2019-03-10 Das Ende der föderierten Dienste steht nicht an

Schon seit einer Weile geistert der Artikel von Alyssa Rosenzweig (@alyssa) in meinem Umfeld herum. In The Federation Fallacy argumentiert sie, dass föderierten Dienste ein Traum sind und bleiben. Früher oder später werden daraus zentralisierte Dienste. Im Kern sind die Dienste zwar immer noch föderiert, aber praktisch sind sie zentralisiert. E-Mail ist fast immer Google; Chat (XMPP) ist fast immer Facebook, wegen WhatsApp und dem Facebook Messenger; und selbst das Web besteht praktisch nur aus den wirklich grossen Webseiten. Und vor allem: selbst neue Entwicklungen wie Mastodon, welche sie die Föderation auf die Fahne geschrieben haben, stehen nicht besser da, denn mehr als 50% aller Benutzer befinden sich auf nur drei Instanzen.

@alyssa

The Federation Fallacy

Erste Reaktionen waren mir hierzu schon aufgefallen.

Chris (@brainblasted) schrieb hierzu:

@brainblasted

schrieb

As a black person who tries to push privacy, I push federation not for self-hosting, but for community-based hosting. It’s a given that not everyone has the time or resources to put into hosting their own services. Federation empowers users to be able to trust their administrators or be them. This is invaluable for marginalized groups.
As a black person, it’s a fact there are people who will attack me because of my blackness or because I speak to the issues black people face. On some centralized platforms, there wouldn’t be recourse. I would have to hit report, wait for something to get through the moderation queue, and hope the user is banned. In a lot of cases, harassers are left on the platform.
With people like @Are0h hosting communities for black people, all you have to do is DM your admin or a mod and they can prevent that user from harassing anyone else on the server.
Federation is not a “fuck you, got mine” system. It’s a system we can use in order to protect each other.

@Are0h

Hier haben wir also einen klaren Vorteil für Minderheiten. Die Föderation von Mastodon erlaubt es Minderheiten, sich Administratoren zu wählen, welche ihre Interessen vertreten. Dass Minderheiten in der Minderheit liegen, ist Natur der Sache. Deswegen interessiert aus seiner Perspektive natürlich nicht, wie erfolgreich und wie gross die Mehrheit ist.

Sajith (@sajith) schreibt aus einer ähnlichen Perspektive:

@sajith

schreibt

“what’s the real conclusion? We should just give up trying? … I run an instance for friends that speak my native language. … I am having fun hanging out here, and so do you all, I would I would like to believe. By that measure Mastodon is a success.”

Neu ist nun aber folgende Frage: Wie messen wir den Erfolg? Wenn es ihm Spass macht, dann ist es doch ein Erfolg? Und sowieso: Sollen wir alle Versuche, den Kapitalismus zu überwinden, aufgeben, nur weil der Kapitalismus bis jetzt alles und jeden vereinnahmt hat? Natürlich nicht.

So ähnlich geht es mir auch.

Ich habe das Server E-Mail Hosting aufgegeben, weil ich fand, dass es mühsam war, mit all den Anti-Spam Massnahmen von Google Schritt zu halten (aber auch mit dem Anti-Spam Massnahmen ganz allgemein). Also ein Punkt für die Zentralisation. Aber ich habe auch ein Konto bei gnu.org (wird auf Google umgeleitet) und bei protonmail.com (wird nur selten verwendet). Also doch ein Punkt für die Föderation?

Server E-Mail Hosting

Einen XMPP Server hatte ich mal installiert, aber irgendwie habe ich es nicht geschafft, die Verbindung zu verschlüsseln, und viel Energie wollte ich nicht investieren, deswegen bin ich im Moment ab und zu über Pluspora kensanata@pluspora.com und die FSFE as@fsfe.org per XMPP zur erreichen. Wird zwar fast nicht verwendet, aber es existiert. Und *nota bene* war es nicht nötig, mit den Betreibern verwandt oder befreundet zu sein.

Einen XMPP Server

kensanata@pluspora.com

as@fsfe.org

Den eigenen Webserver betreibe ich ja (mit mehreren Webseiten) – und eigentlich betreibe ich ja auch Webseiten für Claudia und meinen ehemaligen Arabischlehrer… Weitere Punkte für die Föderation!

Und meine Mastodon Konten habe ich auf tabletop.social (2308 Benutzer, gemäss der List der Mastodon Instanzen) und octodon.social (11831 Benutzer), also nicht auf den populärsten Instanzen. Noch mehr Punkte für die Föderation.

List der Mastodon Instanzen

Grundsätzlich stimmen Alyssa Rosenzweigs Überlegungen natürlich schon, wenn ich von meiner eigenen Situation weg schaue.

Each service retains the theoretical ability to federate with tiny self-hosted servers, but the vast majority of users are de facto concentrated about a few major servers.

Stimmt. Aber was ist die Messlatte, das Ziel? Die freie Wahl? Die Zerstörung der faktischen Monopole? Das Ende vom Kapitalismus? Aber diese Fragen stellt Alyssa Rosenzweig ja auch.

Ihre Schlussfolgerungen teile ich allerdings nicht. “Federation is dead.” Naja, das Ende des Kapitalismus, falls das denn unser Ziel wäre, braucht ja viele Massnahmen. In diesem Zusammenhang sehe ich vor allem diese hier:

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So lange wir also nicht bereit sind Google, Facebook oder Amazon zu zerschlagen, so lange Gmail, WhatsApp und Instagram vom Überwachungskapitalismus alimentiert werden können, so lange bleibt das Ziel unerreichbar. Daraus nun aber zu schliessen, dass Föderation eine Sackgasse ist… Nein, diese Schlussfolgerung teile ich nicht.

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