Annika Lewin hat vor Kurzem auf Google+ die Diskussion nach den Preisen von Büchern im Rollenspielmarkt aufgeworfen. Dann wurde viel zum Thema geschrieben, über Dumpingpreise, Ausbeuterei, 40€, 70€, und so weiter. Ich habe ebenfalls etwas dazu geschrieben...
Diejenigen unter euch, die unglücklich mit der aktuellen Situation sind, leiden meiner Meinung nach einfach unter dem Kapitalismus unserer Zeit. Was nützt es jetzt, hier über die fehlende Grösse des Marktes, die unerbitterliche Preisbildung über Angebot und Nachfrage, die Selbstausbeutung, den Zwang zur Arbeit und zum Geldverdienen oder die ungerechte Verteilung von Erfolg in einem globalisierten Markt zu klagen? Das ist eine interessante, politische Diskussion, hat aber mit Rollenspiel im Besonderen nichts zu tun. Den Musikern geht es ja nicht besser. Eine Lotterie, wo ein paar wenige gewinnen, und die anderen an der Armutsgrenze oder Teilzeit oder halt eben als Amateure mitmachen – und genau so wie wir alle klagen. Aber ich für mich überlese all diese Kommentare und Diskussionen gerne, da ich davon ausgehe, dass es fruchtlos ist. Genau wie die Hobbymusiker, Hobbymaler, Hobbytänzer und Hobbyrollenspielschreiber, schreibe ich meine freie Software und verteile diese gratis an jeden, der sie möchte, auch wenn meine Frau es nicht fassen kann, wenn so viel Gratisarbeit hier geleistet wird. Was soll ich sagen? Was nützt es jetzt, über die fehlende Grösse des Marktes, die unerbitterliche Preisbildung über Angebot und Nachfrage, die Selbstausbeutung, den Zwang zur Arbeit und zum Geldverdienen oder die ungerechte Verteilung von Erfolg in einem globalisierten Markt zu klagen? Es wiederholt sich alles. Es ändert sich nichts. Mit dem Kapitalismus muss man sich arrangieren oder eine *politische* Diskussion führen.
Markus Wagner hat daraufhin eingeworfen, dass “ohne Not mit Dumping Preisen von 40 EUR gearbeitet” wird. Würde der Markt wirklich mehr hergeben?
Ich kann halt nur von mir auf andere schliessen. Wenn Kevin Crawford ein PDF macht, welches mir passt, zahle ich $10. Wenn es ein altes D&D PDF gibt, welches ich haben will, zahle ich $5. Wenn Blogger wie Courtney Campell oder Brendan S aber ihre PDFs für $10 verkaufen wollen, denke ich schon, ach was, eigentlich brauche ich das ja nicht wirklich. In den letzten Jahren ist meine Zahlungsbereitschaft ständig gesunken, weil meine Regal voller ungelesenem Material stehen, weil ich nichts mehr gedruckt haben will, und so weiter. Deswegen vermute ich, dass ich schon gar nicht mehr zur Zielgruppe der 70€ Verlage gehöre. Aber was für Schlussfolgerungen kann ich aus dieser Anekdote ziehen? Keine, vermutlich. Es gibt immer einige wenige, welche für ein schönes Buch viel zahlen, es gibt immer viele, welche ein Buch nicht kaufen, weil sie die Preise zu teuer finden, Monte Cook und John Wick können unglaubliche Beträge mobilisieren, andere nicht... Aber diese Leute haben halt auch schon vorher (bei mir) einen sehr viel höheren Bekanntheitsgrad gehabt. Irgendwie habe ich das Gefühl, aus diesen Beobachten könne man genau gleich keine Schlussfolgerungen ziehen, ausser vielleicht: “alles ist möglich” oder vielleicht auch: “das lässt sich alles nicht miteinander vergleichen”. Monte Cook ist da eher wie Michael Jackson: Glück gehabt! Alle anderen: Weiter mit der brotlosen Kunst. Ja, es wäre theoretisch möglich, dass jemand ein Rollenspielbuch auf Deutsch für 70€ herausbringen kann und keiner der Beteiligten sich selber ausbeuten musste. Die Chancen scheinen mir aber klein zu sein. Und hier meine ich eben, dass es sich nicht lohnt, auf die Details zu schauen: Was macht Kevin Crawford