diese Einsicht zu bekommen, denn w�re die Atonalit�t wirklich eine strikte Eingrenzung f�r Irsens Schaffen gewesen, h�tte er sie nicht �ber diesen ganzen Zeitraum verwendet. Das Problem - oder vielmehr dessen m�gliche Antwort - scheint deshalb anders gelagert zu sein: durch die ab 1950 verwendete Atonalit�t war Irsen �ber Hindemiths Kompositions - Prinzip hinausgegangen.

Nun, um 1970, erweiterte er diese Stilmittel jedoch um die von Hindemith angewandten Prinzipien, d.h., er integrierte in seine atonal konzipierte Musik das "Zentralton - System", in welchem er weiterhin das Reihenprinzip anwandte, nun aber mit einem Ton aus dieser Reihe als "Zentralton", um den die "T�ne wie die Planeten um die Sonne kreisen". Damit hatte Irsen in seinem Sp�twerk beide Kompositions-Prinzipien vereinigt. Sein "Personalstil" ist somit �u�erst farbige, tonal schimmernde Atonalit�t, die, je nach Bedarf, das eine oder das andere Prinzip anwendet. F�r einen so produktiven Komponisten wie Irsen war dies eine gute Voraussetzung, seinen inneren kompositorischen "Drang" in diesen Werken stets aufs Neue best�tigt zu sehen.

Ob die Atonalit�t Irsen wirklich k�nstlerisch eingrenzte, mu� deshalb unter diesen Gesichtspunkten angezweifelt werden, denn er wandte sie von 1950 bis zu seinem Tod an. Es scheint deshalb sinnvoll, anzunehmen, da� Irsen nach fast 20 Jahren der Atonalit�t alle kompositorischen M�glichkeiten ausgesch�pft hatte und ab 1970 "zur�ck zu den Urspr�ngen" kehrte, und das bedeutete: Atonalit�t mit den Kompositions-Prinzipien Hindemiths.

Hindemiths Einflu� war so stark, da� Irsen selbst in seinem "Personalstil" sich letztlich nicht davon freimachen konnte. Darin ist er stets ein Epigone geblieben.

Bedenkt man so die vielen kompositorischen M�glichkeiten f�r einen Komponisten, ab 1970 Musik zu schreiben, wird die Entscheidung Irsens, sich im Alter wiederum Hindemith zuzuwenden, klar, da er sein ganzes Leben in direkter Hindemith - Nachfolge stand, wof�r seine Werke in klanglicher Hinsicht beredtes Zeugnis geben. Die Atonalit�t war zwar f�r Irsen unumg�nglich, doch nicht der Endpunkt jeder musikalischen Entwicklung. Zudem scheint es auff�llig, da� Irsen sich in einer Zeit wieder langsam einer Form von Tonalit�t durch Hindemiths Prinzipien zuwandte, in der dieses auf internationaler Ebene erneut vermehrt geschah.

Da� Irsen dies nur sieben Jahre nach Hindemiths Tod im Jahre 1963 begann, l��t �berdeutlich werden, wie stark er von seinem geistigen Lehrer bis ins hohe Alter beeinflu�t wurde, l��t seine eigene kompositorische Entwicklung durch gerade diese permanente Abh�ngigkeit jedoch letztlich auch als zwiesp�ltig erscheinen.

Fraglich bleibt, ob eine v�llige Abkehr von Hindemith Irsens musikalischem Schaffen gr��ere Bedeutung und Wahrhaftigkeit verliehen h�tte.


1994, Dietmar H�gen, Jan-Wellem-Stra�e 16, D-51789 Lindlar
1999-04-29, HTML-Fassung durch Werner Icking (1943-2001),GMD
2001-05-08, Christian Mondrup, Werner Icking Music Archive

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