2009-11-06 Eine Welt die funktioniert
Moritz Mehlem steht auf der Seifenkiste und schreibt in Al'Anfanischer Wein - Mal wieder Glgi vs. DSA über ein Abenteuer, welches anscheinend sehr stark geführt ist (railroading), und wo der Spielleiter gebeten wird auf “Lösungsansätze [der Spieler] einzugehen anstelle sie abzublocken”. Das findet Moritz zwar eine gute Idee, meint dazu aber “in diesem fast schon apologetisch anmutenden Teil fällt mir auf, wie weit entfernt die Anschauung, die die Schreiber eines solchen Abenteuers haben, von meiner abweicht. Da wird etwas nett gemeint und entlarvt sich gnadenlos selbst!”
Moritz Mehlem
Al'Anfanischer Wein - Mal wieder Glgi vs. DSA
Ein Rant in Ehren kann keiner verwehren! 😄
Was mir selber noch etwas fehlt ist eine prägnante und nützliche Ausformulierung von “Ich entwerfe eine Welt, die funktioniert. Was dann die Abenteurer damit anstellen, ist einzig und allein ihre Sache.” Was heisst das denn genau? Die Elemente eines Abenteuers auf Eisenbahnschienen kennen wir: einen allumfassenden Plot, wichtige Schlüsselfiguren, die eine Weile lang eine gewisse Immunität geniessen, Schlüsselereignisse, denen man nicht aus dem Weg gehen kann. Klar kenne ich gute, offene Abenteuer. Aber *warum* sind sie offen und gut? Worauf muss ich achten, wenn ich ein gutes, offenes Abenteuer schreiben will?
Dem möchte ich gerne nachgehen, und hierüber würde ich gerne mehr lesen. Wer also eine empfehlenswerte Webadresse zum Thema hat, bitte in den Kommentaren einen Hinweis hinterlassen. Danke. 😄
Erster Wurf für die Bestandteile eines offenen Abenteuers ohne Eisenbahnschienen:
- *Situationen* – das Abenteuer muss Situationen haben, die *für sich alleine stehen und deswegen Plot unabhängig sind*. Diese Situation lassen sich auf die unterschiedlichsten Weisen handhaben: schleichen, austricksen, frühzeitig erkennen, vermeiden, bestechen, bezirzen, kämpfen, alles ist möglich – und zwar unabhängig davon, was weiter hinten im Abenteuer geschrieben ist. Hierunter fallen auch *Rätsel*. Die Gegner in solchen Situationen sind nicht weiter wichtig und können hier ihr Ende finden, ohne dass der Rest des Abenteuers leidet.
- *Persönlichkeiten* – damit es Spass macht, mit Leuten zu reden, brauchen diese eine interessante Persönlichkeit. So *erinnert man sich an die Gespräche*, und zwar unabhängig vom Verlauf des Gespräches. Wenn die Gruppe unter anderen Umständen auf Leute trifft, anders als vorgesehen mit ihnen umgeht, die Gegner ein unverhofftes Ende nehmen – die Persönlichkeit bleibt ja doch die selbe.
- *Geheimes Wissen* – damit es sich lohnt, mit jemandem zu reden, müssen Leute auch etwas interessantes zu erzählen wissen. Nun gibt es aber zwei Sorten von Geheimnissen: Die einen Geheimnisse *erschliessen neue, optionale Handlungsmöglichkeiten*: Geheimtüren, um weitere Schätze und Gefahren zu finden, kurze Geschichten, welche etwas aus der Gegenwart erklären, Warnungen vor weiteren Feinden und Gefahren. Die anderen Geheimnisse müssen aufgedeckt werden, damit es weiter geht. Wenn man nur genau von einer Person erfahren kann, was man erfahren muss, ist dies ein klares Zeichen für die Eisenbahnschienen. Diese Person muss nun faktisch so lange gegen alles Fehlverhalten der Gruppe immun sein, bis ihr das elende Geheimnis entrissen wurde.
- *Politik* – es ist eine wahre Bereicherung, wenn man im Abenteuer nicht alles niedermachen muss. Wenn es nun unter den Gegnern Fraktionen gibt, die man *gegeneinander ausspielen* kann, wenn es neutrale Gruppen gibt, die man als *Allierte gewinnen* kann, dann ist das eine ganz einfache Form von Politik, die offen für die Partizipation der Gruppe ist. Wichtig ist auch hier, dass dies nie ein Zwang sein darf. Die politische Situation muss es guten und bösen Gruppen erlauben, verschiedene Allierte zu gewinnen, sie muss es blutrünstigen Gruppen erlauben, alle Fraktionen nacheinander nieder zu ringen, sie muss es uninteressierten Gruppen erlauben, alle Fraktionen zu ignorieren.