im Detail genau richtig? Was für Vorleistungen musste Monte Cook genau erbringen? Denn: Was genau haben alle anderen gemacht? Warum sind so viele alte Hasen in die Videospielindustrie abgewandert? Am Ende bleibt eben nur die Systemkritik. Ein globaler Markt, *winner takes all*, die Lotterie der ganzen Sache, die Bereitschaft zur Selbstausbeutung, weil es eben auch ein Hobby ist, nicht wie Strassenputzen und Kellnern und all die anderen schlecht bezahlten Jobs, die wenigstens nicht unter das Existenzminimum fallen (hoffe ich). Wenn jemand mir also sagt, 70€ Rollenspiele sind möglich, dann höre ich nur, es ist möglich, die Lotterie zu gewinnen. Wie viele Leute dabei aber auf der Strecke bleiben, weiss niemand. Wir, die normalen Leute, die Hobbyisten, diejenigen, welche dem Traum nachhängen, von einer Arbeit, die wir lieben, zu leben, wir werden nicht gezählt. Der amerikanische Traum, *from rags to riches*, ist eben nur ein Traum. Eine Lotterie. Da nützt weder Klage noch Aufruf. Um mich zu überzeugen, müsste man ein Argument aufführen, welches für alle anderen Künstler auch gilt – für Musiker, Maler, Tänzer, Schauspieler.
Frank Falkenberg hat dann einen längeren Kommentar geschrieben, wo er sich darüber beklagt hat, dass der Markt an seinen Bedürfnissen vorbei produziert und deswegen die strukturellen Probleme des Marktes weiter wachsen.
Ich bin immer skeptisch, wenn ich höre, dass irgendwelche Produkte für irgendwelche anderen Produkte den Markt kaputt machen. Gilt das Argument in der Musik auch? All die schlechten Bands machen den Markt für die super guten Bands kaputt? Überschwemmen uns mit Billigsongs? Ersticken die schlechten Bands die Liebhaber der guten Musik? Nein. Die Schwemme der Heartbreakers sind keine Erklärung für die finanzielle Misere, und der Unterschied zwischen Sammlern und Spielern ist auch keine Erklärung für die finanzielle Misere. Fakt ist nur, dass der Markt für Spieler klein ist (da die Sammler nicht dazu gehören), und das erklärt ja schon alles: geringe Umsätze, geringe Löhne.
Das Herumhacken auf den Sammlern bringt gar nichts. Wo betreffen die mich denn? Wenn die Sammler Briefmarken sammeln würden, wäre der Effekt genau gleich. Es gibt Produkte für Sammler, welche mich als Spieler nicht interessieren. Vielleicht entstehen so natürlich *Erwartungen* bei den Spielern. Wie beispielsweise, dass die Bücher etwa gleich teuer sein könnten. Aber der Blick auf andere Märkte bringt nichts und hat noch nie etwas gebracht. Warum ist Putzen schlecht bezahlt und CEO sein nicht? Da gibt es endlose Diskussionen aber für unsere Diskussion ist nur relevant, dass unsere Wirtschaftsordnung keinen Gerechtigkeitsanspruch hat. Wir haben einen Rechtstaat, keinen Gerechtstaat. Deswegen ist es müssig, die Preise von Videospielen und Rollenspielen zu vergleichen. Selbst wenn die Stunden aller Entwickler messen würde, bliebe die Welt ungerecht. Ausser wir wollen für eine gerechtere Welt kämpfen oder über Grundeinkommen oder Kultursteuer oder den Kommunismus reden.
Fakt ist einzig: das Markt ist so winzig, gemessen an der Zahl der Kunden bin ich ganz mit dir einig, wir haben eine absolute Überproduktion und entsprechend auch tiefe Preise (ausser für die wenigen Gewinner der Lotterie). Und mehr gibt es dazu nicht zu sagen, denke ich. Das Schimpfen lohnt sich nicht. Will man den Hobbymusikern das Musizieren verbieten? Den Hobbyprogrammieren das veröffentlichen ihrer freien Software? Natürlich nicht. Den Rollenspielern will man also das veröffentlichen der Heartbreakers auch nicht verbieten.
Frank hat noch hinzugefügt, dass er doch einfach nur mehr Qualität will!
