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Als ich vor kurzem einen Google+ Beitrag zum Thema fehlende Spieler und die dazugehörigen Kommentare las, wunderte ich mich. Ich hatte den Eindruck, dass die Spielleiter, die sich dort zu Wort meldeten, eine Gruppe von fixen Spielern die immer zum Spiel erscheinen, ideal finden. Klar fände ich das auch super – aber ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das funktionieren soll. Ich fürchte, mit so einer Erwartungshaltung würde ich mich unglücklich machen. Auf dieser Seite versuche ich zu erklären, wie ich meine Kampagne gegen unregelmässige Spieler *immunisiere*.
Wenn ich die Kämpfe nicht genau planen kann, weil nicht immer alle da sein werden, dann müssen sich die Spieler wie in einem Dungeon oder einer Sandbox alter Schule die *Kämpfe selber wählen*. Sind alle da, geht es gegen den Drachen. Sind wir nur drei Spieler ohne Krieger, wählen wir uns ein anderes Ziel.
Wenn Schlüsselfiguren nicht immer da sein können, darf es auch *keine Flaschenhälse* geben – kein Abenteuer, wo es eine gewisse Figur zwingend braucht. Wenn der Dämon nur durch einen Zauber besiegt werden kann und wenn der Dämon unbedingt jetzt besiegt werden muss, dann habe ich mir selber ein Problem eingebrockt.
Persönlich finde ich das auch in Ordnung: Wer dafür belohnt wird, dass er am Anfang die richtige Charakterklasse oder Fähigkeit gewählt hat, der wird das nächste Mal noch vorsichtiger zu Werke gehen. So ziehe ich mir ja die Charakteroptimierer gleich selber auf. Da lasse ich den Lösungsweg lieber offen und improvisiere (und wem das nicht liegt, der muss halt in den sauren Apfel beissen und mehrere Lösungswege ausarbeiten). Damit fördere ich nämlich die kreativen und flexiblen Spieler.
Kreative und flexible Spieler können auch ohne Heiler auskommen, können auch spielen, wenn alle Krieger fehlen – kein Charakter ist unersetzlich, weil diese Spieler bereit sind, andere Ziele zu verfolgen und andere Methoden anzuwenden. Eine Burg kann man durch Waffengewalt oder durch List erobern – und wenn beides nicht geht, dann sucht man sich eben eine leichtere Beute. Es ist nur eine Frage der Zeit.
Das zieht natürlich noch weitere Kreise: Wenn ich nicht sicher sein kann, dass alle da sind, kann ich auch nicht sicher sein, dass alle anwesenden Charaktere eine passende Stufe haben. Wenn ich Gegner und Situationen vorbereite, welche nur unter gewissen Umständen zu bezwingen sind, und wenn die Spieler dies erkennen können, dann werden sie diese Gegner und Situationen vielleicht meiden, bis sie sich sicher genug fühlen. Deswegen ist es für mich als Spielleiter wichtig, dass meine vorbereiteten Gegner und Situationen flexibel und langfristig eingesetzt werden können. Wenn es beispielsweise einen blauen Drachen gibt, kann ich kein System brauchen, wo der Drache für die Spieler nur ein spannender Gegner ist, wenn sie auf der siebten Stufe sind. Noch unglücklicher ist die Situation, wenn die Spieler nach ein oder zwei Spielabenden schon auf die achte Stufe aufsteigen. Ich brauche ein System, *wo die Charaktere sich nur langsam verbessern*, wo sie nur langsam Stufe steigen, wo der Machtunterschied von Stufe zu Stufe nicht so gross ist.
Ebenso wichtig ist eine gewisse Entspannung beim Umgang mit fehlenden Charakteren. Ich rede in diesem Zusammenhang gerne von *Regiefehlern*. Unser Spiel ist ein schrecklicher B-Movie: Die Kamera schwenkt zum Gegner und zurück auf die Gruppe und plötzlich hat die Hälfte eine andere Frisur und ein paar der Schauspieler wurden ausgewechselt.
Kein Problem, denn mein Spiel ist *immunisiert* – es kann gar nicht dazu kommen, dass ein Charakter das Spiel über mehrere Spielabende dominiert. Wenn der erste Abend sich nur um das Schmachten für eine Geliebte dreht, wenn der zweite Abend sich nur um eine komplizierte Intrige dreht, wenn der dritte Abend sich nur um ihre Begegnung dreht, dann darf dieser Charakter und der Spieler *nie* fehlen. Deswegen ist es besser, wenn an jedem Spielabend mehrere Ziele verfolgt werden und mehrere Charaktere im Mittelpunkt stehen. *Alle Charaktere sind Protagonisten*. Das Spiel darf sich einfach nicht nur um *einen* Charakter, um *ein* Problem, um *einen* Ort handeln. Das macht die ganze Sache anfälliger, zerbrechlicher.
Die Abhängigkeit gewisser Handlungsstränge voneinander ist ein ähnliches Problem. Wenn B bedingt, dass A passiert, dann haben wir ein Problem: Falls A nicht stattfinden kann, weil der entsprechende Spieler fehlt, kann es weitreichende Folgen haben. Wenn Garo beispielsweise seine Räuberbande stärken will und Schalk seinen Meister erlösen will, ist es ungeschickt, wenn Schalk nur weiter kommt, wenn Garo sein Ziel erreicht. Was passiert, wenn Garos Spieler nicht da ist? Überschneidungen können interessant sein; *Abhängigkeiten sind ein Risiko*.