- *Entwicklungsmöglichkeiten* – eindrücklich sind die Abenteuer, die *langfristig etwas verändern*. Klar, diese Abenteuer lassen sich nicht mehr so gut in eine bestehende Kampagne eingliedern. Das heisst aber nur, dass langfristige Veränderungen optional und klar markiert sein müssen. So kann der Spielleiter selber entscheiden, ob er die seelenfressende, schwarze Klinge oder das permanente Portal in die andere Welt bestehen lassen will oder nicht. Neben mächtigen, magischen Dingen sind Stellenangebote gute Beispiele: Ein Paladin wird eingeladen, Hilfsscheriff zu werden, ein Handelsreisender wird eingelaen, sich am Glaswerk zu beteiligen, die Gruppe kann das Räuberlager für sich selber in Besitz nehmen.
- *Diverse Ziele* – wenn es im Abenteuer mehrere Ziele gibt, welche man vielleicht auch erst in Erfahrung bringen muss, so können die Spieler *selber wählen*. Noch besser ist es, wenn man bei Erreichen der Ziele Hinweise und Verbindungen zu anderen Zielen finden kann. Wenn der Spielleiter die Hinweise geschickt setzt, lockt ewig noch etwas. Dieser Aufbau lohnt sich natürlich nur ab einer gewissen Länge.
Um dies nun auf Moritz’ eigenes Abenteuer In der Halle des Bergkönigs zu übertragen:
In der Halle des Bergkönigs
- *Situation* – die Wachen, das Rostmonster, der geheime Raum – das Abenteuer ist voller Situationen, die praktisch unabhängig voneinander sind. Ausgezeichnet.
- *Persönlichkeiten* – mir sind hier nur zwei Beispiele aufgefallen: Der verzweifelte Gefangene, und die Sache in der Toilette. Selber bevorzuge ich mehr derartige Situationen. Beispielsweise haben weder der Bergkönig noch seine engen Wachen eine Persönlichkeit.
- *Geheimes Wissen* – vielleicht könnte man behaupten, dass die Bandenmitglieder von der Sache in der Toilette etwas wissen, oder dass man vom Bergkönig etwas über seine Schatzkammer erfahren könnte. Viel ist es nicht. Dafür gibt es auch kein Wissen, dass man sich aneignen muss.
- *Politik* – es hat zwar verschiedene Gruppen (Goblins, Kobolde, Orks, Troglodyten, Morlocks, Grottenschratte), aber die gehören einfach alle zur Räuberbande. Es hat keinen zweiten Anführer, keine Zwerge, die in der Nähe wohnen, keinen Verräter, selbst der Typ in der Zelle ist nicht zurechnungsfähig und als Allierter unbrauchbar.
- *Entwicklungsmöglichkeiten* – eine Gruppe könnte möglicherweise die Festung übernehmen wollen. Ansonsten gibt es weder seltsame Magie noch offensichtliche Nischen, die sich aufgetan haben.
- *Diverse Ziele* – hierfür war das Abenteuer wohl zu kurz. Die Beseitigung des Bergkönigs (und das Finden von Schätzen) ist das einzige Ziel im Abenteuer.
Wie man sieht, handelt es sich bei der *Festung des Bergkönigs* also um ein sehr einfach gestricktes Abenteuer, welches sehr offen für die Interaktionen mit der Gruppe ist.
Jetzt müsste ich einfach ein paar weitere Abenteuer mit diesen Kriterien unter die Luppe nehmen…
Aus meiner Sicht war bisher Vault of Larin Karr der Hammer.
Vault of Larin Karr
#RSP #Sandbox
Comments
(Please contact me if you want to remove your comment.)
⁂
“Festung” ist ja nur eine kleine Fingerübung! Sieh dir mal “Larm” an - da tue ich genau das, was ich fordere.
– Moritz 2009-11-06 12:24 UTC
Moritz
---
Keine Frage! Wollte nur ausformulieren, was “es” (die Forderung) denn meiner Meinung nach genau ist. Und die Festung ist/war deutsch, gratis, und aktuell. 😄
– Alex Schroeder 2009-11-06 13:48 UTC
Alex Schroeder
---
Die Tipps klingen sehr praktisch - habe ich direkt mal in unsere SL-Tipp Liste aufgenommen 😄
PS: Das Emacswiki als Blog-Seite zu nutzen finde ich klasse!
– Drak 2009-11-06 16:11 UTC
Drak
---
Cool. 👌
Eigentlich fand ich früher Wikis sehr viel besser als Blogs. Aber in dem Masse wie sich Blogs ausgebreitet haben, veränderten sich auch meine eigenen Lesegewohnheiten und Erwartungen. Und so musste ich wohl oder übel nach und nach Dinge einbauen, welche den Wiki immer Blog-ähnlicher machen. 😄
– Alex Schroeder 2009-11-07 21:55 UTC
Alex Schroeder