@reticuleena meinte kürzlich, sie habe einen “gigantischen Fall von *manspreading*.” Einer sitzt da, breitbeinig, blockiert die Beinfreiheit, und darauf angesprochen meint er, sie solle die Beine doch einfach in den Gang strecken.
Überraschenderweise nahmen das dann drei Personen zum Anlass, sich da in den Schlamassel zu reiten. Es fängt an mit Wünschen wie “bitte spezifiziere in Zukunft solche pauschalen Diskriminierung.” Zur Unterstützung heisst es, “Das Spreading am Geschlecht festzumachen, ist unbewiesen und nicht hilfreich.” Und schliesslich: “Nicht alle Männer, die ich kenne, sitzen breitbeinig in der Straßenbahn oder im Bus.”
Hören die sich auch selber zu? Ging die ganzen Diskussionen um not all men vergessen? So ein Quatsch!
Für eine Diskriminierung von Männern gibt es in der Situation und der Beschreibung keinen Hinweis. Klar, die drei stören sich am *man* in *manspreading*. Aber ich bleibe dabei: *manspreading* ist eine Tätigkeit, die *Männer* machen. Es gibt natürlich auch viele nette Dinge, die Männer machen, und viele blöde Dinge, die nicht-Männer machen, aber um die geht es hier ja nicht. Die muss man nicht ständig erwähnen. Es geht um genau diese *manspreading* Tätigkeit. Ergo sind alle anderen Hinweise auf Dinge, die nicht Thema sind, einfaches Abklenken.
Es geht eben nicht um das allgemeine Verhalten, anderen Leuten Platz wegzunehmen:
1. Meine Position geht von der subjektiven Wahrnehmung aus. Hier geht es um Dominanzgehabe von Männern, die aussehen, als ob sie ihre Eier lüften müssen.
2. Wer sich auf das rein objektiv Feststellbare beschränken will, sieht hier natürlich nur Leute, die zu viel Platz für sich beanspruchen und denkt, dass ist gleichzusetzen mit Kindern, die ihre Sporttasche zwischen ihre Beine klemmen oder Frauen, die möglicherweise auch breitbeinig dasitzen könnten.
Ich wollte argumentieren, dass sich diese beiden Perspektiven nicht gleichwertig diskutieren lassen, bin dabei aber gescheitert. Dass die logischen Argumente über den Platzverbrauch von Kindern mit den fast explodieren Eiern von breitbeinig dasitzenden Männern nichts zu tun haben, wurde nicht gehört.
Ebenfalls nicht gehört wurde, dass schon nur die Diskussion um andere Fälle des Platzverbrauchs eine Negierung der gemachten Erfahrung ist. Es führt gewollt oder ungewollt eben genau zur Ablenkung, zum sogenannten Derailing. Die Gedanken sind keineswegs verboten. Aber als *Antwort* auf die ursprüngliche Beschreibung ist das schlicht irrelevant, Ablenkung, Quatsch.
Wer denkt, dass die gesamte Menschheit *manspreading* betreibt, den lade ich gerne in den Öffentlichen Verkehr der Stadt Zürich ein, wo man jede Menge Männer findet, welche *manspreading* betreiben, und keine Frauen, welche dies betreiben. Meine Erfahrung deckt sich also zu 100% mit der geschilderten Situation.
Warum die Gegenwehr? Will man mir jetzt die Erfahrung ausreden? Das Reden über die Erfahrung? Will man, dass die seltenen und die häufigen Situationen gleich behandelt werden? Das stört mich eben auch: Gilt denn die selber gemachte Erfahrung nicht? Muss das theoretisch Mögliche und das praktisch Alltägliche gleich behandelt werden? Natürlich nicht.
Mich interessiert auch nicht, ob die Diskussion “besser” wird, wenn man ein anderes Wort verwendet. Diese Frage stellt sich gar nicht, weil es sich um eine Tätigkeit und die Erfahrung derselben handelt – dieses Phänomen hat einen Namen: manspreading. Die Dinge sind beim Namen zu nennen und nicht schön zu reden.
Im Journalismus will ich auch nicht, dass allen Seiten gleich viel Platz eingeräumt wird. Auch das hat einen Namen: false balance. Breitbeinige Männer, die mir zeigen, wie gross ihre Eier sind, lassen sich nicht Frauen vergleichen, die mit ihrer Tasche den Platz neben sich so lange wie möglich besetzt halten. Das mache ich doch auch!
Wenn man mir dann antwortet, dass auch Frauen und Kinder Platz wegnehmen (Stichwort *shebagging*), dann ist die Antwort ganz einfach: das ist nicht, was passiert ist. Es ist schlicht nicht Thema, wie man das nennen würde, wenn es eine Frau täte, denn es war ein Mann, und in meiner Erfahrung sind es immer Männer. Ja, auch Frauen können Platz wegnehmen. Aber das ist ein anderes Thema. Das hat mit Platzverbrauch zu tun, nicht mit Dominanzgehabe. Dieses Dominanzgehabe zeigen in meiner Erfahrung nur die Männer.
Wenn wir uns hier ablenken lassen wollten, könnten wir nun darüber reden, ob eine Frau den Sitz freigeben würde, wenn man sie darum bitten würde, oder ob man da die gleiche Abfertigung kriegt wie oben beschrieben: man solle die Beine doch einfach in den Gang strecken. Das ist nicht das selbe! Diese Gleichsetzung hätte auch einen Namen: false equivalence.
Leider konnte ich in der Diskussion nicht darlegen, dass sich hier um zwei verschiedene Gesichtspunkte handelt. Wenn jemand den subjektiven Unterschied nicht sieht, erübrigt sich die Diskussion. Wer sich auf die objektiven Fakten beschränken will, schliesst das subjektive Empfinden aus. Das Wort *manspreading* ist eben genau deswegen wichtig: Die Bewertung der Situation ist teil des Begriffes. Alle logischen Argumente, mit denen mir erklärt wird, dass auch andere Personen Platz wegnehmen, interessieren mich nicht. Das ist am Thema vorbei geredet. Derailing, eben.
Da wäre jetzt im Geschäft der Moment gekommen, wo ich aufstehe und gehe. Also stellt euch bitte vor, wie ich jetzt weg gehe und verärgert den Kopf schüttle.
#Philosophie