Gemäss meinem Philosophie Lexikon verstehen Heidegger und Sartre mit *Faktizität* die Tatsache, dass wir Menschen zwar “als verstehendes und handelndes Individuum” faktisch existieren, doch nicht “Herr dieser Existenz” sind. *Geworfenheit* ist dieser Zustand. Ins Leben *geworfen*.
Ich kann mich daran erinnern, wie mich das Tabu kalt berührte, als ich meinen Eltern entgegen spuckte: “Dieses Leben habe ich nicht gewollt! *Ihr* habt mich ins Leben gesetzt!” Das ist lange her und ich weiss schon gar nicht mehr worum es ging, aber dieser Moment, dieses Gefühl, ist mir in Erinnerung geblieben.
Es überfällt mich immer, wenn ich etwas zum Thema Pränataldiagnostik lese. Heute, zum Beispiel, lese ich in der WOZ über das schweizerische Präimplantationsdiagnostikverbot, welches demnächst gelockert werden soll. Die Zitate im Artikel zeigen mir den unterschiedlichen Umgang mit der *Geworfenheit*.
über das schweizerische Präimplantationsdiagnostikverbot
“Kinder sind heute Projekte. Alles muss planbar, projektierbar und perfekt sein. Ich finde das eine beunruhigende Entwicklung.” (Brigitte Häberli-Koller, CVP-Ständerätin, TG)
“Man sagt von vornherein, ich nehme das Kind nur, wenn es keine Anomalie hat. Das ist eine gefährliche Haltung und eine irrige Vorstellung: Es gibt keine Garantie für ein gesundes Kind.” (Christa Schönbächler, Insieme)
“Die eigentliche Herausforderung wäre, mit Kinderlosigkeit oder mit Behinderung zu leben und gute Lösungen zu finden.” (Gertrud Bernoulli, Pfarrerin, Rüschlikon)
Dieses Bild des Lebens als eine *Zufälligkeit*, mit der wir uns arrangieren müssen, dieses Bild, dass der Sinn des Lebens, die Freude des Lebens, die *Prüfung* der Umgang mit diesen Zufällen ausserhalb unserer Macht sein könnte, dieses Bild ist eine Seite, die ich gut verstehe. Gleichzeitig gehört aber die *Intention*, unseren Kinder ein besseres Leben zu ermöglichen, ihnen einen Vorsprung zu schenken, ihnen Möglichkeiten zu bieten, zu uns. Es durchzieht alles: kein Rauchen, kein Trinken, Stillen, Förderung, Kindergarten, Schule – alles ist darauf ausgerichtet, das Kind im Sinne unserer Werte weiter zu bringen. Klar, hier bin ich auch ein Kind meiner Klasse: als Burgois kann ich nicht anders. Ich nutze alle Mittel, jede Kulturtechnik, jedes Wissen, welches unser Gesellschaft bietet, aber auch jede *technische* Lösung. Impfungen, Sportgeräte, Skilifte, alles sinnige und unsinnige im Dienste dieser *einen* Intention.
Geworfenheit betrifft unser eigenes Leben. Was unsere Kinder allerdings anbelangt, geht es ums *Werfen*. Einmal abgeschossen, werden wir den Pfeil nicht mehr beeinflussen können. Und so zielen wir. Sorgfältig. Je komplexer die Welt ist, je mehr wir selber Entscheiden können, um so sorgfältiger. Wir schieben den Moment mit Verhütungsmitteln hinaus. Wir ziehen zum richtigen Zeitpunkt in die richtige Gegend.
In diesem Sinne denke ich, dass die Präimplantationsdiagnostik und die Pränataldiagnostik ganz allgemein unserem Bedürfnis entspricht. Alle angesprochenen Probleme, die Begründung von Ausgaben für Jugendliche, die sich “nicht lohnen”, der Umgang mit Schicksalsschlägen, der Umgang mit dem Fremden, all diese ethischen und existenziellen Fragen werden sich weiterhin stellen. Es macht aber keinen Sinn, die aktuelle Situation zu verteidigen, nur damit sich diese ethischen und existenziellen Fragen *unverändert* weiterhin stellen.
Für die Diagnostik.
#Politik