Ist doch kein Problem, man muss ja nicht alles kaufen! Ich will auch nur den besten Wein trinken, und kaufe deswegen selten Wein. Ich will auch nur den besten Tee trinken, und kaufe deswegen selten Tee. Ich will auch nur gute Kinofilme sehen, und gehe deswegen selten ins Kino. Ist doch super? Rezensionen lesen, Schrott nicht konsumieren, dem ständigen Kaufen! Kaufen! Kaufen! einfach etwas Behäbigkeit entgegensetzen. Das mach jeder von uns, und ich verstehe auch, dass man sich wünscht, dass Lipton Yellow Label oder Twinings Pure Green Tea vom Markt genommen wird, dass man empört unter Freunden über den miserablen Dreck schimpft, der mit riesigen Budgets im Kino landet, und dann lachen wir alle ein wenig, aber so *wirklich* bringt die Diskussion natürlich nichts. Denn uns ist ja allen klar, wie die Welt funktioniert. Naja, manche träumen vielleicht davon, dass der Rollenspielmarkt anders sei, als es aussieht. Grösser, zum Beispiel. Oder von qualitätsbesessenen Lektoren bevölkert. Aber das ist natürlich nicht so, war nie so, und ist auch sonst nirgends so.
#RSP #Philosophie
(Please contact me if you want to remove your comment.)
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Sehr wahre Worte und nachdem ich die Kommentare unter dem G+ Beitrag von Annika Lewin gelesen habe, musste ich teilweise den Kopf schütteln. Erstens niemand zwingt einen, 70 € oder einen anderen Preis zu zahlen und zweitens wer entscheidet, was ein gerechter Preis ist? Diese Diskussionen haben doch rein gar nichts mit dem Rollenspiel zu tun. Wenn ich ein RSP Produkt bewerte, setze ich die Qualität in Bezug zum Preis und entscheide für mich dann, ob ich es kaufe oder eben nicht. Nur weil es ein sympatischer Indi-Verlag ist, der um auf seine Kosten kommen will, 70 € verlangt oder die Produkte verscherbelt ist mir erst einmal egal. Letztlich müssen die Verlage und die Autoren ja sehen, ob es sich für sie lohnt, oder soll ich als Kunde ein schlechtes Gewissen haben, weil ich 10 € bezahle und der Autor dadurch vielleicht seine Hypothek nicht abbezahlen kann? Klar soll jeder angemessen entlohnt werden, aber das ist doch eher ein politisches Ziel und im Bereich der Künste oder des geistigen Schaffens doch sehr schwierig.
– Sorben 2016-03-31 14:59 UTC
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Ja, wenn die Diskussion wenigstens eine politische Dimension hätte: Die angemessene Entlöhnung der Künste liegt mir nämlich am Herzen. Aber wer dann eine Diskussion über Verlage und Übersetzungen und Kickstarter aufzieht, der greift zu kurz.
– Alex Schroeder 2016-03-31 16:05 UTC
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Bin Ich jetzt froh oder ärgere ich mich, das ich die Diskussion verpasst habe? 😉 Jedenfalls sollte man vielleicht noch die Unterschiede zwischen deutschem und amerikanischen Markt betonen, vor allem die Gr��sse.
– rorschachhamster 2016-03-31 16:14 UTC
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Hahaha! 😃
– Alex Schroeder 2016-03-31 18:34 UTC
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@ gerechter Preis: Da wäre es interessant mal bei James Raggi (LotFP) nachzufragen. Der bietet auf Cons immer mal wieder “pay what you want” für seine Sachen an.