Die Notlösung in all diesen Fällen heisst: Regiefehler! Billiger B-Movie! Improvisieren! Damit diese unangenehmen Situationen vermieden werden können, hier nochmal die Elemente meiner *Immunisierung*:
1. ein System wo Charaktere sich langsam verändern
2. eine Welt, wo Charaktere sich ihre eigenen Herausforderungen suchen können
3. eine entspannte Grundhaltung gegenüber der Gruppenzusammenstellung
4. Charaktere, deren Geschichte nicht ganze Spielabende monopolisieren können
5. weniger charakterübergreifende Abhängigkeiten der Handlungsstränge
So wird das Spiel *robuster* gegenüber wechselnden Spielern.
#RSP
(Please contact me if you want to remove your comment.)
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Ja, das Spiel wird “robuster”, aber auch ein Stück more detached (wie übersetz ich das? losgelöst?) von den Spielern und ihren SC. Das ist die Negativseite bzw. der Preis, der zu zahlen ist.
– Shadow 2012-05-21 02:30 UTC
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Aus eigener Erfahrung als Spieler mit unregelmässigen Phasen (arbeitsbedingte Reisen) kann ich sagen, dass so eine immunisierte Runde deutlich weniger Stress bedeutet. Klar, ich bin nicht immer dabei, und ich bin nicht so wichtig, dass alle auf mich warten. Für eine Gruppenaktivität finde ich das aber komplett akzeptabel.
– Harald 2012-05-21 05:23 UTC
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...und das alles nur, weil mir ein Spieler ohne Absage einfach nicht zur runde erschien *g*
– Jan 2012-05-21 08:14 UTC
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Bei mir sind diesen Sonntag zwei Spieler trotz Erinnerungsmail mit Schlussfrage “Wer kommt, wer kommt nicht?” nicht erschienen und haben sich weder an- noch abgemeldet. Die Frusttoleranz musste ich mir auch erst antrainieren. 😄
– Alex Schroeder 2012-05-21 09:49 UTC
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Wo wir gerade beim Lamentieren sind: Ich habe in unserer aktuellen Kampagne einmal 3 Absagen von 6 Spielern am Tag meiner Anreise zum Spielort mitgeteilt bekommen. Und alle nur so halbgare Entschuldigungen. Das hat auch nen halben Tag des anvisierten Spielwochenendes an Frust verdauen gebraucht bis wir uns dann durchgerungen haben, eine nette Side Quest zu spielen.
– Gerrit 2012-05-21 12:46 UTC
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Ich hatte auch lange Jahre die geschilderten Probleme und mich immer geärgert, wenn Spieler nicht da waren – war ein kampflastiges Abenteuer geplant, war mit Sicherheit der Kämpfer nicht anwesend, war sogar ein Abenteuer geplant, dass auf einen speziellen Charakter zugeschnitten war (wir haben mal eine Rückblende in die Jugendzeit eines SC gespielt), hat natürlich ausgerechnet dieser Spieler kurzfristig abgesagt, wurde das Abenteuer mitten in einem großen Dungeon abgebrochen, war beim nächsten Mal die Besetzung eine vollkommen andere und man musste sich einen trifftigen Grund überlegen, warum.
Habe Deine Ideen zum “Immunisieren” ein wenig bei mir wiedergefunden. Ich habe bei mir das Problem vor allem dadurch gelöst, dass ich mehrere Handlungsstränge parallel laufen lasse, so dass sich die SC immer zu Beginn einer Spielsitzung spontan entscheiden können, welchem sie folgen möchten. Ist der Kämpfer nicht da, dann geht es eben nicht in das Dungeon, sondern man macht etwas anderes. Zusätzlich versuche ich stets die Spielsitzung an einem sog. “Exchange Point” enden zu lassen, also einem Punkt, an dem man nicht erst eine komplizierte Erklärung finden muss, warum sich die Zusammensetzung der Gruppe nun ändert, zum Beispiel in einer Stadt oder dem HQ der Charaktere (das mit den “Regiefehlern” finde ich eine lustige Idee, würde in meiner Gruppe aber wohl keinen Anklang finden). Deshalb habe ich zum Beispiel die Länge von Dungeons so gekürzt, dass sie auf jeden Fall innerhalb einer Spielsitzung “gelöst” werden können (sind bei meiner Gruppe 3-5 Räume).
– Doctore Domani 2012-05-21 16:03 UTC
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@Domani: Die Idee mit den Exchange Points versuche ich auch immer wieder zu bringen, aber weil die Dungeons von mir nicht gekürzt werden, passt dies den anwesenden Spielern meistens nicht so recht. Und ich habe mich noch nie getraut, Jeff Rients’ *Triple Secret Random Dungeon Fate Chart of Very Probable Doom* zu verwenden (siehe das Ende des Artikels Dungeons & Dawn Patrol). 😄
– Alex Schroeder 2012-05-21 23:01 UTC