Next. Was den Kapitalismus angeht: Ich sehe das nicht so mit “the winner takes it all”. Mittlerweile kaufe ich fast gar nichts mehr von der großen Verlagen. Cakebread & Walton, D101 Games, ... hierzulande zuletzt: System Matters und RuneQuest-Gesellschaft. Bei Musik ist das relativ ähnlich. Kapitalismus und Globalisierung (so wenig ich beides grundsätzlich mag) bieten die Chance mit dem Geldbeutel abzustimmen. Ich brauche keine tollen Artbooks, die sich als Rollenspiel verkleiden. Wenn ich ein Artbook will, dann kauf ich mir sowas. Ggf. direkt bei den Machern (wie zuletzt “designing the secret of kells” aus Irland). Ich versuche auch meine deutschsprachigen Bücher (Fachliteratur, Romane, ...) möglichst in der Buchhandlung der Paulus-Schwestern zu kaufen. Einfach, weil die ein tolles Angebot haben und ich unbedingt möchte, dass der Laden niemals eingeht. Amazon bleibt (momentan) nur der Marketplace und (noch) für englische Bücher Mittel meiner Wahl. Es ist meist Quelle für ISBN-Nummern, wenn ich mal wieder was im Buchladen bestelle. ... ohne Kapitalismus und Globalisierung wäre das so nicht möglich. Und wie immer gilt: Es ist eine Sache der Prioritäten, was und wo ich kaufe. Ein Verkäufer muss mich davon überzeugen, dass es sich lohnt bei ihm zu kaufen. Amazon hat mich für das deutschsprachige Buch und E-Book-Geschäft davon überzeugt, dass es sich nicht lohnt. Ihre Unternehmenswerte sind weeeeeeit von meinen Wertvorstellungen entfernt. Dazu kommt der Ärger mit den Paket-Diensten.
Next. Wenn Kickstarter-Projekte Geld einsammeln wie blöde - und davon vielleicht ihren Mitarbeitern faire Löhne zahlen können. Super! Wenn sie das trotzdem nicht hinkriegen: Selbst schuld. Das Geld wäre da. Wenn Verlage RSP in Hochglanz, Vollfarbe ... und ggf. unter teurer Lizenz kleine Auflagen produzieren und dann für das fertige Produkt 40 EUR nehmen: Selbst schuld. Es ist ja nicht so, als wären faire Preise und faire Entlohnung völlig utopische Ziele. Bio und fair geht im Lebensmittelbereich. Ich würde sagen deshalb, weil da Marketing betrieben wurde und den Kunden erklärt wurde, warum es den Mehrpreis wert ist.
Next. Die Preise am Markt sind mMn so wie sie sind, weil die irgendwie funktionieren. Wenn die Verlage etwas ändern wollten, dann gibt es mMn noch einige Sachen die nicht oder kaum ausprobiert wurden: 1) “Fair Pay”-Ausgaben von RSP, die eine eigene Art limitierter Sonderausgaben sein könnten. 2) Veränderungen in der Ausstattung. 3) ...
Next. Was die Autoren angeht: Keiner ist gezwungen zu den aktuellen Bedingungen irgendwas zu schreiben. Es gibt genug andere, die nur auf ihre Chance warten. Und: Es gibt immer die Möglichkeit selbst einen Verlag aufzumachen. Wie James Raggi das mit LotFP gemacht hat, wie das Monte Cook oder Chris Pramas getan haben oder auch in jüngerer Zeit Rob Schwalb. Wobei das i.d.R. erst dann gut funktioniert, wenn man sich einen Namen gemacht hat. Da steckt harte Arbeit, Glück und Talent dahinter. Monte Cook hat für den Schritt 13 Jahre gebraucht. Dann aber auch gleich durchstarten können. Andere machen durch kontinuierliches Fanwork, durch Blogs, ... auf sich aufmerksam.
Next. Was Zahlen angeht: Dass es keine Zahlen von Verlagen gibt, ist mMn nach falsch. Fred Hicks (Evil Hat) veröffentlicht immer wieder was dazu. Auch andere äußern sich über dieses Thema oder verwandte Themen. Zum Beispiel Creighton Broadhurst (Raging Swan Press), Joseph Goodman (Goodman Games) oder Vincent Baker (lumpley games). Es müsste sich nur jemand die Mühe machen a) die verfügbaren Daten zu sammeln, b) weitere Daten einzuholen und c) das Ganze auszuwerten.
... es hat Gründe, warum der Markt so aussieht, wie er aussieht. Und alle müssen sich überlegen, wie sie die beiden wichtigsten Ressourcen gewinnen. Geld und Aufmerksamkeit.
– Athair 2016-04-01 02:09 UTC
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Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
Zum Thema Geld hat Stefan Matthias Aust auch noch eine Zahlenspielerei auf Google+ veröffentlicht.
– Alex Schroeder 2016-04-01 12:53 UTC